Lied der Säulenheiligen

Dreihundert Jahre wollen wir
Uns Gott, so Gott will, weihen,
Schon siebzig Jahre steh'n wir hier
Auf Säulen hoch im Freien.
Wenn er uns Regenwetter schickt,
Daß wir durchnässet triefen,
Wir stehen heiter, unverrückt,
Der Herr will uns nur prüfen.
Wenn er im Blitz und Schloßen kömmt,
Uns donnert um die Ohren,
Wir werden doch nicht weggeschwemmt,
Wir haben keine Moren.
Wir essen nicht, wir trinken nicht,
Wir sammeln nicht in Scheunen,
Wir schlafen wie der Gänsericht
Auf einem von den Beinen.
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Wir büßen für die böse Welt
Die eigenen Vergehen,
Und ob auch Katzenhagel fällt,
Wir lassen's halt geschehen.
O Herr, du lohnest uns einmal
Im Jenseits unser Ringen,
Wo wir entrückt der Erdenqual
Dein Loblied endlos singen.
Wir bitten dich, o schlaf nicht ein
Bei unsern langen Chören,
Und lohne unsrer jetz'gen Pein
Durch gnädiges Anhören.
Was haben Ander's angestrebt
Die Kröten ohne Nahrung,
Die über tausend Jahr' erlebt
In steinerner Verwahrung?
Und Menschen, sollten sie nicht schon
Soviel als Kröten können?
Das sagen nur, die uns den Lohn
Schändlicherweis mißgönnen!

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Eichrodt, Ludwig. Lied der Säulenheiligen. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A0F5-9