[105] Lieder des Buchbinders Horatius Treuherz

Hochgeehrter Herr!

Wie Herr Pfarrer Klein mir dieser Tage erzählt hat, sind Sie beschäftigt, die Gedichte meines sel. Freundes Biedermaier in einer auserlesenen Sammlung herauszugeben. Ich bin mit Biedermaier von mütterlicher Seite her verwandt und rührt es vielleicht daher, daß auch ich mich viel mit dem Dichtergeschäfte abgegeben habe. Wir sind früher immer gerne zusammen gewesen, da die Stadt, wo ich Buchbinder und großes Ausschußmitglied bin, nicht weit von Biedermaiers Wohnorte liegt. Aber später haben wir etwas Stuß bekommen, denn Biedermaier war eben wegen seines vorgerückten Alters nicht mehr zum Fortschritte zu bewegen, und so sind wir bei der Landstandswahl im Jahre 1834, wo wir Liberalen den berühmten Maier damals durchgesetzt haben, als Wahlmänner etwas hart aneinander gerathen. Denn er stimmte für den Oberamtmann Müller, der doch keine solche Verdienste für Fürst und Vaterland gehabt hat, wie der berühmte Maier, wo ja alle Zeitungen in Europa damals nur von Maiers großen Reden gesprochen haben, und Biedermaier nichtsdestoweniger nahm es auf sich, mir in's Gesicht Maiern einen Unruhmacher, ja, meine Herren, solchen sogar einen Robesbier zu nennen, welches fürchterliche Wort mehr als sieben Schwerter in uns gefahren ist. Denn man hat seit der Zeit, Gottlob, wohl einsehen können, wie gut es der sel. Maier mit der Regierung ebenso, wie mit dem Volke gemeint hat, und wie groß sein Unterschied von [106] denjenigen war, die in den letzten Jahren das liebe Vaterland und alles Gesetz und Ordnung mit verruchten Füßen darniedergetreten haben. Maier hat nur gewollt, was ich auch gewollt habe, und was Sie, meine Herren, gewiß auch gewollt haben, und was Alle gewollt haben, und was wir jetzt auch besitzen, nämlich, keine Censur.

Es würde mich nun freuen, dem Geschiedenen über das Grab hin die Hand zu reichen, indem Sie von meinen Gedichten die schönsten auswählen und denen des edlen Mannes verschwisternd beifügen. Ich gebe Ihnen meinheiliges Ehrenwort, daß es keine niedrige Ehrsucht ist, die mich treibt, sondern einzig und allein die Liebe zu der Dichtermuse und dem sel. Freunde, sowie der Umstand, daß man jetzt nicht mehr so zu sorgen braucht, daß Einem seine besten Sachen durch die Censur verhunzt werden.


Mit Achtung ergebenster

H. Treuherz, großes Ausschußmitglied

Abendlied

O Musa des Gesanges,
Bemächtige Dich mein,
Du Gegenstand des Dranges,
Du süße Schmerzenspein,
Komm', sitze zu mir nieder
Und mache mit mir Lieder!
Der Tag mit seinen Plagen
Beklemmt mir oft den Sinn,
[107]
Der Abend, so zu sagen
Schickt mir die Trösterin.
Die Musa des Gesanges
Erbarmt sich meines Dranges.
Sie kennt die zarten Schwächen
Des menschlichen Gemüths,
Und spornet uns, zu brechen
Die Rosa drum des Lied's:
Damit sich ihren Düften
Des Herzens Kammern lüften.
Sie zeigt mir die Contraste,
Sie lehrt die Harmonie,
Sie macht mich zum Phantaste,
Als wär' ich ein Genie:
Wenn sie nicht wär' zugegen,
Wo wär' ich so verwegen?
Mit meiner Meerschaumpfeife
Bin ich der beste Mann,
Und wenn ich was ergreife,
Fang' ich's zu dichten an,
Doch was ich dicht' und mache,
Das ist auch meine Sache.
Oft muß ich Thränen weinen,
Daß diese Welt so schlecht,
Die Musa, sollt' ich meinen,
Macht Alles wieder recht:
D'rum will ich Lieder reimen
Bis sie den Sarg mir leimen!

