[130] Übertragungen

nach

Paul Verlaine

Still!

Tiefstiller dunkler Schlaf
sinkt über meinen Tag,
daß ich nichts hoffen mehr,
nichts fürchten mag!
Das ganze Leben ...
ich entsinne mich kaum,
war es froh, war es traurig?!
Alles wird Traum ...
Es ist eine Wiege,
von heimlicher Hand
leise geschaukelt
an Grabesrand!
Still! ... Still!

[131] Serenade

Als ob ein Toter im Grabe müd und wund
nach Leben riefe,
sucht mein Lied sich zu dir mit klagendem Mund
aus dunkler Tiefe.
Laß lauschen dein Ohr, deine Seele dem Klang
meiner Zither:
für dich, für dich nur gilt mein Gesang ...
so süß, so bitter.
Ich singe von goldlichter Augen Pracht
voll süßem Frohlocken,
von selig vergessendem Traum in der Nacht
schwarz wallender Locken.
Als ob ein Toter im Grabe müd und wund
nach Leben riefe,
sucht mein Lied sich zu dir mit klagendem Mund
aus dunkler Tiefe.
Und ich sing von der wonnigen Wundergestalt
deiner Glieder,
in schlaflosen Nächten voll Sehnsucht umwallt
ihr Duft mich wieder.
[132]
Und ich denke der Glut deiner Küsse dazu,
mich entseelend,
und der Lust, mit der du mich quältest, o du ...
mein Engel! mein Elend!
Laß lauschen dein Ohr, deine Seele dem Klang
meiner Zither:
für dich, für dich nur war, was ich sang ...
so süß, so bitter!

[133] Im Gefängnis

Der Himmel, drüben über dem Dach,
in tiefblauem Schweigen,
ein Baum, drüben über dem Dach,
mit wiegenden Zweigen.
In dem Himmel, den man sieht,
klingts wie von Glocken,
ein Vogel auf dem Baum, den man sieht,
singt sein Frohlocken.
Mein Gott, mein Gott, so friedlich und schön ...
das dort ist Leben!
in der Stadt drüben dieses frohe Getön
und Summen und Weben! ...
Und du, der du hier weinst,
durchs Gitter lugend,
was hast du gemacht, sag, der du hier weinst,
mit deiner Jugend!?

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Flaischlen, Cäsar. Übertragungen. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-B464-E