[307] Die verdoppelten Skudi

Lange Rübe hat zwei gebackene Hähnchen gegessen und Pietrino zwei halbe gebratene Enten. Dazu haben sie noch vier Flaschen Barolo getrunken. Der Kellner kommt, zieht mit einer zärtlichen und liebevollen Verbeugung einen Papierblock aus der Tasche und macht die Rechnung. Lange Rübe holt eine Geldbörse vor und wirst sie mit gleichgültiger Bewegung auf den Tisch. Die Börse enthält lauter Goldstücke, man sieht das durch die grünseidenen Maschen. Der Kellner macht runde Augen.

Die Rechnung liegt auf dem Tisch, und es stellt sich heraus, daß sie acht Skudi beträgt. Lange Rübe merkt zwar, daß der Kellner sich um zwei Skudi verrechnet hat, natürlich zu seines, des Kellners Gunsten; aber er hält es für unpassend, ihm das Versehen aufzumutzen. Er beschließt, ihm noch zwei Skudi Trinkgeld zu geben, zieht ein Goldstück von zwanzig Skudi aus der Börse, und schiebt es dem Kellner zu.

Der Kellner legt ein Goldstück von zehn Skudi hin und zählt die übrigen zwei Skudi in kleinem Silber und in Kupfer auf. Mit einer eleganten Handbewegung streift er das große Goldstück vom Tisch und dabei nimmt er unversehens das kleine mit, das er eben aufgezählt hatte.

Das ist denn Lange Rübe aber doch zu unverschämt. Er fragt, ob der Nille ihn etwa für einen Hautzen halte, daß er ihm den Kies vor der Nase dschornen wolle. Der Kellner erbleicht und gibt das Goldstück wieder heraus; Lange Rübe weist jetzt auf den Rechenfehler hin; der Kellner zählt noch zwei Skudi auf; und Lange Rübe steckt ruhig alles in seine Börse, indessen der Kellner beschämt fortschleicht.

Pietrino macht eine halblaute Bemerkung, daß man diesen [308] Kaffern doch einmal kommen müsse, und Lange Rübe nickt dazu bestätigend mit dem Kopf.

Die Beiden sitzen nun noch eine Weile an ihrem Tisch, reden nichts und blinzeln nur mit den Augen vor Sattigkeit. Es ist weiter niemand in der Wirtschaft. Der Kellner fängt eine Fliege, drückt sie mit den Fingern tot und wirst sie auf die Erde; dann nimmt er entschlossen die Serviette unter den Arm und tritt zu den Gästen.

Er hat ein Anliegen. Er bittet um Entschuldigung, daß er die Herren nicht gleich erkannt hat. Er hat schon längst den Wunsch gehabt, einmal solche Herren kennenzulernen. Nämlich er kommt doch viel mit Menschen zusammen, er könnte den Herren vielleicht nützlich sein. Ein Kellner kann viel tun, wenn er will.

Lange Rübe merkt, daß der Kellner etwas Bestimmtes im Auge hat. Er tut, als ob er nichts hört und mahnt Pietrino, daß sie an den Aufbruch denken müssen.

Der Kellner rückt mit seinem Plan heraus. Viele Kellner machen ein hübsches Geschäft, indem sie Soldi unterbringen. Sie zahlen zwanzig Prozent des Nominalwertes, die Herrschaften haben keine Unannehmlichkeiten weiter, sie haben gleich ihr Geld, jedes Risiko fällt weg, und sie können auf einen sicheren Absatz rechnen.

Lange Rübe sieht Pietrino an und lacht. Pietrino lacht auch. Der Kellner wird verlegen und will sich zurückziehen, da ihm plötzlich zweifelhaft wird, ob er sich nicht in den beiden Herrn geirrt hat. Aber Lange Rübe antwortet ihm, derartige kleine Geschäfte kämen für sie nicht in Frage, außerdem wüßten sie nichts von ihm, sie lebten auch eigentlich schon von den Geschäften zurückgezogen, und was man sonst in einem solchen Falle sagt.

