[344] Der moralische Eindruck
Es ist in ganz Italien eine Mißernte gewesen. Die Bauern erklären, daß sie keine Pacht zahlen können, weil sie noch nicht einmal so viel auszudreschen haben wie gesät ist. Sie verlangen für den Scheffel Korn das fünffache des gewöhnlichen Preises, denn es gibt kein Korn, es gibt überhaupt kein Korn, und man hat ihnen schon mehr geboten.
Das Vieh kann man natürlich nicht füttern. Man gibt ihm Spreu. Davon wird es selbstverständlich nicht fett, und die Fleischpreise steigen, weil die Fleischer überhaupt kein anständiges Stück Vieh mehr zu sehen bekommen. Infolgedessen steigen auch die Gänsepreise.
Der Bürgermeister von Velletri ißt gern Gänsebraten. Er macht sich nichts aus den genudelten Gänsen, denn das Fleisch der genudelten Gans ist ein krankhaftes Fleisch; es ist zwar zart, aber es fehlt ihm die Kraft, es fehlt ihm die Würze. Die Gans muß auf die Weide gehen, die gute Weide von Velletri, wo sie die schönen, gesunden Kräuter frißt; dann muß sie ihr Gerstenschrot bekommen; das gibt Kernfleisch; nicht zu viel Fett, das Fett ist eine Selbsttäuschung. Man gibt den Gänsen ja auch wohl Salz zwischen das Schrot, damit sie besser saufen und dadurch größere Lebern bekommen. Auch dagegen ist der Bürgermeister. Es ist gegen die Natur, und ein Fleisch, das gegen die Natur ist, das ist immer ungesund.
Die Bauern von Velletri haben gehört, daß die Gänse in Rom teuer sind; man bezahlt vier, fünf Skudi für die Gans. Natürlich bringen sie ihre Gänse nach Rom; sie haben ja da auch noch den Vorteil, daß sie auch die Tiere verwerten können, die man nicht selber essen kann und die Einem zu [345] Hause auch niemand abkauft, weil sie haben geschlachtet werden müssen.
Wenn die Gänse aber in Rom für vier und fünf Skudi verkauft werden können, so kosten sie in Velletri ebensoviel, und das ist natürlich zu viel Geld für eine Gans. Der Bürgermeister rechnet zusammen, daß etwa noch zwanzig Gänse in Velletri sind. Er erklärt, daß zunächst die Verpflegung der Gemeinde selber sichergestellt werden muß und verbietet, daß diese Gänse ausgeführt werden. Der Gänsepreis in Velletri sinkt auf einen Skudo und der Bürgermeister kauft sich zum Sonntag eine Gans, eine bessere Mittelgans. Sie macht sich gut, und er ist zufrieden mit ihr. Einen Skudo kann man für die Gans geben; das ist sie wert, wenn es eine gute Gans ist.
Die Bauern von Velletri kommen heimlich zusammen und besprechen die Angelegenheit mit Ser Filippo. Es bricht plötzlich eine Krankheit unter den Gänsen aus, eine bis jetzt unbekannte Krankheit, sämtliche Gänse in Velletri sterben und müssen im Mist verscharrt werden. Ser Filippo aber kommt an einem Vormittag in Rom an mit einem Wagen, auf dem eine Hürde mit zwanzig Stück Gänsen steht. Er fährt in das Gasthaus zum Goldenen Engel, in welchem die Leute von Velletri immer einkehren, läßt sich eine Stube geben, denn er kann nicht an demselben Tage wieder zurückfahren, und bringt dann seine zwanzig Gänse auf den Markt.
Lange Rübe und Pietrino stehen auf dem Marktplatz und sehen sich das Treiben der Menschen an. Sie erblicken Ser Filippo, und Lange Rübe geht höflich auf ihn zu und er kundigt sich nach dem Preis der Gänse.
Ser Filippo lobt zunächst seine Gänse. Die sind nicht mit Spreu gefüttert, nein! Die sind auf der Weide gewesen, der guten Weide von Velletri, wo sie die schönen, gesunden Kräuter fressen, und dann haben sie ihr Gerstenschrot bekommen. Das [346] ist Kernmast. Das ist kein aufgeschwemmtes Fett. Wenn man die in die Bratpfanne legt, dann legt man etwas hinein. Da gibt es Gänse, wenn sie nachher gebraten sind, dann sind sie so groß wie ein Huhn. Das Fett hat man abgeschöpft, aber was hat man vom Fett? Fleisch will man haben! Hier hat man Fleisch. Zehn Skudi kostet die Gans, die kleinere Sorte kostet acht.
