[184] Die fünfzig Dukaten

Ein junger Offizier besuchte das Theater, sah Aurelien in ihrer großen Rolle und verliebte sich in sie.

Ein italienischer Offizier aus der Zeit um 1600 war kein eleganter junger Herr. Unser Held war schon mit zwölf Jahren, nachdem er zu Hause vom Pfarrer notdürftig Lesen, Schreiben und Rechnen gelernt, zum Heer gekommen, hatte zuerst unter seinem Vater gedient und war dann allmählich im fünfundzwanzigsten Jahre zum Hauptmann aufgerückt. Von milder Gesittung hatte er in seinen nun dreizehn Dienstjahren nichts erfahren, und die Marketenderinnen und Soldatenfrauen waren die einzigen weiblichen Wesen, die er kennengelernt hatte.

Er ging aus der Vorstellung wie betrunken nach Hause. Sein Freund, mit dem er zusammen wohnte, wunderte sich über sein Aussehen; der junge Mann erzählte begeistert und abgebrochen; nach einigen Sätzen pfiff der Freund und rief aus: »Ach so, verliebt!« Dem jungen Mann stürzten die Tränen aus den Augen; er umarmte den Freund, fluchte und schwur, er wolle aus dem Fenster springen und sich unten auf dem Pflaster den Hals brechen; der Freund wunderte sich über die Heftigkeit seiner Leidenschaft und suchte ihm klar zu machen, wie Freunde in ihrer Kaltblütigkeit das so tun, daß er gar keinen Grund habe, sich aus dem Fenster zu stürzen; wieder kamen dem Andern die Tränen; er wußte nicht, was er sagen, wie er die Unruhe seines Herzens ausdrücken sollte, denn er sah ja wohl selber ein, wie lächerlich seine Rede gewesen war.

Erst nach langer Zeit kam er zu einer ordentlichen Rede, der Freund zu Überlegen und Raten.

Der Freund hatte von der Schauspielerin wohl keine hohe Meinung, aber so roh er war, fühlte er doch, daß er den Andern [185] schonen mußte. Immerhin aber verstand er nichts weiter, als daß er ihn fragte, ob er einiges Geld zur Verfügung habe, und ihm dann riet, der Angebeteten einen verhältnismäßig kostbaren Ring zu schenken. Der junge Mann schwang sich den Hut auf den Kopf und stürzte aus dem Zimmer; es war schon Nacht, alle Läden waren geschlossen, und er konnte keinen Ring mehr kaufen.

Als er nun so, halb gedankenlos und von seiner Unruhe getrieben, durch die Straßen Roms eilte, fühlte er einen heftigen Widerwillen gegen seinen Freund und seine Wohnung. Die Kälte und Gleichgültigkeit des Andern war ihm fürchterlich, als sei er sein Todfeind. So ging er denn in einen Weinkeller, setzte sich abseits an einen Tisch; der Wirt brachte ihm eine Öllampe und Wein.

Im Sommer, an einem blühenden Hang, auf welchem der Sonnenschein liegt, kann man beobachten, wie ein seltener Schmetterling scheinbar unschlüssig flattert, sich auf eine Blume setzt, den Rüssel entrollt und in den Kelch taucht, in Wonne die Flügel entfaltet; dann, nachdem er den Honig genossen, die Flügel wieder zusammenschlägt, sinnend eine Weile sitzt und endlich weiterfliegt. Plötzlich erscheint ein anderer Falter seiner Art, ein Männchen. Die kleinen Tiere sind selten, in weitem Umkreise wehte vielleicht allein dieses Weibchen vor dem Wind; wie konnte das Männchen über die große Entfernung fühlen, daß hier ein Weibchen seiner Art war? Wir können nicht wissen, durch welche Mittel Natur diese beiden Wesen zusammengebracht hat, die sich nun im Sonnenschein übergaukeln, umtaumeln und umspielen, sich vereint auf Blüten setzen, sich trennen, sich wiederfinden und endlich auf immer auseinandergehen.

Aurelie wohnte in dem Hause, wo unten der junge Offizier saß. Er wußte es nicht. Es kam ein Mann mit einem Kasten vor sich, der Papier verkaufte, geschnittene Gänsekiele und [186] Tinte. Der Offizier kaufte ihm einen Bogen Papier ab und Schreibzeug. Seit er ins Heer getreten war, hatte er nicht mehr geschrieben; bei dem Licht der kleinen Lampe, während im Hintergrunde Männer würfelten, am Nebentische Einer eine lange Geschichte erzählte, bildete er ungefüge Schriftzeichen, durch welche er ausdrücken wollte, was er fühlte. Er schrieb, er habe fünfzig Dukaten als Beute von einem gefangenen Obersten, diese fünfzig Dukaten seien sein ganzes Geld; er lege sie ihr zu Füßen; er sei so traurig, daß er weinen möchte, er schäme sich, daß er nicht mehr habe; aber er habe nicht mehr als die fünfzig Dukaten, die er ihr zu Füßen lege. Wie er das geschrieben hatte, dachte er nach, denn er wollte ihr noch mehr schreiben; aber er wußte nicht, was er noch schreiben sollte; die Augen brannten ihm, das Herz stockte ihm. Die andern Leute gingen allmählich nach Hause; der Wirt trat zu seinem Tische und fing ein Gespräch an, in welchem er andeutete, daß auch für ihn Zeit zum Gehen sei. Lange verstand er nicht, was der Mann meinte, denn er hörte, wie man im Nebel sieht. Endlich wurde ihm alles klar, er bezahlte seinen Wein, faltete sein geschriebenes Blatt zusammen, steckte es in seine Brusttasche und ging.

