Dorfgeschichten

An Berthold Auerbach


Als Knabe schon von Berg- und Hüttenmännern
Hab' ich entzückt ein kleines Buch gelesen;
Es führte mich zu frommen Kohlenbrennern,
Und ist ein herzigs kleines Buch gewesen,
Ein rechter Spiegel alter Bauerntugend; –
Mit Namen hieß es: Heinrich Stillings Jugend.
Das war die erste deutsche Dorfgeschichte!
Die hat mit Lied, mit Märchen und mit Sage,
Die hat in Einfalt und in edler Schlichte
Das Gold im Volke treu geschürft zutage;
Die ließ mich schaun durch ihrer Meiler Schwelen
Im festen Umriß starke, mut'ge Seelen.
Nach diesem auch hat Pestalozz geschrieben
Von tücht'gen Herzen unter schlechtem Kittel:
Wie die Geringen dulden, hoffen, lieben –
Lienhard und Gertrud ist des Buches Titel.
Oft las ich es – mit Augen, ach! die quollen! –
Nun ist es auch wohl, jenem gleich, verschollen!
Dann kam Brentano! Wie mit Blutestropfen
Schrieb er sein Annerl in gewalt'gen Zügen!
Der wußt' es wohl, wie niedre Herzen klopfen,
Und wie so heiß des Volkes Pulse fliegen!
Der warf zuerst aus grauer Bücherwolke
Den prächt'gen Blitz: die Leidenschaft im Volke!
[31] Drauf Immermann! Das war westfälisch Leben!
Da sitzt die Lisbeth bei den Hofeseichen;
Von seinen Knechten aber steht umgeben
Der Patriarch, der Hofschulz sondergleichen;
Ein Fels von Mann, ein gold- und eisenhalt'ger!
Ein jüngrer Ebert Stiling – nur gewalt'ger!
Als fünfter nun gesellst du dich zu diesen,
Die treu geschildert einfach kräft'ge Sitten;
Aus deines Schwarzwalds tannendunkeln Wiesen
Mit seinen Kindern kommst du froh geschritten
Und setzest ein das Tuchwams und die Flechte
In ihre alten dichterischen Rechte!
Das ist ein Buch! Ich kann es dir nicht sagen,
Wie mich's gepackt hat recht in tiefer Seele;
Wie mir das Herz bei diesem Blatt geschlagen,
Und wie mir jenes zugeschnürt die Kehle;
Wie ich bei dem die Lippen hab' gebissen
Und wieder dann hellauf hab' lachen müssen!
Das alles aber ist dir nun gelungen,
Weil du dein Werk am Leben ließest reifen;
Was aus dem Leben frisch hervorgesprungen,
Wird wie das Leben selber auch ergreifen,
Und rechts und links mit Wonnen und mit Schmerzen
Sturmschritts erobern warme Menschenherzen!
So geht es dir, so ging es jenen vieren!
Wie schön ihr dasteht in geschloßner Reihe,
Für ein Jahrhundert den Beweis zu führen,
Daß immer jung bleibt deutsche Sitt' und Treue: –
Derb schaut mich an dasselbe Volksgesichte
Aus deinen Blättern, wie aus Jungs Geschichte!
An Neckar, Ruhr, in Bayern, Schweiz und Siegen,
Ob hundert Jahre sich durchs Land auch drängten,
Dasselbe Antlitz mit denselben Zügen!
Und überall noch, was sie auch verhängten:
Gedrücktsein, Armut, Kriegesnot und Trubeln –
Dasselbe Lachen, Weinen, Zürnen, Jubeln!
O, das erhebt! Wer mag ihn unterdrücken,
Den Kern im Volk, den ewig tücht'gen, derben?
So laß uns frisch denn auf und vorwärts blicken:
[32] Ein Keim wie der wird nimmermehr verderben!
Der fängt erst an, in Pracht sich zu entfalten –
Mag Gott die Hände segnend drüber halten!
In solcher Hoffnung biet' ich dir die Rechte!
Wär' ich der Schwarzwald, meine Wipfel ballt' ich
Und schüttelte der Äste Wucht und brächte
Ein Ständchen dir, wildrauschend und gewaltig!
Ich hoff', er tut's! Mag dir auf weitern Flügen
Indes mein Handschlag und dies Lied genügen!

St. Goar, November 1843.

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TextGrid Repository (2012). Freiligrath, Ferdinand. Gedichte. Ein Glaubensbekenntnis. 2.. Dorfgeschichten. Dorfgeschichten. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-B2D6-D