[5] (Auf das Ableben Ihrer Maj. der Königin in Pohlen und Churf. zu Sachsen Frauen Christianen Eberhardinen)

(Im Jahr 1727.)


Laß, Fürstin! laß noch einen Strahl
Aus Salems Stern-Gewölben schiessen,
Und sieh, wie viel hier Thränen fliessen,
Und sieh Dein hohes Ehrenmahl!
Dein Sachsen, Dein bestürtztes Meißen,
Erstaunt bey Deiner Todten-Grufft;
Das Auge thränt, die Zunge rufft:
Mein Schmertz muß unaussprechlich heißen.
Hier klagt August, der Printz, das Land,
Der Adel ächzt, der Bürger trauert,
Wie hat Dich nicht das Volck bedauert,
Sobald es Deinen Fall empfand?
Verstummt! verstummt ihr holden Seyten!
Kein Thon vermag der Länder Noth,
Um ihrer theuren Mutter Tod,
O Schmertzens-Wort! recht anzudeuten.
[6]
Der Glocken bebendes Gethön,
Soll der betrübten Seelen Schrecken,
Durch ihr geschwungnes Ertz entdecken,
Und uns durch Marck und Adern gehn.
O könnte nur ihr banges Klingen,
Davon das Ohr uns täglich gellt,
Der gantzen Europäer-Welt,
Ein Zeugniß unsers Jammers bringen!
Wie starb die Heldin so vergnügt!
Wie muthig hat Ihr Geist gerungen,
Bis Sie des Todes Arm bezwungen,
Noch eh er Ihre Brust besiegt.
Ihr Leben ließ die Kunst zu sterben
In unverrückter Ubung sehn:
Unmöglich konnt es dann geschehn,
Sich vor dem Tode zu entfärben.
Ach seelig! wessen grosser Geist,
Sich über die Natur erhebet,
Vor Grufft und Särgen nicht erbebet,
Wenn ihn sein Schöpfer scheiden heißt.
An Dir, Du Muster Grosser Frauen,
An Dir, erhabne Königin,
An Dir, Du Glaubens-Pflegerin,
War dieser Großmuth Bild zu schauen.
Der Ewigkeit Saphirnes Haus
Zieht Deiner heitern Augen Blicke,
Von der verschmähten Welt zurücke,
Und tilgt der Erden Denckbild aus.
Dein heller Glantz, gleicht hundert Sonnen,
Ein Licht das unsern Tag zur Nacht
Und unsre Sonne finster macht,
Hat Dein verklärtes Haupt gewonnen.
[7]
Was Wunder ists? Du bist es werth,
Du Fürbild aller Königinnen!
Du mustest allen Schmuck gewinnen,
Der Deine Scheitel itzt verklärt.
Nun stehst Du vor des Lammes-Throne,
Verschmähst des Purpurs Eitelkeit
Vor Deiner Unschuld Perlen-Kleid,
Und spottest der verlaßnen Krone.
So weit der volle Weichsel-Strand,
Der Niester und die Warte fliesset,
So weit sich Elb und Muld ergiesset,
Erhebt dich beydes Stadt und Land.
Dein Torgau geht im Trauer-Kleide,
Dein Pretsch wird krafftloß, starr und matt;
Denn da es Dich verlohren hat,
Verliert es seiner Augen Weide.
Doch Königin! Du stirbest nicht,
Man weiß was man an Dir besessen,
Die Nachwelt wird Dich nicht vergessen,
Biß dieser Weltbau einst zerbricht.
Ihr Dichter, schreibt! wir wollens lesen:
Sie ist der Tugend Eigenthum,
Der Unterthanen Lust und Ruhm,
Der Königinnen Preis gewesen.

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TextGrid Repository (2012). Gottsched, Johann Christoph. Gedichte. Gedichte. Oden. Auf das Ableben der Königin in Pohlen. Auf das Ableben der Königin in Pohlen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E47D-B