Zeus in Mission

(Zu Fürst Bismarcks 70. Geburtstag, 1. April 1885)


Und Gott (es war im Spätherbst zweiundsechzig)
Trat an sein Himmelsfenster, sah hernieder
Und sah auf Deutschland, das ihm Sorge machte
Seit dem Bronzell-Tag und dem Tag von Olmütz.
Er schüttelte den Kopf. Danach begann er:
»Das geht nicht länger so. Streit und Zerklüftung
Lähmt ihm die Kraft, zehrt ihm an Mark und Leben,
Und jeder dritte, der au fond nicht wert ist,
Dem Michel seine Schuhriem' nur zu lösen,
Kräht nicht bloß laut auf seinem eignen Miste,
Nein, kräht auch übern Rhein und schlägt die Flügel
Und wirft den roten Kamm. Ich kenn' die Fahne.
Das geht nicht länger so. Gewiß, die Deutschen,
Sie taugen auch nicht viel, die lieben Schlingel,
Sind Besserwisser, knurrn und querulieren
Und schreiben Bücher, drin sie mir beweisen:
Es sei nicht viel mit mir; im letzten Grunde
Bestünd' ich nur durch Kompromiß und Gnade.
Das predigen sie von Tischen und von Bänken
Und fühlen sich in ihrem Tabakshimmel
Als Ober-Gott, und wird es dann gemütlich,
So rufen sie mir zu: ›Ich komm' dir einen!‹
Ich kenne sie, sie haben was Kneipantes,
Was Buntbemütztes, rüplig Burschikoses,
[269]
Sind kindisch, eitel, unbequem-gefühlvoll
Und vieles andre noch, ich weiß, ich weiß es,
Und doch, wenn eins zum andern ich erwäge,
So sind sie schließlich immer noch die besten,
Die besten und natürlichsten vor allem,
Am meisten frei von Babel und von Sodom.
Sie dauern mich. Längst quält mich der Gedanke,
Wie schaff' ich ihnen Zuspruch, Beistand, Hilfe!
Vielleicht, daß mir im Gehn und Meditieren
Ein Ausweg kommt, ein guter Plan, ein Einfall.«
Und solches denkend nahm er Hut und Mantel
Und seinen Stab und schritt hinaus ins Freie.
Der Weg war weit, die Straßenflucht ohn' Ende,
Doch endlich kamen Gärten, Park und Wiese
Mit Silberbächen und mit Birkenbrücken,
Und jenseits dieser Wiese, hoch gelegen,
Erhob ein ältrer Stadtteil sich, halb Ghetto,
Halb Kapitol, ein bunt Gemisch von Hütten
Und Tempeln und Palästen. Die Paläste
Höchst vornehm, alles Porphyr, alles Marmor,
Und doch mit Holz verschlagen und vergittert,
Als wären's Kerker.
Und es waren Kerker.
Denn hinter diesen Gitterstäben saßen
»Im Altenteil«, so hieß es euphemistisch,
Die guten, alten, abgesetzten Götter:
Neptun und Pluto, Mars (nur Bacchus fehlte),
Merkur, Apoll, Vulkan. Und endlich Zeus auch.
Und sieh, an Zeus (er wohnte sichtlich freier
Und ward auf Wort und Handschlag hin behandelt),
An Zeus trat jetzt sein Ober-Herr und sagte:
»Grüß' Gott dich, Alter. Bringe frohe Botschaft.
Ich hoff' es wenigstens. Wer so wie du
'ne hübsche Weil' geherrscht, herrscht gern auch wieder,
Still sitzen ist ein Greul. Ich lieb' es auch nicht.
[270]
So höre denn: ich habe was in petto,
Pack deine Koffer, nimm dein Inventar
(Spezialmission auf unbestimmte Dauer),
Nimm Adler, Bündelblitze, Ganymed auch,
Und zieh hernieder in mein altes Deutschland,
An einen Ort, den Spree-Athen sie nennen.
Zum Unterschiede, du verstehst. Du find'st dort
Bildwerke viel auf Straßen und auf Plätzen,
Athene nicht, auch Venus nicht von Milo,
Doch Blücher, York, Schwerin und Keith und Scharnhorst,
Den alten Zieten und den alten Fritzen,
Den letztern, denk' ich, kennst du –'s ist derselbe,
Der hier am Himmel glänzt als »Friedrichs Ehre«.
Nach Deutschland also; hier ist die Bestallung.
Du weißt ja, wie man's macht, räum' auf gebührlich,
Sieh nach dem Rechten, mehre Macht und Ordnung,
Wirf alle Feinde nieder, draußen, drinnen,
Und wenn du das getan hast, komme wieder.
Dein Schade soll's nicht sein.«
Und Zeus verneigte
Sich dankbar ehrfurchtsvoll, und aller Unmut,
Der wegen unfreiwilliger A.D.-schaft
Ihn lang' gequält, fiel ab von ihm, es wuchsen
Ersichtlich ihm die Brau'n zu ganzen Büscheln
(Nur höh'r hinauf war Hopf' und Malz verloren),
Und sieh, mit Adler, Blitz und Ganymed auch
Zog er hinab, um Groß und Kleins zu prüfen:
Herz, Nieren, Rotwein, Bock und andre Biere.
»Wer kommt denn da?« so lautete der Willkomm,
Der ziemlich nüchtern ihn empfing, fast feindlich.
Er aber, seine Vollmacht in der Tasche,
Verfuhr programmhaft, schüttelte die Brauen,
Die Jovis-Brauen.
Ei, das klang wie Donner.
Und war's nicht Donner, waren es Kanonen.
[271]
Missunde, Düppel. Hurra, weiter, weiter:
Nußschalen schwimmen auf dem Alsensunde,
Hin über Lipa stürmen die Geschwader,
Ein Knäul von Freund und Feind. Da seht ihn selber,
Der mit dem Helm ist's und dem Schwefelkragen.
Und Spichern, Wörth und Sedan. Weiter, weiter,
Und durchs Triumphtor triumphierend führt er
All Deutschland in das knirschende Paris ...

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Fontane, Theodor. Gedichte. Gedichte (Ausgabe 1898). Gelegenheitsgedichte. Zeus in Mission. Zeus in Mission. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-B00C-5