[3] SCHLUSSBAND

[3][5]

MANUEL

[5]

Vorbemerkung

VORBEMERKUNG

Die früheste fassung des Manuel – etwa aus dem jahre 1886 – behandelte auf kindlicher stufe nach art des vor-goethischen schäfergedichts einfachste urmenschliche verhältnisse. Die zweite – aus dem lezten schuljahr 1888 – war von gewissen fragen und spannungen des jünglings erfüllt .. von ihr ist leicht überarbeitet in die Blätter für die Kunst I. Folge 3. Band soviel übernommen als hinreicht um plan und anlage zu zeigen. Die dritte · die Um-schreibungen – Blätter für die Kunst II. Folge 2. und 5. Band – auf den ersten plan zurückgreifend stammen aus den jahren 1894/95.

Erste Stufe

[6] ERSTE STUFE

[7]

TIMON

(vor seiner hütte)


Wie lieblich liegt ihr da im morgenlicht
Ihr glücklichen gefilde die die woge
Des heiligen stroms bewässert. Goldne Sonne
Du lächelst in dem heitren himmelsblau
Du öffnest aller blumen duftige kelche ..
O könntest du Natur den frieden
Den du den dingen gibst · auch mir verleihn!
Den kleinen gram vermagst du wol zu scheuchen
Jedoch die brust die grossen kummer birgt
Fühlt umso tiefer ihn und deutlicher
Je zartre süssere lüfte sie umziehn.

Zweite Stufe

Erstes Bild
ERSTES BILD

Hütte Timons in der umgebung von Trapezunt. Sie liegt im vordergrund seitlich auf einer mit buschwerk bewachsenen erderhöhung von der ein schmaler pfad herabführt. Auf der anderen seite ein rasensitz bei einer quelle · nach der hütte hin durch bäume verdeckt. Im hintergrund das freie feld.


Manuel am brunnen · Leila kommt mit einem wasserkrug aus der hütte und erblickt Manuel.


LEILA
Du hier Manuel
MANUEL
Wie · du erschrickst vor mir?
LEILA
O nein ich hatte nur dich nicht erwartet.
MANUEL
Komm ich dir nicht zu jeder stunde recht?
[10] LEILA
Gewiss! doch macht dein anblick stets mir bange.
MANUEL
Liebste warum?
LEILA
Wenn ich für mich allein bin
So kann ich gar nicht anders denken als
Dass ich dich liebe und dass du mich liebst
Doch wenn du kommst wenn ich dich plötzlich sehe ..
MANUEL
Mein kind du bist so scheu und traurig heut
Traf dich ein leid?
LEILA
Wol quält mich eine frage ..
MANUEL
Du weisst um was ich bat ..
LEILA
Das ist es nicht. Ich liebe dich zu sehr ..
[11] Auch wenn ich nie erfahre wer du bist.
Ein andres ängstigt mich: warst du es nicht
Der sich vor kurzem in der Unterstadt
So tollkühn in des todes arm gestürzt
Beim grossen feuer?
MANUEL
Wie erfuhrst denn du's
LEILA
Man sprach davon in weiter umgegend
Und an des vaters häufiger beschreibung
Erkannte ich dass du es musstest sein
Ich war so namenlos in angst um dich ..
MANUEL
Es galt ein leben zu erretten
Und da kein andrer aus der schar sich traute
Versuchte ichs und ich vollbracht es glücklich.
LEILA
Ich habe lange drüber nachgesonnen
Ob der so ganz · so innig lieben konnte
Der sich so achtlos ins verderben wagt.
[12] MANUEL
Die liebe lässt in dir die selbstsucht reifen.
Der mensch kennt nur die Eine überlegung
Wenn er den nächsten in bedrängnis sieht:
Dass zur gefahr er ankam ist ein zeichen
Dass er erkoren ist sie zu bekämpfen ..
Der heilige schmerz den leidenden zu sehn
Treibt in dem augenblick der höchsten not
Uns unentrinnbar an und lässt nicht zeit
Zu denken weder was uns selber droht
Noch was in trauer all wir lassen müssen
Wenn hilfebringend selbst wir untergingen ..
Und dies ist kein verdienst · den drang empfändest
Du selber · Leila · wenn die stunde riefe.
LEILA
Dass ich an alles dies nicht selber dachte ..
Was ich gesorgt · war töricht – tadle mich.
MANUEL
Du fehltest nur aus liebe.
Zweites Bild
[13] ZWEITES BILD
Manuel und Leila an der quelle. Die türe der hütte öffnet sich · Timon ein greis tritt hervor.

