[231] Stamford an Göckingk

Im Lager bei Welsdorf, den 16. Juli 1778.


Geliebter Sänger
An Lahra's Höhn!
Nun werd' ich länger,
Als je geschehn,
Von dir nichts hören
Und dir nichts sehn!
Denn sieh! wir stehn
Mit zweien Heeren
Dem Feinde nah,
Das Schwert in Händen,
Den Zwist zu enden,
Zum Kampfe da.
All mein Beginnen
[232]
Ist nun: zu sinnen,
Wie noch so sehr
Verwachsne Wege,
Für Friedrichs Heer,
Und Felsenstege
Gut und geschwind
Zu bahnen sind;
Und wie ich Flecken,
Nur eingefaßt
Von Zaun und Hecken,
In aller Hast
Durch Kunst soll decken;
Nach dem Clairac 1
Wall und Verhack
Darum erbaun,
Den Feind zu schrecken,
Dem nie zu traun.
[233]
Statt, Schattenwegen,
Wie Dichter pflegen,
Still nach zu gehn,
Und dann am Quelle
Die Rasenstelle,
Wo Zephyrs wehn,
Und Veilchen stehn,
Zum Grillensitze
Mir auszusehn,
Muß ich vor Hitze
Nun schier vergehn;
In schwülen Tagen,
Von Höhn auf Höhn
Mich müde jagen
Und müde gehn,
Des Feindes Lage
Früh auszuspähn,
Und, trotz der Plage,
Noch wohl dazu
[234]
Mich glücklich preisen,
Wenn mir die Reisen
Nur sonst in Ruh'
So so noch glücken!
Denn unverhofft
Trifft man in dicken
Gehölzen, oft
Tiroler 2 an,
Die aus den Hecken,
Worin sie stecken,
Auf ihren Mann
Mit wilden Blicken
Ihr Rohr in Eil'
Ans Auge drücken,
Des Todes Pfeil
Zum Ziele schicken,
Und, stürzt der Held,
[235]
In jene Welt
Unangemeldt
Ihn überschicken.
Doch, was ist Müh'?
Was sind Gefahren?
Die scheut' ich nie.
Wenn Engel nur
Dein Haus und Flur
Und dich bewahren!
Gottlob! noch blinkt
Durch deine Saaten,
Kein Heer Kroaten,
Das, statt der Thaten,
Die Gleim besingt,
Bei Nacht und Nebel
Mit blankem Säbel
In Dörfer dringt,
Wo Arm' es schrecket
Und elend macht,
[236]
Die's unbewacht,
Und unbedecket,
Und wehrlos sieht,
Doch scheu, wie Rehe,
Von Höh' zu Höhe
Gar bald entflieht,
Wenn's Feinde sieht.
Noch lärmt und sucht
Dich kein Husar
Im Haus', und flucht
Und droht Gefahr,
Leert deine Flaschen,
Und deine Taschen,
Und stellet sich
Schier so vermessen,
Als wollt' er dich
Lebendig fressen.
An Lahra's Höhn,
Entfernt vom Jammer,
[237]
Den wir hier sehn,
Weckt zwar der Hammer
Dich mannigmal
Vom süßen Schlummer
Zu Sorg' und Kummer,
Weil fern im Thal'
Die Harz-Vulkane
Nun Tag vor Tag
Des Kriegs Orkane
Mit schwerem Schlag'
Uns zubereiten.
Doch weil zu Zeiten
Auf dieser Welt
Den müß'gen Leuten
Der Krieg gefällt,
Und über alle
Der Kriegesheld
Seit Adams Falle
Sich wichtig hält,
[238]
Als ob die Ehre,
Ein Held zu seyn,
Die Ehr' allein,
Was größers wäre,
Als das zu seyn,
Was wir hienieden
In Ruh' und Frieden
All' könnten seyn:
So laß den walten,
Der uns erschuf,
Und dessen Ruf
Den Ocean
In Schranken halten,
Und dir erhalten
Den Bruder kann,
Der dir von sieben
Allein geblieben.
Ich aber, ich,
Um den seit Jahren
[239]
Kein Auge sich
Mehr trübe weint,
Will jedem Feind',
Und den Gefahren
Mit frohem Muth'
Entgegen sehen,
Und soll's geschehen,
Daß ich mein Blut
Auf dieser Scene
Verspenden muß:
So weih' die Thräne
Der Freundschaft mir,
Und nimm itzt hier
Den Abschiedskuß.

Fußnoten

1 Ein französischer Schriftsteller, der über die Feldfortification geschrieben.

2 Tiroler Scharfschützen.

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TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Gedichte. Episteln. Erster Teil. Stamford an Göckingk. Stamford an Göckingk. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E00C-9