16.

Es stand in meinem Hage
Ein Eichbaum kronenlos;
Von jähem Wetterschlage
Zerspalten war sein Schoß.
Ihn schmückten keine Blätter,
Kein Vöglein kam ihm nah,
Er stand in Sonn' und Wetter
Ein dunkler Riese da.
Und sah ich fern ihn ragen,
Geschah mir's wie ein Leid;
Ich schaut' in ihm zerschlagen
Die deutsche Herrlichkeit.
Doch als mit Braus gefahren
Der Frühling heuer kam,
Mocht' ich am Baum gewahren
Ein Zeichen wundersam.
Von neuer Kraft durchquollen
Urplötzlich trieb der Schaft,
Die knorr'gen Zweige schwollen
Getränkt von üppigem Saft;
[48]
Hervor brach unverdrossen
In tausend Knospen bald,
In tausend lichten Sprossen
Des Lebens Urgewalt.
Und wo noch jüngst vom Stamme
So kahl die Äste sahn,
Schien eine grüne Flamme
Zu spielen himmelan.
Und wie der Wind die Zungen
Der Flamme rauschend bog,
Und wie die Vögel sungen
Im dichten Laubgewog,
Da kam auf mich hernieder
Ein frischer Hoffnungstraum:
Getrost! So grünt auch wieder
Dereinst des Reiches Baum.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Geibel, Emanuel. Gedichte. Neue Gedichte. Lieder aus alter und neuer Zeit. 16. [Es stand in meinem Hage]. 16. [Es stand in meinem Hage]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-B77A-4