[132] Erzählungen des alten Schwartenmaier

Der verlorene Sohn

oder

lästerlicher Lebenswandel, traurige Schicksale, doch endliche reuige Heimkehr Balthasars von Mesopotamien, im Triumphe der Reimkunst.


In dem Land Mesopotamien,
Fruchtbar durch des Euphrat Schlamien,
Lebt' einst, fern von Babylon,
Damian ein Oekonom.
Ungeheuer reich war selbiger,
Hatte tausend Küh und Kälbiger,
Pferd und Esel, Schaaf und Rind,
Und zwei Söhnlein auch zum Kind.
Kinder gleichen sich nicht allemal,
Sagt der weise König Salemal;
Ist auch ähnlich das Gesicht
Gleichen sich die Herzen nicht.
Also war auch bei des Damian
Zwofach aufgesproßtem Samian
Aehnlich zwar das Angesicht,
Aber ihre Herzen nicht.
Morgens früh schon ging der Michael
In das Feld mit seiner Sichael,
Half den Knechten beim Geschäft
Und wies auch die Mägd zurecht.
[133]
Balzers Muth stand freilich anderweit,
Ihm mißfiel die rauhe Handarbeit,
Der Herr Pfarrer meinte drum:
Thut ihn auf das Studium!
Seine Mutter Athanasia
Liebt' ihn ohne Ziel und Maßia,
Hat's beim Vater durchgedrückt,
Daß er ihn zur Hochschul schickt.
Man erzählt vom alten Babylon
Wundersame Pracht und Fabylon,
Dort schrieb man ihn ein als Fuchs,
Doch statt Jus trieb er nur Jux.
Und er lebt in dulci Jubilo
Und in einem ew'gen Nubilo,
Wein und Bier wie auch Likör
Trank er täglich mehr und möhr.
Leider aber die Kollegien
Ließ er gänzlich unterwegien,
Von dem Babylonier-Corps
Ward er bald der Senior.
In den Gärten der Semiramis
Spielt' er manchen Schlauch und Bierramis 1
Und ergab sich allgemach
Pharao und derlei Sach.
[134]
Auch der Liebe that er huldigen,
Dies bracht' ihn zumeist in Schuldigen
Und der schlimme Zeitvertreib
Ruinirt ihm Seel und Leib.
Endlich war er gar zu liederlich,
Seine Bein und Hände zitterlich,
Und auf seinem Haupte war
Auch nicht mehr ein einzig Haar.
Sich zu machen zahlungsfähiger,
Kam er an die Manichäiger,
Dies hat ihn so weit gebracht,
Daß er aus dem Staub sich macht.
Da er nächtlich schied von Babylon,
War's ihm ziemlich miserabylon,
Und er ging hinaus auf's Land,
Wurde ein Komödiant.
Jetzt als Priester von der Thalia,
Trieb er allerlei Skandalia,
Zog von Dorf zu Dorf herum
Und entsetzt das Publikum.
Schweinepriester war er immerdar,
Und ein schlaues Frauenzimmer war,
Wenn er sich zu fassen schien,
Immer wieder sein Ruin.
Da geschah zu seiner Läuterung
Eine große Noth und Theuerung,
Eine Vieh- und Menschenplag'
Wie man's kaum gedenken mag.
[135]
Niemand ging mehr in Komödien,
Und sein letztes Hemde flödigen,
Als ein Schweinhirt aß er nun
Trebern, wie die Schweine thun.
Solche Kost kann nicht wohl sättigen,
Mager bald wie ein Skelettigen,
Sehnt nach Hause sich sein Geist
Zu des Vaters Hammelfleisch.
Und er wandert mit Geschwindigkeit,
Tief bereuend seine Sündigkeit,
Ohne Strümpfe, Hemd und Hut,
Fort nach seines Vaters Gut.
Da man's Vieh zu Mittag tränkete,
Damian an gar nichts denkete,
In der Küch' die Mutter war,
Sieh da kommt der Balthasar.
Ei du Strolch und Erzlumpazius,
Galgenstrick und Hauptkujazius,
Welcher Wind führt dich in's Reich,
Ei, wo ist mein Farrenschweif?
Balthasar warf sich auf's Esterich:
Hau' nur zu, denn ich trieb's lästerig!
Doch die Mutter kommt, zum Glück,
Und der Vater weicht zurück.
Und in heißen Thränen bitterlich
Klaget laut das gute Mütterlich,
Küßt' ihn und ruft ohne End':
Ach, mein Balzer, mein Student!
[136]
Und der Vater alsbald umgewandt
Hat zu allen Nachbarn 'rumgesandt,
Und zur großen Gasterei
Seinen Sohn bekleidet neu.
Um den Mondschein zu beseitigen
Seines Schädels für den Heutigen,
Mußt' ein altes Handschuhpaar
Lassen seines Pelzes Haar.
Spät kam, als der Abend dämmerte,
Michel heim vom Feld und jämmerte,
Weil Musik er hört' und Tanz,
Sparsam war er gar und ganz.
Euer Bruder kam, der Balthasar,
Darum tanzen sie den Waltasar,
Haben auch ein Kalb gemetzt;
Hat ihm drauf ein Knecht versetzt.
Zornig stampfte da der Michael;
Knecht' und Mägd' und das Geflüchael
Flohen hocherschreckt in's Haus,
Und der Vater trat heraus.
Micheln wieder zu begütigen,
Trat er schmunzelnd zu dem Wüthigen,
Redet ihm in's Herz gelind:
Komm herein und sei kein Kind!
Komm herein und tanz den Schottischen
Mit des Jakobs rothem Lottichen,
Zwanzigtausend bringt sie mit,
Wirb um sie, weil ich dich bitt'.
[137]
Geb' dir gleichfalls soviel Baaria,
Aber laß die Larifaria,
Geb' das halbe Gut dir gleich,
Aber komm herein und schweig!
Komm herein und laß dich sänftigen,
Spiele nicht den Unvernänftigen,
Freu dich, weil der Herr Student,
Wiederum zu Hause send!

