Christian Dietrich Grabbe
Napoleon oder die hundert Tage
Ein Drama in fünf Aufzügen

[317]

Vorwort

Dieses Drama war vor den welthistorischen Ereignissen des Juli vorigen Jahres vollendet. Seitdem ist manches eingetroffen, was in ihm vorausgesagt ist, – ebensoviel aber auch nicht. Man halte also den Verfasser an keiner Stelle für einen Propheten ex post. Seine Krankheit und andere Zufälle verhinderten die frühere Beendigung des Druckes, und es können erfoderlichen Falles ehrenwerte Zeugen, welche das Stück vor dem erwähnten Zeitpunkt kannten, jedem Zweifelnden die Wahrheit obiger Angaben sofort beweisen.


Der Verfasser.


Detmold den 29sten Januar 1831.


[317]

Personen

Personen.Die Franzosen

      Napoleon und dessen Partei
    • Napoleon I. Bonaparte, Kaiser der Franzosen

    • Königin Hortense, seine Stieftochter

    • Graf Bertrand, Generaladjutant

    • Graf von Cambronne, Generalleutnant, Kommandeur einer Division der alten Garde (der »Granitkolonne«)

    • Drouot, Generalkommandant der Artillerie

    • Milhaud, Kommandant der Kürassier-Divisionen

    • Graf von Lobau, Marschall von Frankreich, Kommandeur eines Armeekorps

    • Labedoyere, Obrist und Adjutant

    • Graf St. P-le, ein Offizier

    • Graf Bourmont, General

    • Vitry,
    • Chassecoeur, zwei abgedankte Kaisergardisten, später Hauptleute

    • Polnischer Legionsreiter

    • Zwei alte Gardegrenadiere

    • Schildwache

    • Offizier der Gardegrenadiere zu Fuß

    • Offizier der polnischen Lanzenreiter

    • Drei Offiziere

    • Drei Ordonnanzen

    • Ordonnanz-Offizier

    • Drei Piqueurs

    • Oberstallmeister

    • Sergeant

    • Kapitän der Voltigeurs

    • [318] Vier Offiziere

    • Zahlreiche Adjutanten

    • Fußgardist und dessen Kameraden

    • Gardist

    • Zwei Offiziere

    • Zwei Hauptleute

    • Soldat

    • Kürassier

    • Einer der Kürassiere Milhauds

    • Mehrere Kürassiere

    • Zwei Offiziere der Gardegrenadiere zu Pferde

    • Offizier der Suite Napoleons

    • Gardehoboist

    • Infanterieoffizier

    • Fouché

    • Carnot

    • Kammerherr

    • Lacoste, Pächter

    • Die Kaisergarden. Infanterie- und Kavallerieregimenter der Linie. Milhauds Kürassierdivisionen. Schwere und reitende Artillerie. Die Granitkolonne von Marengo. Das Korps des Grafen Lobau. Nationalgarden. Polnische Lanzenreiter. Offiziere. Adjutanten. Kuriere. Ordonnanzen. Schreiber. Piqueurs.
      Ludwig XVIII. und dessen Hof
    • Ludwig XVIII. König von Frankreich

    • Monsieur (Graf von Artois, des Königs älterer Bruder)

    • Herzog von Angouleme

    • Herzogin von Angouleme

    • Herzog von Berry

    • Herzog von Orleans

    • Gräfin von Choisy, Hofdame der Herzogin von Angouleme

    • Oberzeremonienmeister

    • Hauptmann der Schweizergarde

    • Schweizergardist

    • Kleiner Ofenheizer

    • Graf Blacas d'Aulps

    • D'Ambray

    • Einer aus dem Gefolge des Herzogs von Berry

    • [319] Oberdirektor des Telegraphen

    • Marschall Ney, Fürst von der Moskwa

    • Madame de Serré

    • Alter Marquis

    • Amme

    • Zwei Bürger

    • Kurier von Wien

    • Gefolge des Königs und des Herzogs von Berry. Altadelige Herren und Damen; Emigranten. Schweizergarden. Kammerherren und Kammerdiener.
      Das Volk von Paris
    • Ausrufer einer Bildergalerie

    • Ausrufer einer Menagerie

    • Polizeibeamter

    • Savoyardenknabe

    • Ausrufer bei einem Guckkasten

    • Ein Gensd'armes

    • Alter Offizier in Ziviltracht

    • Marquis Hauterive,
    • Herr von Villeneuve, zwei Emigranten

    • Stuhlvermieterin

    • Zeitungsausrufer

    • Alte Putzhändlerin

    • Advokat Duchesne

    • Ein Gensd'armes

    • Alter Gärtner im Pflanzengarten

    • Dessen Nichte

    • Pierre, deren Verlobter

    • Mehrere Damen der Halle

    • Louise

    • Zeitungsverbreiter

    • Zwei Bürger

    • Linieninfanterie-Patrouille

    • Ein Gensd'armes

    • Gensd'armerie-Patrouille zu Fuß

    • Deren Offizier

    • Emigrant

    • Schneidermeister

    • [320] Dessen Frau

    • Dame der Halle

    • Ältliches Frauenzimmer

    • Nebenstehender

    • Zwei aus der Masse

    • Zwei Bürger

    • Jouve

    • Vorstädter

    • Göttin der Vernunft

    • Hauptmann der Gensd'armes

    • Vorstädter

    • Ankommender

    • Krämer

    • Dessen Frau

    • Zwei Bürger

    • Vorstädter

    • Junge

    • Dame

    • Volk, darunter Bürger, Offiziere, Soldaten, Marktschreier, Savoyardenknaben und andere. Patrouillen. Damen der Halle. Vorstädter, insbesondere von St. Antoine. Pöbel.

Die Preußen

    • Blücher

    • Gneisenau

    • Herzog von Braunschweig

    • Bülow,
    • Ziethen, Korps-Kommandeure

    • Major eines Bataillons freiwilliger Jäger

    • Ostpreußischer Feldwebel

    • Unteroffizier

    • Schlesischer Infanterist

    • Zwei Berliner Freiwillige

    • Ephraim

    • Sechs Jäger

    • Ziethenscher Husar

    • Adjutant

    • Trainknecht einer Kanone

    • Marketenderin

    • [321] Schwarzer Becker, Kammerdiener des Herzogs von Braunschweig.

    • Soldaten aller Waffengattungen. Adjutanten Blüchers und Gneisenaus. Marketender und Marketenderinnen.

Die Engländer

    • Herzog von Wellington

    • Lord Somerset, General

    • General

    • Artillerie-Obrist

    • Obrist

    • Dessen Adjutant

    • Offizier des Generalstabs

    • Dragoneroffizier

    • Zwei Offiziere

    • Adjutanten

    • Sergeant der Jäger

    • James, ein Jäger

    • Fahnenträger

    • Liniensoldat

    • Versprengte Dragoner

    • Hauptmann der hannoverischen Scharfschützen

    • Alter hannoverischer Scharfschütz

    • Fritz, ein Harzjäger

    • Herzogin Von Chimay

    • Adeline

    • Zwei Aufwärter

    • Gefolge des Herzogs von Wellington. Damen und Offiziere höchsten Ranges. Volk auf der Straße von Brüssel.

    • Heer und Generalstab des Herzogs von Wellington. Englische, schottische und hannöversche Offiziere und Soldaten.
    • [322]

1. Akt

1. Szene
Erste Szene
Paris. Unter den Arkaden des Palais Royal.
Vieles Volk treibt sich durcheinander, darunter Bürger, Offiziere, Soldaten, Marktschreier, Savoyardenknaben und andere.
Die sprechenden Personen halten sich, im Vorgrunde auf. Vitry und Chassecoeur sind zwei abgedankte Kaisergardisten.

VITRY.

Lustig, Chassecoeur, die Welt ist noch nicht untergegangen, – man hört sie noch – dort oben im zweiten Stock wird entsetzlich gelärmt.

CHASSECOEUR.
So? – Ich hörte nichts – Warum lärmen sie?
VITRY.

Der alte Kanonendonner steckt dir noch im Ohr. Hörst du denn nicht? Wie rollt das Geld, wie zanken sie sich – sie spielen.

CHASSECOEUR.
O mein Karabiner, dürft ich mit deiner Kolbe wieder die Kisten zerschmettern wie die Gehirne!
VITRY.
Ja, ja, Vater Veilchen spielte um die Welt, und wir waren seine Croupiers.
CHASSECOEUR.
Blut und Tod! Wären wir es noch!
VITRY.

Na, still, nur still – In unsrem schönen Frankreich blühn jeden Lenz das Veilchen, der Frohsinn und die Liebe wieder neu, – Veilchenvater kommt auch zurück.

AUSRUFER EINER BILDERGALERIE.

Hier, meine Herren, ist zu sehen Ludwig der Achtzehnte, König von Frankreich und von Navarra, der Ersehnte.

AUSRUFER EINER MENAGERIE
dem vorigen gegenüber.

Hier, meine Herren, sehen Sie einen der letzten des aussterbenden Geschlechtes der Dronten, wackeligen Ganges, mit einem Schnabel gleich zwei Löffeln, von Isle de France und Bourbon bei Madagaskar, lange von den Naturforschern ersehnt, ihn zu betrachten und zu zerlegen.

[323]
AUSRUFER DER BILDERGALERIE.

Hier ist zu sehen der Monsieur, der Herzog von Angoulême, sein Sohn, die Herzogin, dessen Gemahlin, der Herzog von Berry und das ganze bourbonische Haus.

AUSRUFER DER MENAGERIE.

Hier erblicken Sie den langen Orang-Utang, gezähmt und fromm, aber noch immer beißig, den Pavian, ähnlichen Naturells, die Meerkatze, etwas toller als die beiden andern, und so genannt, weil sie über die See zu uns gekommen, den gewöhnlichen Affen, nach Linné simia silvanus, und das ganze Geschlecht der Affen, wie es nicht einmal in dem Pflanzengarten oder den Tuilerien leibt und lebt.

EIN POLIZEIBEAMTER.
Mensch, du beleidigst den König und die Prinzen.
AUSRUFER DER MENAGERIE.
Wie, mein Herr, wenn ich Affen zeige? Hier mein Privilegium.
GESCHREI.
Rettet! Helft dem Unglücklichen!
CHASSECOEUR.
Was da?
VITRY.

Aus dem zweiten Stock stürzt einer auf das Pflaster, und sein Gehirn beschmutzt die Kleider der Umstehenden. Wohl ein Spieler, der sein Alles verloren hat.

CHASSECOEUR.
Oder den die Mitspieler aus dem Fenster geworfen haben, weil er betrogen oder zuviel gewonnen hat.
VITRY.
Wie du raten kannst. – Das Volk zittert und faßt ihn nicht an. Ich will ihm beispringen.
CHASSECOEUR.
Pah, laß ihn liegen.
VITRY.
Freund, hätt er nun Frau und Kind, die ohne ihn verhungern müßten?
CHASSECOEUR.

