PRINZ INDRA

[83]

DIE HEIMKEHR

Nach den toren von Golkonda
Geht ein buntbewegter zug ·
Aufgeschmückt im festeskleide
Wie zum hoffnungsfrohen streite
Führen ihn des Rajahs krieger
Und wie siegesmelodien
Klingts aus pauken und aus flöten
Aus fanfaren und drommeten.
In der mitte thront erhaben
Überm dichten volksgewühl
Zwischen schützenden trabanten
Auf dem weissen elefanten
Er der herrscher von Golkonda
In dem fürstlichen ornat ·
Eine reihe langer jahre
Bleichte seine lockenhaare
[84]
Und das diadem der väter
Ruht ihm würdig auf dem haupt.
Neben thront zu seiner linken
Hehr ein jüngling: freudig blinken
Seine dunklen träumeraugen
Und in vollem jugendglanz
Glühen ihm die schönen wangen
Und der mund noch unbefangen.
Als der sohn des greisenalters
War prinz Indra ganz allein
Aus dem frohen kreis der sieben
Dem beherrscher nur geblieben.
Heute kehrte er zur heimat
Aus dem heiligen büsserwald
Wo er schon seit frühster jugend
Sich geübt in jeder tugend
An der hand des frommen siedlers
Dem der vater ihn vertraut.
Früh riss ihn die alte sitte
Schon aus des palastes mitte
[85]
Ihn ins niedre haus zu senden
Zu dem weisen heiligen mann ·
Dieser lehrt ihn gutes stiften
Und der Veden alte schriften
Zu verstehn und zu ergründen ·
Macht mit allem ihn vertraut
Was von not war zu erwerben
Für den künftigen throneserben.
In des jünglings hellem sinne
Trug der same reiche frucht.
Der gedanken ruhnde geister
Weckte früh der kluge meister
Und dem prinzen wurden manche
Dinge zeitig offenbar ...
Da ward er zurückgerufen
Zu des höchsten thrones stufen
Von dem Rajah dem allmählich
Lästig ward der krone druck.
Von dem frieden jenes waldes
Des so süssen aufenthaltes
[86]
Von dem teuern lehrer musste
Er sich trennen immerdar.
Schmerzlich traf ihn erst die kunde
Bitter war die abschiedstunde
Wogte ihm auch hoffnungsfreudig
Tatenstolz die junge brust
Die nur glanz und glück und ehren
Sich vom schicksal lässt bescheren.
Von des heiligen waldes grenze
Führt in festlich grossem zug
Selbst der vater und gebieter
Seinen einzigen sprossen wieder
Zu dem heimatlichen hause
Zu dem fürstlichen palast ·
Und das festliche geleite
Auf dem thron an vaters seite
Sollte ehrend ihn erklären
Zu dem künftigen landesherrn.
Freudig blickt er auf die menge
Und das farbige gedränge
[87]
An den vater angelehnet ·
Wie ein frischgepflückter strauss
Bunter blumen anzuschauen
Neben einem gelblich grauen
Reifen ährenbüschel. Glücklich
Blickt der vater auf den sohn
Der so herrlich sich gestaltet
Und der greis die hände faltet.
Lauter mischt des volkes jauchzen
Hörner und drommetenklang
Sich zu Einem jubelchore
Und der zug geht durch die tore.