TIMON
Leila!
LEILA
Vater!
(zu Manuel) Der vater · schnell
Manuel sie flüchtig küssend ab.
TIMON
Wo bleibst du Leila?

LEILA
(mit dem krug entgegengehend)
Du weisst ich bin so gerne an der quelle.

TIMON
(sie forschend ansehend)
Mir schiens als ob ich tritte hörte.
[14] LEILA
Da drüben gingen männer.
TIMON
Ich weiss nicht was seit kurzem mit dir vorgeht
Du bist nicht mehr so wie du früher warst
Oft hast du ein so sonderbares aussehn
Oft treffe ich dich wie im traum versunken
Und wenn ich dich bei deinem namen rufe
So siehst du mich so seltsam lächelnd an.
LEILA
Ich weiss nicht was du meinst · mein vater.

TIMON
(etwas hart)
Sag liebst du deinen alten vater noch?

LEILA
(zitternd)
O Gott · was fragst du!
Wo hab ich dich beleidigt und gekränkt
[15] Dass du bezweifelst ob ich dich noch liebe?
TIMON
Und liebst du ihn noch so
Wie du als kind getan wenn du beim feuer
Auf seine alten märchen hast gelauscht ·
Als du entgegen gingst ihm wenn vom feld
Er nach der schweren arbeit matt zurückkam ·
Als du mit einem frischen blumenstrauss
Ihn froh beschenktest und so herzlich küsstest –
LEILA
Glaube deiner tochter.
Ich liebe heute dich nicht weniger
Als ich vor jahren kindlich es getan ·
Ja noch weit mehr. O wüsstest du wie schwer
Du mich betrübst –
TIMON
So hab ich mich geirrt.
Ich glaube dir · du bist mein gutes kind.
Nimm deinen krug und geh hinauf ins haus.
Ich komme bald.
Leila geht.
[16] TIMON
(allein)
Ich habe mich geirrt.
Wie sollte sie auch einen menschen kennen!
Und kommen selten leute hier vorbei
So läuft sie schnell hinauf ins haus.
Sie hört allmählich auf ein kind zu sein
Da kommen manche sonderbare wechsel.
Wär es am ende doch nicht besser wenn –
Nein · nein! ich lasse sie nicht aus den händen.
Weshalb soll ich mein einzig kind verschenken?
Und dazu ein so teures süsses kind.
Drittes Bild
DRITTES BILD
Feld bei Trapezunt · Menes hinter einem baum sich verbergend.

MENES
Hier muss sein weg ihn bald vorüberführen
Wie oft er auch mit klugheit sich verdeckt
Bald da bald dort in neuer maske auftrat
Er wird mir diesmal nicht entgehn.
Hier werd ich ihm erklären wer ich bin ·
[17] Und wenn ich weiche weil er grösser ist
Er glaube nicht dass ers um vieles mehr ist.
Ein herb geschick · des lebens besten plan
Auf einmal aufzugeben da er reifte
Und mit dem kargen amte eines dieners
In bestem falle helfers eines andren
Zufrieden sich zu geben · es muss sein.
Von grossen werken · vom geschick der völker
Kann ich mich nicht zurück mehr ziehn ins dunkel
Das lässt mein schwur mein reger geist nicht zu.
Wenn auch sein diener will mit eifersucht
Ich wachen über allen seinen taten ..