Der Kellner holt sich einen Stuhl und setzt sich. Wenn die Herren kein Vertrauen zu ihm haben, gut, er hat es zu den [309] Herrn. Er ist offen. Und nun erzählt er, daß er seit einem Jahr in dieser Wirtschaft ist und sich schon tausend Skudi gespart hat. Pietrino gibt einen Pfiff von sich und sieht Lange Rübe an. Lange Rübe trommelt mit den Fingern auf der Tischplatte, schweigt und fragt dann den Kellner, er wolle das Kapital gewiß anlegen? Der Kellner stimmt freudig erregt bei.

Lange Rübe sagt nun, es gebe ja verschiedene Arten von Kapitalanlage. Er selber, wie gesagt, befasse sich eigentlich nicht mit solchen Geschäften. Aber er habe gehört, daß es Leute gibt, die aus einem Skudo zwei machen können. Er weiß nicht, wie sie es machen; aber sie machen es und verdienen ganz schön damit. Man gibt ihnen die Skudi und kriegt sie den anderen Tag doppelt wieder. Für je hundert Skudi muß man fünf Skudi Schlagerlohn bezahlen.

Der Kellner beschwört Lange Rübe, ihm einen solchen Mann zu nennen. Lange Rübe hat schon viel Undankbarkeit in seinem Leben erfahren, er ist nicht mehr so, wie er früher war. Er lebt für sich, er lebt für seine Freunde, die übrige Welt geht ihn nichts an. Er blickt wieder auf Pietrino und mahnt zum Aufbruch. Pietrino trinkt aus, die Beiden erheben sich.

Der Kellner weint beinahe vor Aufregung. Er wendet sich an Pietrino. Ein solches Geschäft hat er schon immer machen wollen. Er hat eben nicht die Verbindungen. Wenn er erst die Verbindungen hat, dann braucht er ja niemanden mehr. Aber ohne Verbindungen kommt eben der Mensch zu nichts im Leben. Ihm geht es immer so. Andere werden reich. Er hat das Nachsehen.

Die Beiden haben die Mäntel schon angezogen, Pietrino legt bei Lange Rübe ein gutes Wort für den Kellner ein, indem er ihm leise ins Ohr flüstert. Lange Rübe läßt sich bewegen. Er sagt zu dem Kellner, er soll ihn heute abend zehn Uhr an der Straßenecke erwarten und das Geld mitbringen; er wird [310] ihn abholen und mit ihm zu einem Geldschläger gehen. Der dankbare Kellner macht ihm Versprechungen; Lange Rübe schneidet alles ab und erklärt, daß er nur aus Menschenliebe handelt.

Also zehn Uhr abends treffen sich die Beiden. Es ist heller Mondenschein; Lange Rübe führt den Kellner durch Straßen und Gassen, indem er ihm sagt, daß er sich den Weg merken soll, er bringt ihn vor ein Haus, das er sich einprägen muß, denn Lange Rübe kann ihn natürlich nicht jeden Abend begleiten; der Andere beteuert auch, daß es ihm genüge, wenn er nur erst die Verbindung habe; die Beiden gehen die Treppe hinauf und treten in eine Stube.

In der Stube sitzt Pietrino und lacht, als er das erstaunte Gesicht des Kellners sieht. Lange Rübe ermahnt die Beiden noch, vorsichtig zu sein, und dann geht er.

Es stellt sich heraus, daß der Kellner zwar die tausend Skudi bei sich hat, aber sie nicht ohne jede Sicherheit dem ihm doch fremden Mann übergeben möchte. Pietrino versteht seine Besorgnisse durchaus, nimmt sie nicht persönlich und wird nicht beleidigt; er hofft, daß er noch öfter Geschäfte mit dem Herrn machen wird und daß derselbe dann ihn näher kennen lernt; ihm kann man Millionen anvertrauen; ihm ist schon viel Geld durch die Hände gegangen; er sagt sich: erst kommt die Ehre, dann kommt der Vorteil. Vorteil ohne Ehre – nein! Lieber arm. Aber wie gesagt, er nimmt es dem Kellner nicht übel, wenn er ihn nicht kennt. Er macht ihm einen Vorschlag. Er wird gleich an die Arbeit gehen; es handelt sich um fünfzig Dublonen; morgen früh sind sie fertig. Der Kellner bleibt so lange da, bis er sie mitnehmen kann.

