8.
Eine Hamburger Brigg war's. Vom Sturm verschlagen,
Sahn sie den einsamen Felsen ragen,
Den unbekannten, hervor aus den Wogen,
Und steuerten näher, von Neugier gezogen.
Da sah durch das Glas der Kapitän
Auf dem nackten Stein unsre Flagge wehn,
Und wir waren gerettet.
Sie fanden mich
Fast sprachlos vor Freude, und wunderten sich,
Mich kräftig zu sehn und wohl genährt.
In fliegender Hast stand Rede ich,
Und hatte in kurzem sie aufgeklärt.
Gleich waren bereit sie zu folgen, und brachten
Den Schiffsarzt mit, an alles dachten
Die Wackeren. Drängend trieb ich zur Eile
Und duldete nicht die kleinste Weile.
Mir bangte, je näher dem Ziel wir kamen,
Und immer war ich eine Strecke voran,
Und wartete wieder und trieb sie an.
Sie folgten mir mühsam: »In Gottes Namen!«
[180]Und da lag sie vor uns im Sonnenschein,
Die Hütte, mein Haus, mein Alles. Allein
Erst schlich ich hinein und atmete hoch
Und dankte Gott. Sie lebte noch.
Doch ich sah, ein Blick, was sie litt, und wie nah
Ihre Stunde muss't sein. Und leise rief
Ich den Doktor herein. Und da sie schlief,
Beruhigte er mich mit Trostgebärden
Und machte mir Mut, es würd gut schon werden.
Und sie blieben bei mir, hülfsbereit,
Und schickten mich schlafen. Sie waren ja da
Und wachten, und meine Kraft war hin,
Und vor mir noch eine bange Zeit.
Da legte ich mich und streckte die Glieder,
Und ließ auch der Schlaf sich gleich hernieder
Und schloss mir die Augen und hielt mich umfangen,
Bis alles vorbei. – Kaum wagt' ich vor Bangen
Die Augen zu öffnen. Doch da – ja! – gewiss!
Eine Kinderstimme, ein kräftiges Schrein!
O wie ich schnell mich vom Lager riss
Und ließ mich nicht halten und eilte hinein.
Mein Weib, mein Kind, ich wollte sie sehen.
Der Arzt ging leise auf den Zehen
Und wies nach dem Bett. Da lag sie bleich,
Und um den Mund einen Schmerzenszug.
Und der Atem ging pfeifend und ging nicht gleich –
Und des Doktors Blick, – da wusst ich genug,
Und stöhnte laut auf und fiel aufs Knie.
[181]Was war mir das Kind, wenn verloren sie,
In der Stunde starb, wo die Rettung da.
Da fluchte ich Gott, dem Wahnsinn nah,
Und ballte die Fäuste und schlug die Erde.
Wer hätt' es ertragen mit Demutgebärde?
Warum? Warum? Was hatt' ich verschuldet,
Und sie? – Drei Jahre in Demut geduldet
Und Gott ergeben und fromm. Und jetzt,
Da auf den Knieen ich vor ihm gelegen
Und gedankt ihm, dass er erhört mich zuletzt,
Jetzt tritt er mir grausam, höhnend entgegen,
Jetzt tritt er mich ganz in den Staub, zertritt
Mich lieblos. Und ich lag, und stritt
Und zürnte mit Gott, und riss aus dem Herzen
Den Glauben an ihn unter tausend Schmerzen.
Wenn ich nicht geflucht, wenn ich fromm geblieben,
Seinen Namen gepriesen, ob er Mitleid gezeigt?
Ob ein Körnchen von seinem unendlichen Lieben
Er übrig gehabt, wenn voll Demut geneigt
Das Haupt ich hätte und hätte geweint,
Trotzdem es Lüge, nicht ehrlich gemeint,
Was du thust, Herr, das ist wohlgethan?
Die Zeit ist vorüber. Längst bin ich gefasst?
Und trag' ohne Murren des Lebens Last,
Und frage nicht mehr, warum das alles.
Was weiß ich von Gott. Die Herren Pastoren
Füll'n uns mit großen Worten die Ohren,
Lullen uns ein nur besten Falles.
[182]Ich aber bin taub dem Priesterwahn.
In jener Stunde, als starb mein Weib,
Denn das war sie, auch ohne Pastor und Papier,
Da starb meine Frömmigkeit auch mit ihr,
Da begrub ich den Glauben mit ihrem Leib.
Bei der Hütte, nah der verlassenen Schwelle,
Die zum letzten Mal ich nun überschritten,
Wo wir so glücklich, so glücklich waren
Zusammen, und wo wir zusammen gelitten
Weltfern, allein, in den langen Jahren,
Bei der Hütte gruben an schattiger Stelle
Ein Grab wir für sie. Das dritte nun,
Das ich grub: für den Jungen, für jenen, den wir
In dem Palmenwäldchen fanden hier
Den ewigen Schlaf unter Würmern ruhn,
Und für sie nun auch. Jens Jensen lag
Auf dem Meeresgrund seit jenem Tag.
Nur ich allein von allen gerettet
Und das Kind. Wie gern hätt' das Kind ich gebettet
Statt ihrer dort in die Einsamkeit.
Jetzt freilich möcht' ich es missen nicht,
Da hinter mir liegt jene schreckliche Zeit.
Jetzt ist es mein Trost, mein Augenlicht,
Mein Töchterchen blond, wie die Mutter ganz,
Mein muntres Fränzchen, mein wilder Franz.
Denn sie ist wie ein Junge, so wild, voller Kraft,
So voll Leben und feuriger Leidenschaft,
[183]Die einst machte wallen den Eltern das Blut
In der Wildnis, in der freien Natur,
Genährt von den Früchten des Waldes nur,
Ohne Schutz und Gesetz, nur in eigener Hut.
Was musst' ich nicht alles dem Ding erzählen,
Schon früh, von dem einsamen Fels im Meer,
Darauf sie geboren. Das war ein Quälen.
Und ob sie's selbst sagte am Schnürchen her,
Ich musste es immer noch einmal berichten
Und durfte nichts ab und hinzu nichts dichten,
Sie ließ nichts durch. Und es hatt' nicht Gefahr.
Noch heute steht mir, so Jahr um Jahr,
Vor den Augen alles wie gestern geschehn.
Das vergisst sich nicht, wie die Jahre auch gehn.