Mir recht lieb. Ich muß auch hungern, – ich wollte die ganze Welt hungerte mit zur Gesellschaft. – Vitry, Wir! Als wir Italien, Deutschland, Spanien, Rußland, und Gott weiß was sonst, plünderten und brandschatzten, tausend und aber tausend Damen dieser Länder karessierten oder notzüchtigten, das Geld in Haufen auf die Straße warfen, den Kindern zum Spielwerk, weil wir jede Minute neues bekommen konnten, – hätten wir da gedacht, jetzt zusammen keine vier Sous in der Tasche zu haben, abgesetzt, der Gage beraubt zu sein durch die schwammigen, seewässerigen, schwindsüchtelnden –

VITRY.
Bonbons, oder wie es heißt. Kenne den Namen nicht genau. – Doch höre! Der kleine Savoyarde.
[324]
SAVOYARDENKNABE
mit Murmeltier und dem Dudelsack.
La marmotte, la marmotte,
Avec ci, avec là,
La marmotte ist da.
Von den Alpen –
Schläft im Winter, –
Wacht im Sommer, –
Und tanzt in Paris.
La marmotte, la marmotte,
Avec ci, avec là,
La marmotte ist da.
AUSRUFER BEI EINEM GUCKKASTEN.

Meine Damen und meine Herren, hieher gefälligst. – Etwas Besseres als eine elende Marmotte, – die ganze Welt schauen Sie hier, wie sie rollt und lebt.

SAVOYARDENKNABE.
Was schimpfst du mein Tierchen? Es ist wohl ebenso gut als dein Guckkasten –

Zu seinem Murmeltiere.

Armes Ding, siehst ordentlich betrübt aus, – der grobe Mensch hat dich beleidigt – O mein Schätzchen, freue dich, sei wieder munter, – niemand glaubt dem Schimpfen – ich gebe dir auch zwei dicke, süße Wurzeln zu Mittag. Nur wieder munter!

AUSRUFER BEI DEM GUCKKASTEN.

Sieh da, Zuschauer! – Willkommen! – Erlaubnis, daß ich erst die Gläser abwische – So – Treten Sie vor. – Da schauen Sie die große Schlacht an der Moskwa – Hier Bonaparte –

CHASSECOEUR.
Napoleon heißt es!
AUSRUFER BEI DEM GUCKKASTEN.
– Bonaparte auf weißem Schimmel –
CHASSECOEUR.

Du lügst! Der Kaiser war zu Fuß und kommandierte aus der Ferne. Ich hielt keine zwölf Schritt von ihm als Ordonnanz.

AUSRUFER BEI DEM GUCKKASTEN.
Und da, meine Herren und Damen, erblicken Sie den großen, edlen Feldmarschall Kutusow –
CHASSECOEUR.

Die alte Schlafmütze, die den Löwen zu fangen verstand, aber nicht zu halten wußte. Hätt er mit seinen Leuten jeden Tag nur viertausend Schritt mehr gemacht, so kam kein Franzose aus Rußland.

DER AUSRUFER BEI DEM GUCKKASTEN.
Und hier schauen Sie [325] den Übergang über die Beresina!
VITRY.
Eh, da schlug ich ja die Pontons mit auf!
CHASSECOEUR.
Beresina! Eis und Todesschauer! – Da war ich auch – Laß doch sehen!

Er tritt an ein Glas des Guckkastens.

Mein Gott, wie erbärmlich! – Vitry, guck einmal!
VITRY.

Ich gucke. Dummes Zeug. Ich hatte damals nichts im Leibe und stand drei Fuß tief im Wasser, unter herüberfliegendem feindlichen Kanonenhagel. Du gabst mir einen Schnaps –

CHASSECOEUR.
Es war mein vorletzter –
VITRY.

Wie albern hier – weder Pioniere, Gardisten, Linie sind zu unterscheiden – Und wie wenig Leichen und Verwundete!

CHASSECOEUR
zum Ausrufer.
Mann, kannst du Frost, Hunger, Durst und Geschrei malen?
DER AUSRUFER BEI DEM GUCKKASTEN.
Nein, mein Herr.
CHASSECOEUR.
So ist das Malerhandwerk Lumperei.
DER AUSRUFER BEI DEM GUCKKASTEN.
Ah, und da sehen Sie die so braven, aber jetzt geschlagenen Franzosen über die Beresina flüchten.
VITRY.

Mein Herr und Freund, die Schläge, die wir damals erhielten, will ich sämtlich auf meinen Rücken nehmen, ohne daß er davon blau wird.

CHASSECOEUR.

Recht, Vitry! – Wir, nur achttausend Mann, umstellt wie ein Wildbret, schlugen uns durch sechzigtausend Schufte, und entkamen.

VITRY.
Und das nannten sie Sieg!
CHASSECOEUR.
Die armen russischen Teufel wissen wohl nicht, was ein rechter Sieg ist.
DER AUSRUFER BEI DEM GUCKKASTEN.

Und hier, meine Damen und Herren, die große Völkerschlacht bei Leipzig – Schauen Sie: da die bemooseten grauen Türme der alten Stadt, – da die alte Garde zu Fuß, voran der Tambourmajor, mit dem großen Stab, wie er ihn todverhöhnend lustig in die Luft wirft, – hier die alte Garde zu Pferde, im gelben Kornfelde haltend, wie ein Pfeil, der abgeschossen werden soll. – Dort die braven Linientruppen schon im Gefechte. Hier die preußischen Jäger mit den kurzen Flügelhörnern –

VITRY UND CHASSECOEUR.
O Preußen und Patronen!
[326]
DER AUSRUFER BEI DEM GUCKKASTEN.

– und da im Regen, unter dem Galgen, den er verdient, der Blutsauger, der jämmerliche korsische Edelmann, jetzt entflohen vor dem gerechten Zorne seines rechtmäßigen Fürsten, Ludwigs des Achtzehnten, der meuchelmördrische Bonaparte –

VITRY.
Wer sagt das?
CHASSECOEUR.
Schurke, mehr wert war Er, als alle deine Ludwigs, – wenigstens zahlte er den vollen Sold.
VITRY.
Den Kaiser laß ich nicht beschimpfen! Entzwei den Guckkasten!
DER AUSRUFER BEI DEM GUCKKASTEN.
Hülfe! Hülfe! – Konspiration! – Gensd'armes! – Man spricht hier von Kaisern!
VITRY.
Ja, und die Könige zittern!
PÖBEL
kommt.
Kaiser, Kaiser, – ist er wieder da?
DER AUSRUFER BEI DEM GUCKKASTEN.
Was weiß ich. Meinen Kasten haben sie mir in Stücken geschlagen. Er kostet funfzig Franks.
VITRY.
Bitte die Angoulême, daß sie ihn dir bezahlt. – Hier ist deines Bleibens nicht mehr.
DAS VOLK
auf den Ausrufer losdringend.
Der Lump – Zerreißt ihn –
EIN GENSD'ARMES
kommt.
Guckkastenkerl, fort mit dir, – du veranlassest Aufruhr –
DER AUSRUFER BEI DEM GUCKKASTEN.
Ich lobe den König.
DER GENSD'ARMES.
Darum brauchst du andre nicht zu schimpfen – Fort!
DAS VOLK.
Herrlich! Es lebe die Gensd'armerie!
EIN ALTER OFFIZIER IN ZIVILTRACHT.
Chassecoeur.
CHASSECOEUR.

Die Stimme kenn ich von den Pyramiden her, als wir da unser Trikolor hoch über Kairos Minaretts aufpflanzten, und der Nil zu unsern Füßen rollte. – Mein Hauptmann, seit Ägypten sah ich dich nicht.

DER ALTE OFFIZIER.

Ich focht während der Zeit bald in St. Domingo, bald in Deutschland, dann bei Cattaro, dann in Schwedisch Pommern, und zuletzt bei Riga und Montereau.

CHASSECOEUR.

Na, ich war die Zeit über meistens in Österreich, Italien und Spanien, zuletzt in Rußland und Deutschland. Und bei Montereau kämpft' ich auch, vielleicht in deiner Nähe.

DER ALTE OFFIZIER.

Chassecoeur, wir haben beide eine [327] schlechte Karriere gemacht, – ich bin Hauptmann geblieben, du, wie's scheint, Gemeiner. Und nun sind wir überdem des Dienstes entlassen.

CHASSECOEUR.

Wahr – du und ich könnten so gut als Marschälle figurieren, wie die verräterischen Schurken, der Augereau und der Marmont, vielleicht Kaiser dazu sein, wie der Napoleon.

VITRY.

La la! Den einen trägt, den andern ersäuft die Woge des Geschicks. Das Herz nur frisch, es ist die Fischblase, und hebt uns, wenn wir wollen, bis wir krepieren, sei es so oder so.


Zu einer vorübergehenden Dirne.

Einen Kuß, mein Kind!
DER ALTE OFFIZIER.
Was verwahrst du an der Brust? Ist es etwas zu essen, Chassecoeur? Gib mir davon.
CHASSECOEUR.
Hauptmann, ich eß es nicht und doch macht es mich bisweilen satt und dich vielleicht auch.
VITRY.
Nun geht es los mit seinen verwünschten Phrasen, und sie rühren mich doch.
CHASSECOEUR.

Es ist ein Adler der Garde, von mir gerettet, als er unter tausend Leichen hinsinken wollte bei Leipzigs Elsterbrücke. Und – sonst hole mich der Satan! (wenn es einen gibt) die Sonne kommt zurück, zu der er wieder auffliegt.

DER ALTE OFFIZIER.

Ich glaub es auch: jetzt ist es zwar Nacht, und die Toren wähnen, das Licht bliebe aus. Aber so wenig wie die Sonne dort oben, kann eine Größe wie die Seinige untergehen, und Er kommt wieder.

VITRY.
Das wäre! Hier werf ich meine letzten Sous in die Luft! Es lebe – Doch still –

Er hält sich die Hand auf den Mund.
CHASSECOEUR.

Deine paar Sous konntest du sparen. Was hilft es uns, daß der Kaiser zurückkommt, wenn wir unterdes verhungert sind?

DER ALTE OFFIZIER.
Wer ist der Mann, Kamerad?
CHASSECOEUR.

Von der jungen Garde zu Fuß, drittes Regiment, zweite Kompanie, heißt Philipp Vitry, und denkt wie ich.

DER ALTE OFFIZIER.
Er scheint sehr lustig, ungeachtet seines Elends.
VITRY.

Das bin ich, mein Herr. Jetzt gehts schlecht. Aber [328] gibts künftig Gelegenheit, so habe ich zwei Hände zum Losschlagen, und gibts keine, habe ich zwei Füße zum Tanzen.


Kommt das Weh,
Scheuch's mit Juchhe,
Schlag den König am Morgen tot,
Denke des Kaisers beim Abendbrot!

Chassecoeur, laß dich umarmen!
CHASSECOEUR.

Ach, laß die ewigen Narrenteidungen! – Der springt und lacht, und mir krümmen sich die Finger vor Wut in die flache Hand, als wären sie zehn getretene Würmer und mir knirschen die Zähne nach – Die Angoulême mag sich nach ihren Pfaffen umsehen, kommt sie in meinen Bereich –

DER ALTE OFFIZIER.
Kamerad, hoffe –
CHASSECOEUR.
Würge! Alles Lumpenzeug, so weit wir uns umsehen.
DER ALTE OFFIZIER.

Auch die sechstausend verabschiedeten Offiziere der großen Armee, die sich gleich uns unter diesem Haufen herumtreiben?

CHASSECOEUR.

Nein. Ich sehe und schätze sie wohl. Aber daß auch sie sich so lumpen lassen müssen! – Sieh, der da ist einer – und zwar von den Ingrimmigen, nicht still und traurig wie du –

DER ALTE OFFIZIER.
Freund, ich habe Familie –
CHASSECOEUR.

