[82] An Dieselbe

Den 6. Juli 1773.


So leb' denn wohl, Tyrannin meiner Tage,
Du Störerin noch nie gestörter Ruh'!
Sieh, ich bin frei! – Wohlan! nun geh' und schlage
Vor deine Brust, und schluchz' und jamm're du!
Und rufe dich bei meinem Namen heiser,
Und tränke dich von deiner Thränen Bach,
Und schicke mir durch alle Thore nach:
Umsonst! Umsonst macht dich Erfahrung weiser.
Ganz hast du mich, ganz, gestern noch besessen,
Hast heute nur dieß Blättchen noch von mir,
Und morgen bist du schon vielleicht vergessen;
Ich aber, leb' in Ewigkeit in dir.
Zwar wird dich bald der Thoren Schwarm umsummen,
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Und um dein Ohr der Tanz der Geigen schwirr'n,
Doch wird auch da dein Herz nicht ganz verstummen,
Und laut genug nach mir, vergebens! girr'n;
Dein Zimmer dich ein schwarzer Kerker dünken,
Und dein Klavier ein nächtlich Wolfsgeheul;
Wirst müde zwar auf Daunenküssen sinken,
Allein der Schlaf ist nicht der Reue Theil.
Erinn're dann auf dem bethränten Bette,
In langer Nacht, der kurzen Nächte dich,
Wo ich die Welt für dich gegeben hätte,
Und du, noch mehr, die Unschuld selbst, für mich.
War ich es nicht, der aus der Liebe Kelche
Dir Honigseim drei Sommer eingeschenkt?
Und gibt es viel verliebter Mädchen, welche
Die Reue nicht mit Wermuth daraus tränkt?
Ich liebte dich um deiner Reitze willen,
Ließ immer sich mein Auge damit füllen,
Doch bat ich dich um nichts, als einen Kuß,
Ich liebte dich um deines Herzens willen,
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Des Herzens, ach! das ich itzt hassen muß!
Denn, hab' ich dich, du gütevolle Seele,
Mit Augen nicht, dem Tiger gleich, gesehn,
Der itzt hervor aus knochenvoller Höhle
Zum Morde springt? Vermochtest du zu stehn
Auf bebendem Gebein'? Und bließ die Wuth
Nicht in den Schaum der leichenblassen Lippen,
Bis brausend, gleich der schweren Regenfluth,
Wenn sich im Sturm' an unsers Harzes Klippen
Die Wolke bricht, du Schwür' und Fluch herab
Auf mich gestürzt? Und was hatt' ich verbrochen?
O schreib' du selbst dereinst es auf mein Grab:
Hier liegt ein Mann, der mir sich ganz ergab,
Und, (doch von nichts!) mit Chloen einst gesprochen!
Ha, wer begreift's? Sprich denn, Tertullia,
Wie kann in der die Wuth des Teufels hausen,
In der die Welt nur einen Engel sah?
Kann, gleich dem Meer', dieselbe Stimme brausen,
Die einem West' im leisen Lispel gleicht,
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Wenn er sich sanft durch eine Harfe schleicht?
Kann ein Gesicht, so wie die Raphaele
Geschaffen für die schöne Unschuldseele
Mariens, auch Gesicht Xantippens seyn?
Geh, Falsche, geh! Die Herzen aller Männer,
Sind, wenn du willst, in allen Städten dein.
Der Weis' ist nur umsonst ein Menschenkenner,
Wenn er dich sieht; ich kenne dich allein!
Fort denn von dir! Hier werf' ich vor die Füße
Die Ketten dir, wie sie die Eifersucht
Geschmiedet hat. Da nimm sie auf, und schließe
Mich noch damit und hindre meine Flucht!
Und lehre den, deß' Freiheit zu erschüttern
Die Fürsten selbst zu arm an Gnade sind,
Vor einem Wink' von deinem Fächer zittern,
Und mache mich bei Mädchen taub und blind!
Du Thörin du! Träumst du, daß wahre Liebe
Die Ketten da, gutwillig tragen kann?
So kennst du nicht den edelstolzen Mann!
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Ich fühl's, daß der ich ewig treu verbliebe,
Die so mich liebt, um das mir zuzutraun:
Doch du? – Leb' wohl! Wenn ich in Staub zerstiebe,
Dann wird mein Grab, ein Weib, das meine Liebe
Zu schätzen weiß, mit Thränen noch bethaun.

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TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Gedichte. Episteln. Erster Teil. An Dieselbe. An Dieselbe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E067-E