DER MENSCH UND DER DRUD

[71]
Der Mensch
Das enge bachbett sperrt ein wasserfall –
Doch wer hängt das behaarte bein herab
Von dieses felsens träufelnd fettem moos?
Aus buschig krausem kopfe lugt ein horn ..
So weit ich schon in waldgebirgen jagte
Traf ich doch seinesgleichen nie ... Bleib still
Der weg ist dir verlegt · verbirg auch nichts!
Aus klarer welle schaut ein ziegenfuss.
Der Drud
Nicht dich noch mich wird freun dass du mich fandst.
[72] Der Mensch
Ich wusste wol von dir verwandtem volk
Aus vorzeitlicher märe – nicht dass heut
So nutzlos hässlich ungetüm noch lebt.
Der Drud
Wenn du den lezten meiner art vertriebst
Spähst du vergeblich aus nach edlem wild
Dir bleibt als beute nager und gewürm
Und wenn ins lezte dickicht du gebrochen
Vertrocknet bald dein nötigstes: der quell.
Der Mensch
Du ein weit niedrer lehrst mich? Unser geist
Hat hyder riese drache greif erlegt
Den unfruchtbaren hochwald ausgerodet
Wo sümpfe standen wogt das ährenfeld
Im saftigen grün äst unser zahmes rind
Gehöfte städte blühn und helle gärten
Und forst ist noch genug für hirsch und reh –
Die schätze hoben wir von see und grund
Zum himmel rufen steine unsre siege ..
Was willst du überbleibsel grauser wildnis?
Das licht die ordnung folgen unsrer spur.
[73] Der Drud
Du bist nur mensch .. wo deine weisheit endet
Beginnt die unsre · du merkst erst den rand
Wo du gebüsst hast für den übertritt.
Wenn dein getreide reift dein vieh gedeiht
Die heiligen bäume öl und trauben geben
Wähnst du dies käme nur durch deine list.
Die erden die in dumpfer urnacht atmen
Verwesen nimmer · sind sie je gefügt
Zergehn sie wenn ein glied dem ring entfällt.
Zur rechten weile ist dein walten gut ·
Nun eil zurück! du hast den Drud gesehn.
Dein schlimmstes weisst du selbst nicht: wenn dein sinn
Der vieles kann in wolken sich verfängt
Das band zerrissen hat mit tier und scholle –
Ekel und lust getrieb und einerlei
Und staub und strahl und sterben und entstehn
Nicht mehr im gang der dinge fassen kann.
Der Mensch
Wer sagt dir so? dies sei der götter sorge.
Der Drud
Wir reden nie von ihnen · doch ihr toren
Meint dass sie selbst euch helfen. Unvermittelt
[74]
Sind sie euch nie genaht. Du wirst du stirbst –
Wess wahr geschöpf du bist erfährst du nie.
Der Mensch
Bald ist kein raum mehr für dein zuchtlos spiel.
Der Drud
Bald rufst du drinnen den du draussen schmähst.
Der Mensch
Du giftiger unhold mit dem schiefen mund
Trotz deiner missgestalt bist du der unsren
Zu nah · sonst träfe jezt dich mein geschoss ..
Der Drud
Das tier kennt nicht die scham der mensch nicht dank.
Mit allen künsten lernt ihr nie was euch
Am meisten frommt .. wir aber dienen still.
So hör nur dies: uns tilgend tilgt ihr euch.
Wo unsre zotte streift nur da kommt milch
Wo unser huf nicht hintritt wächst kein halm.
Wär nur dein geist am werk gewesen: längst
Wär euer schlag zerstört und all sein tun
Wär euer holz verdorrt und saatfeld brach ..
Nur durch den zauber bleibt das leben wach.
[75][77]

License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). George, Stefan. Der Mensch und der Drud. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-CBF9-5