Ja so – Doch der da hat keine. – Am abgetragenen, faserigen Überrock, den er so zornig schüttelt, an den alten Militärkamaschen, mit denen er auftritt, als ging es über Leichen, und dem blutdunkelnden Auge erkennt man ihn mitten in dem Hefen des vornehmen und niedrigen Gesindels, eines so schlecht als das andere. Tod und Hölle, der ist von anderem Stahl als die neuen königlichen Haustruppen, vor denen jetzt Sieger von Marengo das Gewehr präsentieren müssen. Der lief nicht den Bourbons nach, als sie wegliefen – Geschmiedet ist er in den Batteriefeuern von Austerlitz oder Borodino!

VITRY.

Bruder, welch ein Tag, als unsere Lanzenreiter durch die östlichen Tore von Moskau auf den Wegen nach Asien hinsprengten!

CHASSECOEUR.

Ja, da konnte man noch denken in den Schatzgewölben und Harems von Persien, China und Ostindien [329] zu schwelgen! Ach, es kommt einem jetzt auf der Welt so erbärmlich vor, als wäre man schon sechsmal dagewesen und sechsmal gerädert worden.


Die Emigranten Marquis Hauterive und Herr von Villeneuve kommen.
MARQUIS VON HAUTERIVE.
Nicht mehr das alte Palais Royal, mein Teurer. Alles anders –
VITRY.
Und darum auch wohl schlechter?
MARQUIS VON HAUTERIVE
nach einigem Bedenken mit verachtender Miene antwortend.
Ja, mein Freund, – schlechter.

Zu dem Herrn von Villeneuve, mit dem er etwas weiter zur Seite tritt.

Was der Pöbel frech geworden ist.
HERR VON VILLENEUVE.
Er soll schon wieder werden wie sonst, bei meinem Degen.
MARQUIS VON HAUTERIVE.

Es wird schwerhalten. Denn, Herr von Villeneuve, sollte man nicht glauben die Welt wäre seit den achtziger Jahren untergegangen? Es gibt nicht nur am Hofe bürgerliche Dames d'atour, sondern sie sollen auch wagen, sogar in Gegenwart des Königs sich auf die Taburetts zu setzen!

HERR VON VILLENEUVE.

Schändlich, entsetzlich! Bei Gott, wäre Ludwig der Achtzehnte nicht mein angeborener König, ich könnt ihn wegen seiner schwächlichen Nachgiebigkeit auf dieses Schwert fodern. Doch die Sache wird, muß Verleumdung sein, von Antiroyalisten ausgesponnen, um den König zu erniedrigen.

MARQUIS VON HAUTERIVE.

Und, Herr von Villeneuve, was sagen Sie zu den neugebackenen Fürsten, Herzogen und ihren Gemahlinnen, besonders zu der Frau des Ney, sogenannten Fürstin von der Moskwa?

HERR VON VILLENEUVE.
Ich achte sie des Wortes nicht wert.
MARQUIS VON HAUTERIVE.

Welche geschmacklose Kleidung, welches dummdreiste Benehmen, welche wüste Konversation, welche Arroganz! – Weiß denn die Person nicht, daß wir recht wohl wissen, daß sie eine Bäckerstochter ist?

HERR VON VILLENEUVE.

Mein Herr Marquis, das kommt alles davon her, daß die hochselige Marie Antoinette zu herablassend mit der Kanaille umging und den König zum selben Benehmen verleitete. Nie etwas Gutes aus Österreich für Frankreich!

[330]
MARQUIS VON HAUTERIVE.

Ach, die gute alte Zeit – die damaligen eleganten, zierlichen Salons – Nun überschwemmt von dem gemeinen Vieh!

HERR VON VILLENEUVE.

Es muß anders, anders, und es soll anders werden, Marquis, bei meinem Wappen. Schurken haben uns alle unsere alten Rechte und Güter geraubt, – jedes Gericht muß uns unser Eigentum wieder zuerkennen, denn wir haben ihm nie entsagt – – Denken Sie, mein Herr, mein so hübscher Landsitz, la Merveille bei Tours, an dem die Loire so lieblich sich hinschlängelt, in dessen Taxusgängen wir beide so oft mit den Damen der Nachbarschaft uns im freundlichen Herbste von 1783 bis zum schwindenden Abendrot ergötzten, in dem ich schon als Kind stets die erste Blume des Frühlings für Adelaide, Vicomtesse von Clary brach, meiner toten aber nimmer vergessenen Geliebten, – gehört jetzt einem filzigen Fabrikherrn! Niedergerissen sind die hohen Hecken, Dampfmaschinen brausen in den Gewächshäusern und Kartoffeln haben sich an die Stelle der kostbaren Tulpenzwiebeln von Harlem gedrängt!

MARQUIS VON HAUTERIVE.
Nun, Blacas d'Aulps und die Angoulême werden uns schon helfen und –

Hauterive und Villeneuve gehen weiter.
VITRY
deutet ihnen nach.

Die beiden Emigranten! Welche Rockschöße, welche Backentaschen, welche altfränkische Mienen und Gedanken, welche Gespenster aus der guten, alten und sehr dummen Zeit!

DER ALTE OFFIZIER.

Von der Revolution mit ihren blutigen Jahren wissen sie nichts, Philipp Vitry, – das ist vorüber, sie aber sind geblieben, wie bisweilen der Bergstrom verbraust und das Gräslein bleibt, und vielleicht darum sich für stärker hält, als die Fluten, welche es eben noch überschütteten und die Ufer auseinanderrissen. Nicht einen Strohhalm weit sind sie aus sich und ihrem stolzen Wahn herausgegangen, und Ludwig der Achtzehnte selbst datiert ja seine Regierung seit fünfundzwanzig Jahren –

CHASSECOEUR.

Was zum Totlachen ist! – Als er regiert haben will, schossen wir in Vincennes auf obrigkeitlichen Befehl seinen Vetter und Helfershelfer, den Enghien, tot und ich selbst band ihm, da es Nacht war, die Laterne vor die Brust, um besser zu zielen.

[331]
DER ALTE OFFIZIER.

O daß ich so alt geworden und nicht in einer Schlacht gefallen bin, ehe die Bourbons in Paris einzogen.


Zu einer Stuhlvermieterin.

Dame, darf ich mich niedersetzen? Meine Füße sind sehr müde, ich kann aber nicht für den Sitz zahlen.

DIE STUHLVERMIETERIN.

Ich seh Ihnen an, Sie sind ein Offizier der Großen Armee. Gebieten Sie über meine Stühle nach Belieben.

ZEITUNGSAUSRUFER.
Was Wichtiges! Wichtiges! Vom Palais Bourbon, aus der Deputiertenkammer! Hier die Journale!
VIELE STIMMEN.
Her damit – Lies sie vor!
EINE ALTE PUTZHÄNDLERIN.
Nein, hieher Ausrufer, – hieher – Deine wichtige Nachricht gehört an diesen Tisch!
ZEITUNGSAUSRUFER.
An das morsche, alte Brett?
DIE ALTE PUTZHÄNDLERIN.

Respekt vor ihm, Mann! Der Tisch ist klassisch – Auf diesem Fleck fiel zuerst das Fünkchen, welches die Welt entzündete. Hier saß ich am zwölften Juli des Jahres siebenzehnhundertneunundachtzig, nachmittags gegen halb vier Uhr, an einem sonnigen Tage, und selbst noch jung und heiter verkaufte ich einem fröhlichen Bräutchen aus St. Marceau einige Spitzen. Wir scherzten über den Preis und dachten an nichts als den Hochzeittag. Da kam ein Mann mit wild flutenden Locken, brennenden Augen, herzzerschmetternder Stimme – es war Camille Desmoulins, – die Tränen rannen ihm aus den Augen, zwei Pistolen riß er aus der Tasche und rief: Necker hat den Abschied, eine Bartholomäusnacht ist wieder da, nehmt Waffen und wählt Kokarden, daß wir einander erkennen. Und seitdem ist er, sind der gewaltige Danton, der erhabene Hérault de Séchelles, der schreckliche Robespierre unter dem Messer der Guillotine gefallen, seitdem hat der Kaiser über der Erde geleuchtet, daß man vor dem Glanze die Hand vor die Augen hielt, und ist doch dahingeschwunden wie ein Irrwisch, drei meiner Söhne sind seitdem in den Schlachten geblieben, – viel, viel Blut und unzählige Seufzer hat mir die Revolution gekostet, aber sie ist mir um so teurer geworden und an diesem Tische lies die wichtigen Zeitungen! – Das ist ja jetzt mein letztes einziges Vergnügen!

VOLK.
Ja, braves Mütterchen, an deinem Tische soll er sie lesen!
[332]
VITRY.

Das soll er! Der Augenblick vom zwölften Juli 1789, nachmittags halb vier Uhr, an diesem Tische erlebt, war mehr wert, als die Jahrhunderte, die ihn vielleicht verderben!

ZEITUNGSAUSRUFER.

Nicht nötig, daß ich hier lese, meine Herren, – da kommt einer, der es euch deutlich genug sagen wird.

ADVOKAT DUCHESNE
stürmt durch die Menge an den Tisch der Putzhändlerin.

Hört, hört, und nehmet euch in acht, daß ich euch nicht mit meiner Nachricht die Ohren zersprenge! Alles, alles wird bedroht, die dummsten frechsten Hände greifen dreist in die Speichen des Schicksalrades – In der Deputiertenkammer geschehen vom Ministerium Anträge gegen die Käufer der Nationalgüter –

VOLK.
Ha!
CHASSECOEUR
lacht.
Gehts denen auch nicht besser als uns? Eh!
DUCHESNE.

Klöster sind wieder da, die Ächtung aller Heroen der Revolution ist im Werke, Leibeigenschaft wird darauf folgen –


Marquis von Hauterive und Herr von Villeneuve sind wieder nähergetreten.
MARQUIS VON HAUTERIVE.
Nun, mein Herr, das wäre alles noch so übel nicht.
HERR VON VILLENEUVE.
Das mein ich wahrlich auch.
VOLK.

Was? »So übel nicht?« »Das mein ich auch?« Zu Boden die altadligen Schurken, die dummstolzen Feiglinge!

HERR VON VILLENEUVE.

Dumm, das mag sein – stolz sind wir gewiß – Feiglinge aber zeugte Frankreichs Adel nimmer. – Probiert das an uns – – Zücken wir die Degen, Marquis, und lassen Sie uns untergehen wie Männer.

MARQUIS VON HAUTERIVE.
Mit Freuden – Für Gott, für meinen König und mein Recht!
HERR VON VILLENEUVE.
Und für die Damen unserer Jugend!
VITRY.
Jetzt wohl alte Schachteln!
HERR VON VILLENEUVE.
Schurke, du hast dir den Tod an den Hals gesprochen.

Er will den Vitry durchbohren.
VITRY.
Ich glaub es nicht – Dir aber und deinem Freunde will ich den Hals retten.

[333] Er entwaffnet ihn und den Marquis.
CHASSECOEUR.

Vitry, sei kein Narr – Laß mich den Hunden »Marquis und Herr von« im Gedränge eins unter die Rippen geben – Niemand merkt es und sie sollen verrecken.

VITRY.

