[165] Auf den Tod meines Sohns, Moritz Günthers 1

Als ich jüngst an Exters Seite
Mich des Wonnemondes freute;
Als ich an la Roche's Hand
Jedem Rheinschiff' das Geleite
Mit den Augen gab am Strand',
Bis in dunkelblauer Weite
Mast und Wimpel uns verschwand;
Als bei Moser's Druck der Hand
Ihm mein Herz entgegen hüpfte,
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Und, vor Lauren an der Wand, 2
Ich mit Uz ein Freundschaftsband
Wie Petrarch und Laura knüpfte;
Als ich weinend vor dem blinden,
Doch zufriednen Pfeffel, stand;
Als in seinen Veilchengründen
Kleinzog mir ein Sträußchen band;
Als so rasch am Krückenstabe
Bodmer mir entgegen kam,
Und mein Herz, als kleine Gabe
Auf der Pilgrimschaft zum Grabe,
Nah am Ziel', noch mit sich nahm;
Als mit mir bei Mondenscheine
In dem blühnden Lindenhaine 3
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Lavater spatzieren ging,
Ich am Fall' des Rheins, von Schaume
Naßgesprützt, ihm wie im Traume,
Staunend an dem Arme hing:
Ach! da war mir wohl! Noch besser,
(Seufzt' ich dann für mich allein,)
Als am lieblichsten Gewässer,
Wird am Zorgafluß' dir seyn,
Wenn dein Günther dir entgegen
Auf dem Steckenpferde springt,
Und dir alle sein Vermögen –
Seine bunte Trommel – bringt;
Um mein Knie die Arme schlägt,
Hererzählet seine Thaten
Und Vocabeln, und mich frägt:
Bleibst nun bei uns über Nacht?
Hast nicht bleyerne Soldaten
Mir von Nürnberg mitgebracht?
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Aber ach! mit bleichen Wangen,
Und in traurendem Gewand',
Kam die Mutter, an der Hand
Unsern Fritz, dahergegangen.
Beide schwiegen; ich verstand
Dieses fürchterliche Schweigen. –
Schönes Veilchen, mußtest du
Schon so früh der Erde zu
Deinen Kelch mit Balsam, neigen?
Wein' dich aus, du volles Herz!
Thränen kannst du nur vergeuden.
Meiner Liebe lange Leiden,
Meiner Augen Folterschmerz,
Konnt' ich mir versingen. Doch
Meine Lipp' ist itzt verstummet!
Denn vor meinem Ohre summet
Günthers letztes Rufen noch.
Hätt' ich deinen Ruf gehört:
Ach mein Sohn! aus fernem Lande
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Wär' ich schnell zurückgekehrt.
Doch wozu? Um dich im Sande
Zu verscharren? O mein Sohn!
Trankest du den süßen Mohn
Aus des Todes Becher schon,
Eh' ich selbst ihn kosten durfte?
Wär' es möglich: Gott! ich schlurfte
Rein, für dich, noch itzt ihn aus,
Hülfe dir aus deinem Grabe
Wieder an das Licht heraus!
Denn seit ich nicht dich mehr habe,
Losch die Freud' ihr Lämpchen aus.
Deine Mutter sitzt versteint,
Auf dem Schooß' dein Schifferhütchen,
Hört von Fritz dein Wiegenliedchen,
Blickt auf deinen Hut, und weint.
Trösten soll ich sie? besiegt
Wörterschwall, den Schmerz um deinen
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Tod? – Wir wollen beide weinen,
Bis der Thränen Quell versiegt.
Wer uns liebet, o! der weine
Mit uns! Wer ihn hat gekannt,
Weint von selbst um ihn, dem keine
Mutter, jemals leer die Hand
Reichte, ach! um ihn, der seine
Schmerzen, wie ein Mann bestand!
Wär' er einstens auf dem langen
Rauhen Pfad', ins Heiligthum
Hoher Weisheit, eingegangen:
Aller seiner Ahnen Ruhm
Hätt' er sicher überschattet,
Und den meinigen ergänzt,
Ja! am Ziel' hätt' ich ermattet
Ihn vielleicht noch selbst bekränzt.

Fußnoten

1 Er starb während einer Reise des Verf. durch das südliche Deutschland und die Schweitz.

2 In Herrn Uz Zimmer hing ein Porträt der Laura: eine sehr getreue Kopie von dem Originale, welches die Familie de Sade noch besitzt.

3 Bei Bülach, einem Städtchen zwischen Zürich undSchafhausen; Herr Lavater gab dem Verfasser bis nach Schafhausen das Geleit.

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TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Gedichte. Elegien. Auf den Tod meines Sohns, Moritz Günthers. Auf den Tod meines Sohns, Moritz Günthers. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-DFFB-6