[32] An Herrn M. Schrader, in Halle, Inspector des Königl. Pädagogiums 1

Hier ist mein Bildniß! – Wenig gleichen
Wird itzt der Mann dem Jüngling', Freund!
Den du gekannt hast; theure Leichen
Hab' ich seit jener Zeit beweint.
Denn beide sind sie nun begraben,
Die einst in deine Hand mich gaben;
Drum ist mein Auge noch so roth,
Mein Blick voll Ernst, mein Feuer todt.
Sechs Jahre saß auf meinem Zimmer
Mit meinen Büchern ich allein,
Und täglich schien die Welt mir schlimmer,
[33]
Denn jeder Schelm darin, sollt' immer
Gut, oder gleich gehangen seyn.
Drum ist die Stirn mir noch voll Falten,
Und als ein Denkmal, daß ich Thor,
Aus dem Gesichte, wie die Alten,
Den guten Theil der Welt verlor,
Muß ich zur Strafe sie behalten.
Nur ganz so grämlich, o mein Lehrer!
Seh' ich denn doch nicht aus, wie hier;
Sonst machte Lavater aus mir
Vielleicht wohl einen Freudenstörer.
So trüb auch meine Augen sind,
Entwölken sie sich doch geschwind,
Wenn meine Jungen, wie die Mücken,
Sich in der warmen Sonne freun;
Und meine Falten zu zerstreun,
Bedarf es keiner Flasche Wein,
Nur eines Freundes Händedrücken.
O Maler! hättest du mein Herz
[34]
Statt des Gesichtes malen können,
So würde man den Ernst nicht Schmerz,
Den Gleichmuth, Eigensinn nicht nennen.
Doch du, der besser noch vielleicht,
Als ich, mich kennt mit allen Schwächen,
Du kannst allein ein Urtheil sprechen,
Ob noch mein Herz dem Herzen gleicht,
Das du geformt hast? Ob dem Keime,
Deß Gärtner du gewesen bist,
Ein solcher Baum entwachsen ist,
Als du wohl hofftest, ich wohl träume?
Dieß weiß ich, daß dein Freund noch liebt,
Was damals er als Jüngling liebte,
Und über das sich noch betrübt,
Was ihn als Knabe schon betrübte.
Die wackern Helden des Homer
Lieb' ich, o Freund, noch itzt so sehr,
Als in dem siebenzehnten Jahre;
Doch, tritt ein Nero nur hervor,
[35]
So heben itzt noch meine Haare
Die Nachtmütz' auf dem Kopf' empor.
Wie damals ich dem schwarzen Brette
Und Carcer, (denn mein Ehrgefühl
Ging willig,) Trotz geboten hätte,
So acht' ich meinen Kopf so viel
Noch itzt, als einen Pappenstiel,
Gilt's für der Menschheit erste Rechte.
O Schande Roms! daß Nero kühl
Das Blut der Bürger zapft' und zechte,
O Schand'! und doch so spät erst fiel!
Allein, wann setzten je die Knechte
Der Wollust, ihren Kopf aufs Spiel?
Noch schallt der Spruch in meinen Ohren,
Den über mich dein Mund einst that:
»In keiner Republik geboren,
Wärst du in jedem andern Staat',
Als diesem, den dein Fuß betrat,
Nicht glücklich; wo nicht gar verloren!«
[36]
O laß mich denn bis an mein Grab
Die längst erkannte Wohlthat preisen,
Daß mich dem Zepter eines Weisen
Mein gutes Schicksal untergab.
Hier, auf der Grenze seiner Staaten 2,
Sitz' ich, und sehe froh mich um,
Denn noch sind immer unsre Saaten
Die Aehrenreichsten rund herum.
Und freue dich! du, der die Felder,
Die Wiesen, Berge, Seen und Wälder,
Von seltnen Kräutern nur entblößt;
Kein Land, von Memel an – bis Soest 3,
Steht enger mit der Kräuterkunde,
