Ueber das Absterben Hrn. D. Friedrich Heinrich Grafs, ber. Sachwalters des Königl. und Churfl. Oberhofgerichts zu Leipzig

1731 den 3 Dec.


I.f.N.


Nimm hin, erblaßter Graf! der treuen Wehmuth Zeichen,
Nimm hin dieß Klagelied, das deine Gruft erzwingt:
Und wenn wir unsern Zweck nicht bey dir selbst erreichen,
Genug, wenn unsre Pflicht ein Thränenopfer bringt.
Dieß fodert das Geblüt, es foderts unsre Liebe;
Die Ehrfurcht selber spricht, daß wir es schuldig sind.
Wer widerstünde wohl dem dreyfach starken Triebe,
Der sich mit reger Kraft in unsern Seelen findt?
O Himmel! mußte denn das feste Band zerreißen,
Das zwischen ihm und uns dein eigner Arm verschränkt?
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Und sollten wir ihn denn nur darum Bruder heißen,
Daß uns die Wehmuth itzt mit herben Zähren tränkt?
Verwandtschaft! süßes Wort, wenn deine Knoten dauren,
Wenn kein zufrüher Tod den Lebensfaden trennt!
Verwandtschaft! herber Ton! wenn wir um Leichen trauren,
In deren treuer Brust der Schwester Liebe brennt.
Was hilft uns nun der Ruhm so naher Anverwandten?
Da die Benennung uns so unverhofft betrübt:
Was hilft es, daß wir ihn so zärtlich Bruder nannten?
Da dieses Beywort uns zu Thränen Anlaß giebt,
O hätt er sich nur nichts aus unserm Blut erkohren!
So träf uns dieser Fall fürwahr nicht halb so hart.
O hätten wir an ihm ein fremdes Haupt verlohren!
So würd uns durch sein Grab nur halb so viel verscharrt.
Jedoch erwägen wir auch seiner Freundschaft Proben,
Betrachten wir den Trieb womit er uns geliebt:
So bleibt sein seltner Ruhm vor Tausenden erhoben,
So bleibt auch unsre Brust gedoppelt stark betrübt.
Wie mancher Blutsfreund lacht bey seiner Freunde Jammer;
Und leugnet durch die That die Wirkung der Natur?
Verschließt man solche nun in ihre Todtenkammer:
So sieht man nirgendwo der Thränen mindste Spur.
Wir seufzen um ein Haupt, das uns mit Vatersinnen
Von Herzen zugethan und stets gewogen war.
Theils suchten wir sein Herz stets besser zu gewinnen,
Theils both er selber uns stets neue Proben dar.
Sein Umgang war beliebt, sein Scherz und Ernst erlesen,
Sein Herz voll Redlichkeit, die Lippen voller Treu:
Und kurz, sein ganzes Thun und ungemeines Wesen
War edel und gerecht und von Verstellung frey.
Wo bleibet sein Verdienst, warum wir ihn verehren?
Die ächte Gottesfurcht und Rechtsgelehrsamkeit,
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Der Trieb, des Nächsten Wohl durch Rath und That zu mehren,
Und was für Tugenden er sonsten sich geweiht.
Ihr Stellen, wo das Recht in unserm Leipzig wohnet,
Ihr Häuser, wo das Schwert der strengen Themis blitzt;
Wo man die Bosheit straft, wo man die Tugend lohnet;
Ihr wißt, wie oft sein Mund der Unschuld Haupt beschützt.
Es lästre nur der Neid auf redliche Juristen,
Die doch Asträens Volk, der Städte Seulen sind:
Was man mit Grund verwirft, trifft schnöde Rabulisten,
Dergleichen Unkraut sich in allen Ständen findt.
Hier fällt ein wackrer Mann, ein Schutz gerechter Sachen,
Ein Freund der Billigkeit, des Eigennutzes Feind:
Der niemals sich bemüht das krumme gleich zu machen,
In dessen Fürspruch noch die Wahrheit nie geweint.
Hier spiegle sich die Zahl gelehrter Advocaten!
Wer ihm recht ähnlich ist, der sey damit vergnügt:
Wo nicht, so wähle man zum Beyspiel seiner Thaten,
Den wohlverdienten Graf, der itzt im Sarge liegt.
Wie billig ist der Schmerz der thränenvollen Augen,
Die so ein harter Fall mit herben Tropfen netzt?
O könnte nur ihr Salz zu wahrer Lindrung taugen,
So würd ihr bittrer Strom ganz billig fortgesetzt.
Allein ermuntre dich, o Schwester! in dem Leide,
Ein langer Kummer kürzt auch dir das Leben ab,
Wir fühlen selbst die Last von deinem Trauerkleide,
Doch kröne durch Geduld sein allzufrühes Grab.
Ihr Weysen! fasset euch in dem gerechten Kummer;
Der Himmel lebt ja noch, der euch den Vater nahm:
Misgönnt ihm nicht die Ruh in seinem Todesschlummer,
Obwohl er, wie es scheint, für euch zu zeitig kam.
Sein Wandel bleibt auch euch ein Muster wahrer Tugend,
Sein Leben dienet euch zur Sittenlehrerinn.
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Verlaßt euch nur auf Gott, den Vater frommer Jugend,
Und küsset seine Ruth in demuthsvollem Sinn.
Wir selber ehren hier das himmlische Geschicke,
Das unser Lebensziel allein in Händen hat;
Wir gehn von seiner Gruft weit muthiger zurücke,
Und ehren lebenslang die theure Lagerstatt.

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TextGrid Repository (2012). Gottsched, Johann Christoph. Gedichte. Gedichte. Elegien. Ueber das Absterben Hrn. D. Friedrich Heinrich Grafs. Ueber das Absterben Hrn. D. Friedrich Heinrich Grafs. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E471-3