[62] Abend an der Elbe

Leise ebbt der Strom. Im Schlick
Ragen plumpe Fischerkähne,
Draußen gleiten, stille Schwäne,
Mit den weißen Segeln andre.
Und die Strecke überwandre
Breiter Bahn ich mit dem Blick
Bis ans niedere Gelände
Drüben, wo sich Wiesen breiten,
Wo die bunten Kühe schreiten
Zwischen üppigem Krautgestände,
Und die groben Weidenköpfe,
Knorrig, bissig, Sauertöpfe,
Wie im Zorn die Haare spießen.
Weiter oben sammeln, schließen,
Wie ein Wall, sich grüne Wipfel
Um das Dörfchen. Höchste Gipfel
Zeigen Pappeln. Nur der Hahn
Auf des Kirchleins gold'ner Spitze
Sieht von einem stolzeren Sitze
Rings die Welt sich aufgethan:
Weite unbegrenzte Fläche,
Segenstrotzend Feld an Felder,
Landmanns ungemünzte Gelder,
Wiesen, Moore, Waldesränder.
Und dazwischen blaue Bänder,
Die Kanäle, Weiher, Bäche.
[63]
Aber unten, ihm zu Füßen,
Sieht er weiße Segel grüßen,
Schwarze Schlote niedergleiten.
Kommen, Gehen. Aller Weiten
Unsichtbare Fäden weben
Nach verborgenem Gesetze,
Dort an einem Riesennetze.
Und es trägt der Strom das Leben
Ruhig zwischen Uferbreiten,
Die zum Meer sich mählich weiten.
Leis zum Strande rinnt die Welle,
Und die schwanke Binse schmiegt sich,
Windet sich und bebt und wiegt sich.
Zwielicht wechselt ab mit Helle,
Wie sich vor der Abendsonne,
Eine schweifende Kolonne,
Leichte Wolken hastig drängen,
Die auf ihren hohen Gängen,
Unter sich den Tanz der Wogen,
Über sich den Glanz der Sterne,
Kommen lautlos hergezogen,
Abgesandte welcher Ferne?
Aber tiefer, Wellenteiler,
Kraftbeschwingte Luftdurcheiler,
Tummeln sich im Auf und Nieder
Möwen mit dem Schneegefieder.
Wie um blaue Blumenkronen
Weiße Schmetterlinge flügeln,
[64]
Schaukeln ohne Schwingenschonen
Leicht sie über Wellenhügeln.
Zwischen Wasser, zwischen Himmel:
Segel, Vögel, ein Gewimmel
Regen Lebens, lautlos hastend.
Und ich träume in dem Schweigen
Unter breiten Buchenzweigen
Hier am Ufer wohlig rastend.
Stilles Glück der Ebbe. Ragen
Seh' ich aus vergangnen Tagen,
Bloßgelegt, was überbrausen
Sonst die Wellen. Und die hausen
Heimlich in verschwiegenen Reichen,
Kommen nun, die nixengleichen,
Mit den großen Schelmenblicken,
Mit der Lust am Necken, Zwicken,
Allerliebstes Ungeziefer,
So viel klüger, so viel tiefer
Als die lärmenden Gedanken,
Die zur Flutzeit mich umzanken
Und mit ihrem kecken Meinen
Herrn sich meiner Seele scheinen.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Falke, Gustav. Gedichte. Mynheer der Tod. Vermischte Gedichte. Abend an der Elbe. Abend an der Elbe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A47C-C