(Dank! daß du sie, die das der Stunde
Des Traurens, was dem wunden Munde
Der Honig ist, mir eingeflößt!)
[37]
Als mein Hercynien im Bunde.
Wie damals, lieber Freund, mit dir,
So irr' ich itzt auch noch bisweilen
Durch Wald und Wiese ganze Meilen;
Nie aber kostet's einem Thier',
Doch einem Blümchen oft das Leben,
Denn diesem kann ich's auf Papier 4,
Nur jenem niemals wieder geben.
Statt Pflanzen aber, sucht dein Freund,
Wie damals schon, im Winter, Reime.
Was soll ich machen? Wie es scheint,
Lag diese Frucht schon in dem Keime.
Denn eh' ich noch einmal erfuhr,
Was Dichtkunst sey? Wer die Homere
Der Vorzeit waren? Ob Natur,
Ob Kunst, des Dichters Lehrbuch wäre?
Ob Gold sein Lohn sey, oder Ehre?
[38]
Kam ich dem Reim' schon auf die Spur.
Ich, der beim Pflanzensuchen, wie
Ein Reh, mich matt, Berg auf Berg unter,
Gelaufen hatte, war doch früh
Schon mit der Sonne wieder munter.
Du lächeltest, wenn dann am Pult'
Die Stirn mir wie ein Schornstein dampfte,
Und ich den Kiel, voll Ungeduld
Ob einem Reim', zu Fasen stampfte.
Und doch gebotest du mir nie,
Die Hand der Muse loszulassen,
Denn durch Verbote lehrt man sie
Nur stärker lieben, nicht, sie hassen.
Auch war's zu spät bei mir. Homer
Lag Nachts schon unter meinem Kissen;
Leicht hätte man den Ball, so sehr
Ich ihn auch liebte, mir entrissen,
Doch diesen Alten nimmermehr.
So ging ich fort auf meiner Bahn',
[39]
Allein aus meinem süßen Wahn'
Riß unser Lichtwehr mich geschwinde.
Den Augen nahm er ihre Binde,
Daß sie das weite Ziel erst sahn,
Und o die Namenlose Menge
Bereits im Wettlauf' nach dem Kranz'!
Ich stutzte; wenig vor der Länge
Der Laufbahn'; mehr, vor dem Gedränge:
Doch, ich war halb, warum nicht ganz?
Gewinnt gleich einer nur von allen
Zwölf Tausenden, das große Loos;
Das zweit' und dritt' ist auch noch groß,
Und besser doch, als durchgefallen.
So drängt' ich auf dem vollen Wege
Mich durch, und riß ein Lorbeerblatt
Vom Kranz' noch ab, (denn Bürger 5 hat
[40]
Den ganzen Kranz,) das, für die Pflege
Des Herzens, auf den Dankaltar
Ich dir gerührt als Opfer lege.
O! wenn ein jeder von der Menge,
Die du erzogest, statt Gesänge,
Dir Thaten für der Menschen Heil
Aufweisen kann: gewiß, mein Bester!
So würde dir der Preise größter,
Der Lohne süßester zu Theil.

Fußnoten

1 Er hatte den Verfasser, seinen ehemaligen Schüler, um sein Bildniß ersucht.

2 Ellrich, des Verfassers damaliger Wohnort, machte in jener Zeit auf dieser Seite die Grenze der Preußischen Staaten.

3 Beinahe die größte Länge der Preußischen Lande.

4 Die Botaniker kleben die getrockneten Kräuter auf Papier; eine Menge auf botanische Art aufbewahrter Kräuter, heißt bekanntlich eine lebendige Sammlung.

5 Bürger studirte mit dem Verfasser zu gleicher Zeit auf dem königl. Pädagogium; sie errichteten da die erste Freundschaft.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Gedichte. Episteln. Zweiter Teil. An Herrn M. Schrader. An Herrn M. Schrader. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-DFCA-1