[108] Politische Triolette

1. Vormärzliche

1.
Freiheit, Recht und Kinderzucht
Sind die Dinge, die ich singe,
Ob es mir auch Nachtheil bringe
Und der Metternicht mir flucht!
Ob der Metternicht mir flucht,
Ob es mir auch Nachtheil bringe,
Sind die Dinge, die ich singe,
Freiheit, Recht und Kinderzucht.
2.
Freiheit muß der Deutsche haben,
Doch Censur ist dieses nie,
Noch auch die Bureaukratie,
Treuherz sagt euch dies aus Schwaben.
Treuherz sagt euch dies aus Schwaben,
Weder die Bureaukratie
Noch Censur ist dieses nie,
Freiheit muß der Deutsche haben.
3.
Recht verlangt der wack're Bürger.
In dem freien deutschen Staat,
Weh' dir Nordens Autokrat,
Wehe dir, du großer Würger.
Wehe dir, du großer Würger,
Weh' dir, Nordens Autokrat!
In dem freien deutschen Staat,
Recht verlangt der wackre Bürger.
[109] 4.
Kinderzucht begehren wir,
Ohne sie ist nirgend Segen,
Darum soll man Lehrer pflegen,
Darum zahlt sie nach Gebühr!
Darum zahlt sie nach Gebühr,
Darum soll man Lehrer pflegen,
Ohne sie ist nirgend Segen,
Kinderzucht begehren wir.
5.
O du deutsches Vaterland,
Deine 40,000,000,
Sage vierzig Millionen,
Knebelt dir des Censors Hand,
Knebelt dir des Censors Hand
Sage vierzig Millionen,
Deine 40,000,000,
O du deutsches Vaterland!
6.
Landesfürst ist Landes Sonne,
Landständ' sind des Landes Sterne,
Christian Maier nenn' ich gerne
Unsrer Landsnacht Mond und Wonne,
Unsrer Landsnacht Mond und Wonne,
Christian Maier nenn' ich gerne,
Landständ' sind des Landes Sterne,
Landesfürst ist Landes Sonne.
7.
Ja es kommt der Tag gewiß!
Dann erschau'n wir sie in Reinheit,
Deutschlands Freiheit, Deutschlands Einheit,
Und es weicht die Finsterniß!
[110]
Und es weicht die Finsterniß,
Deutschlands Freiheit, Deutschlands Einheit,
Dann erschau'n wir sie in Reinheit,
Ja es kommt der Tag gewiß.

2. Nachmärzliche

1.
Deutschland, ich befürchte sehr,
Dir droht Revolution,
Denn in Frankreich donnert's schon.
Wenn man nur vernünftig wär!
Wenn man nur vernünftig wär!
Denn in Frankreich donnert's schon,
Dir droht Revolution,
Deutschland, ich befürchte sehr!
2.
Heil uns! Freiheit ohne End'!
Der Herr Amtmann grüßt uns schon,
Und der Censor ist entfloh'n,
Und es gibt ein Parlament!
Und es gibt ein Parlament,
Und der Censor ist entfloh'n,
Der Herr Amtmann grüßt uns schon,
Heil uns, Freiheit ohne End!
3.
Gott, was man für Sachen hört!
Dieses ist die Freiheit nicht,
Wenn man so abscheulich spricht,
Ei, wie ist mein Herz empört!
Ei, wie ist mein Herz empört,
Wenn man so abscheulich spricht,
Dieses ist die Freiheit nicht,
Gott, was man für Sachen hört!
[111] 4.
Bürger, laßt euch nicht verleiten!
Nimmer strebt ein bied'rer Sinn,
Nach Latern und Guillotin,
Solchen Unfug muß man meiden.
Solchen Unfug muß man meiden,
Nach Latern und Guillotin,
Nimmer strebt ein bied'rer Sinn,
Bürger, laßt euch nicht verleiten!
5.
Christian Maier, Christian Maier,
Tritt auf deines Grabes Stufen,
Hebe mächtig an zu rufen:
»Haltet ein, ihr Ungeheuer!«
Haltet ein, ihr Ungeheuer,
Hebe mächtig an zu rufen,
Tritt auf deines Grabes Stufen,
Christian Maier, Christian Maier!
6.
Uebertrieb'ne Anarchie!
Rothe Federn an den Hüten,
Lange Säbel, Stulpenstiefeln,
Jetzt, o Menschenfreund, entflieh!
Jetzt, o Menschenfreund, entflieh!
Länge Säbel, Stulpenstiefeln,
Rothe Federn an den Hüten,
Uebertrieb'ne Anarchie!
7.
Danket Gott, jetzt ist's vorbei!
Dieses übertrieb'ne Brüllen,
Sagt mir um des Himmels Willen,
Sind wir jetzt nicht wirklich frei?
[112]
Sind wir jetzt nicht wirklich frei?
Sagt mir um des Himmels Willen!
Dieses übertrieb'ne Brüllen,
Danket Gott, jetzt ist's vorbei!