MANUEL
(in der tracht eines bürgers will vorübereilen)
MENES
Erkennst du mich?
MANUEL
Ich sah dich öfter meinen spuren folgen
Ich glaube dass ich dich erkenne.
MENES
Seit jener nacht da unter uns du tratest
[18] Mein herz wie das der andren wandeltest
Mit dem versprechen eines hilfebringers
Da hab ich unablässig nachgeforscht
Bis ich entdeckte:
Du bist der prinz von Trapezunt.
MANUEL
Was willst du von mir?
MENES
Dir sagen wer Ich bin. Menes ein bürger.
Du weisst im volke lag des aufruhrs same
Doch blieb es lange zeit nichts als ein same
Es fehlte jemand frei von jedem band
Der mit der kraft der sprache die verstreuten
Erprobte mahnte reizte und vereinte
Der für Ein ding sich ganz zum opfer brächte ..
In langen nächten hab ich nachgesonnen
Wie ich mich rächen könnte · mich und alle.
Als knabe fühlt ich schon die schlimme herrschaft
Sie trieben uns von haus und hof hinweg
Ich aber schlug den einen unsrer schergen
Und floh mit knapper not vor haft und tod ...
Und immer klarer ward es meinem sinn
Dass ich berufen wäre zum erretter.
[19] Was ich gelitten und gewirkt durch jahre
Kann ich nicht · kann kein mund so schnell erzählen
Doch am erfolge konntest du erkennen
Welch eine kraft das ringen aufgenommen.
MANUEL
Ich wusste · nichts geringes war geplant
Drum kam ich grosses unglück zu verhindern.
MENES
Da kamst du · ja · ich hatte dich vorher
Schon manchmal in der Unterstadt gesehn
Wo hilf und trost verbreitend du dich nahtest.
Es griff mich eine heilige bewundrung
Vor dir (wer du auch mochtest sein) ich dachte
Der müsste einer von den Unsren werden.
Oft bin ich deinen pfaden nachgegangen
Dich anzureden und dich zu gewinnen
Doch es gelang mir nie.
Als mit gezücktem schwert ich auf dich zulief
In der Verschwornen rat · erkannt ich dich
Und plötzlich fiel ein licht in meine seele:
Ich merkte dass ein grösserer als ich
Erstanden war im wechsel der geschicke.
Gebrochnen herzens leistet ich verzicht
[20] Und als die menge zögernd rings mich ansah
Da riet ich abzustehn von meiner tat
Und auf dein wort zu baun.
MANUEL
Damals hast du mit staunen mich erfüllt.
MENES
Nun komm ich als dein diener oder helfer
Mich anzubieten.
MANUEL
Menes sei mein freund!
Im schweren amte das mir auferlegt ist
– Das ich vom himmel hab – bedarf ich dein
Die zeit wird festre bande um uns schlingen ..
Du ältrer hast schon einmal überwunden
Indes ich in des kampfes anfang bin.
MENES
Mein freund!
MANUEL
Auf diesem weg triffst du mich oft.
Viertes Bild
[21] VIERTES BILD

Leila von der quelle kommend. Timon wird im hintergrund sichtbar.


LEILA
– – – Eben kommt er!
Fast fahre ich zurück vor seinem anblick.
Und heftger schlag ist mir sein händedruck.
Sie geht ihm entgegen.
TIMON
(sie umarmend)
Du hast geweint – ich seh es wol mein kind –
Dass ich so lange weggeblieben bin.
LEILA
Mein vater!
TIMON
Und wie vertriebst du dir die zeit?
[22] LEILA
Ich strickte an dem netze dort am brunnen.
Und so verging die zeit.
TIMON
Und heute hast du nicht umsonst gewartet ·
Ich komme nicht mit leerer hand zurück.
Du sollst ein wunder sehn.

LEILA
(bebend)
Doch willst du nicht zuerst ins haus?
Du bist gewiss ermüdet.
TIMON
Nein · sieh zuerst!
Sieh was ich aus der stadt für dich gebracht.
Du wünschtest einen ring und eine kette
Wie von den reichen sie getragen werden.
Ich wollte zwar nicht gerne sehen dass
An solchen eitlen dingen du dich freutest –
(er zieht ring und kette hervor.)
Hier hast du beides. Wie es glänzt!
Der goldschmied sah mit grossem aug mich an
[23] Als ich der arme unscheinliche mann
So kostbares geräte kaufen wollte.
Doch für mein liebes kind ist nichts zu kostbar.

