[273] An Zimmermann, in Hannover

Im September 1779.


Ist das dein Ernst, o Zimmermann,
Mit mir in Ellrich wohl zu wohnen?
Ich könnte, wenn's das Herz nicht kann,
Den Tausch dir wahrlich nicht belohnen.
Wie mancher kam hieher, versäumte
Schier einen Posttag, mich zu schaun,
Und schaute mich, fand aber, traun!
Nicht halb, was er zu finden träumte!
Und dennoch; aus des Herzens Fülle
Gestand beim Abschied' jeder ein,
Er würde, wär's des Schicksals Wille,
Den Rest des Lebens Ellrich weihn.
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Denn, Freund, ich bat kein Dutzend Gäste,
Brav Lärm zu machen, ihm ins Haus,
Und keine Tarockkarte preßte
Ihm reuevolle Seufzer aus;
Mein Weibchen machte nicht viel Wesen,
Sie stopft' ihn nicht bis an das Kinn,
Doch schmeckt' ihr brauner Kohl, von Zinn
So gut, als Karpfen aus dem Inn,
Vom feinsten Porzellan' aus Dresden;
Ich aber, setzte mich nicht hin,
Ihm meine Verse vorzulesen,
Denn das verdirbt den besten Schmaus;
Aus meinen rauchrigen vier Pfählen
Führt' ich ins Freie ihn hinaus,
Und – Boie mag den Rest erzählen.
Gefiel's schon ihm am Zorgestrande,
Was würd' es nicht erst seyn mit dir?
O Freund, dir träumte wachend hier:
Du seyst in deinem Vaterlande.
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Der Berge Haupt im weißen Schleier,
Und Ströme, die vom Sitz' der Geier
Herab sich stürzen in das Thal,
Das, seit der Schöpfung, noch kein Strahl
Der Sonn' erleuchtet hat; ein Häuschen
Darin versteckt, wo beim Gesang'
Der Turteltauben und der Zeischen,
Und traurigsüßem Glockenklang',
Bis an den Bauch in Farrenkraut,
Die fette Rinderherde weidet,
Der Hirsch den Hirten nicht vermeidet,
Und, edlen Zutrauns, um sich schaut:
O großer, wunderbarer Reitz,
Bei dem die Sinnen alle schwinden,
Wo bist du in der Welt zu finden,
Als auf dem Harz und in der Schweitz?
Wo sind, in unserm Theil' der Welt,
Die Menschen noch so gut, so bieder,
So hülfreich, und so unverstellt,
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So fröhlich beim Gesang' der Lieder,
So arm und doch so frei von Geitz,
Als auf dem Harz und in der Schweitz?
Man kann an jedem Ort' der Welt
Ein Weiser seyn, wohl gar zufrieden;
Ja! wem das Feuerland gefällt,
Reitzt den das Paradies in Süden 1?
Wer aber sich nach Menschen sehnt,
Und leben muß mit rauhen Wilden;
Wer an die Reitze von Gefilden
Mit Berg und Fluß und Wald, gewöhnt,
Itzt nichts als eine schwarze Fläche,
So weit das Auge sieht, erblickt:
Ist's dann, beim Weisen selbst, noch Schwäche,
Wenn ihn der Fläche Himmel drückt?
Wer, ausgesetzt ans Feuerland,
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Sich nicht am ersten Baum' erhinge,
Auch hier noch mit gelähmter Hand
Den Bienenschwarm von Grillen finge,
Von dessen Weisheit und Verstand
Dächt' ich wohl freilich, nicht geringe.
Doch, macht' ein Cook ihn wieder frei,
Und prahlt' er dann, daß Langeweile
Ihn nie gequält! dächt' ich dabei,
Daß er so dumm wie eine Eule,
Wo nicht; daß er ein Lügner sey.
Ich lasse Welschland seine Haine
Voll Myrth- und Pomeranzen-Duft,
Sicilien den Preis der Weine
Und seine laue Winterlust,
Peru sein Gold und Edelsteine;
Denn, wenn ich gleich dein Sohn nicht bin,
O Harz! so gäb' ich doch für deine
Natur, den Rest der Erde hin.
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Wie lieb' ich deinen Forst von Eichen,
Die Luthern noch gekannt, worin
Nicht Vipern und Taranteln schleichen,
Und kleine Mädchen, ohne Scheu,
Sich singend Schlüsselblumen pflücken,
Und höchstens einen Schwarm von Mücken
Verfolgen unter Kriegsgeschrei.
Mir speit kein Aetna, brüllend, Schrecken
Aus seinem Schlund' entgegen; ich
