Der Tartarfürst

Ein Tartarfürst, von dem man in Geschichten preist,
Daß er als Prinz Europa durchgereist,
Befahl, weil er sein Volk galanter machen wollte,
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Daß kein vornehmes Weib ihr Kind selbst stillen sollte.
Die wilden Damen lachten nur;
Sie nährten nach wie vor ihr Kind mit ihren Brüsten
Und glaubten, daß sie der Natur
Und ihren Müttern folgen müßten.
Der Chan fing an, sich zu entrüsten,
Gab ein sehr scharf Mandat und schwur,
Daß jede Frau vom Stande sterben sollte,
Die für ihr Kind nicht Ammen halten wollte.
Und weil sie sich gezwungen sahn:
So nahmen sie denn Ammen an.
Allein sie konnten sich des Triebs nicht lang erwehren,
Ihr eigen Blut an ihrer Brust zu nähren
Die meisten fingen an, dem Chan den Tod zu schwören.
Einst als der Tartarfürst sich ganz allein befand,
Kam mit dem Degen in der Hand
Ein vornehm Weib auf ihn gerannt
Und sprach, von edlem Grimm entbrannt:
»Hör' auf, mein Kind mir abzudringen,
Sonst bin ich hier, dich umzubringen.
Ich säug' es selbst, und säug' es mir zur Lust,
Deswegen hab' ich diese Brust.
In dieser Pflicht, mein Kind daran zu nehmen,
Soll mich, o Fürst, kein Tier beschämen.«
Der gute Tartarfürst erschrak,
Und unterließ, um nicht sein Leben zu verlieren,
Den europäischen Geschmack
In seinen Horden einzuführen.

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TextGrid Repository (2012). Gellert, Christian Fürchtegott. Fabeln und Erzählungen. Fabeln und Erzählungen. Zweites Buch. Der Tartarfürst. Der Tartarfürst. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-C438-D