[446] Von der Schändlichkeit der Lästerung

Bey dem Absterben Herrn M. Just Gottfried Rabeners


1732 den 27 Februar.


Ach Freund! so war für dich kein später Ziel zu hoffen?
O unverhoffter Schmerz, der unsre Brust betroffen!
Fünf Tage sahen dich gesund und krank und blaß,
Und auf der Baare stehn. Ach! wer gedachte das,
Als du vor kurzer Zeit bey guten Freunden saßest,
Und in erlaubter Lust die letzte Mahlzeit aßest?
Die letzte, wo du dich in dieser Welt ergetzt,
Und wo der Traurigste den Gram beyseite setzt;
Die letzte, wo dein Mund gelachet und gescherzet,
Und keiner das besorgt, was uns nunmehro schmerzet.
Was thut der Pöbel nun, den sonst dein Geist gestört?
Er lacht und freuet sich, wenn er uns klagen hört;
Und glaubt, nun sey es Zeit, da deine Lippen schweigen,
Den alten Groll einmal ganz ungescheut zu zeigen.
Wie sonst der kühne Leu, der ganze Wälder schreckt,
Nach welchem, weil er lebt, kein Thier die Klauen streckt,
Wenn er erstarrt und stirbt und seine Kräfte scheiden,
Auch feiger Hasen Spott und Uebermuth muß leiden.
So lang er lebend war, schien auch der Wiederhall
Von seiner Stimme, schon ein harter Donnerknall:
Doch itzt hat alles Herz, sich frech an ihn zu wagen,
Itzt will kein fauler Hund an seiner Kraft verzagen.
Allein, wie geht es zu, Freund! der du uns ergetzt,
Daß man im Leben dich so fürchterlich geschätzt?
Und daß der Pöbel sich nicht länger kann enthalten,
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In unser Klagelied sein Lästern einzuschalten?
Sein schwarzes Thun hat Schuld, daß er die Billigkeit,
Die deinen Mund belebt, so wie das Licht gescheut.
Daher entstund die Furcht, du möchtest Maal und Flecken,
Die er zu sehr geliebt, durch deinen Witz entdecken.
Dein Blick durchdrang die Nacht, darinn die Thorheit wohnt,
Die tausend Laster heckt, und gern im Dunkeln thront.
Umsonst war sie bedacht, ihr lächerlich Bemühen,
Das sie für Klugheit hält, dir gänzlich zu entziehen.
Dein allzuscharfer Sinn erforschte bald den Grund:
Und ein gesalznes Wort that oft dein Urtheil kund,
Und wußte mit Vernunft, in ungereimten Werken,
Den Tadel, der sie traf, recht sinnreich anzumerken.
Das war dein Fehler, Freund! dieß scheute mancher Thor,
Dieß rückte dir der Schwarm der Lasterhaften vor;
Der selbst so witzig ist, da ihn doch Balken drücken,
Dem Nächsten, der ihn straft, auch Splitter vorzurücken.
Durchgeht, dafern ihr wollt, die Gassen unsrer Stadt,
Und fraget jedermann, der nur zwo Lippen hat,
Wie dieser Nachbar heißt? was er für Titel führet?
Womit er sich erhält? wie er sein Haus regieret?
Ob ihn sein Weib auch ehrt? wie Sohn und Tochter lebt?
Was er bereits erlangt? wornach er künftig strebt?
Und was dergleichen mehr für Fragen fallen können;
Wenn man der Lästerung ein offnes Ohr will gönnen.
Da wird der größte Thor, der noch sich selbst nicht kennt,
Kaum seinen Namen weis, recht ausspricht, oder nennt,
Doch seines Nachbars Thun, Stand, Wesen und Bemühen
Aufs unbarmherzigste durch seine Hechel ziehen.
Dieß ist die alte Pest, die alles angesteckt;
Die durch ihr Schmähen oft die Großmuth selbst erschreckt;
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Und wenn sie gar nichts weis, der Tugend Schuld zu geben,
Die gröbsten Lügen speyt, ihr etwas anzukleben.
Was einer ausgeheckt und hämisch vorgebracht,
Wird in der ganzen Stadt viel tausendmal belacht,
Vergrößert, umgekehrt, vergiftet und vergället:
Wie sonst ein Schneeball wächst, der vom Gebirge fället.
So klein er anfangs ist, so gräulich wächst er an,
Indem er tiefer rollt, und nirgends ruhen kann;
Bis endlich solch ein Klump, der Mensch und Thiere schrecket,
Ein ganzes Thal erfüllt, und Feld und Dorf bedecket.
Apelles, der einmal so angefeindet ward,
Beschämte, durch ein Bild von sonderbarer Art,
Die schwarze Lästerung, die sich an ihm gerieben:
Denn anders dacht er nicht die Rach an ihr zu üben.
Er malte rechter Hand den dummen Midas hin,
An dem das Eselsohr den ungeschliffnen Sinn
Und schnöden Vorwitz wies; zwey Weiber ihm zur Seiten,
Dadurch den Unverstand und Argwohn anzudeuten.
Zu diesem eilte nun die schnöde Lästersucht,
Ein schön geschmücktes Weib; die sonder Scham und Zucht
Halbrasend vorwärts strebt, und zornig im Gesichte
