John Gilpin

(Nach William Cowper)


John Gilpin hat ein Tuchgeschäft
Nicht weit von Leicester-Square,
Auch war er Hauptmann der Miliz
In Londons Bürgerwehr.
Und Gilpin hat ein edles Weib;
Sie sprach: »Mein teurer John,
Wir sahen keinen Feiertag
Die zwanzig Jahre schon.
Drum, heut' an unsrem Hochzeitstag,
Dächt' ich, Mann meiner Wahl,
Kutschierten wir nach Islington,
Ins frische Grün einmal.
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Fünf unsrer Kleinen nehm' ich mit,
Sie wiegen ja nicht schwer
Und haben Platz – du steigst zu Roß
Und reitest hinterher.«
John Gilpin sprach: »Ich ehrte stets
Das weibliche Geschlecht,
Doch dreimal ehr' ich dich, o Weib,
Drum ist mir alles recht.
Auch schafft mein blühend Tuchgeschäft
Leicht meinem Wunsch Gehör,
Und seinen Braunen leiht mir gern
Mein Freund, der Appreteur.«
Sprach Mistreß Gilpin: »John, noch eins,
Wie ist es mit dem Wein?
Ich denk', wir nehmen welchen mit,
Es dürfte bill'ger sein.«
John Gilpin küßt' sein treues Weib,
Er weinte auf ein Haar,
Daß Mistreß, trotz Vergnügungssucht,
Doch noch so sparsam war.
Der Wagen kam, doch hielt er nicht
Vor Gilpins eignem Haus,
Sie war all in Sorg' und Furcht:
Hochmütig säh' das aus.
Drei Häuser abwärts stieg man ein,
Die Küchlein und das Huhn,
Und durch die City-Straßen hin
Ging es im Trabe nun.
Die Peitsche pfiff, auf schlug der Huf,
Daß alles klang und scholl,
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Und Rad und Steine lärmten schier,
Als wären beide toll.
John Gilpin hatte sich indes
Als Reiter schon gezeigt
Und lang geschwankt, ob rechts, ob links
Man in den Bügel steigt.
Jetzt aber sitzt er sattelfest-
Er will davon im Nu,
Da steuern seiner Kunden drei
Grad auf den Laden zu.
John Gilpin denkt: ›Verlust an Zeit,
Ich schätz' ihn nicht gering,
Doch traun, Verlust an Gut und Geld
Ist noch ein übler Ding.‹
Schnell springt er ab. – Noch steht und schwankt
Der Handel mit den Drei'n,
Da stürzt ihm Betty in den Weg:
»Hier, Herr, ist noch der Wein!«
»Gut« spricht er, »doch nun bring' mir auch
Das Lederfutteral,
Darinnen bei Paraden steckt
Mein fleckenloser Stahl.«
John Gilpin nahm die Flaschen beid',
Sie waren voll Likör,
Und hatten oben an dem Hals
Ein weites Henkelöhr.
Durch beide zog er jetzt hindurch
Die Scheide seines Schwerts –
Sie hingen, wie Pistolen schier,
Am Sattel seines Pferds.
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Dann schlug er um die Schultern sich
Den Mantel schwarz und rot,
Als zög' er in die Ritterschlacht
Zum Siege oder Tod. –
Die Stadt hindurch, auf hartem Stein,
Da schien der Renner faul;
John Gilpin sprach: »O schäme dich,
Bist du ein Karrengaul?«
Doch plötzlich, draußen vor dem Tor,
Verging ihm aller Spott,
Der Braune schnob und wieherte
Und setzte sich in Trott.
»Still, still, mein Tierchen«, ächzte John,
»So wirf mich doch nicht ab!«
Doch, wie er auch am Zügel riß,
Galopp ward aus dem Trab.
Und auf und nieder, her und hin,
Flog unser armer Tropf,
Bald hielt er an der Mähne sich
Und bald am Sattelknopf.
Das arme Pferd, das immer sonst
Gelenkt von sichrer Hand,
Es kam bei Gilpins Reiterei
Zuletzt um den Verstand.
Und wie vom Teufel angeschürt,
Durch ging es voller Wut;
Ab riß ein Baum von Gilpins Kopf
Perücke, Zopf und Hut.
Scharf blies der Ost; noch flaggte bunt
Des Mantels weiter Schoß –
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Jetzt aber ging er in die Welt,
Die Knöpfe ließen los.