Lange Rübe erschrickt. Zehn Skudi! Pietrino, der teilnahmsvoll dabeisteht, schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Ser Filippo zuckt die Achseln. Er kann sie nicht billiger geben. Er täte es ja gern; was tut man nicht für seine Kundschaft; aber es ist nichts zu haben auf dem Lande, rein gar nichts. Das Vieh wird mit Spreu gefüttert. Davon kann es natürlich nicht fett werden. Solche Gänse gibt es in ganz Rom nicht wieder. Es ist jetzt überhaupt verboten, Gänse nach Rom zu bringen. Diese sind die letzten.
Wir wollen den Handel nicht ausführlich darstellen. Es genügt uns, daß Ser Filippo die Gänse für fünf und vier Skudi abläßt, wie er sich gedacht hatte. Während der Zeit hat Pietrino bei ihm in der Tasche nachgesucht und einen Geldbeutel gefunden, den er einsteckt. Lange Rübe erklärt, daß er in einer Stunde kommen wird, um die Gänse abzuholen, und dann wird er auch das Geld mitbringen.
Da die Absicht nur gewesen war, daß Pietrino den Beutel des Ser Filippo bekam, so läßt sich Lange Rübe natürlich nicht wieder sehen.
Indessen Ser Filippo nun wartet, fragen noch andere Käufer nach den Gänsen, und es zeigt sich, daß die Gänse angezogen haben. Es stellt sich heraus, daß man sie für sechs und sieben Skudi verkaufen kann, für sechs Skudi die gute Mittelgans und für sieben Skudi die prima prima Fleischgans. Also Ser Filippo handelt von neuem, dieses Mal mit dem Koch Seiner Heiligkeit; er verkauft ihm seine Gänse; der Koch Seiner Heiligkeit [347] winkt seine Leute heran, die sie übernehmen, zieht seinen Beutel und bezahlt.
Wie Ser Filippo das Geld beistecken will, da merkt er, daß er bestohlen ist.
Ser Filippo ist nicht von gestern. In Rom muß man sich vorsehen, da ist es nicht wie in Velletri, wo man bloß mit ehrlichen Leuten zu tun hat. In Rom steckt man nur soviel Geld in die Tasche, wie man notwendig braucht, das übrige läßt man zu Haus. Ser Filippo hat verschiedene Einkäufe in Rom zu machen; der Pfeffer ist ihm ausgegangen, die Klappschnüre, welche die Fuhrknechte sich in die Peitschen siechten, gehen auf die Neige, und er will noch ein Tönnchen schwarze Seife mitnehmen. Aber er hat kein Geld beigesteckt, er hat sich gesagt, daß er einstweilen mit dem Geld bezahlt, das für die Gänse einkommt. So ist denn den Spitzbuben nicht viel in die Hände gefallen; schade ist es um den Beutel, der noch fast ganz neu war. Nun, Ser Filippo tröstet sich. Er hat seine vierzig Skudi verdient, denn die Bauern in Velletri wissen ja nicht, daß die Gänse wieder angezogen haben.
Er steigt also auf seinen Wagen, fährt zum Goldenen Engel, stellt das Pferd in den Stall und wirst ihm einen Arm voll Heu in die Krippe, und dann geht er auf seine Stube, um das Geld abzuzählen. Fünf Skudi nimmt er zu sich, denn er muß ja auch eine neue Geldtasche kaufen, und die übrigen hundertundfünfundzwanzig Skudi schließt er in den Schrank. Den Schlüssel zieht er ab und steckt ihn in die Tasche, dann geht er aus der Stube und schließt gleichfalls zu; und nun macht er seine Besorgungen.
Man kann sich denken, daß Lange Rübe ihn im Auge behalten hat. Kurze Zeit, nachdem Ser Filippo fortgegangen ist, kommt Lange Rübe die Treppe hinauf und klopft an seine Tür. Als niemand antwortet, zieht er einen Draht aus der Tasche, öffnet schnell und tritt ein. Er sieht, daß das Geld [348] nur im Schrank liegen kann; geschwind öffnet er auch den Schrank und erblickt wirklich die hundertundfünfundzwanzig Skudi sauber in ein reines Schnupftuch eingewickelt liegen. Er wickelt sie aus, steckt sie ein, schließt den Schrank wieder und will fortgehen; es fällt ihm aber ein, daß er dem Ser Filippo noch einen Gruß hinterlassen muß, und so nimmt er eine Kohle aus dem Kamin, um seinen Zinken auf das Fensterbrett zu schreiben.
Indem aber öffnet sich die Tür, und Ser Filippo tritt mit dem lebhaftesten Erstaunen ins Zimmer, denn er ist fest überzeugt gewesen, daß er die Zimmertür verschlossen hatte, er hat ja auch den Schlüssel abgezogen und in die Tasche gesteckt. Lange Rübe legt die Kohle fort und kommt ihm entgegen.
