AUS: LIEDER UND BALLADEN
WIDMUNG

Das meer gibt die muscheln der düne ·
Das land gibt die wasser dem meer –
Viele sinds · doch ich gebe kühne
Gesänge als erstlinge her ·
Der wind nehme grünblatt und weissblatt ·
Ohne früchte geschleuderte schar ·
Nehme weinblatt und rosblatt und geissblatt
Losflatternd vom haar.
Die nacht weht sie um mich in herden ·
Der tag treibt wie träume sie her.
Die zeit streut wie schnee sie auf erden
Und jagt sie in endloses meer.
Bleiche blätter fruchtlos getötet
Von flüchtigen jahren bedeckt ·
Die mit wein die mit blut angerötet
Die von tränen befleckt –
[27] Die im staub mancher jahre verwittert
Die dem kind auf die hand sich gesezt ·
In stillgrünen plätzen vergittert
Gepflückt unter menschen erst jezt –
Auf meeren voll wundern · in schluchten ·
An nördliche felsen gestreift ·
In inseln wo myrten nicht fruchten
Und liebe nicht reift.
Ihr töchter von träumen und märchen
Die das leben noch immer nicht bannt:
Faustina Dolores und Klärchen
Julia und Amaranth!
Werd ich ewig euch suchen müssen
Wenn der schlaf · sei er wahr · sei er schaum ·
Zu mir kommt euch vergeblich zu küssen –
Ihr töchter vom traum?
Sie entwichen wie schlaf · wie auf gräsern
Der tau alter dämmrungen weicht ·
So schwach wie ein schatten auf gläsern ·
Wie ein lied wie ein windzug so leicht.
Nach der ebbe wie seewärts die wogen
Erfüllt mit der finsternis fliehn:
So die singvögel · die mich umflogen
Dem blick sich entziehn.
[28]
Toter jahre gesänge die jagen
Auf vernehmlicher worte flug ·
Lose blätter vom strandwind verschlagen ·
Unbändiger vögel zug.
Schon zur schulzeit mir manche gefielen
Die leicht so in ton wie in schwung –
Die jüngsten sind brüder von spielen ·
Die spätsten sind jung.
Ist ein schutz während langsam es schwindet ·
Ist ein ohr für ein fliehendes lied
Wie ein mann es zum harfenklang findet ·
Wie knaben es pfeifen im ried?
Ist ein platz in der welt die ihr gründet ·
Ist ein raum in dem land eurer pracht ·
Wo nicht wechsel mit schmerz sich verbündet
Und tag nicht mit nacht?
Ob vom seewind ihr flügel auch zittert ·
Habt ihr nicht einen raum für sie hier
Von grünenden flüssen umgittert
In lieblicher lüfte revier?
In feldern in turmigen mauern
Schutz bei regen und glühendem schein
Schönen wünschen und mildem bedauern
Und liebe ganz rein?
[29]
Im lichtland von märchen und farben –
Die stunden drehn schattenlos um –
Wo das feld voller prächtiger garben
Und tönender blumen gesumm ·
Im wald wo der lenz halb verdüstert
Sein sehnend errötend gesicht ·
Beim quell der für liebende flüstert:
Empfangt ihr sie nicht?
Der sorge singvögel die gurren
Ihr lied wie zum feuer der dunst ·
Der wünsche sturmvögel die murren
Laut-flatternd im winde der brunst ·
In dem windlauf – legt sich sein wüten –
Zu der see fern vom lichte gebraust ·
Geschüttelt im dunkel wie blüten
Nacheinander zerzaust.
Ist die welt eurer hand auch an duft reich
Und lieblicher hehrer erfüllt ·
Süss durch kunst mit dem warm-weichen luft-reich
Ihrer schwebenden schwingen umhüllt:
Lasst sie ein · unbeschwingte · verblasste ·
Alter liebe zu lieb – altem tag
Und empfangt in dem bilder-palaste
Dies reime-gelag.
[30]
Ob die menschliche zeit voll verzichten
Die jahre der jugend auch leert ·
Widersteht doch ein ding dem vernichten:
Nie hat wechsel die treue versehrt.
Hoffnung stirbt und ihr tod lässt uns wissen ·
Ihr glück wie ihr leiden entschwand ·
Eh die zeit – allzerreissend – zerrissen
Um freunde das band.
Vergehn auch in ein licht die vielen:
Ist vom himmel zu hoffen erlaubt –
Wenn vor wolken die strahlen auch fielen ·
Ist die welt auch der sonne beraubt:
Sie hat mond und hat schlaf zum bescheide ·
Sinkt bräutlich und frisch – eine fee –
Mit sternen und seewind im kleide
Die nacht auf die see.

