Elftes Kapitel.
In welchem der Mann vom Berge seine Geschichte zu erzählen beginnt.
»Ich ward in einem Dorfe der Grafschaft Somersetshire, namens Mark, im Jahre 1657 geboren. Mein Vater war einer von denen, welche man wohlhabende Pächter heißt. Er hatte ein eignes kleines Gut von ungefähr dreihundert Pfund Sterling Einkünfte des Jahres, und ein andres von ungefähr eben dem Ertrage in Pachtung. Er war klug und fleißig und ein so guter Landwirt, daß er ein sehr ruhiges und gemächliches Leben hätte führen können, hätte nicht ein Ausbund einer Hexe von Weib seine häusliche Glückseligkeit verbittert. Allein obgleich dieser Umstand ihn unglücklich machte, so machte er ihn doch nicht arm, denn er hielt sie sozusagen in gänzlicher Gefangenschaft daheim und wollte sich lieber in seinem eignen Hause beständig die Ohren vollzanken lassen, als dadurch sein Vermögen in Gefahr setzen, daß er ihr in den Ausschweifungen nachsähe, [108] welche sie außer demselben zu begehen begierig war. Von dieser Xantippe (so hieß die Frau des Sokrates, sagte Rebhuhn), von dieser Xantippe hatte er zwei Söhne, unter denen ich der jüngste war. Er war gesonnen, uns beiden eine gute Erziehung zu geben. Mein älterer Bruder aber, der zu seinem Unglück seiner Mutter Schoßkind war, verabsäumte es ganz und gar etwas zu lernen, dergestalt, daß, nachdem er fünf oder sechs Jahre mit geringem oder gar keinem Nutzen auf der Schule gewesen, sein Lehrer meinem Vater sagte, es würde vergebens sein, ihn länger da zu lassen, so daß mein Vater endlich einwilligte, ihn aus der Hand dieses Tyrannen, wie meine Mutter seinen Lehrer nannte, nach Hause zu nehmen. Obgleich dieser Tyrann den Knaben weit weniger züchtigte, als es seine Faulheit verdiente, so mocht' er ihn doch wohl ofter gezüchtigt haben, als es dem jungen Herrn lieb war, welcher sich beständig bei seiner Mutter über seine harte Strenge beklagte, die ihm auch immer geneigtes Gehör gab.« – »Ja, ja,« rief Rebhuhn, »solche Mütter gibt's mehr! Mich selbst haben einige davon mißhandelt und das sehr ungerechterweise, solche Mütter verdienen ebensoviel Züchtigung als ihre Kinder.«
Jones gab dem Pädagogen einen Verweis über diese Unterbrechung und darauf fuhr der Fremde fort: »Mein Bruder, der nunmehr fünfzehn Jahre alt war, gab allem, was lernen hieß, den Abschied und überhaupt allem, seine Hunde und seine Jagdflinte ausgenommen, mit welcher letztern er es zu solcher Geschicklichkeit brachte, daß er, ob Sie's gleich für unglaublich halten mögen, nicht nur mit ziemlicher Sicherheit eine stehende kleine Scheibe treffen konnte, sondern auch wirklich eine Krähe im Fluge aus der Luft geschossen hat. Er war ebenfalls gar vortrefflich geschickt, einen Hasen im Lager zu rahmen, und in Kuren hielt man ihn für einen der besten Jäger in der ganzen Gegend. Einen Ruhm, worüber er und seine Mutter sich ebenso inniglich ergötzten, als ob man ihn für einen der vortrefflichsten Gelehrten geachtet hätte.
Anfänglich ließ mich die Lage meines Bruders mein Los um desto härter achten, weil ich noch ferner in der Schule bleiben mußte; aber ich änderte bald meine Meinung, denn da mir mein Lernen so ziemlich von statten ging, so wurden mir meine Arbeiten bald leicht und meine Schulstunden so angenehm, daß ich keine unbehaglichere Zeit hatte als die Sonn- und Festtage, denn meine Mutter, welche mich niemals leiden konnte, fing an zu besorgen, ich hätte den größern Anteil an der Liebe meines Vaters, und weil sie fand, oder wenigstens zu finden meinte, daß mir einige gelehrte Männer und besonders der Pfarrer des Kirchspiels vor meinem Bruder den Vorzug gäben, so fing sie an, meinen Anblick zu hassen, und machte[109] mir das väterliche Haus dergestalt zuwider, daß das, was die Schulknaben den bittern Montag nennen, da sie wieder zur Schule müssen, mir der süßeste im ganzen Jahre war.