Sie nimmt das geschmeide in die hand · betrachtet es und gibt es überwältigt zurück.
LEILA
Nimm hier dein geschenk zurück ..
Denn ich verdien es nicht.
TIMON
Was ist geschehen · Leila?
LEILA
Ich kann nicht länger heucheln · vater.
Ich muss dir endlich alles eingestehn.
Du wirst verzeihen.
TIMON
Rede schnell · was ist?
LEILA
Wenn ich dir sagte dass ich stets dich liebte
Und mehr noch als vor jahren · war das wahr.
[24] Doch wenn ich sagte: dich allein · mein vater ·
So war das nicht wahr.
TIMON
Was · unglückselige!
(sie am arm fassend)
LEILA
(sich niederwerfend)
Verzeihung vater! aus der hauptstadt kam
Ein jüngling an dem brunnen einst vorbei ·
Er war so freundlich und so schön und herrlich
Dass ich ihn lieben musste –
(Timon macht eine heftige bewegung.)

Wir trafen uns zuweilen an der quelle ·
Er sagte immer mir dass er mich liebte ..

TIMON
(wild)
Was weiter?
LEILA
Beim abschied küsste er mich auf die stirn.
[25] TIMON
Verbirg mir nichts von deiner schande · weiter!
LEILA
O nichts · mein vater.

TIMON
(drohend)
Du lügst –
LEILA
Ich schwöre dir bei meiner seligkeit.
TIMON
O Gott · so hart hast du mich strafen müssen!
Ich glaubte sie so engelrein und fromm
Indessen sie mich schmählich hinterging.
Von ihres buhlen frischen küssen triefend
Kam sie an ihres armen vaters brust
Und schmeichelte und schwazte!
O fluch dir · falsches kind!
Geh denn zu deinem buhlen
Anstatt dem alten vater zu gefallen
Der alles dir geopfert. Fluch dir!

[26] Er geht der hütte zu. Leila streckt flehend die hände nach ihm. Er weist sie barsch ab. Sie sinkt laut weinend zusammen. Timon sieht sich einigemal unentschlossen nach ihr um und tritt dann rasch in die hütte.

Nach einiger zeit kommt er heraus · geht auf sie zu und sagt in ruhigem ganz verändertem ton.


TIMON
Leila!
Du kannst nicht diese nacht im freien bleiben.
Komm mit!

LEILA
(sich aufraffend)
O mein vater!

TIMON
(fast schreiend)
Aber sprich kein wort.
Sonst bleibst du vor der schwelle
Und kannst dich mit den tieren schlafen legen.

Sie steht bebend da · er fasst sie bei der hand und nimmt sie mit sich.
Fünftes Bild
[27] FÜNFTES BILD
Szene bei Timons hütte. Manuel.

MANUEL
Trost soll ich spenden
Und bin doch selber der verzweiflung nah ..
(zur hütte)
Timon Timon. Er ist nicht da
Vielleicht hat angst ihm sinnloses befohlen
Und ich bin hier und rühre keine hand ·
Des vaters armen seh ich sie entrissen
Sie die nichts ahnt · sich keiner schuld bewusst ist
Wird fortgeschleppt – o wie sie klagt · ich seh sie –
In das verlies · das schöne haupt geneigt
Umgeben rings von heuchelnden gesichtern
Die ränkevolle worte auf sie atmen.
Nur der gedanke dass ich bald erscheine
Behütet sie vor der verzweiflung.

