ANHANG
JUGENDDICHTUNGEN UND GEDICHTE IN FREMDEN SPRACHEN

[81][83]

[107] [109]MONOLOG AUS GOETHES EGMONT IN VERSEN

[109]
Du alter freund! du immer treuer schlaf ·
Fliehst du mich nun wie alle andern freunde?
Wie senktest willig auf mein freies haupt
Du dich hernieder · kühltest meine schläfe
Du wie ein schöner myrtenkranz der liebe!
Von waffen rings umgeben auf der woge
Des lebens ruhte ich in deinen armen
Leicht atmend · dem aufblühnden kinde gleich.
Wenn stürme wild durch zweig und blätter sausten
Wenn ast und wipfel knirrend sie bewegt
Blieb doch der kern des herzens ungeregt.
Was schüttelt dich nun? was erschüttert dir
Den festen sinn? Ich fühls es ist der klang
Der mordaxt die an meinen wurzeln nascht.
Noch steh ich aufrecht · und ein innrer schauer
[110]
Durchfährt mich. Ja sie überwindet · die
Verrätrische gewalt · sie untergräbt
Den festen stamm und eh die rinde dorrt
Stürzt krachend und zerschmetternd deine krone ...
Warum denn jezt der du gewaltge sorgen
So oft gleich seifenblasen von dem haupte
Dir weggewiesen hast · warum vermagst
Du nicht die ahnung zu verscheuchen die in
Dir tausendfach sich auf und niedertreibt?
Seit wann begegnet furchtbar dir der tod
Mit dessen wechselbildern wie mit allen
Gestalten der gewohnten erde du
Gelassen lebtest? – Auch ist er es nicht
Der rasche feind dem die gesunde brust
Wetteifernd sich entgegensehnt · der kerker
Ist es · des grabes bild dem helden wie
Dem feigen widerlich. Unleidlich war
Mirs schon auf meinem polsterstuhle wenn
Die fürsten in der stattlichen versammlung
Was zu entscheiden leicht war überlegten
Und zwischen düstern wänden eines saals
Die balken seiner decke mich erdrückten.
Da eilt ich fort sobald es möglich war
Und rasch aufs pferd mit tiefem atemzuge
[111]
Und frisch hinaus da wo wir hingehören
Ins freie feld wo aus der erde dampfend
Uns jede nächste woltat der natur
Und durch die himmel wehend alle segen
Des sternenreichs umwittern · wo wir gleich
Dem erdgebornen riesen durch berührung
Mit unsrer mutter kräftger auf uns reissen ·
Wo wir die menschheit ganz und menschliche
Begier in unsern adern fühlen · wo das
Verlangen vorzudringen zu besiegen
Zu haschen seine faust zu brauchen zu
Besitzen durch die brust des jägers glüht ·
Wo der soldat sein angebornes recht
Auf alle welt mit raschem schritt sich anmasst ·
Wo er in fürchterlicher freiheit wie
Ein hagelsturm verderbenbringend streicht
Durch wiese wald und des getreides wogen
Nicht grenzen kennt die menschenhand gezogen.
Du bist nur bild · erinnrungstraum des glücks
Das ich so lang besessen · wo hat dich
Verräterisch das schicksal hingeführt?
Versagt es dir den nie gescheuten tod
Im angesicht der sonne rasch zu gönnen
[112]
Um dir im ekeln moder zu bereiten
Den vorgeschmack des grabes? hauchet er
Mich nicht aus diesen steinen widrig an?
Schon starrt das leben · vor dem ruhebette
Wie vor dem grabe scheut der fuss. – O sorge
Die vor der zeit du schon den mord beginnst
Lass ab · lass ab. – Seit wann ist Egmont denn
Allein so ganz allein in dieser welt?
Dich macht der zweifel fühllos nicht das glück.
Ist die gerechtigkeit des königs der
Du lebenslang vertraut · die freundschaft der
Regentin die (du darfst es dir gestehen)
Fast liebe war · sind sie auf einmal wie
Ein glänzend feuerbild der nacht verschwunden
Und lassen dich auf dunkelm pfad zurück?
Wird an der spitze seiner freunde nicht
Oranien wagend sinnen? wird ein volk
Nicht mit anschwellender gewalt sich sammeln
Und rächend seinen alten freund erretten?
O haltet mauern die ihr mich umschliesst
So vieler geister wolgemeintes drängen
Nicht von mir ab! und welcher mut sich sonst
Aus meinen augen über sie ergoss
Der kehre rück aus ihrer brust in meine!
[113]
O ja sie rühren sich zu tausenden
Sie kommen stehen mir zur seite und
Ihr frommer wunsch eilt dringend zu dem himmel
Er bittet um ein wunder. Steiget dann
Zu meiner rettung nicht ein engel nieder
So seh ich sie zu lanz und schwertern greifen.
Die tore spalten sich die gitter springen
Die mauer stürzt von ihren händen ein
Und Egmont steigt dem tagslicht froh entgegen.
Wie manch bekannt gesicht empfängt ihn jauchzend.
Ach Klärchen wärest du ein mann · nicht fern
Bliebst du · du brächst zuerst die schranken
Und was ich ungern dankte einem herrn
Ich hätte dir die freiheit zu verdanken.

License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). George, Stefan. Monolog aus Goethes Egmont in Versen. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-D44C-4