[164] 5.

Und so geschah es, das Grause. Mich sprang,
Ein gieriger Panther, die Eifersucht an,
Der Neid, und nährte von Tag zu Tag
Den Hass auf ihn, der im Arm ihr lag,
Die sicher in heimlicher Neigung schon lang
Dem roten Riesen war zugethan,
Denn so glaubte ich fest und wollte es glauben,
Mich selbst zu quälen. – Und so kam,
Was heute noch kann den Schlaf mir rauben,
Und meiner Seele den Frieden nahm.
Zwei Tage raste ein Sturm und zwei Nächte
Und brach die Palmen, und Regen floss nieder
In Strömen. Da regte die Hoffnung wieder
In uns sich, draußen ein Wrack zu gewahren,
Das Genossen uns, oder was immer, brächte.
So gingen zum Strand wir, Jens Jensen und ich.
Von weitem schon hörten wir fürchterlich
Die Brandung toben, und oft den Halt
Auf den Felsen verwehrte des Sturmes Gewalt
Uns noch. So stiegen behutsam wir
Zu den Klippen hinab. Jens Jensen vor mir.
Jeder Schritt auf dem feuchten Gestein bracht' Gefahren.
Und wirklich! Schiffstrümmer, ein Fässchen, zwei Planken
Trieben dort unten und stiegen und sanken,
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Ein Spiel der Wellen, doch schwer zu erreichen.
Wir suchten noch weiter im Strandhinstreichen,
Doch fanden wir nichts, als dies spärliche Gut;
Alles andre verschlang die Flut.
Und was sie uns gönnte, das wenige, war
Des Bergens es wert, der Müh' und Gefahr?
Doch uns reizte das Tönnchen. Was mocht es fassen?
Sollten den Fund wir schwimmen lassen?
Und wir sannen auf Mittel. Die Klippe fiel steil,
Ohne Halt für den Fuß, und zu kurz war das Seil,
Der Strick aus Bast, den wir mitgenommen,
Und schien keine Aussicht, dazu zu kommen.
Ich wollte verzichten. Vielleicht ja blieb
Das Tönnchen uns, das allmählich trieb
Strandlängs vielleicht, und die freundliche Welle
Beschert' es uns an bequemer Stelle.
Jens aber war kühn, tollkühn, und bestand
Auf das Wagestück. Mit eiliger Hand
Zerriss er sein Hemd. »Sie flickt es mir schon!«
So rief er und lachte. Ich glaubte im Ton
Einen leisen Spott, Missachtung zu hören,
Die Eifersucht ist ja so leicht zu bethören,
Und hatte ein heftiges Wort schon bereit,
Doch hielt ich an mich und mied den Streit.
Jens hatte geschickt einen Strick gewunden
Aus Linnenstreifen, aus Linnen und Bast,
Mit sicherem Knoten zusammengebunden.
[166]
Wir zogen und zerrten und prüften. Die Last
War schwer, die das Seil hier tragen sollte,
Und ich riet noch ab. Doch Jens Jensen wollte
Das Stück unternehmen. Ihm war nicht zu raten.
Stets war er bereit ja zu tollkühnen Thaten.
So gab ich denn nach, und er wies mich an.
Er hatte den Strick sich umgethan
Um den Leib mit der Schlinge. Und ich an dem Rand
Der Klippe den Fuß fest eingestemmt,
Den andern zurück fast gebeugt aufs Knie,
Die Muskel gespannt und die Zähne geklemmt,
So ließ ich hinab ihn die steile Wand;
Der Augenblick doppelte Kräfte mir lieh.
Und unten donnerten, brausten die Wasser,
Und zwischen dem gierigen, drohenden Schlund
Und dem heimlichen Feind, dem grimmigen Hasser,
So hing er am schwachen Seil. Und warum?
Um ein nichtiges, wertloses Gut, einen Mund
Voll Zwieback vielleicht, um ein Fässchen Rum.
Und ich hielt und hielt, und mir klopften die Schläfen;
Ein Zittern flog mir durch Arme und Beine.
Wenn der Knoten sich löste, zerriss die Leine?
Wenn scharfe Kanten zerschneidend sie träfen?