Menes tritt auf
MENES
Hier endlich find ich dich.
[28] MANUEL
O Menes du musst hilfe wissen.
MENES
Was ist geschehn? ich suche dich schon lang.
MANUEL
Ruchlose späher haben uns belauscht
Sie haben die geliebte mir entrissen
Mein vater gab befehl in einem kloster
Gefangen sie zu setzen · und kein rat ..
MENES
O prinz wie sehr erregt dich
Die sorge einer reizevollen liebe
Im augenblicke da du sinnen sollst
Auf die erfüllung dessen was du schwurest.
MANUEL
Du weisst nicht was ich dieser liebe danke
Wie sie zuerst zum handeln mich erweckte
Und kräfte mir verlieh in allen stürmen
Ja anteil hat an meinem besten leben ..
Wenn ihr durch meine schuld ein leid geschieht
[29] Was alle guten geister hindern mögen
So ist es auch mit meiner tat vorbei.
MENES
Was aber soll geschehn? was kannst du hoffen?
MANUEL
Ich muss aus ihrem kerker sie befrein
Ich muss sie ihrem vater wieder geben
Ich muss sie unter sicherm schutze wissen
Und wenn das schicksal trennung uns befiehlt
Muss ich noch einmal mit ihr rede tauschen ·
Wenn ich sie sehe werd ich sie bewahren.
MENES
So geh zum vater .. für die eine gnade –
MANUEL
O schweig von ihm · ich tat was du geheissen.
MENES
Und konntest du nicht heimlich botschaft senden?
MANUEL
Mit dichten wachen liess man sie umgeben
[30] Und botschaft ach sie könnte vielmehr dienen ...
MENES
So bleibt nur eines: die gewalt.
In wenig tagen wird es mir gelingen
In stadt und land die freunde zu versammeln
Sie alle kennen Menes namen noch
Ich blieb mit allen stets in engem bund
In hellen haufen werden wir erscheinen
Und mit den waffen die Gefangne holen ..
MANUEL
Du redest von unmöglichem.
MENES
Die stadtbevölkerung wird zu dir stossen
Wenn selber an der spitze du dich zeigst.
Zudem ist jezt der grösste teil des heers
Weit auf dem marsche nach der Persergrenze ..
Du brauchst nicht vom verzichte mehr zu reden
Nicht angstvoll mehr zu harren braucht das volk
Auf des erretters nahn.
MANUEL
Das kann nie sein ..
[31] Wol mag mir alles wie du sagst gelingen
Ich töte zwinge und ich herrsche dann –
Wo aber Menes bleibt das friedensreich
Das dauernd nur den frieden sichern kann ...
MENES
Du dachtest wol in deinen frühen träumen
An solch ein reich · du warst rechtmässiger herr
In dessen händen jedes ding sich fügt ..
Nun packt die wirklichkeit mit rauhem finger.
Sieh ihr ins auge ..
MANUEL
Träume – wirklichkeit ..
Wenn mir die innre stimme trog · nichts bleibt ·
So bricht der ganze stolze bau zusammen ..
MENES
Im ersten augenblick nur ist es furchtbar
Wenn man sich trennen muss von einem glauben
Den man als kostbarsten besitz gehegt.
Doch kommt gelegenheit wo sein befolgen
Uns unheil bringt und keinen nutzen stiftet
So bleibt dem klugen keine wahl.
[32] Ich gehe .. kämpf! dein kampf wird bald zu end sein!
ab
MANUEL
Der vater stösst mich weg – der freund verlässt mich
Dass ich mir treu bin soll nur torheit sein ..
Ich stehe wie auf einem felsenriff
Von allen seiten brüllen wild die wogen
Sie schlagen über mich verschlingen mich!
Wohin verlor ich mich?..
Nein dass ich treu bin kann nicht torheit sein
Und unheil kann nicht aus der weigrung kommen
So wenig wie aus weizensamen giftkraut.
Die guten geister werden sie beschützen
Und böser menschen pläne nichtig machen
Das schicksal muss den knoten glimpflich lösen
Es muss ein wunder wirken ..
Die liebe haucht mir neue stärke ein
Im augenblick wo mich zerschmettern will
Der druck des alls dem ich entgegenwirkte.
Sechstes Bild
[33] SECHSTES BILD
Palast. Der König · der Oberste der Wache.