Die Hunde bellten Dorf um Dorf,
Die Kinder lärmten mit,
Und alles schrie: »Das nenn' ich brav,
Das nenn' ich einen Ritt!«
Die Nachbarweiber klatschten sich
Bereits die Mäuler wund;
Die eine wußt' es ganz genau:
Es gelte tausend Pfund.
Die Zolleinnehmer hielten's auch
Für Wetteritt und Lauf
Und rissen mit geschäft'ger Hand
Die Gittertore auf.
John Gilpin schlüpfte heil hindurch,
Nicht so das Flaschenpaar,
Die eine ließ den Kork zurück,
Den Hals die andre gar.
Hin troff der rötliche Likör,
Man dacht', es wäre Blut,
Und murrend klang es hie und da:
Der spornt auch allzu gut!«
Jetzt aber in Klein-Islington
Hinein sprengt unser John;
Es harrte schon, mit Gruß und Kuß,
Die Gattin am Balkon.
Sie ruft ihm zu: »Halt, Gilpin, halt!
Wo willst du hin? so sprich!
Die Kinder haben Hunger schon
Und weinen bitterlich.«
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John Gilpin hört's; in tiefem Schmerz
Fleht er den Braunen: »Steh!«
Doch ach, der Braune hat kein Herz
Für eines Vaters Weh.
Zwei Meilen hinter Islington
Da liegt ein zierlich Haus,
John Gilpins Freund, der Appreteur,
Zog sommers da hinaus.
Der Braune machte oft den Weg,
Und wiehernd jetzt am Zaun
Ruft er den Herrn, der aber will
Kaum seinen Augen traun.
»He, Gilpin, he! was ist geschehn?
Was kommt Ihr überhaupt?
Und wenn Ihr kommt, warum beschmutzt,
Barhäuptig und bestaubt?«
John Gilpin drauf: »Was ich hier soll,
Das frage dieses Tier;
Wir ritten scharf, Perück' und Hut
Sind darum noch nicht hier.«
Laut lachte da der alte Freund,
Es war ein lust'ges Blut, –
Er nahm sich die Perück' vom Kopf
Und sprach in frohem Mut:
»Nimm hin! Du starrst von Staub und Schmutz,
Drum scheint sie noch zu klein,
Doch wasch' nur erst die Kruste ab,
So wird sie passend sein.«
John Gilpin nahm und dankte viel
Und sprach zum Pferde dann:
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»He Freund, ich hab' für dich getan,
Was man nur tuen kann.
Du wolltest her zu deinem Herrn,
Ich ehrte diesen Trieb,
Nun aber trag' auch mich zurück
Zu meinem treuen Lieb.«
Er sprach es kaum, da kreischte laut
Ein Esel hinterm Heck,
Und Roß und Reiter zitterte,
So packte sie der Schreck.
Wie wenn ein Löwe wo gebrüllt,
So griff der Renner aus –
Auf tauchte bald Klein-Islington
Samt seinem Kaffeehaus.
Die Gattin harrte immer noch
Des Gatten am Balkon,
Jetzt sah sie ihn und wandte sich
Zum Schwager Postillon:
»Sieh, diese halbe Kron' ist dein,
Mein wackerer Gesell',
Schaffst du mir meinen Ehemann
Lebendig hier zur Stell'.«
Der Postillon, der war nicht faul,
Aus zog er auf den Fang
Und hakte bald nach Mann und Roß
Mit Zügel und mit Strang.
Dem Braunen aber deucht' es schier,
Als wär's ein Peitschenhieb,
Er lief, daß selbst der Postillon
Im Hintertreffen blieb.
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Sechs Reiter kamen just des Wegs,
Die sahen Gilpins Flucht,
Und wie der Postillon umsonst
Ihn einzuholen sucht.
Sie jagten mit und schrien laut:
»Halt't ihn! ein Dieb! ein Dieb!«
John Gilpin aber unverkürzt
Des Tages Sieger blieb.
Und wie ein Jockey bester Art,
Mit Weste, Stulp und Kapp –
Erst wo er aufgestiegen war,
Da stieg er wieder ab.
Und nun zum Schluß: dem König Heil,
Und Heil! John Gilpin, dir,
Und setzt du wieder dich zu Roß,
So bitt' ich, sag' es mir.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Fontane, Theodor. Gedichte. Gedichte (Ausgabe 1898). Lieder und Balladen frei nach dem Englischen. John Gilpin. John Gilpin. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-AE75-4