Auf den Tod des Geschichtschreibers Schmizlin von Uihingen

Lasset heut' die Leichenglocke schallen
In der Harfe Todtenmelodien,
Ach, ein großer Mann ist uns entfallen,
Schwabens Zierde, Schmizlin, ist dahin!
Ewig soll im Tempel der Geschichte
Ihres Priesters Name aufrecht stehn,
Und im Lied, im Drama, im Gedichte
Soll die Nachwelt ihn verherrlichen.
Mit dem Geist der alt' und neuen Zeiten
War der Hingetretene vertraut,
Er enthüllte die Begebenheiten
Mit der Wahrheit unverzagtem Laut.
O Verhängniß, warum diese Härte
Ueber's Vaterland, war's nicht genug,
Daß der Krieg mit seinem Heidenschwerte
Ihm erst jüngst so manchen Sohn erschlug?
Warum ist das Loos der Feuerköpfe
Schweres Unglück oder früher Tod?
Während die gewöhnlichen Geschöpfe
Finden lebenslang ihr täglich Brot.
Ward nur darum diesem selt'nen Manne
So im Nu dies arge Lebensziel?
Fiel er darum wie die hohe Tanne,
Und ist Tannensturz ein Kinderspiel?
[113]
Aber besser so, wie es gekommen,
Als wenn Schlimmeres noch wär' geschehn.
Kann Gebrest und Altersschwäche frommen
Einem Geiste aus den Himmelshöhn?
Welcher zu den Menschen kam hernieder,
Zu belehren dieses Publikum,
Solche Geister kommen nicht gleich wieder,
Wenn sie scheiden, wissen sie warum!
Darum schäm' ich mich, mit längern Klagen
Zu entsetzen euer friedlich' Ohr;
An der großen Männer Sarkophagen
Ziemt sich blos für Dankbarkeit ein Chor.
Auf darum, und laßt uns diesen singen!
Ewig bleiben wir davon entzückt,
Daß der sel'ge Schmizlin von Uihingen
Uns mit seiner Gegenwart beglückt! 1