Man wird sich wundern, wie es kommt, daß Ser Filippo so schnell zurückkehrt. Die Seife ist nämlich auch aufgeschlagen, er hat kein Geld mehr für die Klappschnüre, den Pfeffer und die Geldtasche, und will sich noch fünf Skudi aus dem Schrank holen.
Also Lange Rübe tritt ihm entgegen.
Zunächst macht er ihm freundschaftliche Vorwürfe, daß er sein Zimmer unverschlossen läßt. Das ist sehr leichtsinnig in einer Stadt wie Rom. In einem Gasthaus kann nicht auf Jeden geachtet werden, der die Treppe hinausgeht. Gasthausdiebstähle kommen jeden Tag vor. Es ist ja kein unbedingter Schutz, wenn man die Tür zuschließt und den Schlüssel einsteckt; aber eine gewisse Sicherheit hat man doch, denn mit einem Nachschlüssel öffnet sich ein Schloß nicht so ohne weiteres, und die Diebe müssen immer gefaßt sein, daß sie von anderen Fremden oder von den Leuten des Gasthofs gesehen werden, wenn sie sich längere Zeit an dem Schloß zu schaffen machen. Ser Filippo entgegnet ihm, daß er nicht begreifen kann, daß die Tür offenstand; er hat selber zugeschlossen, er hat den Schlüssel hier in der Hand.
[349] Lange Rübe legt seinen Hut auf den Tisch und setzt sich. Es kommt vor, daß man glaubt, man hat den Schlüssel herumgedreht. Er, Lange Rübe, hat geklopft, und als niemand antwortet, tritt er ins Zimmer. Er wollte eben eine Nachricht auf das Fensterbrett schreiben, denn auf dem Markt hatte er ja Ser Filippo nicht mehr gefunden. Er hat nämlich das Geld für die gekauften Gänse und will bezahlen. Neunzig Skudi also. Ein Skonto gewährt Ser Filippo wohl nicht? Damit greift Lange Rübe in die Tasche, zieht eine Handvoll Skudi heraus und beginnt aufzuzählen.
Ser Filippo erklärt, er habe sich inzwischen nach den Preisen umgehört, die Gänse haben angezogen, er könne sie für vier und fünf Skudi nicht lassen, beim besten Willen nicht, er wolle aber Lange Rübe nicht in Ungelegenheiten bringen; wenn Lange Rübe nicht mehr bezahlen wolle, so behalte er die Gänse; ihm komme es nicht darauf an; wenn er Lange Rübe eine Gefälligkeit erweisen könne, er werde seine Gänse immer los.
Lange Rübe wundert sich. Er betont, daß er die Gänse doch gekauft hat. Er wundert sich sehr. Er hat die Gänse gekauft, zu vier und fünf Skudi das Stück, und er hat erklärt, daß er in einer Stunde das Geld bringen wird. Es ist ihm schon aufgefallen, daß er Ser Filippo nicht mehr auf dem Markt antrifft, wie er mit dem Geld kommt.
Ser Filippo macht nur reelle Geschäfte. Ein Mann, ein Wort. Wenn er die Gänse für vier und fünf Skudi verkauft hat, gut; dann hat er sie verkauft, obgleich der Preis jetzt sechs und sieben Skudi ist. Aber er hat die Gänse nicht verkauft. Wie kann er die Gänse denn für vier und fünf Skudi verkaufen, wenn sie sechs und sieben Skudi kosten!
Lange Rübe streicht sein Geld wieder zusammen und steckt es in die Tasche. Dann steht er auf. Er spricht mit eisiger Kälte.
[350] Er sieht wohl, daß Ser Filippo seine Gänse noch einmal verkauft hat. Er will mit Ser Filippo über die Ehrenhaftigkeit dieser Handlungsweise nicht streiten. Er empfiehlt sich. Damit macht er ihm eine leichte Verbeugung, eine Verbeugung sehr von oben herab, und verläßt das Zimmer. Ser Filippo ist so bedrückt, daß er ihm bis an die Treppe nachgeht und vergeblich ein Gespräch über den zu erwartenden Witterungsumschlag anzuknüpfen versucht. Als er wieder in seine Stube zurückkommt, fährt er sich mit dem Finger zwischen Hals und Kragen, räuspert sich, zieht die Weste nieder und sieht eine Weile auf den Hühnerhof hinab, indem er auf der Fensterscheibe trommelt.
Erst nach einer ganzen Zeit schließt er den Schrank auf; und als er das Geld vermißt, dauert es noch eine längere Weile, bis ihm zum Bewußtsein kommt, daß Lange Rübe es genommen hat.