Fußnoten

1 Der Bierrams ist wie das Pharao eigentlich ein egyptisches Spiel, erfunden angeblich von Ramses II. (Ce çostris, Cäko). Auch Schlauch erinnert an die alten Weinschläuche Egyptens dieses Mutterlandes aller Kultur.

Mythus vom ersten Bruder Liederlich

Unweit von dem Paradies,
Wo sich Adam niederließ,
Hat's auch Eva unternommen
Und ist zwofach niederkommen.
Höflich riefen alle Leut:
Welche große Aehnlichkeit!
Der ist ganz der alte Adam,
Und der Blonde ganz die Madam!
Und von diesem Zwillingspaar
Hieß der Jüngre Abel zwar,
Weil er brav versprach zu werden
Unter Schaf- und sonst so Heerden.
Kain ward zu seiner Schand
Gleich der Rothkopf zubenannt,
Denn an seiner Stirne mächtig
Trug ein Mal er sehr verdächtig.
[138]
Das verursacht stillen Gram,
Adam, als er wahr es nahm,
Und ihm schwante wenig Gutes,
Von dem Setzling seines Blutes.
Aber Eva, seine Frau,
Nahm es nicht so sehr genau,
Ließ den Knab im Wald sich tummeln
Bei den Käfern und den Hummeln.
Langsam wurden Beide groß,
Und der Kain sittenlos.
Aber schüchtern auf den Nabel
Sah sich stets der sanfte Abel.
Als die Hosen und der Wamms
Waren nun verwachsen ganz,
Schickt der Adam, dieser Sünder,
An die Arbeit seine Kinder.
Abel dünkte sich ein Graf,
Als er hüten durft' die Schaf'!
Kain schätzte sich ein König,
Als er jägdeln durft' ein wenig.
Nach vollbrachtem Tagewerk,
Haben sie sich dann gestärkt,
Und behaglich in Pantoffeln
Aßen sie zu Nacht Kartoffeln.
Als die Mahlzeit war zu End',
Wuschen sie die langen Händ',
Haben sich die Pfeif' gestopfet
Und ein Thier am Berg geopfert.
[139]
Während in den Himmel hoch,
Abels Opfer rauchte, kroch
Kain's Rauch hinab zur Höllen,
Das verdroß den Waidgesellen.
Darum eines Abends spat
Grübelt er auf Uebelthat;
Als der Abel goß den Lattich,
Stellt sich Kain hin wo's schattig.
Seht, er richtet seine Flint'
Auf das Bruderherz geschwind,
Ernst, besorg ich, will er machen,
Kain, was seyn das für Sachen!
Hoffentlich drückt er nicht los!
Nein, das ist gewissenlos!
Das ist nicht blos unvorsichtig,
Das ist schändlich, niederzichtig!!
Adam, als er wahr es nahm,
Stößt ihm auf der alte Gram,
Stürzt herbei mit seiner Gattin
Und versetzt: o Gott, es hat ihn!
Hilfe, liebe Nachbarsleut!
Was ist unserm Abel heut?
Solches kann ich nicht kapiren,
Weiß ihn Keiner zu kuriren?
Immer steht noch Alles dumm
Um den armen Abel 'rum,
Plötzlich fängt man an zu wissen,
Daß ein Sterbfall eingerissen.
[140]
Kain spürt der Reue Fluch
Ueber dieser Treue Bruch,
Und das belfernde Gewissen
Hätt ihn beinah todtgebissen.
Adam aber kommt und sagt:
Hab ich es doch gleich gedacht!
Thut das Haar ihm rückwärts streichen
Und entblößt des Kains Zeichen.
Kain wie die Pestilenz
Flieht erschreckt die Landesgrenz,
Um sich auswärts unter Beben,
In den Ehstand zu begeben.
Weiter sagt die Weltgeschicht',
Kain wurde liederlich,
Und sein Samen schwerlich feiner,
Die Freischärler und Zigeuner.