Fußnoten

1 Dieses Lied hat Buchbinder H. Treuherz dem Biedermaier weggenommen und »verschönert«.

Zur Enthüllungsfeier des Christian Maier'schen Denkmals

Heil! der Mitwelt ist gelungen
Was die Vorwelt kaum gedacht,
Maier ist in Stein gesprungen
Aus der finstern Grabesnacht,
An dem städt'schen Wassergraben
Zum Genuß dem ganzen Land,
Er, der Größte, den wir haben
Aus dem Deputirtenstand!
[114]
Ausgezeichnet war sein Wirken,
Wie er selbst auch in Person,
Dieses kann gottlob verbürgen,
Von dem Staat das Lexikon,
Welches wirklich überschüttet
Ihn mit beispiellosem Preis,
Und, obschon er sich's verbittet,
Dennoch es zu schätzen weiß.
So besonders in der Kammer
Seine Reden klein und groß,
Wo er für des Volkes Jammer
Zog auf die Regierung los;
Doch sie konnten ihn nicht leiden,
Weil er Alles sagte grad,
Mußten ihn jedoch beneiden
Wegen seiner großen Schwad.
Niemand hat sich so erprobet,
Als des Fortschritts edler Sohn,
Und mit solcher Wuth getobet
In der Opposition,
Darum ward ihm auch genommen
Seine schöne Professur,
Und um den Verdienst gekommen
Ist er fast durch die Censur.
Gleichwohl wußt' er brav zu fristen
Weib und Kind die Existenz,
Niemals ließ er sich gelüsten
Ordensstern und Excellenz,
Lieber krank an Leib und Seele
Und mit einem Fuß im Grab',
Fiel der Mann von seiner Stelle,
Als von seinem Grundsatz ab.
[115]
Kurz und gut, sein hohes Streben,
Galt dem Volke ganz allein.
»Lieber«, sprach er, »gar nicht leben,
Als ein Bureaukrat zu sein,
Denn von den servilen Tröpfen
Hab' ich stets mich abgewandt,
Lieber hängen mich und köpfen
Für das deutsche Vaterland!«
Und er wich von seinem Pfosten
Nie zu seiner eig'nen Schand,
Hat auf seines Herzens Kosten
Nie gebildet den Verstand.
Jede Zeitung, jede Zone
Richtet' sich nach seiner Uhr,
Destowen'ger nichts der Krone
Rieth er stets zum Besten nur.
Darum auch so viele Essen,
Hielt man diesem Mann zum Dank,
Darum hat er auch besessen
Einen großen Nußbaumschrank,
Einen Schrank mit Glas, darinnen
Er die Becher aufbewahrt,
Die, zu ehren sein Beginnen,
Sich das Volk am Mund erspart.
Lang schon hätt' es sich gehöret,
Und wahrhaftig nicht erst jetzt,
Daß, was Jeder heiß entbehret,
Daß ein Denkmal ward gesetzt,
Länger durfte man nicht schweigen,
Und so kam man alsgemach,
Wie das Bildniß kann bezeugen,
Dem Bedürfniß wirklich nach:
[116]
Nein! ein Mann, wie Der gewesen,
Findet sich nicht alle Tag,
Was man auch von andern Größen
Unbegreiflich's sagen mag!
So ein Mann, ein vielgeplagter,
So gemein und grundgescheidt,
So ein Mann von dem Charakter
Und von der Persönlichkeit!
Doch er ist nicht ausgestorben,
Denn er lebt im Denkmal fort,
Das er sich mit Recht erworben,
Auf mein heilig Ehrenwort!
Denn er lebt in seinen Söhnen
Und in unsern Herzen noch,
Darum laßt zum Schluß ertönen
Ihm ein dreifach Lebehoch!

Als man mich in vornehmer Gesellschaft kränkte

O daß ich jetzt kein Mensche wär',
Wie fröhlich wollt' ich sein,
Wie gut hat es der Esel,
Wie wohl ist es dem Schwein!
Den Menschen gäb' ich einen Tritt,
Wenn ich der Esel wär',
Da müßten sie sich schämen
Und ärgern schändlich sehr.
Wär ich das Schwein, so lief ich gleich
In einen Saal voll Leut,
Da kämen ja die Damen
Sehr in Verlegenheit.
[117]
O weh, daß ich ein Mensch muß sein,
Kein Esel und kein Schwein,
Wie wollt' ich sie blamiren
Die stolzen Feinde mein!

Morgenstund

Früh aufzusein, o du Vergnügen,
Du reinster Wonne Hochbefund!
Wer soll da lang im Bette liegen,
Wo Morgenstund hat Gold im Mund?
Früh aufzusein erquicket Jeden,
Früh aufzustehn doch – fällt oft schwer,
Ha! wer gelanget in das Eden
Durch ein bequemes Ohngefähr?
Die größten Männer, wie zu lesen,
Die nützlich ihrem Vaterland,
Gelehrte, Feldherrn sind's gewesen,
Sie waren all' früh bei der Hand.
Erinnern will ich blos an Solon,
Glaubt Ihr, daß er lang liegen blieb?
Die Makkabäer, Christoph Kolon,
Der vulgo sich Columbus schrieb?
Diocletian, der große Kaiser,
Wußt' auch, warum er früh aufstund,
Und Wilhelm Tell, der kühne Schweizer,
Dacht': Morgenstund hat Gold im Mund!
So hab' auch ich – der im Vergleiche
Zu Jenen Nichts – erfahren spät,
Daß in dem menschlichen Bereiche
Vor sechs Uhr Alles besser geht,
[118]
Daß mit den Hühnern aufgestanden,
Sich noch vor Abend selbst belohnt,
Und daß sich Alle wohlbefanden,
Sobald sie's nur einmal gewohnt!