[31] FRAGOLETTA

Wie · Liebe · soll man dich verstehn?
Der freude sohn gezeugt durchs leid!
Willst du gesichtlos sehn?
Willst du geschlechtlos gehn
Als knab oder maid?
Von lippen seltsam träumt ich da ·
Von wangen wo zweideutig blut
Gleich einer rose sah ·
Gleich einer rose – ja –
Die knospend ruht.
Welch land erzog dich? welches moos
Verbarg dich blume wundersam?
O liebes-doppelros –
Lockst tauben mit gekos
Zu blum und stamm!
[32]
Ich mag nicht küssen dass mein mund
Nicht härter als ein hauch dir droht ·
Dein süsses leben wund ·
Dein süsses laub zu grund
Fällt blutig tot.
Zeig deinen hals wie glanz der firnen
Und deiner lippen taubenpaar!
Sag: Venus hat nicht dirnen
Nicht frauenlockenstirnen
In ihrer schar.
Süss flache brust · haupt dichtgehaart ·
Sanft grade hüfte · schlanker fuss ·
Jungfräulich fremde art –
Sind sie nicht allzu zart
Zum liebesgruss?
Wie grüsst man dich? welch neuer nam –
Der alle rührte – rührt dich weib ·
Dich taub für liebe und scham ·
Die Liebes-schwester kam
Aus gleichem leib?
[33]
O lieb · des mädchens mund ist kalt
Und einfach rot ihr busen spriesst ·
Ihr haar ist gold und smalt
Das immer gleicherfalt
Ihr haupt umschliesst.
Doch ist dein mund voll feuers und weins –
Ich küsse deine brache brust ...
So lehnt mein herz an deins ·
So lehnt dein haupt an meins
Zu meiner lust!
Die schlange sizt in deinem haar ·
In aller locken welle und strich
Und deines busens blume gar!
Dein mund zu hold fürwahr
Für kuss und stich ...
Mein arm umhüllt dein antlitz gut ·
Mein mund brennt auf dir wie ein strahl ·
Und wo mein kuss geruht
Springt blumengleich dein blut
Zum kusses-mal.
[34]
Gift das in solcher süsse schleicht!
O sterbensmüder taubengruss!
Ihr flügel ist zu leicht
Und dem des panthers gleicht
Der liebe fuss.