Nachdem ich endlich die Schule zu Daunton durchlaufen hatte, nahm man mich von da weg und that mich in das Exeter-Kollegium zu Oxford, woselbst ich vier Jahre verblieb, nach deren Verlauf sich ein Zufall begab, der allem meinem Studieren ein Ende machte, und von welcher Zeit ich den Anfang aller meiner nachherigen Schicksale des Lebens datieren kann.
In eben diesem Kollegium befand sich mit mir ein gewisser Sir George Gresham, ein junger Mensch, der ein ansehnliches Vermögen besaß, zu dessen freiem Besitze er aber zufolge seines Vaters Testament nicht vor seinem fünfundzwanzigsten Jahre gelangen sollte. Indessen ließ ihm die Freigebigkeit seiner Vormünder wenig Ursache, die weitgetriebene Vorsicht seines Vaters hart zu finden, denn sie erlaubten ihm des Jahrs fünfhundert Pfund Sterling, solange er auf der Universität war, woselbst er seine Pferde und seine Konkubine hielt und ein ebenso ausschweifendes, schändliches Leben führte, als er nur hätte thun können, wenn er auch der unbeschränkteste Herr seines Vermögens gewesen wäre. Denn außer den fünfhundert Pfund, welche er des Jahrs von seinen Vormündern erhielt, fand er Mittel, noch andre tausend dazu zu verthun. Er war über einundzwanzig Jahre alt und fand keine Schwierigkeiten, soviel auf Kredit zu nehmen als er nur immer wollte.
Dieser junge Mensch hatte unter andern ziemlich schlimmen Eigenschaften auch eine, die höchst teuflisch war. Es war ihm eine große Freude, wenn er Jünglinge von geringem Vermögen dadurch ins Verderben stürzen konnte, daß er sie zu allerlei Art von Aufwand verleitete, den sie nicht so gut ausführen konnten als er selbst, und je besser, würdiger und vernünftiger ein junger Mensch war, je größere Freude und Triumph hatte er über dessen Verderben. Auf diese Art spielte er die Rolle des Teufels und ging umher zu suchen, wen er verschlinge.
Zu meinem Unglück mußte ich mit diesem jungen Edelmanne bekannt und vertraut werden. Der Ruf von meinem Fleiße im Studieren machte mich zum wünschenswertesten Gegenstande seiner Ränke und meine eigne Neigung machte es ihm leicht genug, zu seinem Zwecke zu gelangen, denn ob ich mich gleich sehr emsig mit meinen Büchern beschäftigt hatte und daran wirklich vieles Vergnügen fand, so gab es doch noch andre Ergötzlichkeiten, an denen ich weit größeres zu finden fähig war, denn ich war ziemlich warm vor der Stirn, hatte sehr heftige Lebensgeister, war ein wenig ehrgeizig und dabei von außerordentlich verliebter Natur.
[110] Ich hatte noch nicht lange meine vertraute Bekanntschaft mit Sir George gemacht, als ich schon ein Teilnehmer an allen seinen Ergötzlichkeiten wurde; und da ich einmal diese Bühne betreten hatte, so gaben es weder meine Neigungen, noch mein Ehrgeiz zu, auf derselben eine bloße Nebenrolle zu spielen. Ich gab niemanden von der Gesellschaft etwas nach, wenn es auf Ausschweifungen der Liederlichkeit und des Schwelgens ankam. Ja, ich machte mich bald bei allen Händeln und Nachtstreichen so merkwürdig und berühmt, daß mein Name gewöhnlich in der Liste an der Spitze der Rädelsführer stand, und anstatt mich als den unglücklichen Zögling des Sir George zu beklagen, beschuldigte man mich vielmehr, daß ich eben derjenige sei, welcher diesen hoffnungsvollen Herrn von Stande verleitet und verführt habe. Denn, ob er gleich der Anstifter alles Unheils und bei allen Händeln der Anführer war, so wurde er doch niemals dafür gehalten. Endlich ward ich vor dem Prorektor zu erscheinen vorgeladen und entging mit genauer Not der Relegation.