OBERSTER
Du hast befohlen dir sofort zu melden
Was im Helenenkloster sich begibt
Die uns zur hut gegebene gefangne
Hat eben in der zelle sich getötet.
KÖNIG
Wie konnte dies geschehn?
OBERSTER
Mit einem messer schnitt sie sich die adern
Eh man zur hilfe kam ist sie verblutet ..
Sie war unbändig bis zum lezten tag
Sie sprach im wahn von rettung · vom geliebten ·
Kein wort der nonnen brachte sie zu ruh
Und heute stellte sie sich sanft · man brachte
Ein mahl · sie schien sich kindlich dran zu freuen
Und dann vollbrachte sie die tat.
Das ganze kloster war in aufruhr. Gleich
[34] Rief mich die oberin zu sich streng erklärend
Dass unter ihrem dach die sünderin
Zur bessrung sie wol unterbringen dürfe
Doch dass des ortes heiligkeit verlezt sei
Wenn er der selbermörderin leiche berge.
So brachten wir sie zum palast
In einem seitenturm wird sie bewacht
Wir harren deiner weiteren befehle ..
KÖNIG
Ich werde mit Sophron mich beraten.
OBERSTER
Darf nach der kunde die dir schmerzlich scheint
Dein diener eine bitte wagen?
KÖNIG
Sprich.
OBERSTER
Als wir die leiche aus dem kloster brachten
War es unmöglich zu verhindern dass
Ein alter mann der in der nähe sass
Seit tagen nicht vom platz gewichen war
[35] Uns weinend folgte · sich zur bahre drängend
Rief er man trage dort sein kind.
KÖNIG
Sie hatte ihren vater noch?
OBERSTER
So scheint es Herr
Und er beschwor mich seines kindes leiche
Ihm zu gewähren. Sein gejammer hätte
Verwirrung schaffen können · so versprach ich
Wenn schweigend unsrem weg er folgen wolle
Des Königs gnade anzuflehn.
KÖNIG
Es schmerzt uns
Dass wir dem armen seine tochter raubten
Doch was zu seinem trost jezt kann geschehn
Das soll nicht unterbleiben.
Bahrt ihm die leiche auf und gebt ihm wachen
Die sie zu seinem hause tragen mögen
Dann lasst den alten mann in seinem leid.

Oberster ab. Minister tritt ein.
[36] MINISTER
Der prinz erhielt die kunde von dem tod
Des mädchens .. er ist fortgestürzt
Wie ich vermute nach des Alten hütte.
KÖNIG
Der eignen stimme möcht ich diesmal folgen
Ich will nach meinem sohne suchen gehn
Kein einwand! sorg für treue fackelträger
Sieh dass wir bald den platz erreichen.
Siebentes Bild
SIEBENTES BILD
Im vordergrund Manuel tot neben der bahre Leilas. Timon schichtet eifrig holz um die hütte. Menes.

MENES

(allein nach pause)

Tot · tot – und ungerächt sollst du hier liegen
Du selbst hast mir die rache ja verboten
Du Reiner Heiliger ...
Mit mord und mit gewalt soll ich nicht streiten
[37] Doch einen sturmwind gibts der besser noch
Die lügner und bedrücker niederwirft.
Mir schwebt ein riesengrosses kampfwerk vor
Mit neuem geist will ich das volk durchsäuern
Ich will erleuchten locken und bezaubern
Und alle falschen schädlichen gewalten
Zerfallen wie die staubgewordnen knochen
Sobald sie frische luft berührt.
Du teurer toter · nicht erstarb dein geist
Du hast im leben ihn in mich gehaucht ..
Ich muss hinweg dass ich vor diesem anblick
Nicht überwältigt werde und verzweifle.
Am besten zeig ich meine ehrerbietung
Und meine liebe für den hohen freund
Indem ich treulich seine erbschaft wahre.
Leztes Bild
LEZTES BILD

Der König · sein Minister · von wachen und fackelträgern begleitet im vordergrund.


ERSTER TRÄGER
Da liegt die leiche.
[38] ZWEITER TRÄGER
Zwei leichen! der prinz · o himmel!
ERSTER TRÄGER
Er hat mit einem dolch sich selbst getötet.
KÖNIG
Ihr seid geblendet. Kann das möglich sein!
Und doch da liegt er mit dem dolch im herzen
An der Geliebten bahre.
(niederknieend und nach kurzer pause sich erhebend)
Was hier geschehen ist war Gottes wille.
Wir müssen uns den heilgen ratschlüssen
So wunderbar sie auch den menschen scheinen
Demütig unterwerfen.
(zu den trägern)
Legt beide leichen auf die bahre.

Die träger tun es. Timon ist inzwischen aus der hütte gekommen in der allmählich flammen sichtbar werden.


TIMON
Die eine leiche ist nicht dir.

Er kommt heran · ergreift · seine tochter und zerrt sie an sich. Die träger wollen auf ihn eindringen. Der könig macht [39] ein zeichen ihn gewähren zu lassen. Der minister will Timon einen beutel mit gold aufdrängen den jener zur erde wirft.