Megären ähnlich sieht. Die Fackel geht zunichte,
Die ihre Linke trägt; indem die wilde Glut
Sie ganz verschmelzt und frißt, und ihr fast Schaden thut.
Die Rechte schleppt das Haupt der Unschuld bey den Haaren;
Die einem Jüngling gleicht, der ihren Grimm erfahren.
Er streckt der Arme Paar, so hoch er immer kann,
Und rufft des Himmels Schutz um Hülf und Beystand an.
Es geht ein Mann vorher, mit eingefallnen Wangen,
Ganz blaß und abgezehrt, wie die, so was begangen.
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Sein Namen heißt der Neid. Er dürstet recht nach Schmach.
Von hinten treten ihm zwey andre Weiber nach,
Als Arglist und Betrug, die Lästerung zu schmücken.
Am Ende läßt sich nur die Reue noch erblicken;
Sie trägt ein Trauerkleid, sieht thränend hinterwärts,
Und klaget voller Scham der Wahrheit ihren Schmerz,
Die ganz von weitem folgt. So war das Bild erfunden,
Womit Apelles dort die Lästrer überwunden.
O! stünd er wieder auf, und käm in unsre Stadt,
Wo seines Pinsels noch so mancher nöthig hat:
Was würd' er nicht auch hier der armen Unschuld dienen,
Die von der Lästersucht oft unterdrückt geschienen!
Gleichwohl, da jeder Thor sich selbst zum Richter setzt,
Den Nächsten nicht einmal verhörungswürdig schätzt,
Und hinterrücks verdammt, will man sich noch beklagen,
Wenn Kluge hier und dar die trockne Wahrheit sagen;
Wenn Männer, deren Wort mit Salz gewürzet ist,
Von deren Lippen nur Vernunft und Wahrheit fließt,
Die Thorheit ihrer Zeit zuweilen mit belachen,
Doch nie, wie andre thun, aus Lügen Wahrheit machen.
So war nun Rabners Scherz, so lang ich ihn gekannt,
Nichts anders, als die Frucht von Wahrheit und Verstand.
Wer hat ihn je gehört der wahren Tugend spotten?
Wer ist so unverschämt, daß er ihn zu den Rotten
Der Glaubensspötter zählt, die Gott und Schrift verschmähn?
Wer hat ihn in der Zahl der Schmäuchler je gesehn,
Die um ein fettes Maul, um Hoffnung, Gunst und Gaben,
Der Thoren schnödes Thun so oft vergöttert haben?
O nein! er that es nicht! von solcher Sclaverey
War sein erhabner Geist und edler Griffel frey;
Sein Griffel, der auch oft der Großen nicht geschonet,
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Und ihre Fehler nie mit falschem Ruhm belohnet.
Sein Griffel, der so schön, so rein, so lebhaft schrieb,
Daß er der deutschen Welt ein deutlich Muster blieb,
Wie man recht schreiben soll, wenn man mit Witz will schreiben,
Und unsrer Sprache Schmuck bis auf das Höchste treiben.
Der große Petrus lebt, zum Wunder aller Welt,
Und Rabners Kiel zugleich: der ihn so vorgestellt,
Daß ihn die späte Zeit, die dieses Buch wird kennen,
Den deutschen Xenophon, und Curtius wird nennen.
Dieß ist dein wahres Lob, zu früh erblaßter Freund!
Ein Lob, das dir vieleicht zu hoch getrieben scheint,
Doch mir zu klein bedünkt. Dein aufgewecktes Wesen,
Das uns dein Umgang wies, war edel und erlesen.
Dein witzerfüllter Mund schien Frankreich, Rom, Athen
An Artigkeit und Salz und Anmuth gleich zu gehn.
Ihr Freunde! sammlet doch sein Scherzen und sein Lachen:
So wird noch Rabners Geist uns Deutschen Ehre machen;
Und Leipzig rühmlich seyn: das seiner Kinder Preis,
Aus Neid, nicht allemal nach Werth zu schätzen weis;
Und oft bey Wälschen sucht, bey Franzen und bey Britten,
Worinn es ihnen selbst den Vorzug abgestritten.
Wo bleibet noch dein Tod, dem dein gesetzter Muth
Getrost entgegen gieng; als dir dein eignes Blut,
Der edle Lebenssaft, des Lebens Ende dräute?
Wer sah, daß hier dein Geist sein nahes Sterben scheute?
Du stelltest deinen Sinn in Gottes Herz und Sinn!
Darauf entwich dein Geist; und zweifelsfrey dahin,
Wo die Gerechten stehn, die so, wie du hiernieden,
In fester Zuversicht auf Gottes Huld verschieden.
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Geneuß der Herrlichkeit, die dir bestimmet ist,
Und glaube, daß du hier ganz unvergeßlich bist;
So lange man nicht wird von klugen Federn schweigen,
Und deine Schriften noch von deinem Geiste zeugen.

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TextGrid Repository (2012). Gottsched, Johann Christoph. Gedichte. Gedichte. Lehrgedichte. Von der Schändlichkeit der Lästerung. Von der Schändlichkeit der Lästerung. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E4B7-7