Nein, die Kerle mögen schlecht sein, aber sie haben Courage – Die schätz ich überall – Hoch lebe der Mut, auch bei französischen Emigranten!

VOLK.
Er lebe!
HERR VON VILLENEUVE
zum Marquis von Hauterive, indem er mit ihm entfernt wird.

Wer sollt es glauben, Marquis, daß gemeines Volk doch noch so viel Gefühl für Mut und Ehre haben könnte?

MARQUIS VON HAUTERIVE.
Ach, es ist mehr augenblickliche Aufwallung als echtes Gefühl.
DUCHESNE.

All dieses Volk, bis zu dem Kanzler des Königs, zu dem invaliden Advokaten d'Ambray hinauf, kennt es uns, die Weltenstürmer? Sieht es nicht die große Nation an, als wäre sie ein albernes Kind? Nicht uns, der Gnade Englands –

VOLK.
Nieder die Beefsteaks!
DUCHESNE.

– der Gnade Englands verdankt seinem Irrwahn nach König Ludwig die Krone – Frankreichs Krone! so leuchtend und so gewaltig, daß sie selbst einem Riesen, der sie trüge, und schwenkte er den Trident des Neptuns noch leichter als die großbritannische Majestät, Aug und Haupt verblenden und zerschmettern könnte! Und noch mehr: – wenn der König uns unsere Rechte läßt, nennt er das nicht Gerechtigkeit, sondern er sagt: er setze seiner durch Gott und Blut angeerbten –

CHASSECOEUR.
Schlachtenblut, nicht Weiberblut macht adlig.
DUCHESNE.

– angeerbten Machtvollkommenheit Schranken. – Schranken! Schranken! – Wenn sie sich nur vor dem Worte hüteten: Ludwig der Sechzehnte stand vor den Schranken, die ihm das Volk setzte und zerschmetterte daran mit allen seinen Höflingen zu blutigem Schaum! – Wie? können uns jeden Tag ein paar Ordonnanzen im Moniteur mit drei Zeilen nehmen, was wir in fünfundzwanzig Jahren errangen? Ist das Volk denn gar nichts? Ist es das Erbteil einiger Familien?

DIE ALTE PUTZHÄNDLERIN.
Ganz, ganz so, mein Sohn, wie Camille Desmoulins!
[334]
VITRY.
Da kommen Gensd'armes!
DUCHESNE.

Laß sie kommen, Freund. Ich muß es aussprechen und die Wahrheit verkünden. Selig sind die, die da blind sind, und zu sehen wähnen, aber unselig sind die Sehenden, welche bemerken, daß Blinde nichts erblicken, und dennoch handeln, als sähen sie. Der König ist gut, aber das Geschmeiß der Aasfliegen aus den Zeiten der Pompadours verdunkelt ihm das Auge. – Hinter russischen, hinter preußischen Bajonetten wähnen sie die Nation mit Edikten niederschlagen und sich selbst erheben zu können – Aber wartet! –

CHASSECOEUR.
Nur nicht zu lange, mein Herr.
DUCHESNE.

Noch ist es nicht aller Tage Abend, und wär er da, so möchte wieder gebadet in den Wogen seines heimatlichen Mittelmeers mit neuem Glanze ein ungeheurer Meerstern aufsteigen, der die Nacht gar schnell vertriebe!

VITRY.

Der Stern hat einen grünen Rock an, Obristenepauletts, weiße Weste, weiße Hosen, einen kleinen Degen, und schlägt in der Bataille die Arme unter.

CHASSECOEUR.
Wir schwingen sie desto besser für ihn!
GENSD'ARMES. Aufruhrschreier – Ihr werdet verhaftet.
DUCHESNE.
Zeigt ein Gesetz, welches das erlaubt. Frei zu reden, ist nirgends verboten.
CHASSECOEUR.
Frei essen wäre besser.
VOLK.
Da kommt der Herzog von Orleans!
CHASSECOEUR.
Der ist von der bourbonischen Rasse noch der erträglichste. Die krumme Nase hat er aber auch.
VIELE AUS DEM VOLK.

Respekt vor ihm, – Er ist der Sohn Egalités, und kämpfte für Frankreich, als sein Vater auf dem Schafott fiel.

HERZOG VON ORLEANS.
Gensd'armes, was für Leute verhaftet ihr da?
EIN GENSD'ARMES.
Aufrührerische Redner, mein Fürst.
HERZOG VON ORLEANS.
So laßt sie frei, auf der Stelle –

Es geschieht.

Wehe dem Lande, das sich vor Reden und Rednern zu fürchten hat.
VOLK.
Hoch Orleans, einst König.
HERZOG VON ORLEANS.
Das letztere nie, – doch stets euer Freund.

Er entfernt sich.
VIELE STIMMEN.
Welch ein trefflicher Prinz!
[335]
CHASSECOEUR.
Würde auch endlich weggejagt, wenn er je König werden sollte.
VOLK.
Ha! da kommt auch der Herzog von Berry!
CHASSECOEUR.

Zu Fuß, von der Revue seiner Hausgarden, der altadligen Zuckerhüte, die ihre Gewehre verstecken, wenn es regnet. O Dreikaiserschlacht bei Dresden!

VITRY.

Freilich, da regnete es sehr, und wir trieben sie doch in die böhmischen Berghöhlen, wie das Vieh in den Stall.

CHASSECOEUR.

Sieh einmal den großen weißen Federstrauß, den der Junge am Kopfe trägt! Mir tun die Augen davon weh!

VITRY.

I, Freund, das ist der Helmbusch Heinrichs des Vierten, seines Ahnherrn – Seine Familie hat den Strauß so oft im Maul, da ich fürchte, er wird endlich schmutzig.

CHASSECOEUR.
Heinrich der Vierte? Was war der? Was tat er?
VITRY.
Er war König von Frankreich und schlug ein paarmal einige tausend Rebellen.
CHASSECOEUR.
Der Knirps! – Weiter nichts?
VITRY.

Da frage die Gelehrten, ich weiß nicht mehreres. – – Der Berry bemerkt dich, sieht die Schmarren in deinem Gesicht. – Er will dich anreden.

CHASSECOEUR.

Er will durch mich einen Coup auf das Volk machen. Aber er irrt sich, der herzogliche Gelbschnabel. Ich bin nicht darnach behandelt worden, ihm entgegenzukommen.

VITRY.
Und wenn er dir nun etwas verspricht?
CHASSECOEUR.
In den Dreck damit. Sie halten es doch nur so lange, als sie müssen.
HERZOG VON BERRY.
Alter, braver Kamerad –
CHASSECOEUR.
Danke. Ich weiß nicht, daß ich je mit Ew. Königlichen Hoheit zusammen gefochten.
HERZOG VON BERRY.
Woher hast du die ehrenvollen Narben?
CHASSECOEUR.

Das können Sie an ihren Namen hören: diese heißt Quiberon, da stürzten wir die Emigranten in das Meer, – diese heißt Marengo, da packten wir Italien, – diese – ach!

VITRY
für sich.
Ach, Leipzig!
CHASSECOEUR.

Und wenn es gerade schlechtes Wetter oder schlechte Zeit ist, wie jetzt eben, so schmerzen diese Narben entsetzlich.

EINER AUS DEM GEFOLGE DES HERZOGS.
Mensch, wer bist du, [336] daß du so zu reden wagst?
CHASSECOEUR.

Ach lieber, gnädiger Herr – Wer ich bin oder sein soll, weiß ich nicht, aber wer ich war, das kann ich Ihnen sagen:


Sich stolz aufrichtend.

Ein kaiserlicher Gardegrenadier zu Pferde, zweite Schwadron, dem Ehrenkreuze nahe.
HERZOG VON BERRY
zu seinem Begleiter.
Still, rege nicht alte Wunden auf.

Zu Chassecoeur.

Ich schaffe dir eine Versorgung im Dome der Invaliden.
CHASSECOEUR.
Deren bedarf ich noch nicht, Ew. Königliche Hoheit.
HERZOG VON BERRY.
So nimm mit meinem guten Willen vorlieb. – Es lebe der König! –
CHASSECOEUR.
Hm! –

Alles schweigt; der Herzog von Berry mit seinem Gefolge ab.
DER ALTE OFFIZIER.
Wahrlich, wenn das so schlimm mit den Bourbons steht, wie jetzt –
VITRY.
So fallen sie bald um.
DER ALTE OFFIZIER.
Ob sie gehöhnt oder gelobt werden, das Volk bekümmert sich nicht einmal um sie.
VITRY.
Desto schlimmer, – es kennt sie nicht.
CHASSECOEUR.
Dafür kennt es einen andren desto besser. – Kommt, laßt uns sehen, wo wir etwas zu essen erringen. –

Auf den Boden stampfend.

O! verdammtes Pflaster, das so viele Buben trägt!

Ab mit Vitry und dem alten Offizier.
SAVOYARDENKNABE
mit Murmeltier und Dudelsack.
La marmotte, la marmotte,
Avec ci, avec là ect. ect.
2. Szene
Zweite Szene
Paris. Große Galerie in den Tuilerien.
Gedränge von Volk, viele altadelige Herren und Damen darunter. Schweizergarden stehen auf Wache Kammerherren und Kammerdiener eilen auf und ab.

MADAME DE SERRÉ.

Gleich kommt er, kommt er aus der [337] heiligen Messe, hier vorbei, er, das Glück Frankreichs! – Amme halte meine kleine Enkelin hoch empor, daß sie ihn ja recht sieht! Und bestecke sie mit Lilien, – hier sind noch vier!

DIE AMME
hält ein Mädchen auf dem Arme.

Madame, Mademoiselle Victoire ist mit den weißen Kokarden schon über und über geschmückt und ich kann ihr keine mehr anheften.

MADAME DE SERRÉ.

Tut nichts – Hefte, hefte – Versuch's! – Das Weiße! welch eine Farbe – welche Reinheit, welche Tugend schimmert aus ihm. – Ach, es ist ja auch das bourbonische Abzeichen.

EIN ALTER MARQUIS.
Madame, treten Sie vor – der König kommt mit seinem Hause.
SCHWEIZERGARDIST.
Zurück!
DER ALTE MARQUIS.

Wir sind treue Untertanen Sr. Majestät, wünschen gern Sein Antlitz zu sehen – Laß mindestens diese Dame vor.

SCHWEIZERGARDIST.
Zurück!
MADAME DE SERRÉ.
Das ist ein nordischer Bär! Er droht uns schon mit dem Bajonett!
DER ALTE MARQUIS.
Da ist die königliche Familie!

König Ludwig mit dem Herzog, der Herzogin von Angoulême, dem Prinzen Condé und Gefolge tritt auf.
MEHRERE STIMMEN.
Monsieur und der Herzog von Berry fehlen!
DER ALTE MARQUIS.
Wir sehen ja hier der Erlauchten genug – Es lebe der König!
MANCHE DER ANWESENDEN.
Es lebe der König!
MADAME DE SERRÉ.
Enkelin, rufe, ruf: es lebe der König!
EIN BÜRGER.
Das »lebe der König« tönt sehr dünn!
EIN ANDERER BÜRGER.
Dafür kommt es aber aus adeligen Kehlen.
MADAME DE SERRÉ.