Sie können sich leicht vorstellen, mein Herr, daß ein solches Leben, wie ich jetzt beschreibe, sich mit keinem weitern Fortschritt in meinen Studien vertragen konnte, und daß ich in eben dem Verhältnis, wie ich mich in dieses zügellose Leben einließ, immer mehr und mehr meinen Fleiß vernachlässigen mußte. Dies war auch wirklich die Folge davon; nur war es nicht die einzige. Meine Ausgaben überschritten nicht nur um ein großes meine bisherigen Wechsel, sondern auch die Zuschüsse, welche ich von meinem armen großmütigen Vater unter dem Vorwande erpreßte, daß ich notwendig dazu Geld brauchte, mich auf meine herannahende Promotion zu präparieren. Diese Forderungen wurden unterdessen endlich so häufig und so übertrieben, daß mein Vater nach und nach den Nachrichten die Ohren öffnete, welche er von vielen Seiten her über meine gegenwärtige Aufführung erhielt, und welche meine Mutter nicht ermangelte, als ein getreues Echo sehr laut widerhallen zu lassen. Ha! ha! das ist der feine junge Herr, der Gelehrte, der seiner Familie so große Ehre macht und einst der Stecken und Stab seiner Eltern werden wird! Ich dachte wohl, wo's mit all der Gelehrsamkeit hinauslaufen würde! In Armut und Verderben wird er uns stürzen, nachdem man seinen ältern Bruder ihm zu Gefallen das Allernotwendigste verweigert hat, um ja seine vortreffliche Erziehung zu stande zu bringen, wofür er uns nun mit solchen Interessen belohnt. Herrliche Interessen sind mir das! Aber ich hab' es immer wohl vorhergesagt, – und was dergleichen mehr war! – aber ich meine, Sie haben an diesem Pröbchen genug.
Mein Vater begann nunmehr, mir anstatt des Gelder Verweise auf meine Briefe zu schicken; wodurch denn meine Sachen vielleicht [111] ein wenig früher zum Bruch kamen. Denn, hätt' er mir auch sein ganzes Einkommen geschickt, so würde es doch, wie Sie leicht erachten werden, nur eine sehr kurze Zeit für einen Menschen zugereicht haben, der sich in seinen Ausgaben mit Sir George Gresham auf gleichen Fuß setzte. Es ist mehr als möglich, daß die Verlegenheit um Geld, worin ich mich jetzt befand, und die unendliche Schwierigkeit, es auf diese Art weiter fortzutreiben, mich wieder zu meiner Besonnenheit und zu meinem Studieren zurückgebracht haben würde, hätt' ich früher die Augen geöffnet, eh' ich in Schulden verflochten wurde, aus welchen ich keine Hoffnung vor mir sah, mich wieder herauszuarbeiten. Hierin bestand eigentlich das große Kunststück des Sir George, wodurch er das Verderben vieler jungen Menschen zum höchsten Grade trieb, die er hernach als Gimpel und Narren auslachte, weil sie sich, wie er's nannte, bis zu seiner Größe hätten aufblasen wollen. Um diesen seinen Endzweck nicht zu verfehlen, streckte er selbst zuweilen einem jungen Menschen ein wenig Geld vor, damit der Unglückselige bei andern Leuten um so leichter Kredit finden möchte, bis er endlich durch eben diesen Kredit aufs unwiederbringlichste verloren war.