Klage ob den Folgen der Ueberkultur

Als Gott aus seinem Paradies
Den Adam und die Eva stieß,
Hat er es wohl sogleich bereut
In seiner Unerforschlichkeit.
Denn jetzo ward der Mensch bekannt
Mit seinem eigenen Verstand,
Er wurde stolz, bezwang die Noth,
Und machte ich's bequem im Koth.
Zwar anfangs forchte man ihn noch,
Man opfert', winselte und kroch,
Doch bald erlebt er große Schand;
Es lebt der Mensch auf eigne Hand.
Er log, er mordete, er stahl,
Er hauste wie ein Kannibal;
Sobald das Heidenthum begann,
Fand man auch sein Vergnügen dran.
Es traten Leute auf sogar,
Die es bewiesen bis auf's Haar,
Es existire gar kein Gott,
Und fügten zu dem Unglück Spott.
Zuletzt erlitt er noch die Straf,
Daß Mancher war von selber brav;
Und jetzt erlebt er gar die Schmach,
Man macht ihm seine Sachen nach!

[119] Elegie an Griechenland unter Rom

Lesend mit poetischem Intresse
In des Hölderlin's Gedichtenbuch,
Von dem Plato und dem Sophlokesse,
Kann ich mich verwundern nicht genug,
Daß er nicht von jenen Zeiten schwärmte,
Wo ganz anders die Angora lärmte,
Weil sein Album Jeder bei sich trug.
Damals war zu Grabe längst gegangen
Die zeitraubend leid'ge Politik,
Alle dichteten und Alle sangen,
Und bekamen's dennoch gar nicht dick.
Sophlokes war Jeder aus dem Volke,
Drohend wie die dichte Regenwolke,
Auf dem Markte stand die Dichterklik.
Keiner konnte da volljährig werden,
Der nicht schon ein Trauerspiel ersann,
Und mit guter Lunge und Geberden,
Einen Hörer mindestens gewann.
Denn natürlich war das schwer, weil Damen,
Greis und Jüngling vorzulesen kamen,
Wo durch Blumen der Ulysses 1 rann.
Herrlich war's im Schatten der Planeten,
Wo man las und sprach in Einem fort,
Jeder war der Erste der Poeten,
Kaum vernahm man noch sein eigen Wort.
Ganz verschwand bei solchen Elementen
Das fatale Volk der Rezensenten,
Denn zum Kriteln war die Zeit nicht dort.
[120]
Schöne Welt, Du bist hinabgeglitten,
Wo der Lorbeer jedes Haupt umragt,
Nur Gesichter werden jetzt geschnitten,
Wenn sich Einer vor mit Versen wagt.
Im Materialismus ganz versunken,
Dient man knechtisch, ohne Götterfunken,
Dem Gesetz der Schwere, wie man sagt.
Freilich ward auch Unfug viel geduldet
In Achaia, wie ich hören muß,
Die Gemeinden waren arg verschuldet,
Und man schwelgte nicht im Ueberfluß.
Aber das hat manchmal auch sein Gutes,
Und die Griechen blieben guten Muthes,
Denn nicht bitter schmeckt der Musen Kuß!

Fußnoten

1 Illyssus.

Anmerkung des Setzers.

Lehrgedicht

Kurz nur ist das Menschenleben
Und die Kunst ist lang allein,
Jedem ist es nicht gegeben,
In der Feder gut zu sein.
Aber Jeder könnte nehmen
Gute Bücher in die Hand,
Daß er nicht sich braucht schämen,
Wenn man spricht von allerhand.
Bildung ziert den Freigebornen,
Hebt den Jüngling, ehrt den Mann,
Und von Hinten und von Vornen
Sieht man Jedem Bildung an.
Darum legt Euch an den Laden,
Aber lest nicht viel bei Licht,
Denn es möcht' den Augen schaden
Und das möcht' ich selber nicht!

