Die zwei Raben

Ich ging übers Heidemoor allein,
Da hört' ich zwei Raben kreischen und schrein;
Der eine rief dem andern zu:
»Wo machen wir Mittag, ich und du?«
»Im Walde drüben liegt unbewacht
Ein erschlagener Ritter seit heute Nacht,
Und niemand sah ihn in Waldesgrund
Als sein Lieb und sein Falke und sein Hund.
Sein Hund auf neuer Fährte geht,
Sein Falk' auf frische Beute späht,
Sein Lieb ist mit ihrem Buhlen fort –
Wir können speisen in Ruhe dort.
Du setzest auf seinen Nacken dich,
Seine blauen Augen, die sind für mich,
Eine goldene Locke aus seinem Haar
Soll wärmen das Nest uns nächstes Jahr.
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Manch einer wird sprechen: ich hatt' ihn lieb!
Doch keiner wird wissen, wo er blieb,
Und hingehn über sein bleich Gebein
Wird Wind und Regen und Sonnenschein.«

Notes
Entstanden 1855, Erstdruck 1861.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Fontane, Theodor. Die zwei Raben. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-AECB-6