Durch diese Ränke war meine Seele in eben so verzweifelte Umstände geraten, als selbst meine Vermögensumstände; und es gab kaum ein Bubenstück, auf welches ich nicht gesonnen hätte, um mich aus diesem Elende zu reißen. Sogar der Selbstmord ward ein Gegenstand meiner ernsthaften Beratschlagung; und ich würde mich gewiß dazu entschlossen haben, hätte ihn mir nicht ein schändlicher, obgleich wenig sündlicher Gedanke aus dem Kopfe gebracht.« – Hier saß der Mann eine kleine Weile in Gedanken und rief darauf aus: »Glauben Sie mir, eine lange Reihe von Jahren hat die Scham über diese Handlung noch nicht aus meinem Gedächtnis verwaschen, und noch werden meine Wangen erröten, indem ich sie erzähle.« – Jones bat, er möchte über alles hinweggehn, dessen Erzählung seinem Herzen wehe thun könnte. – Rebhuhn aber rief ganz andringlich: »O lieber Herr, ich bitte, lassen Sie uns dies doch mit hören! Wahrhaftig! ich möchte das lieber hören, als alles übrige. Ich will das heilige Abendmahl drauf nehmen, daß es von mir kein Mensch wieder erfahren soll.« – Jones war im Begriff, ihm einen derben Verweis zu geben; allein der Fremde verhinderte es, indem er folgendergestalt fortfuhr:
»Ich hatte einen sehr vernünftigen, fleißigen jungen Menschen zum Stubenburschen, welcher, ob er gleich keine große Summen von Hause bekam, sich doch beinahe an vierzig Guineen zusammengespart hatte, welche Summe er, wie ich wußte, in seinem Schreibpulte verschlossen aufbewahrte. Ich nahm daher Gelegenheit, ihm den [112] Schlüssel heimlich aus seinen Beinkleidertaschen zu entwenden, derweil er schlief, und mich auf diese Weise in den Besitz aller seiner Reichtümer zu setzen. Nachdem solches geschehen, steckte ich ihm den Schlüssel wieder in die Taschen und stellte mich, als ob ich schliefe, ob ich gleich kein Auge zuthat, sondern nur im Bette liegen blieb, bis er aufgestanden und zum Gebete gegangen war; eine Uebung, die mir seit langer Zeit schon fremd geworden war.
Furchtsame Diebe geben oft selbst durch eine zu große Vorsicht Anlaß zu einer Entdeckung, welcher die verwegenern zu entgehen wissen. So begab sich's mit mir; denn hätte ich das Schreibpult ganz keck und kühn aufgebrochen, so wäre ich vielleicht selbst seinem Verdachte entgangen; allein, da es klar am Tage lag, daß der, welcher ihn bestohlen, sich seines Schlüssels bemeistert haben müßte, so blieb ihm kein Zweifel, als er zuerst sein Geld vermißte, der Dieb könnte gewiß niemand anders sein, als sein Stubenbursche. Nun war er etwas furchtsam von Natur, und bei weitem nicht so stark am Körper, als ich; auch, glaub' ich, hatte er nicht so viel Herzhaftigkeit. Sonach wagte er's nicht, mir mein Verbrechen unter die Augen zu sagen, aus Furcht, es möchte für ihn noch schlimmere körperliche Folgen haben. Er wendete sich also unmittelbar an den Prorektor, und auf eine eidliche Aussage des Diebstahls und der damit verbundenen Umstände erhielt er sehr leicht einen Verhaftsbefehl gegen einen Menschen, der bereits bei der ganzen Universität in einem so üblen Rufe stand.
Zum Glück für mich schlief ich die folgende Nacht außer dem Kollegio; denn den Tag brachte ich ein Frauenzimmer in einer Chaise nach Whitney, wo wir die ganze Nacht beisammen blieben, und bei unsrer Zurückkunft des nächsten Morgens zu Oxford begegnete mir einer von unsern Nachtvögeln, welcher mir von dem, was mir bevorstand, so viel erzählte, als genug war, um meine Pferde auf einen andern Weg zu lenken.«
»Ich bitte, lieber Herr,« sagte Rebhuhn, »sagte er Ihnen denn wirklich was von dem Verhaftsbefehle.« – Aber Jones bat den alten Herrn, fortzufahren, ohne auf die unbesonnenen Fragen des Rebhuhn zu achten, welches er that wie folgt:
»Nachdem ich jetzt alle Gedanken hatte fahren lassen, wieder nach Oxford zurückzugehn, war das erste, was sich mir darbot, eine Fahrt nach London. Ich sagte diesen Vorsatz meiner weiblichen Begleiterin, die zwar anfangs Einwendungen machte; sobald ich ihr aber meinen Reichtum vorzeigte, in diese Reise willigte. Wir gingen also querfeld ein, um die Cirencester Heerstraße zu erreichen, und waren so eilig, daß wir den Abend des andern Tages in London anlangten.
[113] Wenn Sie erwägen, an was für einem Orte und in was für einer Gesellschaft ich mich nunmehr befand, so werden Sie, glaube ich, leicht begreifen, daß ich in kurzer Zeit mit der Summe zu Ende kommen mußte, der ich mich so schändlicherweise bemächtigt hatte.
