10.

Ich bin die Rose auf der Au,
Die still in Düften leuchtet;
Doch du, o Liebe, bist der Tau,
Der nährend sie befeuchtet.
Ich bin der dunkle Edelstein,
Aus tiefem Schacht gewühlet:
Du aber bist der Sonnenschein,
Darin er Farben spielet.
Ich bin der Becher von Kristall,
Aus dem der König trinket;
Du bist des Weines süßer Schwall,
Der purpurn ihn durchblinket.
Ich bin die trübe Wolkenwand,
Am Himmel aufgezogen;
Doch du bist klar auf mich gespannt
Als bunter Regenbogen.
[38]
Ich bin der Memnon stumm und tot,
Von Wüstennacht bedecket;
Du hast den Klang als Morgenrot
In meiner Brust erwecket.
Ich bin der Mensch, der vielbewegt
Durchirrt das Tal der Mängel;
Du aber bist's, die stark mich trägt,
Ein lichter Gottesengel.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Geibel, Emanuel. 10. [Ich bin die Rose auf der Au]. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-C21E-0