Lieder aus einem Singspiele: Der Rattenfänger von Bacharach

1. Lied des Rattenfängers

Ich kenn' eine Weise,
Und stimm' ich mein Rohr,
Da spitzen die Mäuse,
Die Ratten das Ohr;
[382]
Sie kommen gesprungen,
Als ging' es zum Fest,
Die alten, die jungen
Aus jeglichem Nest;
Aus Ritzen und Pfützen, aus Keller und Dach,
Da hüpft es und schlüpft es und wimmelt mir nach.
Und greif' ich mit Schalle
Den Triller dazu,
So scharen sich alle
Gehorsam im Nu.
Sie lüpfen, vom Zauber
Der Töne gepackt,
Die Schwänzelein sauber
Und springen im Takt.
Sie springen und schwingen sich hinter mir drein
Und munter hinunter zum strudelnden Rhein.
Und blas' ich dann tiefer
Die Fuge zum Schluß,
Da rennt das Geziefer
Wie toll in den Fluß;
Da rettet kein Schnaufen,
Kein Zappeln sie mehr,
Sie müssen ersaufen
Wie Pharaos Heer;
Die Welle verschlingt sie mit Saus und mit Braus,
Dann schwing' ich den Hut, und das Elend ist aus.

2. Hedwigs Lied

Mein Falk hat sich verflogen,
Verflogen über Feld;
Mein Schatz ist fortgezogen
In die weite, weite Welt.
Nun geht das dritte Jahr dahin,
Daß ich in Sorgen harr' auf ihn
Und frohtun muß mit Schmerzen
Im Herzen.
[383]
Ach, Liebster, weh tut Scheiden
Ins fremde Land hinaus,
Doch bittrer ist das Meiden
Daheim im öden Haus.
Von früh bis spät den ganzen Tag
Denk' ich, wie dir's ergehen mag,
Und sitze nachts alleine
Und weine.
Der Frühling kommt gegangen,
Kaum seh' ich's, wie er blüht;
In Bangen und Verlangen
Verzehrt sich mein Gemüt.
O komm und bringe Trost und Glück
Und bring' mir meine Ruh' zurück!
Der Frühling kommt zum Walde –
Komm balde!

3. Lockruf

Ihr Jungfraun, ihr süßen,
Nun schürzet euch sacht,
Den Frühling zu grüßen
In wonniger Nacht.
Hört ihr ihn ziehn in den Lüften?
Melodisch leis
Den Zauberkreis
Webt er aus Tönen und Düften.
Schlummerlos rinnt
Des Brunnens Geschwätz,
Der Vollmond spinnt
Sein silbernes Netz,
Die Nachtigall singt in den Zweigen.
Ihr Lockruf schallt:
»In den Wald! In den Wald!
In den blühenden Wald zum Reigen!«
[384]
In Sehnsuchtsträumen,
Im dumpfen Haus
Was wollt ihr säumen?
Hinaus! Hinaus
In des Mais hochzeitliche Feier!
Wo die Blumen sich sacht
Auftun in der Nacht,
Lüftet die Liebe den Schleier.

4. Schlußchor

Nun bringt mit Schall das volle Faß
Hervor aus Kellerstiefen
Und laßt ins grüne Römerglas
Sein flüssig Feuer triefen!
Wir haben Tag' und Monde lang
In dürrer Pein gelegen;
Willkommen denn im Überschwang,
Willkommen, goldner Segen!
Wein! Wein! Wein!
Du Tröster ohnegleichen,
Du tust dich kund an Herz und Mund
Mit Wundern und mit Zeichen.
Die Fledermaus, die unsern Sinn
Geschreckt mit bösen Träumen,
Die schwarze Sorge fährt dahin,
Sobald die Becher schäumen.
Der Baum des Lebens blüht und laubt
Von frischem Saft durchdrungen,
Und wer noch jüngst sich stumm geglaubt,
Der jauchzt in hellen Zungen.
Wein! Wein! Wein!
Du Tröster ohnegleichen,
Du tust dich kund an Herz und Mund
Mit Wundern und mit Zeichen.
[385]
Wir führten heut mit Jubellaut
Ein treues Paar zusammen;
Wie Maienrosen glüht die Braut,
Des Jünglings Blick wie Flammen.
Doch selbst Frau Minne tritt zurück
Vor deinem Freudenschwalle;
Für Zwei nur ist der Liebe Glück,
Das Trinken ist für alle.
Wein! Wein! Wein!
Du Tröster ohnegleichen,
Du tust dich kund an Herz und Mund
Mit Wundern und mit Zeichen!

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TextGrid Repository (2012). Geibel, Emanuel. Lieder aus einem Singspiele: Der Rattenfänger von Bacharach. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-BFC3-2