[136] [139]Salomon Gessner
Frühe Gedichte

[Fragment einer Satire]

Verschwendung und Geitz


Die Sonn ist albereit von uns hinweg gewichen;
Es ist im Westen schon, das Abend-Roth verblichen.
Die Nacht hat jez mit schwarz, den Himmel übermahlet,
Aus dem ein zwitzernd Heer, zerstreuter Sternen strahlet.
Der Mond erhellt die Erd, mit seinem schwächern Licht,
Daß man die Gegen-Ständ, schwach und betrüglich sicht.
[139]
Grillen, Wünsch, verliebte Stutzer, Eulen, Forcht und Nacht-Gespänster,
Schwermen jetz durch alle Gassen, und umflattern thür und Fenster;
Man hört nichts mehr, als wacher Hunde bällen etc.
[ ...]
So macht sich Harpax selbst, ein marterliches Leben,
Er hat sich seinem Geld, als einem Gott ergeben;
Was er zur Kinderzucht, nothwendig sollt verwenden,
Diß heißt der karge Filz, unnöthiges verschwenden:
Die um ein stückgen Brod, um Gottes willen flehen,
Läßt er mit einem Fluch, weil der nichts kostet gehen.
[140]
Er hoffet nur auf Gott, wann Krankheit ihn befällt,
Warum auf ihn allein? die Ärzte fordern Geld.
Zur Predigt geht er nicht, vor jeder Kirchen-Thür,
Streckt man ihm ohnverschämt, den Armen-Seckel für etc.

[Fragment einer Verserzählung]

Die Sonne war in Westen,
schon von den hohen Bergen,
das Gold der Abendröthe,
erblaßte an dem Himmel[,]
des Mondes schwächre strahlen,
besilberten die Erde.
Alß Amor schon bewaffnet,
in jennem düstern wäldchen,
durch dunkle Schatten irrte,
[141]
wo öfters zwey verliebte,
in grünen Schatten scherzen,
wo manches schönes Mädchen,
in Blumen ausgestreket,
den ihm getreuen Hirten,
mit Ungedult erwartet,
wo Kleiner Vögel Chöre,
der Liebe Lob besingen.
In mitte dieses Wäldchens,
versameln alle Bäche,
die sich durchs wäldchen schlängeln,
in einem See die wellen
ihr feuchtes Uffer küssend
Hier, hier sah er ein Mädchen,
ein nakend badend Mädchen,
drum schlich er an das Uffer,
das Mädchen zubesehen.
Die weißgewölbte Stirne,
umkränzten schwarze Locken,
mit denen Zephir scherzte,
und sie um Halß und Brüste,
mit sanftem säuseln schwang,
Es glühte auf den Wangen,
der purpur junger Roßen,
die Kleinen zarten Lippen,
umflatterte die Anmuth,
der schwarzen Augen Feuer,
war reitzend und entzündend,
der Leib war schön und prächtig,
geschlank, und weiß wie Lilgen,
wie man die Venus bildet.
Die wällen hüpften freudig,
umschwangen ihre Knie
[142]
und stiegen in die Höhe,
– – – – – – – – – –
und hüpfeten in Kreyßen,
in silberfarbnen Zirkeln.
Das Mädchen sah den Amor,
den es noch nie gekennt,
Es sprach, du kleines knäbgen,
Geh, oder, wann ich komme,
so spriz ich dich mit Wasser.
Doch Amor lächelt schalkhaft,
lähnt sich auf seinen bogen,
und bleibt am Uffer stehen;
Das Mädchen klatscht ins wasser,
biß Amor ganz betreufelt,
so, wie die Rose glänzte,
die ganz beperlet glänzet,
wenn sie bey hellem Morgen,
das frische Tau befeuchtet.
So wie die kleine Lerche,
wann sie die Regentropfen,
von bunten Federn schütelt,
so schütelte sich Amor
die Tropfen abzusprizen.
Drauf sagt er freundlich lächelnd,
Mein kind du kannst im sprizen,
gewiß sehr artlich treffen,
doch sieh, kann ich im schießen,
dich auch so artlich treffen.
Drauf langt er in den Köcher,
und legt auf seinen Bogen,
ein glänzend scharffes pfeilchen,
kaum zischt es durch die Lüfte,
[143]
so staks schon in dem Herzen;
des Schreken vollen Mädchens
das eilends aus dem wasser,
ans nahe Uffer flohe
und in dem düstern Wäldchen,
geheim den orth besah,
wo ihns der pfeil getroffen.
Was, sprach es, fühlt mein Herz,
Es ist kein rechter Schmerz,
Er schmerzt, doch ist er süß,
Ein plagendes vergnügen,
was ist nun dieses alles?
Ich hörte diese Worte,
Dann ich stak im Gebüsch,
wo dieses Mädchen klagte,
komm, sez dich auf die Blumen,
sprach ich mein schönstes Mädchen,
ich heil dir deine wunde.
Die Schaam mahlt seine Wangen,
mit reizend schönem purpur,
alß es mich reden hörte,
es wollte schüchtern fliehen,
allein ich hielts zurüke,
und fieng es an zuküssen,
da fieng es an zulächeln,
und foderte durch küsse,
von mir noch ville küsse,
wir küßten bis wir sinkend,
uns auf die blumen legten, etc.

