Berlin

Lied der »Amnestierten« im Auslande


Zum Völkerfest, auf das wir ziehn,
Zu dem die Freiheit ladet,
Wie wandelst herrlich du, Berlin!
Berlin, in Blut gebadet!
Du wandelst rußig und bestaubt
Einher in deinen Wunden!
Du wandelst hin, das bleiche Haupt
Mit Bannertuch verbunden!
Mit Tuch, von dem du jene Nacht
Geheiligt jeden Faden!
O, erste deutsche Fahnenwacht
Auf deutschen Barrikaden!
Du rissest es aus langer Schmach
Empor zu neuer Schöne!
In einer Nacht, auf einen Schlag
Rein wuschen's deine Söhne!
So helfe dir nun Gott, Tyrann!
Erstochen und erschossen!
Und abwärts durch die Straßen rann
Ihr Blut in allen Gossen!
Arbeiterblut, Studentenblut –
Wir knirschen mit den Zähnen,
Und in die Augen treibt die Wut
Uns seltne Männertränen!
[125]
Sie fochten dreizehn Stunden lang,
Die Erde hat gezittert!
Sie fochten ohne Sang und Klang,
Sie fochten stumm erbittert!
Da war kein Lied wie Ça ira! –
Nur Schrei und Ruf und Röcheln!
Sie standen ernst und schweigend da,
Im Blut bis zu den Knöcheln!
So schlaft denn wohl im kühlen Grund,
Schlaft ewig unvergessen!
Wir können euch den bleichen Mund,
Die starre Hand nicht pressen!
Wir können euch zu Ehr' und Zier
Mit Blumen nicht bewerfen –
Doch können wir und wollen wir
Die Schwerter für euch schärfen!
Denn einen Kampf, der so begann,
Soll kein Ermatten schänden!
Ihr strittet vor, ihr finget an:
So laßt denn uns vollenden!
Wir sind bereit, wir sind geschwind,
Wir treten in die Lücken!
Mit allen, die noch übrig sind,
Die Klinge woll'n wir zücken!
Denn heißen soll es nimmermehr:
Für nichts sind sie gestorben!
Für nichts, als was sie tags vorher
Ertrotzt schon und erworben!
Denn keiner sage je und je:
Sie waren brav im Schießen!
Doch fehlt' auch ihnen die Idee,
Da sie sich metzeln ließen!
Drumm sollen eure Leichen nicht
Den Strom der Freiheit stauen;
Den Strom, der seine Fesseln bricht
In diesem Märzestauen!
Drum sollen sie die Stufen sein,
Die Stufen grün von Zweigen,
Auf denen wir zum Dach hinein
Der freien Zukunft steigen!
[126]
Was Manifest noch, was Bescheid!
Was Bitten noch und Geben!
Was Amnestie und Preßfreiheit –
Tod gilt es oder Leben!
Wir rücken an in kalter Ruh',
Wir beißen die Patrone,
Wir sagen kurz: Wir oder du!
Volk heißt es oder Krone!
Daß Deutschland stark und einig sei,
Das ist auch unser Dürsten!
Doch einig wird es nur, wenn frei,
Und frei nur ohne Fürsten!
O Volk, ein einz'ger Tag verstrich –
Und schon von Vivats heiser?
Erst gestern ließ Er schlachten dich – –
Und heute deutscher Kaiser?!
Schmach! mit dem Blute wild verspritzt
Bei jenem freud'gen Sterben,
Mit dem jetzt möcht' Er sich verschmitzt
Den Kaiserpurpur färben!
Allein, daß das unmöglich sei,
Dafür noch stehn wir Wache,
Dafür bleibt unser Feldgeschrei:
Hie Republik und Rache!
Wir treten in die Reiseschuh',
Wir brechen auf schon heute!
Nun, heil'ge Freiheit, tröste du
Die Mütter und die Bräute!
Nun tröste Weib, nun tröste Kind,
Die Witwen und die Waisen –
Wie derer, die gefallen sind,
So unsre, will's das Eisen!

London, 25. März 1848.

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TextGrid Repository (2012). Freiligrath, Ferdinand. Gedichte. Neuere politische und soziale Gedichte. Erstes Heft. Berlin. Berlin. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-B38C-D