Fridolin

Gern sing' ich den Biedersinn,
Des Barbiers, des Fridolin,
Aber Käthchens falsche Art
Zu erzählen fällt mir hart,
Denn dies Nähermädchen hat
Aufgebracht die ganze Stadt.
Käthchen hatt' ein schön Gesicht,
Sittsam aber war sie nicht,
Fridolin hat mit Verstand
Dieses allzuspät erkannt, –
Ach, es macht uns sehr betrübt,
Wenn man solche Mädchen liebt.
[141]
Schon in früher Morgenstund'
Machte Fridolin die Rund',
Eilend in der Stadt herum,
Und bedient das Publikum,
Seines Messers flinker Schnitt
Bracht' ihm Ehr' und Appetit.
Doch bei Tage wie bei Nacht
Hat er Käthchens nur gedacht,
Wie ein Bild an einer Wand
Sie vor seinem Geiste stand,
Nachts erblickt er sie im Traum,
Und bei Tag im Seifenschaum.
Einen Hut mit Seidenband
Kauft er und ein schön' Gewand,
Käthchen ward mit Recht entzückt,
Weil er ihr so Vieles schickt,
Und mit einer großen Scham
Nannte sie ihn Bräutigam.
Für die unbefleckte Ehr'
Schien das Mädchen sorgsam sehr,
Abends schloß sie ihre Thür',
Fridolin durft' nicht zu ihr,
Auf daß ihrer Unschuld nicht
Schaden in der Nacht geschicht,
Nur bei hellem Tagesschein,
Ließ sie ihn in's Kämmerlein,
Und vergönnt' ihm einen Kuß
Zum beglückenden Genuß;
Kam der Abend dann herbei,
Ging er in die Brauerei.
[142]
Spät noch eines Abends saß
Fridolin beim Gerstenglas,
Freute sich mit reinem Sinn
Auf den nächsten Morgen hin,
Und gedacht' in einem Jahr
Sie zu führen zum Altar.
Plötzlich sprach zu ihm ein Freund,
Bastian, der's redlich meint:
Ei pfui tausend, Fridolin,
Duldet dies Dein Biedersinn,
Daß ein Reiteroffizier
Schleicht zu Käthchens Kammerthür?
Dieses Wort des Bastian
Faßt ihn sehr mit Schrecken an,
Mit den Beinen greift er aus,
Eiligst nach der Liebsten Haus,
Und mit einem starken Stoß
Sprengt er das Pariser Schloß.
Da beim Lampenscheine sah –
Großer Gott, was sah er da?
»Großer Gott, verleih' mir Kraft,
Nein, das ist nicht tugendhaft,
Käthchen nein, und dreimal nein,
Käthchen, Du bist nicht allein!«
Fridolin, vom Zorne roth,
Fand die Worte nur mit Noth:
»O Du ungetreue Braut,
Meinst Du, daß mich das erbaut?
Bei Dir ist ein fremder Mann,
Gott, wie greift mich dieses an!«
[143]
»Käthchen, Käthchen, meine Pflicht
Duldet solchen Unfug nicht,
Käthchen, noch in dieser Nacht
Ist die Brautschaft ausgemacht,
Käthchen, wenn der Morgen graut,
Hat der Pfarrer uns getraut!«
Als sie dieses Wort vernahm,
Meinte Käthchen jetzt vor Gram,
Sprach gerührt der Offizier:
»Solches kam mir niemals für,
Fridolin, Du edler Mann,
Sei mein Freund von heute an!«
Wer auf eine Led'ge traut,
Mensch, der hat auf Sand gebaut,
Denn ein Windhauch, ohne Spur
Ist des Mädchens Liebesschwur,
Weislich knüpft der biedre Mann,
Fest'res Band im Ehstand an!