[144] [Dialog]

Das Weib.

Du Mann, sieh diese Ros am Bach,
Wie lächelnd sie sich bückt,
Die nächste Welle küsset sie,
Sie küßt sie und verschwindt,
[145]
Und weil die zweite Welle noch
Froh nach dem Kusse hüpft,
So hebt die dritte schmachtend schon,
Ihr silbern Haubt empor.
Der Mann.

Weib sieh der kleinen Welle nach,
Wie sie am Ufer hin,
Von Blum zu Blumen ungetreu,
Von Kuß zu Küssen hüpft.
Jezt küsset sie das Vielgen dort,
Und sieht nicht schel zurück,
Wann eine andre Welle hier,
Froh an der Rose hüpft.

Das Gespräch

Steffen.

O Bruder welch Entzücken,
Schaft mir mein guter Wein!
Bey eines Mädgens Blicken,
Da soll man froher seyn?
Freund glaub, ein jeder Tropfe Wein,
Stürzt neue Lust in mich hinein.
Kunz.

O Bruder welch Entzücken,
Schaft mir mein muntres Weib!
Das Feuer in den Blicken,
Ihr schöngebauter Leib!
Bey dieser Lust, bey diesen Freuden,
Freund glaub, muß mich ein Fürst beneiden.
Steffen.

Ein schäumend Glas aufs andre leeren,
Und stets dabey den Kuß entbehren! – –
[146]
Ich glaub die Freude würd sich mehren,
Wann diese Ding beysamen wären.
Kunz.

Doch ja! Bey meinen Küssen,
Hab ich nicht einen Tropfen Wein,
Bald glaubt' ich, würd ich den nicht missen,
Ich würde noch entzückter seyn.
Steffen.

Freund wie! mir fällt ein Mittel ein,
Wir können unser Glück vermehren.
Du hast ein Weib, ich habe Wein,
Und die, die haben wir gemein,
Nicht wahr? diß läßt sich hören.

Die Dauben

Sieh Mädchen sieh die Dauben,
Dort auf dem Ast in Blättern,
Sieh wie die Daube seufzend
Sich an den Däuber schmieget,
[147]
Sieh wie der Däuber sanfte
Sie mit den Flügeln schläget.
Sieh Mädgen, ach! sie schnäbeln!
Und jezt, ach! sieh – – die Daube!
Du sprödes böses Mädgen.

Die Muthmassung

Wo bin ich? wie! wo schlief ich dann,
Die dunkle Nacht hindurch?
Hier lieg ich unter diesem Baum,
Hier ich, mein Becher – – dort im Gras,
Dort liegt mein Kranz, die Flöte da,
Bald glaub ich, daß ich gestern hier,
Im starken Rausche sank.

[Lied eines Schweizers an sein bewafnetes Mädchen]

Mein Herr.