[121] An Julius Cäsar

Ich habe oft in Beck's Naturgeschichte
Gelesen von des Löwenthieres Art,
Ich habe oft in Pfeffel's Sinngedichte
Bewundert seine Geistesgegenwart,
Nicht minder seine Großmuth, seine Mähnen,
Selbst seines Brüllens wirkungsreiches Dröhnen.
In solchem Bilde tritt mir vor die Seele
Dein Geist, o Cäsar, Mann der schnellen That,
Ein Löwe bist du, welcher an der Kehle
Das schlimme Messer der Beschränktheit hat,
Denn Brutus sowie Cassius, engverschworen,
So hoch ich sonst sie schätze, waren Thoren.
Ich frage Jeden, der sich nur ein wenig
Im Leben umgeschaut, der je gewirkt
Für die Verfassung, ohne seinem König
Zu nah' zu treten, der nicht ganz vertürkt,
Ich frage ihn, ob nicht die Leidenschaften
Des Pöbels ihm sein Ideal entrafften?
So war's zu deiner Zeit in Rom, o Cäsar,
Die Anarchie war schon zu weit gedieh'n;
Ist's da nicht besser, wenn ein Reichsverwesar,
Den Karren weiß dem Unflath zu entzieh'n?
Besonders wenn mit Löwengeist und Stärke
Er Vorschub leistet dem erhab'nen Werke!
Pompejus, Cato, Cicero und Solche,
Der freien Staatsverfassung zugethan,
Die Catilina einst und seine Strolche
Schon angenagt mit gift'gem Wühlerzahn,
Die Hochgestirne waren jetzt erloschen,
War da nicht Alles leeres Stroh gedroschen?
[122]
Wie muß der Denker sich noch heute grämen,
Wenn er für Menschenwohl empfindlich ist,
Daß du, o Cäsar, göttlich von Benehmen,
Dem Vorurtheile unterlegen bist;
Schon krächzen rings des Knechtsinns feile Möwen,
Und die dir folgten, waren keine Löwen!
Entschuldiget, des Cäsars große Manen,
Daß ich so frei war, Euch dies Lied zu weih'n.
Ein schlichter Bürger, dessen schlichte Ahnen
In Weltgeschichte nie sich mischten ein –
Doch konnt' ich nicht umhin, euch anzusingen,
In einer Zeit voll Schwäch- und Finsterlingen!

Versuch des Horatius Treuherz, unsere Zeit in Hexametern zu besingen

Mitternacht war es vordem, jetzt ist es so ziemlich Mittagszeit,
Wenn nur die Reaktion nicht allzu fatal über Hand nimmt,
Zwar, und das tröstet mich recht, sich dem Geiste der Zeit zu entziehen
Ist eine Schwierigkeit selbst für die finstern Gewalten des Stillstands,
Welche dem Fortschritte wehrt, stets vorwärts zum Lichte zu schreiten;
Freiheit, Licht und auch Recht, seit Guttenberg's edler Erfindung,
Seit Amerika ward entdeckt von Christoph Columbus,
Seit nun das Leinwandpapier und die Taschenuhr wurde erfunden,
Ist keinem Angriff so leicht wie ehemals aus jetzt gesetzet;
[123]
Aber erst seit man Censur abgeschafft und Geschwornengerichte
Ueberall eingeführt hat, erschrickt die Partei der Verdummung
Schier vor sich selbst, da sie sieht, wie bethört sie den Mißbrauch gefürchtet.
Darum lobsing' ich der Zeit, die gewiß noch nicht da ist gewesen,
Wo keine Inquisition, kein Autodafeh mehr ist möglich,
Weil schon die Staatspolizei sich selbst reformirt und gebessert.
Glücklich der Mann, welcher lebt in der Zeit, die der Zukunft so nah' steht,
Wo sich sogar der Jesuit nicht scheut, mit dem Bahnzug zu fahren
Und mit dem Telegraphist auf vertrautestem Fuße zu stehen.
Glücklich die Zeit, wo der Fürst das Talent auch mit Orden versiehet,
Daß es nicht böslich verstimmt nur dem Wahne des Pöbels sich hingibt
Und an den Säulen des Staats ehrgeizig rüttelt und krittelt.
Schmäht nicht die jetzige Zeit, nicht dieses neunzehnte Jahrhundert,
Denn wo gab einst es, wie heut', Leihbibliotheken in Krautheim
Oder in anderen Nestern, wodurch sich die Geister entwickeln,
Daß selbst das ärmste Genie schon als Kind nimmer braucht zu ersticken
Und die mißbildetste Frau durchaus nie als Hexe verbrannt wird.