DER FALL

Eine reihe froher feste
Alle tage neue lust!
In den fürstlichen palästen
Wimmelt es von frohen gästen.
[88]
Glücklich im gewühl der freude
Glücklich in der welt der pracht
Flossen jene zeitenräume
Für den prinzen hin wie träume.
In dem weiten blumengarten
Wandelt abendlich der prinz
In dem hauch der kühlen lüfte
In dem reich der süssen düfte.
In der dunklen rosenlaube
Sank er sinnend auf das moos
Denkt bald an die heutigen freuden
Bald vergangner schöner zeiten.
Schön wars in dem dichten walde
In der einsamen natur
Doch ein tor der nicht empfände
Hier die freuden ohne ende
Alles ist so schön und prächtig
Alle sind so glücklich hier
Und des eremiten lehren
Kann ich halb mir nur erklären
[89]
Niemals werd ich recht begreifen
Jenen höchsten segenswunsch
Aus des weisen mannes munde:
Einen freund zur rechten stunde
Möge Gott dich finden lassen –
Als ob alle menschen hier
Mir nicht treue freunde wären
Die mir raten · mich belehren ...
Plötzlich riss ihn aus dem sinnen
Leiser lieblicher gesang
An dem einsam stillen orte ·
Staunend blickt er durch die pforte
Dort wo der fontäne strahlen
Aus dem gras im mondenschein
Silbern auf und nieder springen
Schien die stimme ihm zu dringen.
Er trat näher und – o wunder!
Zwischen blumenbeeten ruht
Eine wasserfee verlangend
Und in allen reizen prangend
[90]
Spielend mit den langen haaren
Singt sie dort ihr himmlisch lied
Die natur rings zu beglücken
Und den wandrer zu berücken.
Nein · es ist ein kind der erde ·
Apsara die herrliche!
Die in des palastes hallen
Als die schönste galt von allen.
Sie entflammt in heissen gluten
Zu dem schönen Königsohn
Suchte oft ihn zu bestricken
Mit der liebe feuerblicken.
Noch nicht drangen ihre pfeile
In des prinzen kindesherz ·
Und es konnt ihr nicht gelingen
In ihr netz ihn einzuschlingen.
Wusste sie dass in dem garten
Abends sich der prinz erging?
Will mit ihren melodieen
Lockend sie ihn zu sich ziehen?
[91]
Stürmisch pocht des jünglings busen –
Winkt nicht ihre weisse hand
Aus den dichten blumenbeeten?
Soll er ihr nicht nähertreten?
Soll er eilig sich entfernen?
Wild durchrasen seinen sinn
Tugendlehre und ermahnung
Und der nahen sünde ahnung.
Ach so schwer ist klar zu denken
Für die jugendliche brust
Wenn so süsse düfte wehen
Wenn so süsse lippen flehen ..
Dieses ist das los der jugend:
Wer in heitrem glücke schwelgt
Ist zur hälfte schon gefallen
Wäre er auch gut vor allen.
Und zu spät ist es zu streiten
Im moment der leidenschaft.
Müsste auch sogleich er sterben
Toll rennt er in sein verderben.

[92] DIE FOLGEN

Bitter ist der rausch der freude
Bitter der geschmack der lust.
Auf des schlosses hohen zinnen
Lag der prinz in tiefem sinnen ·
Vor dem blauen reinen himmel
Mit der sterne gold besät
Schien er seinen blick zu senken
Und an seine schuld zu denken.
Unablässig quält und drückt ihn
Das bewusstsein seiner schuld
Und nachdem die frucht genossen
Wurde alles ihm erschlossen
Was vor kurzem ihm gewesen
Dunkel noch zu seinem glück
Und es trat jezt klar zu tage
Wurde ihm zu qual und plage.
[93]
– Hier bin ich · erklärt der büsser
Und der Veden heilig wort ·
Um das rechte zu vollbringen
Um das ewige zu erringen.
Nichtig ist der menschen streben
Tödlich ist ihr ganzes sein
Eines nur ist kluges handeln:
Arm und fromm vor Gott zu wandeln. –
Ja und ich muss mich entschliessen
Wenn ich rettung finden soll
Weg zu ziehn aus diesen räumen
Diesem boden ohne säumen.
Ruhelos den prinzen jagen
Durch des hauses weite räume
Seines herzens heftig streiten
Neuer fehler neue leiden.
Ach wo bleiben deine lehren
Teurer meister fromm und klug
Ach wo bleiben heilige schwüre?
Wenn er alles jezt erführe!..
[94]
Und es merkt der alte vater
Jene wandlung voller gram
Wie des sohnes wangen blichen ·
Glück und friede von ihm wichen.
Erst sah er mit tiefem schweigen ·
Dann beschloss er eines tags
Ganz allein zu thrones stufen
Den geliebten sohn zu rufen.
– Lange hab ich schon gesehen
Ist mein aug auch trüb und matt
Wie die ruhe dir geschieden
Wie du rastlos unzufrieden
Durch des hauses räume irrest
Wie du traurig immer sinnst ·
Bietet sich dir zum genusse
Alles nicht im überflusse?
Wird nicht alles was du wünschest
Eilig und genau erfüllt? –
Was soll ihm der prinz erwidern?
So kann er sich nicht erniedern
[95]
Seinem vater und gebieter
Seine fehle zu gestehn.
Und nicht durfte er es wagen
Seinen plan ihm vorzutragen.
Stumm senkt er den blick zur erde
Und der Rajah sprach darauf:
Nun so muss ich schliesslich wähnen
Dass von überstolzen plänen
Deine sinne sind gefangen ·
Dass ich dir das diadem
Lang genug und zu lang trage
Nicht für dich dem thron entsage.
Ist es so: so gib nur wieder
Dich zufrieden · guter sohn!
Denn des alten vaters glieder
Legt man bald zur grube nieder. –
Also sprach der Rajah traurig
Und mit einem leisen schrei
Stürzt der prinz zu vaters füssen.
Jäh und bitter war das büssen.

