Zunftrecht

Welch ein launisch-wildes Wetter!
Aber, sieh! es warf dazwischen
Gottes Auge, unsre Sonne,
Einen wonnig milden Blick und –
Und aus einer rothen Wolke
[163]
Hagelte es rasselnd, prasselnd:
Große, süße Zuckererbsen!
»Dank Dir, Himmel! Dank, Gott Schtille!«
(Welcher nebenbei dem Amt des
Wind- und Wettermachens vorstand).
»Dank Dir, güt'ger Gott der Ordnung!«
Rief das Volk, begierig sammelnd
In Geschirren und in Körben,
Was dies meteorologisch-
Ungesetzliche Ereigniß
Seiner Armuth freundlich darbot.
Aber schon am selben Abend
Stürmten alle Zuckerbäcker,
Demüthigst petitionirend,
In das Schloß des Ober-Mufti's,
Und nach dreimal dreißig Wochen
(Daß sich die Behörden hierorts
Keine Zeit zur ruh'gen Prüfung
Eingegangner Bitten lassen,
Fand ich immer unverzeihlich!
Hab' es aber nie geäußert.)
[164]
Kam ein muftiger Erlaß schon
An des Reiches Zuckerbäcker,
Wörtlich also lautend:
»Schafe!
Nach gewissenhafter Sitzung
Meines zopf'gen Mufti-Rathes
Und nach dessen Anerkennung
Der Gerechtigkeit der Klage,
Welche ihr Mir übergeben,
Habe Ich dem Standbild Ego's
In das linke Ohr gerufen,
Daß die Zuckerbäckerei sei
Euer gutes, alt-ehrwürd'ges
Monopol und Zunftrecht, ergo
Er, der große Gott der Götter,
Schtille'n, seinem Gott der Ordnung,
Gnädigst möge anbefehlen:
Niemals wieder Zuckererbsen
Auf das Volk herabzuhageln,
Und dadurch den Zuckerbäckern,
Welche concessionirt sind,
Frechlichst in's Gewerb' zu pfuschen,
Und – da Schtille's Zuckererbsen
[165]
Feiner, süßer als die ihren
Und herabgefallen gratis –
Sie, die guten Zuckerbäcker
So an Nahrung, wie an Ehre
Zu beschäd'gen und verletzen:
Widerigenfalls genöthigt
Ich und fest entschlossen wäre
Ihn auf zehn Jahr abzusetzen!
Denn zwar, rief Ich zürnend weiter
In das linke Ohr Gott Ego's,
Ist Herr Schtille Gott der Ordnung,
Und wer ehrte mehr als Mufti's
Hier die alte feste Ordnung?
Aber das ist keine Ordnung,
Plötziglich sich zu erfrechen
Das Gewohnte durchzubrechen,
Und zum Vortheil und Vergnügen
Der gesammten Volkesmasse,
Welche ewig gier und leckern:
Unsern edeln Zuckerbäckern
So an Ehre, wie an Kasse
Schweren Nachtheil zuzufügen!«

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TextGrid Repository (2012). Glaßbrenner, Adolf. Gedichte. Die Verkehrte Welt. Zweiundzwanzigstes Kapitel. Zunftrecht. Zunftrecht. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-D72A-7