[124] Gute Freunde

Welch' eine Freud' in einem Buch zu blättern,
Das einen schönen festen Einband hat,
Und einen Inhalt, der mit saubern Lettern
Nach allen Flanken streut des Guten Saat;
Wie muß erst Der vor Lust die Händ' sich reiben,
Der ein so gutes Buch vermag zu schreiben!
Da nehmen wir z.B. Körner's Werke,
Wo jedes Blatt ist seinen Goldschnitt werth,
Dies edle Zeugniß von Characterstärke,
Von kühnem Sinn, von Leier und von Schwert;
Man könnte sich vor Freud' bewogen finden
So schöne Bücher gratis einzubinden.
Den Seume sollte auch kein Mensch vergessen,
Der auf die Tugend heut noch etwas hält,
Der an Neuschottlands Strand betrübt gesessen,
Ein Biedermann, ein Dichter und ein Held,
Und der das große Werk sich unterfangen
Und ist zu Fuß nach Syrakus gegangen!
Und auch den alten Voß, der die Luise
Besungen hat und ihres Vaters Rock,
Den Schlafrock und den Flausrock und die Lise;
Die gute Kuh, und den Kartoffelstock,
Ich würde gern noch heute Essig schlürfen,
Hätt' ich ein einzigmal ihn binden dürfen.
Ja, es ist wahr, was ich erst jüngst gelesen,
Daß gute Bücher gute Freunde sind,
Was ist der Mensch doch ein betrübtes Wesen,
Wenn er nicht Freund' und gute Bücher find't?
Viel lieber schläng' ich Gras und trüge Hörner,
Als ohne Seume sein und Voß und Körner.
[125]
Ja, es ist wahr, und lieber will ich sterben,
Denn der Gedanke macht mich beben schon,
Den Menschen trifft kein größeres Verderben,
Als einsam sein, wie einstens Robinson,
Und also hab' ich dieses Lied gedichtet,
Noch eh' mein Weib das Frühstück zugerichtet.

Hymnus auf Schiller

Wer wird nach Klopstock fragen,
So lang der Schiller geht,
Wer sich mit Platon plagen,
Den Niemand nicht versteht;
Komm' Einer her, was will er,
Er findet es im Schiller.
Das Menschenherz zu rühren,
Gelang ihm früh und spat,
Man kann es deklamiren,
Was er gerichtet hat.
Des Lebens höchste Zieler
Erflog der muth'ge Schiller.
Niemals in frechen Scherzen
Verletzt er die Moral,
Ihm ging ja stets zu Herzen
Das große Ideal.
Kein Mensch war difficiller
Als seiner Zeit der Schiller.
Auf allen seinen Blättern
Ist Tugend und Geduld,
Und an den griech'schen Göttern
Ist mehr der Göthe schuld.
Denn immer zeigt als Stiller.
Sich der erhab'ne Schiller.
[126]
Zwar manchmal wollt' er weichen
Vom rechten Pfad abseits,
Doch kroch er dann desgleichen
Auch wieder gern zum Kreuz.
Und nicht um's Leben fiel er
Vom lieben Gott ab, Schiller.
Daß er das Laster haßte,
Zeigt deutlich Karl von Moor,
Mit Bürgerglück nicht spaßte,
Kommt im Fiasko vor.
Doch war er gar kein Wühler
Der edelherz'ge Schiller.
In der Kabal' und Liebe
Merkt man, was ehrbar ist,
Der Freundschaft hohe Triebe
Man in Don Carlos liest.
Den Posa und den Miller
Erfindet nur ein Schiller.
Die Religion vergöttert
Er in der Jungfrau hell,
Die Tyrannei verwettert
Er kühn im Wilhelm Tell.
Ein Scheußlichkeitsverhüller
War niemals Friedrich Schiller.
Die Wunder seines Geistes
Im Räthsel ich erblick';
Die Glocke ist, so heißt es,
Ein wahres Meisterstück.
Und selbst der Doktor Brüller
Schreibt ab aus seinem Schiller.
[127]
Des Schicksals dumpf Getöse
Bricht in der Braut herein,
Und als gefall'ne Größe
Warnt uns der Wallenstein.
Denn keinen rothen Heller
Gibt auf den Ehrgeiz Schiller.
Und die Maria Stuart
Nimmt auch kein gutes End,
Schon darum dürft' in Stuggart
Besteh'n sein Monument,
Deß fürstlicher Enthüller
Entschädigt hat den Schiller.
Getilgt sind seine Schulden!
Und Cotta obenan
Hat mit viel Tausend Gulden
Die Kinder abgethan.
Ach, Mezger oft und Müller
Verklagten ehmals Schiller!
Doch jetzt ist er im Himmel
Und jetzt geht es ihm gut,
Wo er vom Weltgetümmel
Auf einem Lorbeer ruht.
War Einer bräver, stiller
Als der bescheid'ne Schiller?
Die eingefall'nen Backen
Schwillt jetzt ein Zephyr an,
Von vorn und hinten packen
Ihn große Männer an.
Stets lichter und stets heller
Verklärt sich unser Schiller.
[128]
Deß freu'n sich alle Menschen,
Die für das Gute sind,
Und Böses kann ihm wünschen
Nur wer ihn gar nicht kennt.
Denn Schlegel blos und Kriller
Mißhandeln unsern Schiller.
Sein Fürst verstand ihn besser,
Da herrscht nur eine Stimm';
Er macht ihn zum Professer
Und gab den Adel ihm.
Drum mit dem höchsten Triller
Schließ' ich mein Lied auf Schiller.