Der Kellner ist einverstanden. Aber die Verdoppelung der Dublonen ist ein Geheimnis. Man kann es Pietrino nicht übelnehmen, wenn er nicht möchte, daß man ihn bei seiner Arbeit beobachtet. Er hat nebenan seine Schlafkammer; der [311] Kellner kann in die Kammer gehen, er kann sich ja in Pietrinos Bett legen, wenn er will, und kann schlafen.

Der Kellner ist verlegen. Pietrino sieht ihn an, lacht, geht zur Tür, schließt sie ab und reicht dem Kellner den Schlüssel. Nun kann Pietrino doch nicht heimlich mit dem Gelde entweichen, während der Kellner schläft. Der Kellner nimmt den Schlüssel, wird rot, murmelt, daß er so etwas doch nicht gedacht habe, steckt aber den Schlüssel in die Tasche.

Dann holt er die Börse mit den fünfzig Dublonen vor, legt sie auf den Tisch und geht in die Kammer, deren Tür er hinter sich zuzieht. Pietrino verhängt das Schlüsselloch, der Kellner legt sich halb angezogen auf das Bett und stellt sich vor, wie er die verdoppelten Dublonen gegen richtige umtauschen wird, die er dann abermals verdoppeln läßt; er bedauert nur, daß er das Kapital um fünfzig Skudi verringern muß, die Pietrino für das Schlagen verlangt; aber er hofft, daß später Pietrino wird mit sich handeln lassen und das Schlagen billiger macht.

Indem er so mit seinen Gedanken beschäftigt ist, wird draußen stark an die Tür geklopft. Er hört, wie Pietrino fragt, wer etwas von ihm wolle; die Antwort kann er nicht verstehen, aber er spürt, daß Pietrino Angst hat. Er springt vom Bett auf und lauscht an seiner Tür. Der Wortwechsel draußen wird bedenklicher; er hört einen lauten Krach; die Tür ist gesprengt und jemand ist in das Zimmer getreten. Nun vernimmt er Bitten und Jammern Pietrinos, barsche Antworten des Fremden; es wird von Falschmünzerei gesprochen, von Polizei und Gericht; das Geld klingelt, es wird in die Börse getan. Er hat sich wieder ganz angezogen, öffnet das Fenster und bedenkt, ob er nicht fliehen kann; aber es ist keine Möglichkeit, an dem Haus herunter zu klettern; es bleibt ihm nichts übrig, als unter das Bett zu kriechen.

Nun wird auch die Kammertür aufgerissen. Einer leuchtet [312] unter das Bett und zieht ihn am Bein vor. Er läßt sich ziehen, und wie er vorgezogen ist, steht er betrübt auf. Der Häscher holt einen Strick aus der Tasche, bindet ihm die Hände auf den Rücken, und gibt ihm Befehl zu gehen. Er geht neben Pietrino die Treppe hinunter, hinter ihnen kommt der Häscher, der die Börse in der Hand hat.

Auf der Treppe flüstert Pietrino ihm zu, bei der ersten Ecke solle er laufen; er solle rechts fliehen, und Pietrino wolle zugleich nach links ausrücken.

Bei der ersten Ecke flieht der Kellner. Wenn der Häscher gewollt hätte, dann hätte er ihn einholen müssen, denn da er gebunden ist, so kann er nicht schnell vorwärts, und der Mondschein macht die Straße fast tageshell. Aber der Häscher verfolgt ihn nicht; Pietrino rückt auch nicht aus. Die Beiden bleiben zusammen, denn der Häscher ist natürlich Lange Rübe.

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TextGrid Repository (2012). Ernst, Paul. Erzählungen. Komödianten- und Spitzbubengeschichten. Die verdoppelten Skudi. Die verdoppelten Skudi. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A255-1