[35] SAPPHISCHE STROFEN

All die nacht durch traf nicht der schlaf mein auglid ·
Goss nicht tau · entfaltete keine feder ·
Schloss die lippen fest und metallnen auges
Stand er und sah mich.
Mir dem wach daliegenden kam ein traumbild
Ohne schlummer über das meer · mich rührend ·
Rührte sanft mir lippe und lid und ich dann ·
Voll von dem traumbild ·
Sah wie weiss unsöhnbar die Aphrodite
Losen haares ohne sandal am fusse
Schien mit glut von westlichen meeressonnen ·
Sah den gesträubten
[36]
Fuss · die straffen federn des taubenzuges ·
Schauend immer · schauend den hals gewendet
Rück nach Lesbos · rück zum gebirg worunter
Schien Mitylene ·
Hörte hinter ihr der eroten fliehen
Auf den wassern plötzliche donner machend
Wie der donner fährt von den stark entspannten
Schwingen des sturmwinds.
So verliess die göttin ihr heim mit furchtbarm
Schall von tritt und donner von schwingen um sie ·
Während rückwärts singender fraun gelärme
Drangen durchs zwielicht.
O des sangs · der seligkeit · o der gierde!
Die eroten lauschten in tränen · angst-siech
Standen die neun musen gekrönt um Phöbus ·
Furcht lag auf ihnen ·
Da die zehnte sang: ihnen fremde wunder.
O die zehnte Lesbische! alle schwiegen ·
Keine trug den schall dieses lieds vor weinen ·
Lorbeer auf lorbeer
[37]
Dorrten alle kränze · doch ihr ums haupt her
Rings um ihre flechten und aschnen schläfen
Weiss wie grabschnee · bleicher als gras im sommer ·
Küsse-verwüstet ·
Schien ein licht von feuer als ewge krone ·
Ja fast die unsöhnbare Aphrodite
Hielt und weinte fast · so ein sang war der sang.
Ja auch bei namen
Rief sie: zu mir wende dich · meine Sappho!
Doch sie · abgewandt den eroten · sah nicht
Tränen statt gelächter der göttin auge
Trüben · vernahm nicht
Schreckhaft stosshaft schwingen der taubenflügel ·
Sah nicht · dass der busen der Aphrodite
Weinend bebte · sah nicht ihr bebend kleid · ihr
Ringen der hände ·
Sah die Lesbier über zerschlagne lauten
Küssend · lippen süsser als lautenstränge ·
Mund auf mund und hand zwischen hand der trauten ·
Schöner als männer ·
[38]
Sah allein die lippen und schönen finger ·
Voll von sang und küssen und kleinem wispern ·
Voll von tönen · schaute nur unter ihnen
Steigen wie vögel
Neulings flück · den sichtbaren sang · ein wunder
Von vollkommenem ton und liebesunmass ·
Süss geformt und furchtbar voll donners trug er
Schwingen des windes.
Dann entzückt und lachend vor liebe streut sie
Rosen · hehre rosen von heiliger blüte ·
Die eroten hüllten sich trüb und drängten
Um Aphrodite ·
Und die musen schwiegen · ins herz getroffen ·
Götter wurden bleich · so ein sang war der sang ·
Alle sträubend · alle mit frischem schauder
Flüchteten vor ihr ...
Alle flohn seit längst und das land ward öde ·
Voll von brachen frauen und tönen einzig.
Jezt vielleicht · wenn winde sich abends legen ·
Lullend beim taufall ·
[39]
Kehrt zum grauen seestrand die unerlöste
Ungeliebte im dämmerlicht ungesehne
Schar zurück der klagend verworfnen fraun die
Lethe nicht reinigt ·
Rings umhüllt von tränen und glut und singend ·
Und das herz des himmels erschüttert pochend
Und das herz der erde vor mitleid brechend ·
Hört sie zu hören.

[40] EINE BALLADE VOM TRAUMLAND

Ich barg mein herz in ein nest von rosen
Weit von dem sonnenweg niederwärts ·
So weich kann nicht weicher schnee mit ihm kosen –
Unter den rosen barg ich mein herz.
Was wollt es nicht schlummern? was sollt es nicht weilen
Wenn niemals ein blatt von dem rosenbaum schwang?
Was liess ihm den schlaf aufflatternd enteilen?
Nur eines heimlichen vogels gesang.
Lieg still! sprach ich: schwingen des windes ruhten.
Das laub dämpft milde den stechenden strahl.
Lieg still! denn der wind schläft warm auf den fluten
Unstäter wie du ist der wind nicht einmal.
Hat dich wie ein dorn ein gedanke getroffen?
Verlezt dich noch zögernder hoffnung fang?
Was hält deines schlafes lider noch offen?
Nur eines heimlichen vogels gesang.
[41]
Vom grünen land das ein zauber umgreifet
Schrieb niemals den namen ein wanderer auf
Und süssere frucht als auf bäumen dort reifet
Kam niemals auf einem markte zu kauf.
Die schwalben des traums ziehn im trüben gefilde ·
Wie schlaf ist in allen wipfeln der klang ·
Dort droht in den wäldern kein bellen dem wilde ·
Nur eines heimlichen vogels gesang.

ZUEIGNUNG

Im lande der träume ersah ich mein ziel ·
Dort schlaf ich und hör nichts den sommer lang
Von liebe in treue von liebe im spiel –
Nur eines heimlichen vogels gesang.

[42] LIED

Liebe legt ihr schlaflos gesicht
Auf dornige rosige schicht ·
Ihre augen von tränen waren rot ·
Ihre lippen waren bleich und tot.
Und angst mit hohn und gram
An ihr bett zu wachen kam ·
Bis die nacht überwältigt entfloh
Und die welt wieder morgen-froh.
Und freude kam mit dem tag
Und küsst' ihren mund der da lag ·
Und der wächter gespenstische schar
Vom kissen entwichen war.
Mit dem frührot ward hell ihr gesicht ·
Ihre lippen wurden rosig und licht.
Herrscht der gram auch durch eine nacht:
Am tag hat die lust wieder macht.

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TextGrid Repository (2012). George, Stefan. Algernon Charles Swinburne. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-D1BA-8