Ich war jetzt in eine weit größere Verlegenheit gesetzt als vorher. Die notwendigsten Bedürfnisse des Lebens fingen mir an zu mangeln, und was meine dürftigen Umstände noch drückender machte, war, daß meine Geliebte, an der ich jetzt mit Leib und Seele hing, einerlei Not und Elend mit mir teilte. Ein Frauenzimmer, das man liebt, in Mangel und Elend zu sehn, ohne im stande zu sein, ihr herauszuhelfen und dabei sich bewußt sein, daß man sie selbst in diese Umstände versetzt hat, ist vielleicht ein solcher Zustand der Verdammnis, dessen Qualen sich keine Einbildung vorstellen kann, wenn man sie nicht selbst erfahren hat.« – »Das glaub' ich Ihnen von ganzer Seele,« rief Jones, »und ich bedaure Sie im Grunde meines Herzens.« Der alte Mann ging hier zwei- oder dreimal im Zimmer auf und nieder, bat darauf um Verzeihung, warf sich in seinen Lehnstuhl und rief aus: »Ich danke dem Himmel, daß auch das überstanden ist.«
»Dieser Umstand,« fuhr der alte Herr fort, »vergrößerte den Jammer meiner gegenwärtigen Lage so sehr, daß er mir völlig unerträglich wurde. Ich konnte mit weniger Schmerzen das Nagen meiner eignen natürlichen unbefriedigten Bedürfnisse, selbst Hunger und Durst ertragen, als es ausstehen, die sonderbarsten Gelüsten und Begierden eines Frauenzimmers ungesättigt zu lassen, in welche ich so äußerst verliebt war, daß, ob ich gleich wußte, daß sie mit der Hälfte meiner Bekannten den genausten Umgang gepflogen, ich dennoch des festen Vorsatzes war, sie zu heiraten. Aber das gutherzige Geschöpf konnt' es gleichwohl nicht übers Herz bringen, in eine Handlung zu willigen, welche die Welt so sehr zu meinem Nachteile erklären möchte. Und da sie vielleicht mit dem täglichen Kummer, welchen sie mich ihrentwegen leiden sah, Mitleid hatte, so entschloß sie sich, meiner Not ein Ende zu machen. Sie fand wirklich bald Mittel und Wege, mich aus meiner unruhigen und höchst verwickelten Lage herauszureißen; denn derweil ich mir mit allerlei Erfindungen fast den Kopf zerbrach, wie ich ihr Vergnügungen verschaffen wollte, war sie so höchst gütig – mich an einen ihrer vorigen Liebhaber von Oxford – zu verraten, durch dessen Fleiß und Sorge ich unmittelbar drauf ergriffen und ins Gefängnis gesetzt wurde.
Hier fing ich erst an, ernsthaft nachzudenken über die Mißhandlungen meines vorigen Lebens, über die Irrtümer, die ich mir hatte zu schulden kommen lassen, über das Unglück, welches ich mir [114] zugezogen hatte, und über den Gram, in den ich den besten von allen Vätern versenkt haben mußte. Wenn ich zu allem diesem die schändliche Untreue meiner Geliebten noch hinzudachte, so wurden die Qualen meines Gemüts so groß, daß das Leben, anstatt mir länger wünschenswert zu bleiben, ein Gegenstand meines grauenvollen Abscheus wurde; und ich hätte mit Freuden den Tod als meinen teuersten Freund umarmen können, hätt' er sich nur meiner Wahl ohne Schimpf und Schande dargestellt. Die Zeit der vierteljährigen Gerichte kam herbei und ich ward nach den Landesgesetzen nach Oxford, dem Orte, wo ich das Verbrechen begangen hatte, ausgeliefert, woselbst ich gewiß erwartete, überführt und verurteilt zu werden. Zu meiner großen Verwunderung aber ward ich nicht zum Verhör gebracht und, nachdem die Dingzeit zu Ende gegangen, ward ich, weil sich kein Ankläger gegen mich stellte, wieder auf freien Fuß gesetzt. Kurz, mein Stubenbursche hatte Oxford verlassen und, war es aus Gleichgültigkeit oder aus andern Ursachen, das weiß ich nicht; aber er hatte nicht für gut befunden, sich weiter mit der Sache zu befassen.«
»Vielleicht,« rief Rebhuhn, »wollt' er nicht gern Ihr Blut auf seiner Seele haben, und daran that er auch ganz recht. Denn wenn jemals ein Mensch auf meine Anklage aufgehängt würde, in meinem Leben könnt' ich hernach kein Auge wieder zuthun vor Angst, daß er immer um mich spuken gehen würde.«
»Nachgerate wird mir's zweifelhaft, Rebhuhn,« sagte Jones, »ob Er mehr Tapferkeit oder mehr Weisheit besitzt.« – »Wenn Sie mich auslachen wollen, Herr, meinetwegen!« antwortete Rebhuhn. »Wenn Sie aber nur eine kurze Historie anhören wollten, die ich erzählen kann und die so wahr ist, daß nichts darüber geht, so können Sie vielleicht ganz andrer Meinung werden. In dem Kirchspiele, worin ich geboren bin –« Hier hätt' ihn Jones gern zum Schweigen gebracht, aber der Fremde legte eine Fürbitte ein, daß er seine Historie erzählen dürfte, und versprach zugleich, daß er das übrige der seinigen nicht vergessen wolle.
