[101] An seinen Fritz

An seinem Geburtstage, den 18. Juni 1780.


Vielleicht, daß schon die Hände dann verwesen,
Die dieß jetzt schreiben, liebes Kind!
Wann du dereinst dieß Blatt wirst lesen;
Vielleicht, daß schon der Abendwind
Mit den Vergißmeinnicht und Veilchen,
Auf meines Grabes Hügel spielt,
Wann erst dein Herz das volle Leben fühlt! –
Dann, guter Junge! setz' ein Weilchen
Dich auf den Rasenhügel hin,
Und denke, daß mein Leib in Millionen Theilchen
Allein zerflog, ich aber selbst noch bin.
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Und ist's erlaubt dem unsichtbaren Wesen,
Das in mir denkt, – o so umschweb' ich dich,
Wann du dieß Blatt gerührt wirst lesen,
Und nicht erröthen darfst, daß heut dein Vater sich
Umsonst gefreut, umsonst für dich
Ein halber Eremit gewesen!
Du wirst es dann schon längst vergessen haben,
Wie mir das Herz vor Freuden schlug,
Als heut dein Händchen unsern Raben
Dein Morgenbrod halb nach dem Käfich' trug,
Und wahrlich war's kaum ganz für dich genug.
Du wirst es längst vergessen haben,
Wie deine Mutter liebevoll
Dich an sich drückt, daß sie den kleinen Schwaben 1
Zu deinem Kuchen bitten soll.
Du wirst es längst vergessen haben,
Daß fast dein Herz dir, trotz dem Kuchen! brach,
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Als deine Tante scherzend sprach:
Du sollst mein Erbe seyn, wenn sie mich einst begraben.
Ich schrieb dieß auf; nicht, Kind! um dich zu preisen,
Denn dieses Herz ist Gabe der Natur,
Und deine Eltern durften nur
Am Scheideweg' zurecht dich weisen;
Doch, könntest du dereinst dieß Herz,
Und ach! mit ihm dein ganzes Glück verspielen:
Dann werd' ich zwar im Grabe keinen Schmerz,
Du aber sollst die Schande doppelt fühlen.
Denn wisse: daß dein Vater selten Wein
Nur trank, zum Reitpferd' seine Füße,
Und seine Hände zum Lackein
Gern für sich machte; selbst die süße
Begierde, seinen fernen Freund, nach Jahr
Und Tag zu küssen, unterdrückte;
Daß deine Mutter sich das Haar
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Mit Veilchen, statt der Perlen, schmückte,
Sich oft dem Schlaf', so fest er hielt, entriß,
Zu halben Tagen zwischen ihren Knieen
Dich horchend stehen hatt': und alles dieß,
Zum braven Mann' dich zu erziehen.
Erfüllst du diese Hoffnung nicht,
So wird die Welt mit Fingern auf dich zeigen,
Denn, sollt' auch schon mein Mund im Grabe schweigen,
So schweiget doch vielleicht nicht mein Gedicht.
Sohn! werde was du willst im Staat'!
Sey seines Schutzes werth durch deines Geistes Rath,
Durch deine Barke, die der fernsten Insel
Gewächse holt, durch deiner Flöte Ton,
Durch deinen Griffel oder Pinsel:
Nur werd' ein Biedermann, o Sohn!
Und bist du dieß, so wirst du sicher finden,
Was du bedarfst; denn, Kind, ein Biedermann
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Besetzt die Tafel nicht mit Sünden,
Und Ränke kleiden ihn nicht an.
Bist du nur dieß, so wirst du Freunde finden,
Wie überall sie noch dein Vater fand,
Und o vielleicht wird eines Mädchens Hand,
Das deiner Mutter gleicht, sich dann mit dir verbinden.
Erfülle dieß! denn sieh! zu deinem Richter
Macht' ich die Welt; o fröhlicher macht schon
Die Hoffnung mich, als dich die bunten Lichter
Auf deinem Kuchen, lieber Sohn.
Auch ich will heute mich zum Kinde wieder machen,
Will springen, wenn wir unsern Drachen
Hoch in den Lüften fliegen sehn;
Will mit den bleiernen Soldaten
Krieg führen, und mit Erbsen, statt Granaten,
Los auf des Feindes Schanze gehn.
Wird endlich dann der Schlaf dir Händ' und Füße lähmen,
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So sollst du noch ein süßes Traumbild sehn,
Denn, Fritz, du sollst das Buch mit dir zu Bette nehmen,
Worin die schönen Pferde stehn.

Fußnoten

1 Karl, im Götz von Berlichingen.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Gedichte. Episteln. Zweiter Teil. An seinen Fritz. An seinen Fritz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E25A-B