Letzter Gruß

Fahr wohl, fahr wohl! Du ziehst von hinnen,
Und all mein Glück zieht mit dir fort;
Doch sahst du keine Träne rinnen,
Und diese Lippe sprach kein Wort;
Fahr wohl, fahr wohl! Du ahnest nicht
Den Dorn, der mir ins Leben sticht.
Ach, als in meines Herbstes Trauer
Du tratest, Frühlingslicht ums Haupt,
Da ging durch diese Brust ein Schauer,
Die nie zu lieben mehr geglaubt;
Am Wunder, das an mir geschah,
Fühlt' ich, ein Engel war mir nah.
Und da du meinem Spiel dich neigtest,
Und forschend nach der Lieder Sinn
Die junge Seele ganz mir zeigtest
Und aller Himmel Tiefen drin:
O wie mir da die Träne quoll,
Und war doch höchster Freuden voll!
Mir war's, der Mond sei aufgegangen,
Mein dunkler Wandel ward voll Licht;
Ich träumte hin im schönen Prangen
Und dacht', ein Kind, der Zukunft nicht;
Fahr wohl! – In Wolken sinkt der Mond,
Und Nacht wird's. Doch ich bin's gewohnt.
Fahr wohl, Holdsel'ge, sei gesegnet,
Und sei gesegnet, wem du nahst;
Auch er, dem einst dein Herz begegnet,
Wann du mich längst vergessen hast –
Fahr wohl, fahr wohl! Was geht's dich an,
Daß ich dich nie vergessen kann?

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TextGrid Repository (2012). Geibel, Emanuel. Gedichte. Neue Gedichte. Vermischte Gedichte. Erstes Buch. Lübeck und Carolath. Letzter Gruß. Letzter Gruß. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-B676-3