Wie sollt' ich ihn retten? Verloren riefe
Umsonst er um Hülfe, ihn fräße die Tiefe.
Und schaudernd dacht' ich des tollkühnen Mutes,
[167]
Und heißer fühlt' ich das Klopfen des Blutes
In allen Adern, und immer noch gab
Er das Zeichen nicht, hing über dem Grab.
Da trat es zu mir, ich glaubt' es zu sehn,
Und es war so, ich sah es neben mir stehn,
Ein Nichts, ein Schatten, und ich hörte doch laut,
Und entsetzte mich, wie so deutlich es klang:
»Lass fahren den Strick und dein ist die Braut!
Lass fahren, los, was besinnst du dich lang?«
Es war ein Ton wie aus anderer Welt,
Und ich schrak zusammen und wehrte mich wild,
Und schloss die Augen, verschloss sie dem Bild,
Das ich sah von berückenden Farben erhellt.
Ich wehrte mich, wehrte mich! Aber es hackte
Mit scharfen Krallen sich an und packte
Und schüttelte mich: Sie ist dein, sie ist dein!
Teile das Reich mit ihr allein.
Was zögerst du noch? – – da – ein Ruck – ein Pfiff – –
Der mit Messerschärfe mir schnitt ins Ohr.
Ich fuhr aus dem wüsten Traum empor,
Erschrak vor dem Ruck, vor mir selber, und griff
Und fiel und griff, und biss mit den Zähnen,
Mit dem vollen Gebiss in den stürzenden Strick,
Und straffte in rasender Angst das Genick,
Und schrie zu Gott, und spannte die Sehnen.
Umsonst! Der Ruck, der Schreck – wie es kam?
Wie konnt' ich es wissen! Vom Halten lahm,
Den Versucher zur Seite, so war's mir entfallen,
Entrissen – –
[168]
Noch immer hör' ich ihn schallen
Vom Wasser herauf, den kurzen Schrei,
Kurz, gell, und ein Klatsch, und alles vorbei.
Wie ich abwärts kam, wie den Weg ich fand
Von Stein zu Stein, bis zum äußersten Rand,
Von der Brandung umtobt, vom Gischt bespritzt,
Blutend, zerschunden, zerkratzt, zerritzt,
Es war wie ein Traum. Doch nichts fand ich am Strand
Als nur die Trümmer des Tönnchens, daneben,
Hier, dort, Schiffszwieback, durchweicht auf den Wellen.
Und dafür gewagt das blühende Leben
In strafbarem Mut! Wie lang ich gesucht
In allen Winkeln, in jeder Bucht,
Noch Tage nachher, den verlornen Gesellen,
Nicht fand ich die Leiche. Hinausgetrieben
Vielleicht ins Meer, oder hängen geblieben
Tief unten an spitzigen Klippennadeln,
Ward Raub sie den Fischen. –
Wer will mich tadeln?
Wer klagt mich an? Bei Gott! und hätte
Die Mutter er mir, den Vater erstochen,
Die Schwester geschändet im Sündenbette,
Greuel auf Greuel, nicht hätt' ich's gerochen.
Nicht so, wie er hängend zwischen Tod und Leben
War wehrlos in meine Hand gegeben.
Und ihr glaubt es ja alle, und keiner ist da,
Der mir es aufbürdete, was geschah.
[169]
Was will es denn nun? Was lässt es mich nicht?
Als wär' ich ein Schuft, ein erbärmlicher Wicht.
Kein Mord, ein Unglück! ich that meine Pflicht.
Meine Kraft war zu schwach, das Seil mir entschwunden,
Die Zähne zum Teufel, die Hände geschunden,
Und blutend lag, das Gesicht auf dem Stein,
Wie zerschmettert ich oben. Die Glieder flogen.
Und unten stürmten und tobten die Wogen,
Und ihr rollender Donner verschlang sein Schrein.

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TextGrid Repository (2012). Falke, Gustav. Gedichte. Mynheer der Tod. Die Schiffbrüchigen. 5. [Und so geschah es, das Grause. Mich sprang]. 5. [Und so geschah es, das Grause. Mich sprang]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A6A2-2