Hymnus auf Göthe

Es preisen alle Zungen
Den Namen Göthe laut,
Die Alten und die Jungen
Sind noch von ihm erbaut.
D'rum sag' auch ich, nicht blöthe:
Gepriesen sei der Göthe!
Es war ihm nichts zu schwierig,
Er dichtet es geschwind,
In Trauerspiel und Lyrik
Hat er den Preis verdient.
D'rum, ob er sich's verböthe:
Gepriesen sei der Göthe!
An seinem Werther härmt man
Sich seiner Zeit wie jetzt,
Das deutsche Blut erwärmt man
Am Berlichinger Götz.
[129]
D'rum rufet früh und spöthe!
Gepriesen sei der Göthe!
Wen sollte nicht ermahnen
Der gottvergessne Faust,
Der auf des Lasters Bahnen
Der Hölle zugesaust.
D'rum lodre die Raköthe:
Gepriesen sei der Göthe!
In seinen Elegieen
Hat er sich nicht geniert,
Man hat's ihm gern verziehen,
Daß man sich alterirt.
D'rum thu auch ich nicht spröthe:
Gepriesen sei der Göthe!
Als alter Musenpriester
Trieb er Chinesisch noch,
Und war er gleich Minister,
So nahm er Zeit sich doch.
D'rum riefen seine Räthe:
Gepriesen sei der Göthe!
Er hat gemalt, gezeichnet,
Gott und die Welt studirt,
Und sonst sich angeeignet,
Was einen Menschen ziert.
D'rum, blies er auch nicht Flöthe:
Gepriesen sei der Göthe!
Er schrieb den Wilhelm Meister,
Ein Buch wie andre mehr,
Das gute Herz beweist er
In seinem Hermann sehr.
D'rum, gäb' es auch Emöthe:
Gepriesen sei der Göthe!
[130]
Einsamer Schlaf und Wanzen,
War ihm, er sagt's, verhaßt,
Auch hat er stets die Pflanzen
Gemüthvoll angefaßt.
D'rum rufe Hans und Gröthe
Gepriesen sei der Göthe!
Selbst an der Farbenlehre
Schrieb dieser große Mann,
Und das ist doch so schwere,
Daß man nur staunen kann.
D'rum, ob man mich auch tödte:
Gepriesen sei der Göthe!
Bettina, die so kindlich,
Sprach ihn als Freundin an;
Auch sagt er Vieles mündlich
Dem treuen Eckermann.
Drum, noch als alter Schwöthe
Gepriesen sei der Göthe!
Daß ein Genie nicht rauche
Das hat er auch gesagt,
Ob allzuvielem Lauche
Hat er in Rom geklagt.
D'rum, war ihm noch so öthe:
Gepriesen sei der Göthe!
Bei seinem Freund, dem Schiller,
Ist ihm die Zeit entflohn,
Auch sprach er mit dem Müller
Und mit Napoleon.
Drum sprach auch der zum Wröthe:
Gepriesen sei der Göthe!
[131]
In seinen alten Tagen,
Bescheidener als nie,
Beschrieb er mit Behagen
Seine Biographie.
Drum, ohne Widerröthe:
Gepriesen sei der Göthe!
Als Weisester der Weisen
Starb er im Tode ab;
Ach Jeder sollte reisen
An sein berühmtes Grab,
Worauf ich schreiben thäte:
Gepriesen sei der Göthe!

Gefühl des Lesers von Schillers Gedichten

Kleiner Mensch, der du im Weltgewühle,
Wie ein Tropfen in dem Meer vergehst,
Und im Nichts durchbohrenden Gefühle
Vor dem eignen Werk erschrocken stehst,
Flötetest du gleich mit Engelzungen
Blieben deine Worte ja zu grob,
Doch, von edler Dankbarkeit durchdrungen,
Stammelst du ein unbescheidnes Lob!

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Eichrodt, Ludwig. Lieder des Buchbinders Horatius Treuherz. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-9EE5-7