[155] An Bürger

1788.


Das Räthsel, Freund, erräth sich bald,
Warum ich nichts, dem Scheine nach, empfinde,
Und unter angenommener Gestalt,
Dem Proteus gleich, gerade dann verschwinde,
Wenn Lallagen, dem guten, sanften Kinde,
Von Hochgefühl das Herzchen überwallt.
Ja freilich wird man durch das Herz
Geselliger, zum Leben viel geschickter,
Als bloß durch Witz, Verstand und Scherz;
Denn jenes macht uns selbst und unsern Freund beglückter.
Doch müssen denn nicht zwei bei jedem Handel seyn?
Ihr Herz, ist Wachs; das meine, Eisenstein.
[156]
Kaum wird bei mir die Oberfläche ritzen,
Was schnell bei Lallagen tief in das Innre dringt;
Sie fühlet schon der Rosenblätter Spitzen,
Wenn selbst der Dorn des Stiels mich kaum zu Seufzern zwingt.
Zwei solche Herzen schmelzen nie zusammen;
Verzehrt ist längst das eine von den Flammen,
Wenn's andre warm zu werden kaum beginnt,
Und spät im hohen Ofen erst zerrinnt.
Doch keins von beiden soll das andre drum verdammen.
Da Herzen denn von Wachs und Eisen
Zusammen unverschmelzbar sind,
So solltest du vielmehr mich glücklich preisen,
Daß Lallage mich nicht gewinnt.

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TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Gedichte. Episteln. Zweiter Teil. An Bürger. An Bürger. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E001-0