Welch ein Mann! Das ist, Herr Marquis, das ist noch ein König! Ein ge borner! Diese heitere Miene, dieser Adel im Antlitz –

DER ALTE MARQUIS.
Die unwillkürliche Grazie –
MADAME DE SERRÉ.
Selbst in dem scheinbar nachlässigen Gange –
ERSTER BÜRGER
zu dem andern.
Der dicke Herr König hinkt ja wie der Teufel –
ZWEITER BÜRGER
zum ersten.
Das kommt vom Podagra.
[338]
ERSTER BÜRGER.
Und das Podagra kommt vom Saufen, Fressen und –
ZWEITER BÜRGER.
Sieh einmal, welch ein ernsthaftes Bocksgesicht gehe ihm zur linken Seite –
ERSTER BÜRGER.

Still, still! Die hagere Dame auf der rechten Seite ist Frau des Bocksgesichts, – sie selbst steht unter der Jesuitenkutte, er steht unter ihrem Pantoffel, der König steht unter ihm, und Frankreich unter allen zusammen.

ZWEITER BÜRGER.

Mönchskutte also unsre Krone, Weiberpantoffel unser Szepter, und Schwächlinge, die sich davon beherrschen lassen, unsere Tyrannen! – – – Diese Prozession mit ihren Pfaffen, – und der Kaiser mitten unter dem Generalstabe zu Pferde an den Linien der Sieger dahinfliegend – Vergleiche!

DER ALTE MARQUIS
zu der Madame de Serré.
Die Herzogin von Angoulême ist wirklich noch immer sehr schön.
MADAME DE SERRÉ.

Wahr, Marquis! Habsburgs Adler scheint über den Lilien Bourbons zu schweben, sieht man den erhabenen Zug ihrer Nase und den blendenden Teint ihrer Wangen!

DER ALTE MARQUIS.

Sehr fein ausgedrückt, Madame – Wie fröhlich der König dasteht und in seiner treuen Nation sich umschaut.

ZWEITER BÜRGER.

Nation? Höre doch, Nachbar! die paar alten, der Guillotine entlaufenen Weiber und Herren nennen sich Nation!

MADAME DE SERRÉ.
Wie sollte er nicht heiter sein, Marquis? – Wir alle, alle, sind ja seine Kinder.
ERSTER BÜRGER
für sich.
Ja, ihr seid alte Kinder, – junge hat er nicht und kann sie auch nicht mehr machen.
ZWEITER BÜRGER.

Komm, laß uns fortgehen. Ich kann dies nicht mehr hören und anschauen. Dieses Geschlecht ist schlimmer als schlimm, es ist ekelhaft!

MADAME DE SERRÉ.
Was seh ich? Der König winkt mir, tritt auf mich zu!
SCHWEIZERGARDIST
zum Könige.
Zurück!
DER KÖNIG.
Ich bin der König, Freund.
SCHWEIZERGARDIST.

Und dies ist mein Posten, auf den mich mein Offizier gestellt hat und für den ich bezahlt werde. Zurück, oder –

DER KÖNIG.
Schon gut, gut, braver Krieger –

[339] Für sich.

Was für ein treues, dummes Tier!

Laut.

Madame de Serré, ich kenne Sie, und wünschte Sie zu grüßen – aber Sie sehen, meine Krieger sind so felsentreu, daß sie auch mich nicht zu Ihnen kommen lassen und im Stande wären, mich gegen mich selbst zu schützen.

MADAME DE SERRÉ.
Sire, dieses ist der größte Tag meines Lebens – Ich –

Der König mit seiner Begleitung ab.
DER ALTE MARQUIS.
Sie fällt in Ohnmacht –
MADAME DE SERRÉ.
O seliger Tod! Könnt ich jetzt sterben!
CHORUS DER ALTADLIGEN EMIGRANTEN, DAMEN UND HERREN DURCHEINANDER.

O welch ein Monarch! – Welche Worte: »ich kenne Sie, wünschte Sie zu grüßen!« »So felsentreu, mich gegen mich selbst zu schützen!« – – Man sollte sie in Erz graben, – hier ein Monument errichten! – Wie groß ist er! wie huldvoll! – O kennte ihn die Kanaille! begriffe sie diesen Geist! diesen Adel! – Aber wir wollen sie zügeln, und will sie nicht begreifen, so wollen wir es sie lehren!

EIN KLEINER OFENHEIZER
kommt aus dem Winkel.
Ihr?
MEHRERE.
Wer sprach das?
DER ALTE MARQUIS.
Ein kleiner Ofenheizer – da springt er mit seiner Gabel davon.
VIELE STIMMEN.
Der elende Junge! – Doch der König »ich kenne Sie«, »felsentreu« – ungeheure Worte!
DER ALTE MARQUIS.
Erholen Sie sich wieder, Madame de Serré!
MADAME DE SERRÉ.
Mir ists noch immer, als wär ich im Himmel.
DER ALTE MARQUIS.

Ich bitte, sehen Sie auf! Da geht der königliche Oberzeremonienmeister mit dem uralten Speisenapfe der Bourbons, mit dem Nef vorbei.

MADAME DE SERRÉ.

Mit dem Nef! – O Gott, auch das Nef ist wieder da! Ja, Christus ist erstanden! jetzt erst glaub ich es recht!

CHORUS DER ALTADLIGEN EMIGRANTEN, DAMEN UND HERREN DURCHEINANDER.
Das Nef, das Nef! O Frankreich ist gerettet!

Alle ab bis auf die Schweizergardisten.
[340]
EIN HAUPTMANN DER SCHWEIZERGARDE
tritt vor.
Rudi, du hast den König zu barsch behandelt.
DER SCHWEIZERGARDIST.

Dem Kanton Luzern hab ich geschworen, dir muß ich gehorchen, und solang du es nicht befiehlst, ist es mir eins, ob ich für oder wider dieses schnatternde Gesindel jemand totschlage.

3. Szene
Dritte Szene
Königliche Zimmer in den Tuilerien.
König Ludwig und die Herzogin von Angoulême kommen.

KÖNIG LUDWIG.
Wo ist Berry?
HERZOGIN VON ANGOULEME.
Auf der Revue, Sire, und mein Gemahl geht ihm eben entgegen.
KÖNIG LUDWIG.

Revue! Revue! ich traue den Truppen nicht; sie gehorchen uns nur aus Not, ein Teil ist feig, ein anderer falsch. Das sag ich dir: weit lieber würd ich in Hartwell wieder meine Kräuter und Blumen suchen, und nach Linné ihre Ordnungen bestimmen, als auf dem Thron Frankreichs sitzen.

HERZOGIN VON ANGOULEME.

Sire, der Thron von Frankreich ist dein, – du erbtest ihn, und deinen spätesten Enkeln bist du schuldig, daß du ihn bewahrst. Gott führte dich auf ihn zurück, – versuche mit deinem Zagen Gott nicht.

KÖNIG LUDWIG.
Du schmerzbeladene Tochter Frankreichs, Kind der beiden königlichen Menschenopfer –
HERZOGIN VON ANGOULEME.
Mein Vater! mein Vater! meine Mutter!
KÖNIG LUDWIG.

– du lange Eingekerkerte, – wie kommt es, daß gerade du, die des Schicksals Schwere am härtesten empfand, von allen meines Stammes die stärkste bist, bloß im Vertrauen auf Gott?

HERZOGIN VON ANGOULEME.

Gott? – Wo es an Menschen fehlt, da erscheint er! – Oheim, ich lernt ihn kennen, dort in dem Tempel, Tempel, ja des Abgrundes der Revolution, doch für mich des Lichts. – Wer so wie ich, ein zartes Kind, da im Gefängnisse schmachtet, und bangen Ohrs die Häupter des Vaters und der Mutter von [341] den Schafotten rollen hört – o, wen so wie mich dieses Paris umbraust, rebellisch, jede Straße von dem Geschrei der Mörderrotten aufdonnernd, knirschend unter den Rädern der ewig auf- und abziehenden Henkerkarren, – wer, selbst eine Capet, Tag und Nacht nichts als »Capet, Capet nieder« rufen hört, – wem, wie mir, die letzten Sterne sinken, und wer dann im unermeßlichen Dunkel gar nichts mehr fühlt, als das Zittern des eignen kleinen Herzens, – dem nahe Gott, wie mir! – Er ist der letzte, einzige, aber größte Trost. Mir nahte er, und ich ward stark und ruhig.

KÖNIG LUDWIG.

Teure Nichte, ich glaube, du sagst die Wahrheit, und Trost sinkt in meine Brust, wenn ich fern von unseren Diplomaten dich höre. Bei dem ersten Tritt, den ich auf die Küsten meines Landes jüngst wieder tat, durchschauerte auch mich das unbegreifliche, aber gewaltige Walten der Vorsehung! – Komm an das Fenster: da breitet Paris sich aus! – Welche Stürme sind nicht hingebraust durch jene Straßen? Kein Fleckchen, das nicht von dem Blute, welches darauf vergossen, Inschrift tragen könnte, von der Bluthochzeit bis zu der Guillotine. Ungeachtet all des Scherzes, all des Schimmers, die hier gaukeln, weht es mich an, wie Moder, wenn ich diesen Steinhaufen sehe. – Noch keine drei Jahre und dort rückten mit Siegesklängen, mit feueratmenden Geschützen, Pferd an Pferd gedrängt, und Bajonett an Bajonett, dicht wie Blätter und Ähren im Frühling, die Weltbezwinger stolzen Zuges von Spanien nach Moskau. Und mit seinem ruhmestrunkenen, nie gesättigten Auge, sah Er in ihnen nur die Zeichen seiner Allmacht. Die mächtigen Parlamente Englands wurden bang und flüsterten wie Haufen furchtsamer Vögel, – wollten Frieden machen, er möge kosten, was er wolle, auch wenn sie an mir das heilige Gastrecht verletzen, mich aus ihrem Reiche weisen sollten. – Und nun! – Die Schlachtendonner sind verklungen, – Europa ist still, – wo die Adler raseten, blühen wieder friedlich die drei Lilien, und Er, der Große ward ein armer Einsiedler von Elba, starrt vielleicht grade jetzt in das Meer, und erkennt in ihm das Element, welches er nie besiegen konnte, und das ihm, ein Spiegel, groß wie Er selbst, höhnisch sein Antlitz zurückwirft.

[342]
HERZOGIN VON ANGOULEME.

König, nenn ihn gewaltig, riesenhaft, ungeheuer, – doch nimmermehr groß den Mörder d'Enghiens, – nun und nimmer der groß, welcher Treue, Recht, Ehr und Liebe dem Ruhm und der Macht aufopfert. Das kann auch der Dämon der Hölle. Die wahre Größe gibt Ruhm, Macht, jeden Außenschein für Ehre, Recht und inneres Glück dahin – Er aber tat das nie – O, ich kenne ihn – dieser Kaisertiger hätte sich vor seinem Feinde, den er mit den Klauen nicht erreichen konnte, zum Wurm verwandelt, sich von ihm treten lassen, wenn er nur wußte, daß er ihm alsdann giftig in die Ferse stechen konnte.

OBERZEREMONIENMEISTER
tritt ein.
Ihre Königlichen Hoheiten, der Herzog von Angoulême und der Herzog von Berry.
KÖNIG LUDWIG.
Meine geliebten Neffen mögen kommen.