Rebhuhn hub also folgendermaßen an: »In dem Kirchspiele, worin ich geboren bin, wohnte ein Pächter, der hieß Zaum und der hatte einen Sohn namens Franz, einen guten, hoffnungsvollen Menschen. Ich ging mit ihm in die lateinische Schule und erinnere mich, wie er in Ovids Episteln kam, woraus er zuweilen drei ganze Zeilen hintereinander herexponieren konnte, ohne nur ein einziges Mal in seinen Faber zu sehen. Bei dem allem noch war's auch ein guter Knabe, er versäumte des Sonntags keinen Gottesdienst und passierte für den besten Choralsänger im ganzen Kirchspiel. Freilich mocht' er wohl dann und wann ein wenig zu tief ins Glas gucken, [115] und das war auch der einzige Fehler, den er hatte.« – »Recht gut! Aber wo bleibt das Gespenst?« sagte Jones. – »Seien Sie unbesorgt, Herr, es soll früh genug kommen,« antwortete Rebhuhn. »Sie müssen also wissen, daß Pächter Zaum eine Stute verlor, einen Apfelschimmel, wenn ich mich recht erinnere, und so kam's denn zu paß, daß dieser junge Franz kurz darauf, als er auf einer Kirmes zu Hindon war, ich glaub' es war – es war – ja nu, auf den eigentlichen Tag kann ich mich nicht besinnen, und wie nun Franz so da war, was sollte ihm begegnen als ein Mann, der auf seines Vaters Stute ritt. Franz schrie augenblicklich laut aus vollem Halse: greift den Dieb! und da es mitten in der Kirmes war, so war's unmöglich, wie Sie wohl sehen, daß der Mann entwischen konnte. Und so fingen sie'n auf und schleppten ihn hin vor den Richter. Ich erinnere mich's noch, als ob's heute wäre, es war der Richter Willoughby von Noile, ein gar sehr braver Herr, und der schickte ihn ins Gefängnis und beeidigte den Franz zur Rekogniszenz, so glaub' ich, nennen sie's. Ein schwer Wort, zusammengesetzt aus re undcognosco; aber es geht von dem eigentlichen Sinne des eigentlichen Stammwortes etwas ab, wie mehr andre Komposita thun. Nun gut, endlich und zuletzt kam der Herr Oberrichter Page ins Land und hielt das Landgeding, und so ward der Kerl vor die Schranken gebracht und Franz mußte gegen ihn aussagen. Fürwahr! In meinem Leben vergesse ich die Miene des Herrn Oberrichters nicht, als er ihn zu fragen begann, was er gegen den Gefangenen vorzubringen hätte? Er machte, daß der arme Franz an allen Gliedern seines Leibes zitterte und bebte bis in die Schuhe hinab. Nun, Kerl, sagte der Richter, was habt Ihr zu sagen? Steht so nicht da, und hmt! und ht! sondern sprecht rein aus dem Barte. Aber bald darauf ward er ebenso leutselig gegen Franz und fing an, auf den armen Sünder loszudonnern, und als er ihn fragte, ob er was zu seiner Entschuldigung vorzubringen hätte, so sagte der Kerl, er habe das Pferd gefunden. Ei! ei! antwortete der Richter, du bist ja ein glücklicher Kerl! Ich habe nun schon seit vierzig Jahren die Landgerichte bereist und habe noch in meinem Leben kein Pferd gefunden! Aber ich will dir etwas erzählen, guter Schlag, du bist glücklicher gewesen als du selbst weißt; denn sieh nur, du hast nicht allein ein Pferd gefunden, sondern auch einen Halfter dazu, das kannst du mir auf mein Wort glauben. Fürwahr, ich vergesse das Wort in meinem Leben nicht, und daher fingen alle, die um ihn herstunden, an zu lachen, und wie konnte man das auch lassen? Ja, und er sagte wohl noch zwanzig