TIMON
Damit kann ich mein kind nicht auferwecken.

TRÄGER
(auf Timon eindringend)
Du stehst vor –
KÖNIG
Schweig und lasst ihn.

TIMON
(zum könig)
Ich weiss nicht wer ihr seid. Nur sagt mir · Herr ·
Was hab ich euch getan · was tat mein kind
Dass ihr sie rauben und sie töten liesset!
Wenn jemand je von ihr beleidigt wurde
So war nur ichs und ich verzieh ihr ja.
(weint und sagt lachend)
Doch seid ihr billig wenigstens gewesen:
Ihr habt mein eignes liebes kind gemordet
Ihr machtets nicht viel besser mit dem euren.

[40] Er geht mit der leiche mühsam zur hütte. Der könig scheint in heftigem kampf begriffen ob er bewältigt sich an der bahre niederwerfen soll. Der minister ganz nahe an den könig tretend · zuversichtlich.

MINISTER
Dich trifft nicht die geringste schuld · mein könig.
Komm lass uns gehen · trauern später wir!
Es war so Gottes wille.

KÖNIG
(ergreift des ministers hand und gibt den trägern entschlossen ein zeichen die bahre aufzuheben)
Ja du hast recht · es war so Gottes wille!

König mit gefolge ab. Die hütte steht in hellen flammen.

Dritte Stufe

Das Feld vor Timons Haus
DAS FELD VOR TIMONS HAUS

Manuel – Leila.


LEILA

(blumen pflückend)

Was folgest du mir auf meinem blumengange?
Du hebst nicht die hände und scheinst doch ein bittender.

MANUEL
Ich möchte nur dies: mit dir zusammen blumen lesen.
LEILA
Wie das silber der birken und der gesang in ihren zweigen
So gehört auch die weite wiese dir und mir.

(sie pflücken zusammen blumen)

LEILA
Liebst du die glänzenden sterne zu betrachten
Und die wechselnden bilder der wolken zu verfolgen?
MANUEL
Ja und liebst du den schimmernden gewässern nachzublicken
Und liebst du das schauern in den nächtigen wäldern?
[44] LEILA
Was kommst du mir so nah und brichst mir meine blumen?
MANUEL
Damit ich deine hände sehe die weisser als die lilien sind.

LEILA
(sieht ihn fest an · sie pflücken weiter)
MANUEL
Willst du nicht meinen strauss zu dem deinen nehmen?
LEILA
Ich nehme ihn. Doch darfst du nicht so viele knospen mitbrechen.

(stimme Timons)

LEILA
Der vater ruft – ich muss zurück in die hütte.
MANUEL
Und du wirst mir nicht verbieten wiederzukommen?
LEILA
Ich sagte dir schon dass die wiese uns beiden gehört.
[45] MANUEL
Wenn du so sagst werd ich wol nicht wiederkommen.
LEILA
So sag ich es wäre mir schmerz wenn du nicht wiederkämest.
(sie flüchtet mit ihren blumen)
Am Brunnen
AM BRUNNEN

Manuel – Leila


LEILA

(mit einem kruge kommend)

Warum lächelst du heute nicht froh da ich erscheine?


MANUEL
Ich leide noch von der angst dass du ausbleiben könntest.
LEILA
Ich bin zum drittenmal gekommen und weiss nicht ob ich darf.
MANUEL
Es verfloss keine stunde wo ich nicht bei dir lebte
[46] Ich rufe nach dir in nächten die ich ohne schlaf verbringe.
LEILA
Ich hörte häufig deine stimme deutlich hier an der quelle.
MANUEL
Und zum monde sah ich denkend dass du auch hinsähest.
LEILA
Ich fühlte es an der plötzlichen wärme seiner strahlen.
MANUEL
So kurze nähe und so lange trennung trag ich nicht mehr.
Höre Leila! drüben in weiten gärten liegt mein haus.
Was sagtest du wenn wir dort im morgen der blumen warteten
Im abend den vögeln lauschten unter dunklen lauben
Und wenn wir uns niemals verliessen für alle tage –

(sie schlingen ihre finger ineinander und heben sie bis zur schulterhöhe · dann reisst sich Leila los)