Er ging durch die schweigenden Straßen Roms, der Mond begleitete ihn. Bis zur Morgendämmerung ging er. Dann öffneten sich die Türen der Häuser, verschlafene Gesichter der Dienstboten sahen heraus, Arbeitsleute mit eiligen Schritten waren auf der Straße. Er ging zum Theater, es war noch Niemand wach. Er wanderte wieder durch die Straßen, ging dann wieder zum Theater; da waren Leute, welche auf der Bühne arbeiteten. Er fragte sie nach Aureliens Wohnung; sie antworteten ihm, und er dankte; dann ging er zu Aureliens Wohnung.

Als er in ihr Zimmer trat, konnte er nicht sprechen. Er blieb an der Tür stehen, den Hut in der Hand; sie saß auf einem [187] Stuhl und blickte ihn erstaunt an. Da faßte er sich Mut, nahm seinen Geldbeutel aus der Tasche und setzte ihn vor sie hin, zog den Brief vor, entfaltete ihn und gab ihn ihr in die Hand. Sie sah den jungen Offizier an, den Beutel, den Brief; dann las sie, wurde rot; er wurde rot und schlug die Augen nieder; sie lachte leise verlegen; er sagte: »Nun will ich gehen« und nahm die Klinke in die Hand.

Aber sie ließ ihn nicht gehen, und er blieb in der Stube, er setzte sich an den Tisch; mit stockender Stimme sprachen die Beiden, und er blieb lange Stunden bei ihr, Stunden, die wie Minuten waren; es schlug von der Turmuhr gegenüber; da war es Abend geworden, und Aurelie mußte ins Theater gehen.

Der Offizier ging allein die Straße hinunter, da kamen ihm seine fünfzig Dukaten ins Gedächtnis. Der Oberst war ein tapferer Mann gewesen, dem er sie abgenommen; er hatte ihm einen Hieb quer über das Gesicht gezogen, daß ihn das Blut blendete; da erst ergab er sich. Nun waren die fünfzig Dukaten fort. Seufzend griff er in die Tasche, wo er den Beutel getragen hatte.

Aber wie er die Hand zurückzog, hatte er den Beutel, seinen Beutel! Er zog ihn auf, faßte hinein, holte das Geld heraus und ließ es wieder zurückfallen: das waren seine Dukaten, und zwei große Kupferstücke waren noch dabei.

Eilig ging er zurück; da traf er Aurelien, die gerade aus der Tür trat. Er hielt ihr den Beutel hin. Sie lachte, nahm seinen Arm und zog ihn mit sich; dann sagte sie: »Du hast mir alles geschenkt, was du hattest, das waren fünfzig Dukaten; da war es nur natürlich, daß ich dir alles schenkte, was ich hatte, das waren die fünfzig Dukaten von dir und außerdem zwei Soldi, die ich vorher besaß. Das war mein ganzes Geld.« Er wollte etwas erwidern, sie befahl ihm lachend, er solle den Beutel einstecken; und sie befahl es in solchem Ton, daß er gehorchte.

[188] Nun gingen sie eine Weile zusammen Arm in Arm. Dann sagte der Offizier: »Ich kann dir ja nicht zumuten, mich zu heiraten, wie ich jetzt bin. Aber ich habe von meinem Vater einen alten Turm mit einigen Ackern Land geerbt. Wenn du willst, so heiraten wir und wohnen dort.«

Sie schüttelte den Kopf, und Tränen kamen ihr in die Augen. Dann zog sie ihren Arm aus dem seinigen, reichte ihm die Hand und sagte: »Wir wollen eine Erinnerung an diesen Tag behalten, denn mehr ist nicht möglich als dieser Tag. Und diese Erinnerung soll kein Leid und kein Vorwurf sein, sondern immer eine Freude. Deshalb dürfen wir uns nie wiedersehen.«

Bei diesen Worten waren sie an dem Hintertürchen angekommen, durch das die Schauspieler ins Theater gehen. Ehe er es sich versah, hatte sie die Tür hinter sich zugeschlagen, und er stand allein auf der Straße. Ein Arbeiter mit einem großen Korb stieß ihn an und sagte etwas Grobes; da wachte er aus seinem Nachdenken auf und ging fort.

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TextGrid Repository (2012). Ernst, Paul. Erzählungen. Komödianten- und Spitzbubengeschichten. Die fünfzig Dukaten. Die fünfzig Dukaten. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A2E9-4