An eine junge Dichterinn in Dresden

1732.


Poetinn, was ich jüngst von deiner Hand gelesen,
Hat mich von Anfang zwar mit vieler Lust ergetzt:
Doch schade! daß sie nicht auch dauerhaft gewesen,
Weil mich der Schluß gelehrt, was du dir vorgesetzt.
Du willst, so drohest du, den Musenberg verlassen,
Den doch dein Auge schon, so nahe vor sich sieht;
Und das gelehrte Chor der klugen Schwestern hassen,
Ob deine Neigung dich gleich sie zu lieben zieht.
Ists möglich? darf ich dir in diesem Stücke glauben?
Und schreibt dein Kiel nicht mehr, als dein Gemüth gedenkt?
So sprich, was kann dir wohl die Lust zum Dichten rauben?
Und was hat dich so schnell auf diesen Schluß gelenkt?
Hat Phöbus dich erzürnt? Hat eine von den Schönen,
Die seine Schwestern sind, dich höhnisch angesehn?
O nein, das thun sie nicht; ja selbst von ihren Söhnen
Ist deiner Poesie bisher kein Leid geschehn.
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Du sprichst hier: Dieses ists, was ich hinführo scheue:
Man schont euch Dichter nicht, und sticht euch oft den Staar.
Geschieht nun auch an mir, was ich mir prophezeihe,
So wird auch dermaleins mein Vorwitz offenbar.
Doch, schöne Dichterinn! die Furcht ist ungegründet,
Die weiter nichts besorgt, als diese Tadelsucht:
Und wenn dein scharfer Sinn nichts mehr zu fürchten findet,
So nimmst du vom Parnaß noch viel zu früh die Flucht.
Erwäge nur einmal mit ungestörten Sinnen,
Daß Männer unter sich ganz ungezwungen sind.
Man schenkt einander nichts, und läßt sich nie gewinnen,
So lange Momus selbst noch einen Tadel findt.
So, wie mans andern macht, so machens andre wieder,
Das Echo schallt zurück, wie man zum Walde schreyt.
Ein aufgebrachter Kiel legt alle Sanftmuth nieder,
Und weis aus Rachgier oft von keiner Höflichkeit.
Ganz anders geht es zu, wo schöne Kinder singen:
Wer wollte da so scharf auf ihre Lieder seyn?
Wer ließe sich so gar den Unverstand bezwingen,
Der zarten Laute gleich den Untergang zu dräun?
Fürwahr! das hieße sich der Grobheit ganz ergeben,
Das wäre zweifelsfrey der gröbste Baurenstreich!
Wo bliebe wohl dabey die Art geschickt zu leben?
Was wär an Aberwitz dergleichen Spöttern gleich?
Sieh auf das Alterthum, und die darinn geschrieben;
Sieh auch zu dieser Zeit die Dichterinnen an:
Ja blick auf alle die, so Phöbus je getrieben,
Und sprich, ob irgend dich ihr Schicksal schrecken kann?
Wer hat die Sappho denn so grimmig angefochten?
Wer hat die Scudery und Schurmanninn verhöhnt?
Kein Wunder! Phöbus selbst hat ihren Kranz geflochten,
Und ihre Scheiteln auch mit eigner Hand gekrönt.
Zwar hab ich auch gehört, daß kurz vor unsern Zeiten,
Der Preußen Möllerinn den Lästerzahn empfand:
Allein, was hatte doch das Unglück zu bedeuten?
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Da ihre Großmuth es mit Lachen überwand.
Ihr Namen blüht gleichwohl, man ehret ihre Schriften;
Doch ihrer Spötter Zahl deckt die Vergessenheit:
Was säumst du denn so sehr, auch dir ein Lob zu stiften?
Warum verachtest du den Beyfall später Zeit?
Ermuntre deinen Fleiß, den Musen nachzueilen,
Die dir mit solcher Pracht bereits vor Augen stehn!
Wer Ruhm erjagen will, der muß nicht viel verweilen,
Und niemals furchtsam seyn, auf edler Spur zu gehn.
Entschleuß dich also nur, die Musen abzubitten,
Die du, ohn ihre Schuld, so sehr beleidigt hast.
Ich selber fleh sie an, den Zorn nicht auszuschütten,
Den sie und Phöbus selbst schon wider dich gefaßt.
Ich weis, sie werden dir den Fehler leicht verzeihen,
Wenn du nur frömmer wirst, und Besserung versprichst.
Und wie wird sich Berlin bey deinem Ruhme freuen,
Wenn du den Lorber einst, als seine Tochter, brichst!

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TextGrid Repository (2012). Gottsched, Johann Christoph. Gedichte. Gedichte. Elegien. An eine junge Dichterinn in Dresden. An eine junge Dichterinn in Dresden. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E457-0