[96] DER RETTER

Zu des heiligen stromes wassern
Zog es oft den prinzen hin
Um mit ihrem wellenrauschen
Seine seufzer auszutauschen
Um der quälenden gedanken
Schreckgebilden zu entfliehn.
Wenn die abendlichen schatten
Ein erkennen schwer gestatten
Schlüpft aus dem palaste heimlich
Er in unscheinbarer tracht.
Aus des palmenhaines mitte
Blickte eine kleine hütte
Vor der hütte sass ein jüngling
Schön wenn auch in armem kleid
Der zu einer leier singen
Seine stimme liess erklingen.
[97]
Manchmal wenn die bergeswinde
Sich besänftigt und gelegt
Sass ein greis an seiner seite
Der mit stolzer vaterfreude
An des sohnes kunst sich labte.
Niemals schien ein schönres bild
Vor dem prinzen sich zu dehnen –
Ein gewaltig heisses sehnen
Zog ihn hin zu jenem jüngling
Der so schön war und so froh.
Lauschend stand er in der ferne
Und er hätte sich so gerne
Ihm genähert · ihn gesprochen
Wenn die scheu nicht und der greis
Und die angst ihn abgehalten
Dass auf seiner stirne falten
Seine sünden sein geschrieben ·
Dass das reine edle aug
Ihn sogleich erkennen liesse
Und voll abscheu von sich stiesse.
[98]
Heute war der Alte ferne ·
Er trat näher in den kreis
Um von palmen noch verborgen
Weiter der musik zu horchen.
Aber kaum bemerkt der jüngling
Ihn den fremden suchend bang
Nach der hütte sich bewegen
Als er schnell ihm trat entgegen
Ganz heran ans haus ihn führte
Bei der hand und sanften tons
Ihn nach seinem wunsche fragend ·
Und der prinz versezte zagend:
Öfter ging ich hier vorüber
Und vernahm dein schönes lied
Und mein einziges begehren
Ist dir stille zuzuhören ..
»Kann ergötzen und erheitern
Ich mit meiner schwachen kunst:
Lass dich mir zur seite nieder
Und vernimm die armen lieder.«
[99]
Aufmerksam und voller andacht
Lauscht prinz Indra der musik
Und des angesichts erregung
Zeugt die innere bewegung.
Und am ende dringt ihm schmerzlich
Aus der vollen brust das wort:
Ach du musst wol recht hienieden
Glücklich leben und zufrieden ...
»Ja der himmel sei gepriesen ·
Ich bin heiter und gesund
Alles nötige zum leben
Wird die vorsicht stets uns geben.
Nach des tages strenger arbeit
Ist es mir das grosse glück
An des teuren vaters seiten
Meine stimme zu begleiten
Mit dem klang der leier oder
Aus der grossen dichter wort
Alter zeiten art und wesen
Hoher helden tun zu lesen.
[100]
Aber · fragt darauf der jüngling
Forschend und doch teilnahmsvoll ·
Mir schien dass du lebst im glücke ·
Was sind deine missgeschicke?«
Seine stimme klang so herzlich
Und sein auge war so gut
Dass der prinz ihn voll vertrauen
In sein tiefstes herz liess schauen ·
Eines nur hielt er ihm heimlich
Dass des Rajah sohn er sei ·
Er erzählt mit heissen tränen ·
Nichts vergass er zu erwähnen
Auch den heiligen entschluss nicht
In der büsser wald zu ziehn ·
Dass der vater gar nichts ahne
Von dem tiefgefassten plane
Dass den greis zu sicherm tode
Brächte die verwirklichung.
Das bekenntnis war zu ende
Bittend hob der prinz die hände.
[101]
Jenes jünglings tiefe einsicht
Fasste der erzählung kern ·
Mit herzinnigem erbarmen
Hielt er fest in seinen armen
Seinen neuerworbenen freund.
Er erklärt ihm ernst und mild:
Deine seele kannst du retten
Aus des feindes schlimmen ketten
Wenn du nur mit starkem willen
Seiner lockung widerstrebst.
Doch dein sinn scheint nicht geschaffen
Aus der welt ihn zu entraffen
Und zum büsserwald zu schicken –
So erreichst du nicht dein glück.
Wahre arbeit musst du finden
Geist und leib musst du verbinden
Um sie auf dein werk zu lenken
Und vom bösen abzuziehn.
Bist du reich an erdengütern
Sorge dass du deinen brüdern
[102]
Auch sie angedeihen lässest ·
Suche hier die armut auf
Deinen segen auszuschütten
Selber in der dürftigen hütten.
Suche arbeit suche wirken
So wirst du mit leichter müh
Wieder glück und frieden finden
Und den dämon überwinden.
Jezt lebwol! wir müssen scheiden
Leider für nicht kurze frist
Denn geschäfte mancher weise
Zwingen mich zu weitrer reise.
Bei des zehnten monds erscheinen
Triffst du wieder mich am ort.
Deinen namen wirst du nennen
Und kein los mehr soll uns trennen.

