Dahner Thal

Von dem Himmel rauschet rascher Regen,
Schwer und trüb durchstreicht der Wind die Räume,
Nebel raubt des Lichtes goldnen Segen,
Um der Tannenberge dunkle Säume
Lagert Dunst.
Fürder schritt ich, öfter wars ein Waten,
In dem losen Wege, über Trümmer;
Hingeschmettert sah ich hohe Saaten,
Felsen draufgerollet; steiler immer
Ward der Berg.
[149]
Welchem Zauber ist das Thal erlegen?
Welcher Bann hat seinen Reiz getroffen?
Wie ein Herz erbebt in Wonneschlägen
Bebte sonst in träumerischem Hoffen
Hier Natur.
Haine tönten, süße Schlummerfrühe
War gebreitet über Berg und Auen,
Eh die Sonne heiße Tagesmühe
Land und Leuten brachte unterm blauen
Himmelszelt.
Heute schweigt der einst so heitre Morgen,
Wolken beugen um die feuchten Hügel,
Und Gesichter voll Verdruß und Sorgen
Schneiden sie herunter in den Spiegel
Seichter Seen.
Trauerselig von dem Walle nicken
Ritterburgen, alter Herrlichkeiten
Düstre Zeugen, Wehmuthsgrüße schicken
Sie zu Thal, gedenkend beßrer Zeiten
Eisenglanz.
Herrlich wohl und schrecklich ist gewesen,
Als die Ungewitter sie umrollten!
Donner schlug die Mauer, wankend lösen
Von dem Fels die Schlösser sich, als wollten
Sie vergehn.
[150]
Sieh! ein neues Wetter hängt im Osten,
Fernab grollt es, grelle Blitze zucken,
Bang erzittern wieder die verschloßten
Saatgefilde, sieh, die Halme ducken
Sich mit Hast.
Mitleid weckt ihr säuselndes Gewimmer,
Und vorüber saust das stolze Wetter.
Welcher Sturmwind, hinter ihm der Schimmer,
Wirft die Nebel, gleich unnützem Volke,
Thalhinaus!
Welche Bläue! milden Tages Helle!
Himmelsfarbe, keusche, seligreine,
Sei gegrüßt mir, lichte Aetherwelle!
Sei gegrüßt mit deinem Sonnenscheine
Maientag!
Nieder, nieder auf den heilgen Boden!
Dort wohin das Gottesauge blickte!
Wecken müßt es einen Starren, Todten,
Wenn die kühle Erde ihn nicht drückte
Allzutief!
Drüben blüht ein Kirchhof! Sie verscharrten
Einen Todten in die kühle Erde.
Sänge dringen aus dem Friedensgarten
Voll herauf, sie tönen voll: es werde,
Ihm auch, Licht!
[151]
Von der Bergwand ringen sich die Lieder,
Klang für Klang auf unsichtbaren Saiten
Fortgeschwungen; was ins Grab die Brüder
Ihm gesungen, zittert in die Weiten
Hundertfach.
Denn sie singen, er ist werth der Thränen,
Wandrer, seiner Heimath Berge sagens!
Diese, fernhin schattend, klagens jenen,
Hoch und niedre, und die letzten tragens
Himmelan.
Hell und rein, dann tief und voll ertönet
Berg um Berg, bald wie Gesang des Mannes –
Dorther, wo ein Fels den Gipfel krönet –
Wieder bald wie Jungfraustimme, wann es
Lieblich klingt.
Selber sind die Berge Männer, Frauen!
Wie die schönen Königskinder klagen
Sie sich Liebe – können sich nur schauen,
Winde kommen hin und her zu tragen
Gruß und Kuß.
Auf und fort! du wirst ein weicher Schwärmer,
Wandrer, auf den sonnenwarmen Höhen,
Trinken Wein jetzt, und an Träumen ärmer
Wirst du nicht aus trauter Schenke gehen
Von Marien.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Eichrodt, Ludwig. Gedichte. Leben und Liebe. Traum und Bild. Dahner Thal. Dahner Thal. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-9EE9-0