[28] Lob der Treue
Amor scherzte mit seiner Psyche im Myrthengebüsche. Doris, mein Mädchen, wies mir die beyden Tändler, und wir überraschten sie, und sahen sie küssen, und sie wurden uns nicht gewahr. O Doris, zischelte ich ihr zu:
Der frohe Gott hatte seinen Köcher auf Rosen geworfen, und neben demselben lag der ungespannte Bogen. Doris ergriff den Köcher und den Bogen, und eilte damit ins Gebüsch. Da hörte der Gott das Rauschen der Blätter, sprang hervor, vermißte seine Waffen, und sah verwundrungsvoll und mit verlängertem Halse um sich her, den Räuber zu finden; aber Doris lachte im Busch, und Amor entdeckte die Lose, und verfolgte sie durch das Gebüsch. – Er wird sie ergreifen, rief die nahe Psyche mir zu, und dir sie wiederbringen: setze dich hier nieder im Schatten, lieber Jüngling! [29] Wie roth ist dein Mund! wie gefühlvoll deine Blicke! Amor selbst ist so artig nicht, als du. – Ach ja, Göttinn, sprach ich, er ist artiger. Itzt ist er im Busche mit meiner Doris – ach! laß uns sie belauschen, und sehen, ob Amor dir treu ist. – Reizende Einfalt! sprach Psyche lachend, und ging mit mir. Da hörten wir Amorn sagen:
Ohne dem Gott zu antworten, flog sie in meine Arme, und küßte mich. O wie drückte ich sie an mein Herz. – Laß uns nicht ferner die Glückseligkeit der Götter beneiden! rief ich; und mit stolzer Verachtung verließen wir Glückliche den Amor und seine Psyche: denn was sind selbst Götterküsse ohne Treue!