Ich fühl ein Vergnügen nur halb, wann sie es nicht mitgeniessen; werden sie hier nicht ein Lied mit Vergnügen lesen, das ich vorgestern in einem Band von uralten, ohne [148] sonderliche Wahl zusammen geschriebenen Geschichten und Liedern gefunden? Es schildert die Empfindungen, die vor etwa 400 Jahren ein junger Schweitzer gefühlt, da er sein Mädgen, oder seine Buhlschaft im Harnisch sahe. Sie müssen wissen, daß die Mädgen jener Zeiten, wann sich ein Feind an ihre Mauern wagte, Scherz und Spiel verliessen, sich mit Helm und Harnisch bedeckten, und bewafnet an der Männer Seite fochten. Bedenken sie doch, wie schön diß muß gelassen haben, wann ein Heer von Mädgen unter blankem Harnisch den kleinen Fuß Glieder-weis durch die Stadt fortsetzte; wär ich Feind gewesen, ich hätte allemahl mein Leben gewagt, ein Paar von diesen Heldinnen zu meinen Kriegs-Gefangenen zu machen, oder ich hätte mich willig als ihr Gefangener hingegeben. Doch hier ist das Lied:

[149] 1.
Wie seh ich, seh ich nicht mein Kind!
Was blendt mein zweifelnd Aug?
Ein zitterndes ein helles Licht,
Blitzt von dem blanken Helm.
2.
Ein weiß und rother Feder-Busch
Fliegt rauschend in der Luft,
Dein braunes Haar fließt aus dem Helm;
Und flieget mit dem Busch.
3.
Ein Harnsch deckt deinen weissen Leib,
Und deine zarte Brust,
O böser Harnsch, jetzt seh ich nicht,
Wie sie sanft schmachtend steigt.
4.
Doch froh! ich seh dein rundes Knie,
Den wohlgemachten Fuß,
Den sonst dem Aug ein langes Kleid
Bis auf die Erd entzog.
5.
Dem Engel der das Paradies
Vor dem bewachet hat,
[150]
Dem gleichest du mein schönstes Kind
In dieser blanken Tracht.
6.
Er drohte nur dem bösen Feind,
Und lacht dem Frommen zu.
Dein blaues Aug droht unserm Feind,
Und mir mir lacht es froh.
7.
Des frechen Feindes scharffer Pfeil
Zisch neben dir vorbey,
Dich treffe nur der sanfte Pfeil
Vom kleinen Liebes-Gott.

[151] Ich hab es in unsre Sprach übersetzt, weil sie der Alten nicht mächtig sind; gefällt es ihnen nicht recht wohl, so geben sie der Ubersetzung Schuld.

Wie leben sie mit ihrem Mädgen? In wenig Tagen werd ich sie besuchen: Ihr braunes Aug soll mich dann wieder schalkhaft anlachen, wann ich ihr noch einmahl sage, daß ein Kuß von ihr mich ganze Tage froh macht. Leben sie wohl!

An den Frühling

Was hilf es mir du Frühling,
Wenn du auf alle Wiesen
Die schönsten Blumen streuest,
Wann ich auf deinen Blumen,
[152]
Nicht kann mit Mädgen tanzen?
Was helfen mir die Blumen,
Wann mir kein muntres Mädgen,
Das Haupt mit Kräntzen schmüket?
Was hilfts mir wann die Bäume,
Jetzt junge Schatten streuen,
Wenn ich nicht neben Mädgen
In deinen Schatten schlumre?
Was hilfts mir wann du Blüthen,
Von bunten Bäumen schneyest,
Wenn du an meiner Seithe,
Auf keinen Busen schneyest,
Was schieren mich die Blumen,
Und Schatten und die Blüthe?

Die Viole

Einfältige Viole,
Du hüllest zwar dein Antliz
Vor aller Menschen Blike,
Vor deinen eignen Bliken,
[153]
In deiner Mutter Blätter,
Und wählest dir zur Wohnung
Einsidlerische Pläze.
Doch Zephir kömmt, und raubet
Die lieblichen Gerüche,
Die du zu unvorsichtig
Aus deinen Blümchen hauchest.
Wann er dann Luft und Erde
Damit erquiket siehet,
Verläßt er dich, und flieget
In eine ferne Gegend.
Dort ruft er andern Räubern,
Die mit undankbarn Händen
Die Blümchen selber pflüken.
Nichts ist vor den Begierden
Der frechen Menschen sicher.
Was hilft dich, armes Veilchen,
Die blosse dunkle Farbe,
Und dein einöder Wohnplaz,
Wann deine süssen Düfte
Dich immerhin verrathen?

Notes
Die Frühen Gedichte sind in den Geßnerschen Textausgaben nie erschienen. Sie wurden mit wenigen Ausnahmen erstmals nach seinem Tod im Anhang zu Johann Jakob Hottingers Biographie »Salomon Geßner« 1796 gedruckt.
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TextGrid Repository (2012). Gessner, Salomon. Frühe Gedichte. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-D5CB-B