Oberzeremonienmeister ab.
Herzog von Angoulême und Herzog von Berry treten ein.
HERZOG VON BERRY.
Sire, Sire, ich flehe, schonen Sie nicht mehr die Kanaille, das Volk!
HERZOG VON ANGOULEME.
Ja, Sire, es wird zu arg.
KÖNIG LUDWIG.
Was ist geschehen?
HERZOGIN VON ANGOULEME.
Gemahl, es ist doch kein Blut geflossen?
HERZOG VON ANGOULEME.
Nein, Gemahlin.
HERZOGIN VON ANGOULEME.
Also wieder Kindereien, mit denen ihr den Oheim belästigt.
HERZOG VON ANGOULEME.
Vielleicht.
HERZOG VON BERRY.

Sire, ich komme von dem Palais Royal. Dort seh ich einen Lump, den ich an seinen Narben, oder, wie man es nennen sollte, an den Brandmalen aus den Schlachten des korsischen Rebellen als einen seiner Söldner erkannte. Ich trat dem Kerl höflich entgegen, redete ihn freundlich an, und wähnte, ihn dadurch wieder auf den rechten Weg zu führen, und dem Volke zu zeigen, wie gütig ein Bourbon ist. Der Schurke beantwortete meine wohlgemeintesten Anträge mit nichts als Grobheiten, und als ich zuletzt rief »es lebe der König«, schwieg er, und der Pöbel mit ihm. – Das kann kein königlicher Prinz länger verbeißen, Sire, er müßte denn Elefantenzähne haben. Ich habe es noch einmal getan, um Ihrem Wunsche zu folgen, – aber, Sire, ich bürge nicht so weit für mein [343] Temperament, daß ich versichern könnte, es auch künftig zu tun.

HERZOG VON ANGOULEME.

Und, Sire, wie mir Bruder Berry erzählt, ist der Orleans vorher am nämlichen Orte, wo Berry mit Soldaten gesprochen, vorbeigekommen, und alles Volk hat ihm ein Lebehoch zugerufen.

HERZOG VON BERRY.

Ja, und noch mehr. Sie nannten ihn: »einst König.« Nun der Einst-König hüte sich vor uns und vor Ihnen, Sire, wenn er konspirieren sollte, und ich glaube, er tut es.

HERZOGIN VON ANGOULEME.

Das wäre kein Wunder, Freund. Das Haus der Orleans wimmelte stets von Mördern der Bourbons. Sie wollen die ersten in dem Geschlecht sein, wo sie nur die zweiten sind. Vergiftete der Regent nicht die Nachkommenschaft des großen Ludwigs? Brachte der sogenannte Egalité nicht meinen Vater auf das Schafott?

HERZOG VON ANGOULEME.
Doch der jetzige Orleans, Gemahlin, ist besser als seine Vorfahren.
HERZOGIN VON ANGOULEME.
Er ist – ein Orleans.
HERZOG VON ANGOULEME.
Und das –?
HERZOGIN VON ANGOULEME.

Sagt alles. Jeder artet nach dem Geschlecht, aus dem er entsprossen. Zeige mir in Bonapartes Blut ein Tröpfchen von dem ewigen Adelssinn der Montmorencys! Er war stets ein gemeiner Korse.

KÖNIG LUDWIG.

Ein durch Jahrhunderte geheiligter Name ist der leuchtendste Wegweiser für den Enkel. Aber es gibt Ausnahmen, und wahrlich! der einst so unbekannte Korse schmückte mein Land mit einem Ruhmeskranze, wie er kein anderes Reich dieser Erde ziert, und ich bin ihm dafür dankbar.

HERZOGIN VON ANGOULEME.

Ja, Sire, Er schmückte oder befleckte es mit einem Ruhmeskranze, wie kein anderes Land ihn besitzt. Kennst du die Blätter daran? Sie triefen blutrot, wie Schlachtfelder, und werden fallen, wie die gelben Herbstblätter. – O, lob ihn wie du willst, er war kleiner als sein Glück, und darum verließ es ihn.

KÖNIG LUDWIG.
Er lebt noch, Beste. – Wenn er es wieder ergriffe?
HERZOG VON BERRY.

So schlüg ich ihm auf die Hand. Die Haustruppen, welche ich befehlige, sind auch tapfere Franzosen, noch dazu von echten Edelleuten kommandiert, und [344] seinen Abenteurern mehr als gewachsen.

KÖNIG LUDWIG.

Ich habe Nachrichten. Er soll oft an Elbas nördlichem Ufer stehen, und nach Frankreich schauen – Seine Blicke bedeuteten selten Heil.

HERZOG VON BERRY.

Die Blicke des armen Teufels? Des Toren, dem sein gutes Los den Mund so voll warf, daß er alles wieder ausspeien mußte? Dessen, der jetzt als eine lebendige Schandsäule auf seiner Insel umherwandelt? Dessen, den ich, wenn ich damals erwachsen gewesen wäre, mit zwanzigtausend Mann treuer Soldaten mitten in seiner Glorie leicht hätte nach Vincennes führen wollen?

HERZOGIN VON ANGOULEME.
Wo aber waren die zwanzigtausend treuen Soldaten?
OBERZEREMONIENMEISTER
tritt ein.
Der Kanzler und der Minister des Hauses harren draußen.
KÖNIG LUDWIG.
Ah, d'Ambray und Blacas. Laß sie eintreten.

Oberzeremonienmeister ab.
Graf Blacas d'Aulps und d'Ambray treten ein.

Jetzt, Neffe Berry, frage diese erfahrenen Geschäftsmänner, ob unser Reich noch das alte ist, und wir den Korsen nicht zu fürchten brauchen?

GRAF BLACAS D'AULPS.

Das Reich ist das alte, Sire, und wir brauchen ihn nicht zu fürchten, so gewiß ich hier meinen alten Degen trage.

D'AMBRAY. Sire, es ist so, wie mein Kollege sagt. Die Nation liebt und verehrt die königliche Familie grenzenlos, – jedermann sehnt sich nach der Verfassung, wie sie etwa 1786 noch makellos in reiner Glorie prangte, – keine Stunde, wo ich nicht Briefe von Präfekten, Generalen, Maires erhielte, die diesen Wunsch nicht aussprächen, – nur ein paar Schwindelköpfe, besser für das Irren- als für das Zuchthaus, wagen anders zu denken. Die Gensd'armerie wird auch ihnen Vernunft beibringen.

HERZOGIN VON ANGOULEME.

Herr d'Ambray, wenn Sie nicht zuerst wieder die alte Achtung für Religion, für die angeborenen Herrscher, für die gesetzlichen Ordnungen herstellen, hilft Ihnen keine Gensd'armerie.

D'AMBRAY. Und, Königliche Hoheit, wer sonst würde alles das herstellen?

HERZOGIN VON ANGOULEME.

Die, welche die Herzen beherrschen, sie auf dem Schafott beseligen, – die tüchtigen Geistlichen, [345] und vor allen die vom Neide so oft verleumdeten Väter Jesu. – Sire, führ sie wieder ein.

KÖNIG LUDWIG.

Wieder! wieder! Nichte, das Wort ist nur zu sehr in der Mode! – Verwechsle mir auch nicht die Diener des Herrn mit dem Herrn selbst.

HERZOGIN VON ANGOULEME.

König und Mensch, fühle deine Schwäche – Wie wolltest du den Herrn kennen lernen, ohne die auserwählten Diener, die dich zu ihm führen?

D'AMBRAY. Sire, das »wieder« möchte bis jetzt eher zu wenig, als zu sehr Mode sein – Die Revolution riß frech ein, lassen Sie uns kühn wieder auf bauen. Warum nicht auch die Kollegien der Jesuiten? Sire, die werden die heiligsten und festesten Grundlagen Ihres Thrones bilden. Und dann lassen Sie uns in den Reihen unserer Braven bis auf den gemeinsten Tambour, alle die ausmerzen, welche dem Adler des Korsen folgten, – weg mit den etwa noch existierenden Pensionen seiner Offiziere, – wenn wir die Summen auch nur an loyale Präfekten und Maires verwenden, sind sie besser benutzt als jetzt, – solange dieses Kriegsvolk nicht darbt, solange trotzt es.

BLACAS D'AULPS.

Sire, und nehmen Sie den verruchten Käufern der Nationalgüter, welche Sie, den Adel, die Kirche und uns alle beraubt, – die Sie selbst in Hartwell so oft Räuber genannt haben, die Beute wieder ab, – das Gesindel verwendet sie nur, daß es Feuer unter dem Thron anlegt.

KÖNIG LUDWIG.

Mein lieber Blacas und d'Ambray, ihr habt recht. Doch auch das Recht will mit Klugheit ausgeübt sein. Greifen wir die Nationalgüter voreilig an, so erregen wir einen Aufstand, den wir ein paar Jahre später vermeiden konnten. Was meinst du, Angoulême?

HERZOG VON ANGOULEME.

Sire, ich denke, wie meine Gemahlin. – Ich sehe und sehe schon lange, – da auf dem Dache sitzt ein wunderschöner Tauberich – könnte man ihn fangen! –

D'AMBRAY. Das öffentliche Recht, Sire, will allerdings mit Politik gehandhabt sein. Aber das eigne bürgerliche Gesetz der Revolutionäre und Bonapartisten, ihr Code Napoléon, spricht gegen usurpierten Besitz.

BLACAS D'AULPS.

Und spricht das Gesetz nicht so, dann kehren wir es um. Für elende Assi gnaten erschacherten die [346] Plebejer unsere Ländereien!

HERZOGIN VON ANGOULEME.

Assignaten! Nenne sie nicht elend! Ich sah die zitternden Hände, welche sie bei Lebensstrafe, für ihr Geld annehmen mußten. Die Assignaten waren mit nigsblut geschrieben, Blacas.

KÖNIG LUDWIG.
Meine Herren, ich ergreife den Mittelweg. –
BLACAS D'AULPS.
Der Mittelweg ist oft doppelt gefährlich.
KÖNIG LUDWIG.

Hier nicht. Es sollen fürerst nur Worte vom Thron fallen, die den Nationalgutskäufern andeuten, wie sie für billigen Ersatz ihr Besitztum an dessen Herren zurückliefern können.

HERZOGIN VON ANGOULEME.
Oheim, du bist zu liberal.
D'AMBRAY UND BLACAS D'AULPS. Wir möchten dasselbe sagen.
KÖNIG LUDWIG.
Der König selbst zu liberal?
HERZOGIN VON ANGOULEME.

Ja, Sire, und deshalb, weil er sich zu stark hält, als daß er glaubte, das Ungeheuer des Liberalismus fürchten zu müssen.

DER OBERZEREMONIENMEISTER
tritt ein.
Sire, der Brief einer Estafette von Lyon.
KÖNIG LUDWIG.
Gut – ich will ihn lesen.

Oberzeremonienmeister ab.
KÖNIG LUDWIG
während er den Brief liest.

– Nachrichten von neuen Verschwörungen. Eine Gesellschaft der eisernen Nadel, die den Bonaparte wieder auf den Thron setzen will, ist entdeckt.

D'AMBRAY. Der Korse muß fort vom nahen Elba, auf eine abgelegene Insel, weit weg, zum Beispiel nach St. Helena oder St. Lucie.

KÖNIG LUDWIG.

Nicht übel wäre das für uns und auch für ihn. Ich merk es allgemach auch – Wir wollen bei Talleyrand in Wien anfragen, ob und wie es mit Einwilligung der fremden Monarchen möglich zu machen ist.

