Babeno und Gabriele,
treu nach einer Taschenbuch-Ballade von 1813

Schon lag die Nacht in tiefer Stille
Und feierlich auf der Natur,
Und sparsam aus der Wolkenhülle
Sah Luna nieder in die Flur.
[46]
Da trat Babeno - großer Ahnen
Ein Sprößling - unter's Sternenzelt,
Hin zu den nächtlichen Balkanen,
Bis Liebchen ihn umschlungen hält.
Sie wandeln von dem Zephyrwinde
Umlispelt und mit ros'gem Sinn
Durch Silbertannen-Labyrinthe 1
Zu einem Felsenhügel hin.
Da war's, wo sich um alte Trümmer
Von einer Burg nur Epheu schlang,
Und aus dem öden Felsenzimmer
Nichts, als der Eule Grablied drang.
Es blickte hin zu dem Gemäuer
Das Mägdlein voller Bangigkeit;
Am Fuß der Felsen ist's geheuer,
Von oben zagt die Weiblichkeit.
Ach, sprach sie, grausig geh'n Gespenster
Dort oben auf der Ritter Grab,
Ein wilder Mann blickt aus dem Fenster
Der Höhe fürchterlich herab.
Die Todten ruh'n - so sprach Babeno,
Dort oben ist kein wilder Mann,
Der Menschen würgt. Komm, laß uns gehn o
Den sanftgewundnen Pfad hinan!
Sie wandelte durch schwarze Gänge
An ihn geschmiegt und minnetraut,
Dort in die hohe Felsenenge,
Wo Schreckniß den Ruin umgraut.
[47]
Hu da! - aus einer offnen Nische
Springt pfeilschnell eine Blutgestalt,
Die Jungfrau bebt in das Gebüsche,
Da ihr der Geist entgegenwallt.
Wer seid Ihr, daß Ihr mich zu stören
In diesen Stunden Euch erfrecht?
Des Frevels Sünde sollt ihr hören
Und fühlen, wie ein Geist sich rächt!
Sein Schwert zieht kühnlich stracks Babeno
Stürzt, aufgeregt von Heldenmuth,
Entgegen sich dem Nachtgespeno - 2
Der Unhold sinkt - es strömt sein Blut!
Und Todesangst umfaßt im Mieder
Des Mädchens Herz - der Seele los
Fällt es, vom Schlag 3 getroffen, nieder
Auf's mordumflossne Felsenmoos 4.
Da wirft Babeno weg den Stahle
Und eilt zu der zerstörten Braut; -
Ach, ausgerungen hat die Fahle,
Nur Todesschweiß umrinnt die Haut.
Wie? - Todt? - Du, meine Gabriele!
Gerechter Gott! - entrissen mir?
Ruft er und ringt empor die Seele,
Nein, Traute, mich trennt Nichts 5 von dir!
[48]
Nicht Schicksal, nicht des Todes Pfeile
Entreißen mir dein treues Herz,
Ich folge dir -! Auf Erden heile
Nichts reiner Minne Trennungsschmerz.
Er sprach's und nimmt das Schwert verletzlich,
Das noch vom Blut des Unholds raucht,
Durchbohrt die treue Brust, und plötzlich
Ist seine Seele schon verhaucht.
So starb Baben' und Gabriele,
Erfüllend ihrer Ahnen Fluch;
Am Grab schlug eine Philomele,
Und nicht vertrieb sie der Geruch.

Fußnoten

1 Die sog. Weißtanne: pinus picea. Linné.

2 Licentia poetica.

3 Apoplexia cerebralis.

4 Parmelia saxatilis.

5 Nihil privativum.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Eichrodt, Ludwig. Gedichte. Gedichte aus Lyrischer Kehraus: Fliegendes. Babeno und Gabriele. Babeno und Gabriele. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A059-7