Wiedersehen

Ich schritt mit meinem schönen Kinde
Den Fluß hinab im Morgentau,
Das Schilfrohr wogte sacht im Winde,
Die Wasser glänzten still und blau.
Erst gestern war aus weiter Ferne
Ich heimgekehrt nach manchem Jahr,
Doch war mit mir gleich einem Sterne
Ihr Bild gezogen immerdar.
Und ob im Lande der Zypressen
Manch dunkles Auge mich gebannt;
Des blauen hatt' ich nie vergessen,
Das, als ich schied, in Tränen stand.
Und jetzt gedacht' ich's ihr zu sagen,
Wie lieb sie mir von Herzensgrund;
Allein ein nie gekanntes Zagen
Verschloß mir, wie ich ging, den Mund.
Auch sie ließ stumm das Köpfchen hangen,
Das sonst so munter umgeschaut;
Doch lag's wie Glut auf unsern Wangen,
Und unsre Herzen pochten laut.
Und als zum Lindenborn wir kamen,
Der unsrer Kindheit Spiel gekannt,
Nur leise nannt' ich ihren Namen
Und drückte fester ihre Hand.
Da überkam sie's: all mein Sehnen
War plötzlich wortlos ihr bewußt,
Und heiß beströmt von sel'gen Tränen
Barg sie das Haupt an meiner Brust.
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Der Frühling ließ Maiblumendüfte
Herüberwehn vom Waldeshang,
Und über uns im Blau der Lüfte
War nichts als Glanz und Lerchensang.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Geibel, Emanuel. Gedichte. Juniuslieder. Vermischte Gedichte. Wiedersehen [1]. Wiedersehen [1]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-BBF2-3