Darf nicht vor dem Sirocco mich
Ins innerste Gemach verstecken.
Des Westwinds kühlen Hauch, gewähren
Mir unsre Berge selbst noch dann,
Wenn Sirius den Weitzen-Aehren
Die Milch aussaugt, der Wandersmann
Auf heißen Kieseln, durch das Bette
Sonst rascher Ströme, mit Gespötte
Ob ihrer Ohnmacht, gehen kann.
Dem Weichling' nur ist's hier zu kalt;
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Doch, ließ uns die Natur wohl leiden?
Sie gab uns Oefen 2, gab uns Wald,
Und Füchse, uns darin zu kleiden,
Und Hirsch', im Schlitten uns zu ziehn,
Und Tannenhain', an ihrem Grün
Das Auge, satt des Schnees, zu weiden.
Wer war der Braveste, von allen
Germaniern? des Harzes Sohn!
Rom zeug' es! Seines Adlers Krallen,
Gewohnt des Raubes, trugen schon
Ein Stück des Vaterlands davon:
Doch Hermann kam, da ließ er's fallen!
Noch sind wir fest wie unser Eisen,
Wie unsers Forstes Eber kühn;
Ein Rembrandt sollte zu uns ziehn;
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Wie sollte der in unsern Greisen
Die Kraft, die Munterkeit nicht preisen,
Die ihm im Jüngling' kaum erschien.
Wer auf dem Harz, o Zimmermann,
Gesund nicht ist, nicht Kindeskinder
Noch auf dem Arme tragen kann,
Den macht Hiéres nicht gesünder,
Und Nizza nicht zum alten Mann'.
Wem nicht der Harz, ein Lied zu singen,
Erwärmen kann die Phantasie,
Um dessen Stirne wird sich nie
Der Lorbeerkranz des Ruhmes schlingen.
Daß nicht der Ueberrock zerrissen
Schon ist, den meine Seele trägt,
Und daß er, trotz den Regengüssen!
So leicht nicht einzulaufen pflegt,
Wiewohl ihn die Natur, ein wenig
Zu dünn mir webte und zu fein:
Dafür gehört mein Dank, du König
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Der deutschen Wälder! dir allein.
Daß mich die Freude singen lehret,
Und Deutschland meine Lieder höret,
(Wenn es sie hört,) auch das ist dein!
Nie wird uns zwar, o Freund, das Glück
An einen Ort zusammen führen;
Doch möcht' ich keinen Augenblick
Die süße Hoffnung gern verlieren.
Denn, sollt' auch solche Träumerein
Uns die Vernunft weg raisonniren,
So wär' es schlimm, ein Mensch zu seyn.
Sich Schlösser in die Luft zu bauen,
Ist Thorheit bei dem Thoren zwar,
Allein der Weise wird, fürwahr!
Auf ihre Festigkeit nicht trauen;
Was sollt' ihm denn für Folgen grauen?
Sein Riß ist wenigstens doch werth,
Daß Architecten ihn beschauen,
Statt daß den Thoren, wenn sie bauen,
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Kein Kluger zuzusehn begehrt.
Besuche mich, o Zimmermann!
Wenn ich die Zeit gleich nicht ersetzen,
Nur ihren Werth mit Schweigen schätzen,
Mit Küssen nur verdanken kann.
Komm'! und ich führ', als Cicerone
Des Harzes, zu dem Wolkenthrone
Des Donner-Gottes, dich hinan,
Und lasse dich an langen Seilen
Ins finstre, grauenvolle Grab
Des Silbers, trotz des Kobolds Heulen!
Halb nach Amerika hinab.
O! wenn mein zweites Vaterland
Dir dann gefiel', und deinem Herzen
Der Ciceron' an deiner Hand:
Was fragt' ich dann nach allen Erzen,
Die man im Bauch' der Grube fand?
Denn, einen Tag voll weiser Freude,
Dem schaffen, dem ich jeden Stein
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Wegräumen möcht', und jede Heide
Mit Rosenblättern überstreun:
Nicht wahr, o Harz! wir könnten beide,
Du, nicht geehrter, ich, zum Neide
Der Weisen selbst, nicht froher seyn?

Fußnoten

1 Taheiti.

2 Auf dem Hüttenwerke zu Zorge, eine Stunde vonEllrich, werden allein viele tausend Zentner eiserne Oefen jährlich gegossen.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Gedichte. Episteln. Erster Teil. An Zimmermann, in Hannover. An Zimmermann, in Hannover. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E033-F