[103] DIE RETTUNG

Neue lust und neues leben
Wurden in dem prinzen wach
Musste auch das lange scheiden
Von dem freund ihm schmerz bereiten.
Dessen würdig sich zu machen
War sein eifrigstes bemühn
Und an seine kurzen lehren
Aufs genauste sich zu kehren.
Weite uferbauten lagen
Einst begonnen von dem ahn
Zu des ganzen volks bedauern
Stets noch in den ersten mauern.
Junge kräfte waren nötig
Und zum wagnis frischer geist
Um mit vielen tätigen händen
Dieses bauwerk zu vollenden.
[104]
Dies nun ward des prinzen vorsatz:
In geschäftiger eile liess
Er vor seines thrones stufen
Künstler viel und werker rufen ·
Unterredete mit ihnen
Gab auch selber rat und plan ...
Bald verschwand das schlimme wanken
Und die quälenden gedanken.
Der Apsara wüstem locken
Leistete er widerstand.
Was unmöglich ihm geschienen
War jezt leicht ihm zu verdienen.
Und was einst ihn im genusse
Und was ihn nach seinem fall
Mit des zweifels nacht umzogen
War wie leicht gewölk verflogen.
Klar ward ihm jezt was die Veda
Von der menschen streben sagt:
Jeder zu erreichen suchend
SEINES standes höchste tugend
[105]
Ihren vollen sinn erfasse ·
Jezt ward ihm erst offenbar
Jener spruch aus büssers munde
Mit dem freund zur rechten stunde.
Als der zehnte mond gekommen
Eilt der prinz zum palmenwald
Dass er den Ersehnten finde
Seinen heissen dank ihm künde.
Der war eben heimgekehret
Und erstaunte nicht gering
Wie ein fürstliches geleite
Hier nach seiner hütte schreite.
Eilig trat er vor die türe
Blickte aus und ganz bestürzt
Sank er zu des prinzen füssen
Um ihn ehrfurchtsvoll zu grüssen.
Doch der hob ihn auf vom boden
Drückte ihn an seine brust:
Der du halfst mein glück begründen
Willst die freundschaft auf nun künden
[106]
Dem erfreuten · dem entzückten
Die dem armen du gelobt!
Heissen dank muss ich dir bringen
Denn du liessest mir gelingen
Was mir unerreichbar deuchte
Du mit deiner guten lehr!
Komm mein retter · mein berater ·
Eilen wir zu meinem vater
Er soll freudig dich umarmen
Seinen zweiten teuren sohn
Der den ersten · schon verloren ·
Neu belebt und neu geboren.
Komm und schaue meine werke
Schau mich ganz in meinem glück!
Steh du immer mir zu seiten
Als ein freund für alle zeiten ·
Und du hoher geist der welten
Helfer mir durch diesen freund
Lenk uns stets auf rechten wegen
Und verleih uns deinen segen.

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