Schwartenmaier's Klage um den entschlafenen Biedermaier

Meine Finger laß' ich gleiten,
Tiefgerührt auf Brummbaßsaiten,
Schlott'rig sind sie nur gespannt,
Und es zitiert meine Hand.
Wie aus einem hohlen Hafen
Muß man singen von dem Braven,
Den bereits das Grab verschlingt,
Daß es dumpf und schollrig klingt.
[144]
Biedermaier, Biedermaier,
Was verstimmst Du meine Leyer?
Sagt, wo nehm' ich Thränen her?
O, der Gottlieb ist nicht mehr!
Ist es möglich? So ein Dichter,
So ein sanfter Friedensstifter,
So ein beispielloser Mann
Stirbt und thut uns dieses an!
Soll ich sein Verdienst erzählen,
Eure Ohren müßt' ich quälen
Mit der überflüß'gen Zahl,
Das geht nicht mit Einemmal.
Rechnen, lesen, schreiben, dichten,
Wachtelhunde abzurichten,
Für die Freunde zeitenweis,
Freut den liebenswürd'gen Greis.
Brachten es die Jahreszeiten,
Oder sonst Gelegenheiten,
Wer ertrug und machte Spaß,
Als der Biedermaier baß?
Himmel! war die Lug', das Laster,
Irgend Einem je verhaßter?
Wie war er so treu beständ'sch,
Ach, ein wahrer Nebenmensch!
Nein, wie ist mir in den Magen
Dieser Todesfall geschlagen;
Angst und bang, so wird mir schier,
Reichet einen Bittern mir!

[145] Klagelied des Schulmeisters Jeremias Birkenstecken um den hingegangenen Freund

O Spektakel, welch' ein Schrecken!
Das ist Trauersiegellak.
Jeremias Birkenstecken,
Bürste deinen schwarzen Frack!
Welche Botschaft! Biedermaier,
Dieser Edle, lebt nicht mehr!
Bindet Flor an meine Leier,
Denn der Vorgang schmerzt mich sehr.
Bindet Flor an Hut und Hauben,
Daß die Thräne besser fließt,
Niemand wird die Nachricht glauben,
Bis er's in dem Blättle liest.
Gott! hätt' ich das können ahnen,
Daß der große Mann verschied,
Als wir eben in dem Schwanen
Sangen sein Kartoffellied!
Morgen wird man ihn begraben,
Schlag halb zehn Uhr, denn genau
Will es das Gesetz so haben:
Uns're weise Leichenschau.
O muß Alles denn von hinnen,
Was da schön und edel ist,
Dieses bringt mich schier von Sinnen,
Solch ein Dichter, Mensch und Christ!
[146]
Nein, wer wird sich da nicht grämen,
Wenn er einen Freund verliert?
Namentlich, muß er vernehmen,
Daß man ihn hat falsch kurirt 1
Darf der Bürger denn nicht klagen,
Wo selbst die Regierung klagt,
Die ihm erst vor wenig Tagen
Die Medaille angesagt?
Klaget, klaget, lieben Leute,
Denn das Klagen ist erlaubt,
Wenn der Tod als seine Beute
Einen Biedermaier raubt.

Fußnoten

1 Diese Nachricht erwies sich als eine böswillige Verleumdung des Biedermaier'schen Hausarztes und ich nehme deßhalb meinen Unwillen feierlich zurück.

Jeremias Birkenstecken.


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TextGrid Repository (2012). Eichrodt, Ludwig. Erzählungen des alten Schwartenmaier. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-9F18-F