D'AMBRAY. Der Talleyrand saß auch in der Nationalversammlung!

BLACAS D'AULPS.
Nun, er ist doch aus einem altadligen Geschlecht, und rückgekommen zu seiner Pflicht.
KÖNIG LUDWIG.
Wo ist Monsieur? Ich wünsch ihn in dieser Angelegenheit zu befragen.
BLACAS D'AULPS.

Se. Königliche Hoheit erholen sich von den Wunden, welche Ihnen der Schmerz über die Nachricht des Todes Ihres treuen Dieners Bussy geschlagen hat, in der [347] eben aufblühenden Natur auf einer Jagd im Forst von Fontainebleau.

KÖNIG LUDWIG.
So will ich ihn nicht stören.
HERZOGIN VON ANGOULEME.
Gemahl, der König geht – Laß uns folgen.
HERZOG VON ANGOULEME.

Wie du befiehlst. – Der Tauberich, der Tauberich da oben – Welch einen Kropf hat er – Und siehe die allerliebsten Täubchen, die ihn umflattern – Ich hätt ihn längst totgeschossen, aber ich muß ihn lebendig haben. Unser Houdet soll ihn fangen.

HERZOGIN VON ANGOULEME.
Hast du von den neuen Verschwörungen gehört?
HERZOG VON ANGOULEME.
Das alberne Zeug. Laß uns nicht daran denken.
HERZOGIN VON ANGOULEME.
Ach!

Alle entfernen sich.
4. Szene
Vierte Szene
Nördliches Gestade von Elba, nicht weit von Porto Ferrajo Anbrechender Abend.
Napoleon steht am Ufer, Bertrand neben ihm, – eine Ordonnanz von der polnischen Legion hält zu Pferde in der Nähe.

NAPOLEON.

Bertrand, dies ist ein herrlicher Platz – Ich lieb ihn abends – Da das Meer, der Spiegel der Sternenwelt, hinbrausend nach den Küsten von – Ach – Der Bergwerksdirektor zu Porto Ferrajo ist abgesetzt. Er hat betrogen.

BERTRAND.
Ew. Majestät, der Mann war doch –
NAPOLEON.
Ich hab es gesagt – – Pole in Gedanken? wo denkst du hin?
DER POLNISCHE LEGIONSREITER.

Wegreiten möcht ich über das Meer, nach Marseille, Paris, und zuletzt nach meinem Vaterlande, aber nimmer ohne dich, mein Feldherr und mein Vater.

NAPOLEON.
Ein Schiff erscheint da – Welche Flagge führt es?
BERTRAND.
Man kann sie nicht erkennen. Vermutlich ein französischer Levantefahrer, der von Marseille kommt.
[348]
NAPOLEON.

Der Glückliche! er war an den Küsten Frankreichs. – Ob man im schönen Frankreich noch meiner gedenkt?

BERTRAND.

Kaiser, du fragst? – – So lange die Sonne in die Prachtfenster der Paläste und in die schmalen Glasscheiben der Hütten funkelt, wird man Deiner gedenken, oder Frankreich verdiente unterzugehen.

NAPOLEON.
Möglich. Aber die Leute sind vergeßlich – Der Marmont, Augereau –
BERTRAND.
Die Verräter!
NAPOLEON.

Ha! statt an Taten, zehrt man jetzt an Erinnerungen! Zuckte nicht einst das stolze Österreich, wie ein Wurm in dieser Hand? Nicht Preußen? Ließ ich sie beide nicht leben und bestehen? – Wie undankbar die Welt, das elende, schlechte Scheusal! – Mein eigner Schwiegervater –

BERTRAND.

Verzeih ihm, – er wurde es, weil Du befahlst – Als er nicht mehr zu gehorchen brauchte, zerriß er die Bande –

NAPOLEON.
Bande – sage, das Herz seiner Tochter.
BERTRAND.
Was kümmert das den Stolz und die Politik der alten Herrschergeschlechter?
NAPOLEON.

Die Toren! Sie sehnen sich noch einst nach dieser kleinen Hand, wenn sie längst Asche ist, denn Ich, Ich bin es, der sie gerettet hat – Ließ ich den empörten Wogen der Revolution ihren Lauf, dämmt Ich sie nicht in ihre Ufer zurück, – schwang ich nicht Schwert und Szepter, statt das Beil der Guillotine immer weiter stürzen zu lassen, – wahrhaftig, wie dort am Strande die Muscheln, wären all die morschen Throne, samt den Amphibien, die darin vegetieren, hinweggeschwemmt, und schöner als jenes Abendrot begrüßten wir vielleicht die Aurora einer jungen Zeit. – Ich hielt mich zu stark, und hoffte sie selbst schaffen zu können. – O ich muß sprechen, denn ich vermag ja jetzt nicht anders. Diese Scholle Elba kenn ich nun auch und habe sie satt. Ein bißchen Dreck! – Wie jämmerlich ein kleiner Fürst, der nicht dreinschlagen kann –

BERTRAND.
Werde wieder ein großer.
NAPOLEON.

Ist die Canaille es wert? Ist sie nicht zu klein, um Größe zu fassen? Weil sie so niedrig war, ward ich so riesenhaft.

BERTRAND.
Du warest mehr als die Welt.
[349]
NAPOLEON.

Und jetzt! Bertrand, welch ein Ende! Hier hingeschmiedet, ein anderer Prometheus, den Geier im Herzen. Hingeschmiedet nicht von der Kraft und Gewalt, sondern von der Überzahl der Schwachen und Elenden – Sohn, Mutter, von mir gerissen – Täte man das einem Bauer?

BERTRAND.
Erderschütterer, den Bauer fürchtet man nicht.
NAPOLEON.
Hat Rußlands Alexander so ganz vergessen, wie er auf dem Niemen sich beugte? Hat der Preußenkönig –
BERTRAND.

O Sire, den tadle nicht. Er verlor durch deine Schlachten die schönste Rose im Schnee des Nordlands. Ich habe sie erblickt und das Auge ward mir feucht, als ich ihren Tod erfuhr.

NAPOLEON.

Konnt ich davor? – Weswegen blühte sie im Gleise meines Siegeswagens? Das Geschick trieb seine Räder zermalmend über noch viel härtere Herzen: Pichegru, d'Enghien, Moreau –

BERTRAND.
Du, selbst so Gewaltiger, glaubst ein Geschick?
NAPOLEON.

Ja, es stand bei mir in Korsika, meiner meerumbrausten Wiege, und wird auch meinen Sarg umbrausen. In Moskaus Flammen, nachdem ich lange es vergessen, sah ich es mit seinen Fittichen sich wieder über mich erheben. – Nicht Völker oder Krieger haben mich bezwungen – Das Schicksal war es. – Was ist dir?

BERTRAND.
Mein Kaiser, vielleicht – kaum wag ich es zu sagen –
NAPOLEON.
Sag es!
BERTRAND.
– vielleicht mein Freund –
NAPOLEON.
Es könnte sein. Doch glaubst du es, so schweige davon.
BERTRAND.
– ich kann es nicht ertragen, Dich so zu sehen, so wie jetzt, einen –
NAPOLEON.
Nun?
BERTRAND.

– einen Löwen im Käfig. – Auch meine Gemahlin härmt sich ab. Ihre Schönheit, ihre Heiterkeit schwinden dahin seit Deinem Fall.

NAPOLEON.
Ich weiß. – Wie stehts wohl in Frankreich?
BERTRAND.

Schlecht, Sire. Der König schwach, die Prinzen übermütig, die Ultras siegend, Deine alten Krieger verhöhnt –

NAPOLEON.

O mein Land, mein Land! – Man sage, was man will, ich hab es stets geliebt! – Fühlten meine Feinde den [350] Schmerz, der mich seinetwillen durchbrennt, – die Jämmerlinge stürben daran, wie Mücken am Lichte!

BERTRAND.
Es ist gestern ein Offizier aus Frankreich angekommen.
NAPOLEON.
Aus Frankreich? Er komme. – Aber bemerkte ihn keiner der fremden Späher?
BERTRAND.
Nein, – er schlich als italiänischer Matrose verkleidet bis zu uns.
NAPOLEON.
Wie heißt er?
BERTRAND.
Graf St. P-le.
NAPOLEON.
Von dem hört ich früher. – Er focht brav bei Champeaubert.
BERTRAND.
Da ist er, Sire.

Der Offizier tritt vor.
NAPOLEON.
Wer sind Sie?
DER OFFIZIER.
Graf St. P-le, Ew. Majestät.
NAPOLEON.
Was wollen Sie hier?
DER OFFIZIER.
Ewr. Majestät dienen.
NAPOLEON.
Geht nicht, mein Herr. Habe schon Offiziere genug. Ich kann Sie nicht besolden.
DER OFFIZIER.
Sold verlang ich nicht.
NAPOLEON.
So? – Haben Sie Briefe?
DER OFFIZIER.
Nein, Sire.
NAPOLEON.
Adieu.
DER OFFIZIER.
Sire, Briefe mitzunehmen, war gefährlich. Aber ich redete mit Fouché.
NAPOLEON.
Fouché – Was sagte er? Sagen Sie es mir, – gleich und heimlich.

Der Offizier spricht heimlich mit ihm.

Es ist gut. – Wie ists mit den Bourbons? Mir zahlen sie meine Gelder nicht. Ich könnte ihnen, als souveräner Fürst von Elba, Krieg erklären, wegen gebrochenen Vertrags.

DER OFFIZIER.

Der König übersetzt den Horaz, Monsieur geht auf die Jagd, die Angoulême betet, ihr Mann hört zu, Berry liebt die Damen.

NAPOLEON.
Das Volk?
DER OFFIZIER.
Ärgert sich, daß Pfaffen, Betschwestern und emigrierte Edelleute es beherrschen sollen.
NAPOLEON.

Das unselige bourbonische Haus! Es wird noch einst in einem adligen Nonnenkloster aussterben. – Das Heer?

[351]
DER OFFIZIER.
Es schweigt.
NAPOLEON.
Und denkt?
DER OFFIZIER.
An Sie!
NAPOLEON.
Die Bourbons haben Haustruppen, rote Kompanien?
DER OFFIZIER.

Die Haustruppen sind Greise oder Kinder. An den roten Kompanien ist nichts Rotes als ihre Montur, – bei Marengo oder Austerlitz wurden sie wahrlich nicht rot gefärbt.

NAPOLEON.
Die gefangenen Veteranen der Großen Armee?
DER OFFIZIER.
Kommen täglich aus Rußland zurück –
NAPOLEON.
Ha, wieder da!
DER OFFIZIER.

– und werden ohne Pension verabschiedet, oder mit halber Pension, die nicht bezahlt wird, entlassen –

NAPOLEON.

Besser, besser stets und besser! Hätt ich den treuesten meiner Freunde nach Paris geschickt, mein Reich zu verwalten, er hätte nicht so gut für mein Interesse gesorgt, als die Bourbons! – O meine Gardegrenadiere, wandelnde Festungswälle mir in der offnen Schlacht, und alle, alle, die ihr Bajonette für mich aufpflanztet, Säbel für mich schwanget, bald sonn ich mich wieder in eurem Waffenglanze, und das Gleichgewicht Europas fliegt bebend aus den Angeln!

BERTRAND.
Kaiser, endlich?
NAPOLEON.

