[15] An eine Dame an dem Hofe zu **

Nein! laß du mich in meiner Einsamkeit!
Hier plaudr' ich, ohne mich an Zeit
Und Ort zu kehren, in der Mütze,
Bis Mitternacht mit dir, und horche deinem Witze.
Hier schleudr' ich oft, ein ächter Sohn des Teut,
Auf das Tyrannenvolk, das barsch vom Thron' gebeut,
Und wähnt, der Rest der Menschen sey nichts nütze,
Als Sklav zu seyn von ihrer Herrlichkeit,
Der Wahrheit Donner und des Spottes Blitze.
Hier kann ich beim Johannisbeerenwein'
Aus meinem Garten, und der Grütze
Von meinem Felde, glücklich seyn.
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Allein zu arm, mich immer neu zu kleiden,
Zu froh, den Hofmann zu beneiden,
Zu alt, um in die Lehre noch zu gehn,
Hat Euer Hof für mich zu wenig Freuden.
Sonst, offenherzig zu gestehn,
Wollt' ich für dich wohl zehnfach leiden,
Was Boileau für Ludwigs Gold
Am Hofe litt; an dir sein Auge weiden,
Wär' auch ein ungleich größrer Sold.
Laß immer meinen Eigensinn
Noch ferner nach Belieben mit mir schalten,
Denn dieser läßt es immerhin
Mit der Bequemlichkeit beim alten,
Und, wie du siehst, besteht mein Glück darin.
Ich, den in Stiefeln und in Spornen,
Die Haare schlicht zurückgekämmt,
Kein Bach, kein Sumpf und kein Gebüsch voll Dornen,
Auf seinen Wanderungen hemmt:
Ich soll mir Stunden lang die Haare
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Zerraufen lassen, und die Zeh'n
Auf dünnen Sohlen wund mir gehn? –
Wer fahren kann, ei nun, der fahre!
Doch wer wie ich wohl gehen muß,
Sey wenigstens so klug und spare
Sich jeden Schritt zum Ekel und Verdruß.
Mich immer schüchtern umzusehn,
Ob mir das fromme Ding, mein Degen,
Auch richtig folg'? und meiner Locken wegen
Bei jedem Wind' in Furcht zu stehn?
Da wär' ich wohl ein braver Thor!
Was ist mir itzt an einem Schirm' gelegen,
Mir, der durch keinen Wind und keinen Regen
Das mindeste bisher verlor?
Und wozu soll mir gar ein Degen?
Auf einer Treppe Arm und Bein,
Aus Höflichkeit, im Umdrehn, zu zerbrechen?
Denn auch nur einen Frosch der Wiese zu erstechen,
Würd' ich gewiß zu billig seyn.
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Doch dürft' ich, wie ich geh' und stehe,
Nach Hofe kommen: Weh, o wehe,
Dem Weisen, der sich da zum Schauspiel' macht!
Und hätt' er's auch zu Newton's Ruhm gebracht:
Ein Lai' in Eurer Sprach' und Sitten,
Ist dort ein fremdes Thier, und nur so lang gelitten,
Als man das Thier begaffet und belacht.
Der übersilberte Lackei
Besinnt sich, ob er einen Teller
Mir reichen will? Denn keinen Heller
Verschlägt ihm meine Reimerei.
Und sollt' auch – längst mein Glas geleert –
Der Brand auf meiner Zunge lodern,
So mag ich dreimal Wasser fodern,
Und immer wird er thun, als hätt' er's nicht gehört.
Doch, diese Grobheit läßt sich noch ertragen,
Allein die Höflichkeit der Herrn
Mit einem Schlüssel oder Stern',
Die jedes Wörtchen, das sie traun!
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Nur um des Fürsten willen sagen,
Noch als Herablassung geruhen anzuschlagen,
Wie Kieselsteine zu verdaun:
Dazu gehört ein beßrer Magen.
Wenn selbst der Fürst für Gnad' es hält,
Daß ich ihm seine Zeit vertreibe,
Indeß die Langeweil' um meine Zeit mich prellt:
Ist's dann nicht klug und wohl gethan,
Daß ich auf meinem Stübchen bleibe?
Was geht denn Euer Fürst mich an?
So lang ich Brod und Wasser haben kann,
Bedarf ich keines stolzen Fürsten Gnade.
Und wenn er nicht zu mir herab sich lassen kann?
Gut! mein sey immerhin der Schade!
Ich krieche nicht zu ihm hinan.
Ein Freund ist lieber mir, als hundert solcher Fürsten.
Zu jenem geh' ich selbst, so oft nach seinem Kuß'
Und seinem Trost' so Herz als Lippen dürsten,
Zu diesen, trann! nicht eher, bis ich muß.
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An seinem Hofe muß ich stehen,
Setzt' ich mich noch so gerne hin,
Und bleiben, wünscht' ich gleich zu gehen,
Und lachen, wenn ich traurig bin,
Und, was mein Lachen reitzt, beklagen,
Und trotz der vielen Gall' im Magen,
Für jeden Schurken immerhin
Nur Honig auf der Zunge tragen;
Muß leiden, wenn's dem Marschall' so gefällt,
Daß Schwätzer mich zum Spieltisch' führen,
Und meine Zeit, sogar mein Geld,
Nur niemals die Geduld verlieren.
Dieß Opfer ist fürwahr nicht klein;
Sollt' ich es Eurem Fürsten bringen,
So müßt' er, wenn die Figuranten gingen,
Und dann, mit Wenigen allein,
Die Herzen ihm sich an zu öffnen fingen,
Nicht Fürst, wie bei der Cour, mehr seyn.
Denn, wenn er die Despoten-Miene,
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Die bald demüthigt, bald beschützt,
Auch hier noch nicht verliert, noch steif und ernsthaft sitzt,
Damit sich ja kein Mensch erkühne,
Nur mit dem Schnupftuch' sich zu wedeln, wenn ihn schwitzt,
So spielt er, Baron gleich 1, noch außerhalb der Bühne.
Und ich erduldete so was,
Um Kaviar und Ananas
Zu schmausen, und um Chierwein zu trinken? –
Denn, Freundin, würd' es weise seyn,
Geehrt schon dadurch ganz allein,
Weil jener Fürst ist, sich zu dünken?
Laß Tigellin mit diesem falschen Schein'
Sich an des Nero Tafel schminken!
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O sähst du mich Johannisbeerenwein
Aus meinem Garten, einmal trinken,
Am Waldgesange meiner Finken,
Statt der Kapelle, mich erfreun,
Und in den ruhigen vier Pfählen,
Mein eigner Herr, mein eigner Marschall seyn:
Du würdest sicher dann nicht schmälen,
Und meinen Eigensinn, wenn's einer ist, verzeihn.
Und doch verließ ich meine Hütte
Noch heute gern, und führ', ohn' alle Bitte,
Auf Wochen lang mit dir nach Hofe hin;
Doch müßtest du nach Dessau fahren,
Denn Stunden werden mir zu Jahren,
Bevor ich um den Fürsten wieder bin,
Der – doch bei dem kann immerhin
Die Wahrheit selbst, ihr Lob ersparen.

Fußnoten

1 Er gab sich auch in Gesellschaft noch die Miene der Hoheit und Ueberlegenheit, womit er seine Rollen vorstellte; man sagte daher von ihm, er spielte noch außer dem Theater.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Gedichte. Episteln. Zweiter Teil. An eine Dame an dem Hofe zu **. An eine Dame an dem Hofe zu **. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E08E-7