eben solche lustige Einfälle, die ich wieder vergessen habe. Es war so was dabei von Geschicklichkeit und Roßkamm, wobei alle ein groß Gelächter aufschlugen. Fürwahr, der [116] Richter muß ein recht braver Mann gewesen sein und auch sehr gelehrt dazu. Ich kann Ihnen nicht sagen was es für eine Lust ist, bei so einem Gerichte zu sein, wo's auf Leben und Tod hergeht. Eins freilich war dabei, muß ich gestehen, das schien mir ein bißchen hart, daß man den Defensor des gefangenen Kerls nicht sprechen lassen wollte, ob er gleich nur auf ein paar Worte um Gehör bat. Aber der Herr Oberrichter wollt' ihn nicht zum Worte kommen lassen, ob er gleich einen Advokaten, der wider ihn auftrat, wohl eine ganze halbe Stunde anhörte. Ich hielt's für hart, ich gesteh's, daß ihrer so viel waren, denn da war der Oberrichter und die Beisitzer und die Geschworenen und die Advokaten und die Zeugen, alle gegen einen armen Kerl, und er war noch dazu in Ketten geschlossen. Nun gut, aber der Kerl ward Ihnen aufgehängt, wie's denn nun freilich nicht anders sein konnte, und der arme Franz hatte darüber in seinem Leben wieder keine ruhige Stunde. Er war niemals allein im Finstern, oder ihn dünkte, er sähe den Geist des armen Sünders.« – »Nun, ist das deine ganze Historie?« fragte Jones. – »Nein, nein!« antwortete Rebhuhn, »Gott sei meiner armen Seele gnädig! – Ich komme eben just zu der eigentlichen Sache; denn als er eines Nachts aus einem Bierhause kam, durch eine lange, enge, finstre Gasse, rannte er ihm gerade auf den Leib, und das Gespenst sah ganz weiß aus und fiel über den armen Franz her, und Franz, ein handfester Bursche, fiel über den Geist her, und da ging's an ein Gebalge miteinander und der arme Franz ward greulich geprügelt. Endlich that er freilich sein Bestes, nach Hause zu kriechen, aber von dem Prügeln und von der Angst und von dem Grauen lag er doch seine vierzehn Tage zu Bette, und die Sache ist sicherlich wahr und das ganze Kirchspiel kann und wird's bezeugen.«
Der Fremde lächelte über die Geschichte und Jones konnte sich des Lautlachens nicht enthalten, worauf Rebhuhn schrie: »Ja, ja! Lachen Sie nur zu, Herr, das haben andre auch gethan, besonders ein gewisser Junker, der nun eben nicht viel besser sein mag als ein Atheist, der meinte so, weil man am nächsten Morgen ein Kalb mit einer weißen Blessen tot in derselben Gasse gefunden hatte, so müsse die Schlägerei zwischen diesem Kalbe und Franz vorgefallen sein. Das hätt' er gern so ausgebracht; ja, als ob auch ein Kalb einen Menschen anfiele. Ueberdem noch sagte mir Franz, er wüßte wohl, daß es ein Geist gewesen sei und das könne er vor jedem Gerichte der ganzen Christenheit beschwören, und er habe den Abend nur ein oder ein paar Maß Doppelbier getrunken gehabt. Gott sei uns armen Sündern gnädig und halte unsre Hände rein von Blutschulden! pflege ich zu sagen.«
»Wohlan mein Herr,« sagte Jones zu dem Fremden, »Rebhuhn [117] hat seine Geschichte geendigt und wird Sie, wie ich hoffe, nicht ferner unterbrechen.« Er knüpfte also den Faden seiner Erzählung wieder an, allein weil er eine Zeitlang her Atem geschöpft hatte, so halten wir für dienlich, unsre Leser gleichfalls zu Atem kommen zu lassen und wollen sonach dem gegenwärtigen Kapitel ein Ende machen.