LEILA
Du musst jezt schweigen und mich verlassen
Denn meine seele ist ganz in zittern.
(Manuel steht traurig da · Leila geht mit ihrem krug zur hütte)
*
[47] Der Vater – Leila.
VATER
Warum richtest du dein auge nicht auf die purpurne sonne?
LEILA
Ich sehe die purpurne sonne auch mit geschlossenem auge.
VATER
Willst du nicht einige schritte mit mir wandeln eh sie untergeht?
LEILA
Ich bin den ganzen tag unter bäumen und durch blumen gewandelt.
VATER
Ich glaube dass du deine jungen tauben noch nicht gefüttert hast.
LEILA
Meine jungen tauben werden ihr futter finden auch ohne mich.
VATER
Warum bringst du mir keine blumen mehr wie früher?
[48] LEILA
Es trocknen noch einige sträusse an unsrem fenster.
VATER
Deine worte kommen mir zögernd und müde vor.

LEILA
(sieht auf und schweigt)
VATER
Als ich dich heut morgen rief sahest du mich so starr an.

LEILA
(schweigt)
VATER
(traurig)
Ich ahne dass deine liebe zu mir verloren geht.

LEILA
(auf ihn zueilend)
Vater du züchtigst mich und ich weiss nicht warum.

VATER
(abweisend)
Bleib und füge zu deinem undank keine lüge ·
[49] Ich merke dass du dich von mir trennen willst.
Ein rotes mal ist auf deine stirn gezeichnet.
Ich werde bald aufhören dich meine tochter zu nennen.

(geht in die hütte)

LEILA
Was ist vorgefallen in jenen kurzen tagen:
Ich sah zwei augen und war plötzlich wie geblendet
Blumen quellen und himmel kamen mir anders vor.
Ich spürte zwei lippen und ich lebe seitdem
In einem wunderbaren und süssen reiche.
So oft ich die lider schliesse spüre ich sie wieder.
Deshalb kann mein vater doch nicht erzürnt sein.
(hinknieend und die arme emporhebend)
Ich fühle mich rein wie die kinder im himmel droben.
*
Der Vater – Leila
VATER
Weit weg suchen deine augen nach einem glücke
Höre: wenn die stimme meiner liebe dich nicht mehr hält
So erinnre dich dass wir hohe flüchtlinge sind
[50] Und immer leben müssen nach den gesetzen unsrer krone.
LEILA
Vater ich bin mir keines dings bewusst wovor ich erröten müsste.
VATER
Uns ist verboten mit jedem niedren uns zu verbinden.
LEILA
Und wenn kein niedrer sondern der sohn eines königs käme?
VATER
Dann verbietet dir unser elend zu ihm aufzuschauen.
So leben wir der verbannten herrscher los
Nirgends auf der erde können sie sich mehr verknüpfen
Ihre freude muss es sein dass sie stolz ertragen.
Wenn meine zärtliche sorge dich nicht mehr lenken kann
So wird das heilige blut in deinen adern dir sagen:
Du vergehst dich wenn du einen fremden auch nur anlächelst ..
(ab)
LEILA
(allein)
Der vater spricht mir von unrecht dass ich ein altes band zerrissen
[51] Doch auch das neue zu zerreissen liegt nicht in meiner macht ..
Ich fühlte mich nie als verbannte hier unter meinen blumen
Von einer andren heimat hab ich kaum geträumt ..
Ich bin gewiss wenn ich Ihn nicht mehr sehen soll
Werd ich welken wie eine blume die man aus dem boden zog
Und wenn ich Seiner liebe verlustig gehe
So will ich nichts mehr als heilig und hoch erkennen ...
Ich habe nur Ein leben · das mit ihm und für ihn.

*

Leila (tot) · Vater (vor ihr knieend). Langsam kommt ein zug von weissgekleideten Jünglingen mit goldenen stäben und palmzweigen.

DIE JÜNGLINGE
Heil Timon · Heil dir König Timon!
So jauchzt in deinem land dein volk
Bald ruft es dich zurück!
[52]

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TextGrid Repository (2012). George, Stefan. Gesamtausgabe der Werke. Schlussband. Manuel. Manuel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-D431-D