Gleichgewicht! Als ob man Völker abwägen und zählen könnte! Die Erde ist am glücklichsten, wenn das größte Volk das herrschendste ist, stark genug überall sich und seine Gesetze zu erhalten, und wer ist größer, als meine Franzosen? – Kongreß zu Wien! Da streiten sie sich um den Mantel des Herrn, den sie hier am Kreuze wähnen – mein Polen, mein Sachsen wird zerteilt, – Niemand wird von dem halben Bissen satt, ja, er wird Gift im Munde – Aber der Herr erstand! – – Europa, der kindisch gewordene Greis bedarf der Zuchtrute, und was meinen Sie St. P-le, wer könnte sie besser schwingen, als Ich?

BERTRAND.
Der Prinz von Masseriano fordert Elba als sein Eigentum zurück.
NAPOLEON.
Der Knabe!
BERTRAND.
Auch spricht man davon, Dich nach St. Helena zuversetzen.
[352]
NAPOLEON.
Wie? wenn es mir nun gefiele, den Fuß nach Frankreich zu setzen? Nicht zwei Tage und ich bin dort.
DER OFFIZIER.
O Sire, Sire, dahin! Sie nur können es erlösen!
NAPOLEON.

Man denkt mit mir zu spaßen. Es ist zum Totlachen! – Meine Herren, wird nicht, sowie ich bei Toulon lande, der weltbekannte Klang meiner Kriegstrompete wie ein Blitz durch alle Busen schmettern? Wird mein Adler nicht im Augenblick von Turm zu Turm bis St. Denis hinfliegen?

BERTRAND UND DER OFFIZIER.
O lande, lande!
NAPOLEON.
Graf St. P-le, wer sendet Sie? Verschworene wider die Bourbons?
DER OFFIZIER.
Sire, nein. Die Nation ruft Sie.
NAPOLEON.

Das wollt ich – Verschworene sind immer Schurken, die nur ein Werkzeug für ihre Pläne suchen, welches sie nachher gern wegwerfen.

DER OFFIZIER.

Auch Italien, aus dem ich eben komme, ist voll Unruhe. Selbst der König von Neapel bereut seinen Abfall.

NAPOLEON.

Ich weiß – Er wird vernünftig aus Not. Der und der Bernadotte – Bernadotte, welcher vom nahen Rußland alles, vom fernen Frankreich nichts zu fürchten hatte, der seine Schildwache, wenn er mit mir hielt, dicht unter den Fenstern des Zarenschlosses zu Petersburg aufstellen konnte, sind untreu geworden, – Murat aus Tollheit, und Bernadotte aus Eifersucht auf mich – – Die Armen! Mit mir ging die Sonne unter, die diese Planeten im Schwunge erhielt – Nicht drei Jahre, und Europas Fürstenhäuser schämen sich der unadligen, bloß von meiner Größe ausgebrüteten Fliegen! – Wo ist Cambronne?

BERTRAND.
Hält dicht hinter uns, bei dem Dich begleitenden Detachement der Ulanen.
NAPOLEON.
Pole, ruf den Kommandeur der Garde.
DER POLNISCHE LEGIONSREITER.
Ha! Gleich!

Reitet fort und kommt bald darauf mit Cambronne zurück.
NAPOLEON.
General, sind die Magazine versorgt?
CAMBRONNE.
Sire, wie Sie geboten.
NAPOLEON.

Teilen Sie an jeden Infanteristen und jeden Reiter Rationen auf vier Tage aus. – Sind die Brigg und die beiden in Beschlag genommenen Kauffahrer im Stande, morgen mit den Truppen abzusegeln?

[353]
CAMBRONNE.
Ja, Sire.
BERTRAND
halb für sich.
Was wird das?
NAPOLEON.
Cambronne, morgen früh, fünf Uhr lassen Sie die Reveille schlagen.
CAMBRONNE.
Welche? die alte, oder die neue?
NAPOLEON.
Die von Jena!
CAMBRONNE.
O, so stampft binnen sechs Wochen das Pferd jenes Reiters auf dem Pflaster von Paris.
DER POLNISCHE LEGIONSREITER.
Es bäumt sich schon, General.
NAPOLEON.
Es stampft da früher: am 20. März, dem Geburtstag meines Sohns.
BERTRAND.
Campbell aber mit dem englischen Geschwader?
NAPOLEON.

Hindert uns nicht. Ich hab ihn nach Livorno locken lassen, dort die Merkwürdigkeiten zu besehen, und heut abend zecht er daselbst Madeira mit einigen seiner Landsleute, die nicht wissen, wie sie verleitet sind, ihn einladen zu lassen, so wenig als er weiß, warum er eigentlich eingeladen ist – O das Gepack!

DER OFFIZIER.
Also da, der ersehnte, der große Augenblick!
ALLE ANWESENDEN.
Es lebe der Kaiser!
BERTRAND
zu dem Offizier.
Wieviel haben wir gesprochen, Er Selbst mit, und Er hat alles getan, ehe wir sprachen.
DER OFFIZIER.
Er ist groß und gütig – ist ein Gott.
NAPOLEON
gegen das Meer gewendet.

Amphitrite, gewaltige, blauäugige Jungfrau, – schon lange läßt du mich umsonst um dich buhlen, – ich soll dir schmeicheln, und ich möchte doch lieber als Mann mit Waffen dich den Händen der Krämer entringen, die dich, o Göttin, mit der Elle messen und zur Sklavin machen wollen, – aber ich weiß, du liebst ihn doch, den Sohn der Revolution, – einst vergaßest du deine Launen und trugst ihn mit sichren Armen von den Pyramiden nach dem kleinen Glockenturm von Fréjus, – morgen trägst du mich von Elba noch einmal dahin. – Amphitrite, schlummre süß.


Alle ab.
[354]

2. Akt

1. Szene
Erste Szene
Paris im Jardin des Plantes.
Ein alter Gärtner und seine Nichte treten auf.

DER ALTE GÄRTNER.
Nicht so wild Kind, nicht gesprungen, – hier ging einst Buffon sehr ruhig und ordnete sein System.
DIE NICHTE.
Onkel, Onkel, welch ein Morgen! Wie durchschimmert ihn die Frühlingssonne! Eintrinken möcht ich ihn!
DER ALTE GÄRTNER.
Du Wilde, sieh nach den Bäumen – Haben Weide und Kastanie schon Knospen?
DIE NICHTE.
Ja! alle, alle, und die Silberpappeln knospen dazu – O, ça ira, ça ira.
DER ALTE GÄRTNER.
Nichte, das sag ich dir ernstlich, tu was du willst, aber singe mir keine politischen Lieder.
DIE NICHTE.
Ça ira? politisch? Ich meinte, bald gehts los, und die Blumen brechen aus.
DER ALTE GÄRTNER.

Wir können die Fenster von den Beeten nehmen – Ah, wie richten sich schon die Gräser auf. Hier Phalaris canariensis.

DIE NICHTE.

Welch ein weitläuftiger Name für ein so kleines, zierliches Ding. – Man möchte die Gräschen ausreißen und küssen, so allerliebst stehen sie da.

DER ALTE GÄRTNER.

Die Kanone der Sternwarte donnert schon die zehnte Stunde. Wir müssen fleißig sein, wollen wir vor Mittag noch etwas beschicken.

DIE NICHTE.

Etwas beschicken? – Das überlaß heute den Leuten ringsum in der staubigen Stadt – Wir wollen hier das frische Grün genießen. – – Die schöne Kokosblüte in jenem Gewächshause nehm ich mir zum Stickmuster.

DER ALTE GÄRTNER.

Stickmuster, ja – Seit einem Jahre [355] denkst du bei jeder Blume an Putz, Stickmuster und den unseligen Pierre. Ich glaube, du hingest ihm den ganzen Gartenflor um den Hals, deines Onkels Herz dazu.

DIE NICHTE.

Mein Herz gern, deines nicht, Onkel. In deiner Brust, die für meine Mutter und mich so treu sorgte, säß es doch besser als an seinem Halse. – Aber, wahr ist wahr, und schön ist schön, und gut ist gut: wahr, schön und gut ist er.

DER ALTE GÄRTNER.

Er stört mich hier, und der Oberintendant des Gartens hat es schon übelgenommen, daß ich ihn einlasse. Er ist ein Bonapartist oder gar ein Revolutionär –

DIE NICHTE.

Wäre Pierre das (ich weiß wahrhaftig nicht, ob er es ist, denn auf sein politisches Geschwatz acht ich so wenig wie der schlafende Müller auf das rauschende Rad) so müßten die Bonapartisten und Revolutionäre herrliche Leute sein.

DER ALTE GÄRTNER.
Kind, Kind, ehre mir die Bourbons, unsere Herren.
DIE NICHTE.

Vor einem Jahre mußt ich ja das erste Kapitel des kaiserlichen Katechismus auswendig lernen, und Napoleon anbeten. Weißt du, wie du mir drohtest, als ich bei dem Aufsagen stotterte?

DER ALTE GÄRTNER.
Vor einem Jahre, Kind! – Jetzt schreiben wir 1815.
DIE NICHTE.

So – 1814 und 1815, das ist der Unterschied. – Es geht wohl mit den Herrschern, wie mit den Blumen, – jedes Jahr neue. – Ach, sieh da meine wieder grünende Ulme!

DER ALTE GÄRTNER.

Der König Ludwig der Achtzehnte gibt mir mein Brot, – und da kommt der verwünschte Pierre mit Damen –

DIE NICHTE.
Damen? Was? Ha, der –
DER ALTE GÄRTNER.
Damen der Halle.
DIE NICHTE.
So – Die machen mich nicht eifersüchtig.

Pierre und Damen der Halle.
PIERRE.
Elise, meine Elise! – Und alle Lilien ausgerottet, mein Vater!
DER ALTE GÄRTNER.
Warum?
PIERRE.
Der König wird fortgejagt, – Napoleon kommt wieder.
[356]
DIE DAMEN DER HALLE.
Die Lilien weg! Die Lilien weg!
DER ALTE GÄRTNER.
Stille, stille – Vor dem Garten stehen Gensd'armes, die dieses hören möchten.
DIE DAMEN DER HALLE.
Weg Gensd'armes und Lilien!
DER ALTE GÄRTNER.

Meine Damen, verwechseln Sie nicht das Reich der Natur mit dem Reiche der Bourbons, nicht blühende Lilien mit gemalten.

DIE DAMEN DER HALLE.
Gut gesagt!
DER ALTE GÄRTNER.
Bedenken Sie, daß dort die Büste Linné's steht. Auch Büff –
EINE DAME DER HALLE.
Linné, was war der?
EINE ANDERE.

Ein herrlicher Mann, Madame. Erst Schusterjunge in Lyon, dann Fürst von Pommern, Schweden und den Heidschnucken, und immer dabei ein eifriger Republikaner und Beschützer des botanischen Gartens.

DIE DAMEN DER HALLE.
Behalte deine Blumen, Gärtner. Hoch lebe der Fürst Linné!

Die Damen der Halle ab.
DER ALTE GÄRTNER.

Mir wirbelt der Kopf: – Linné ein Schusterjunge, dann Fürst, Republikaner, und das alles so sicher gesagt – Ich will sie eines Besseren belehren – Linné war –

PIERRE.

Still! – Rufe sie nicht zurück. Ich selbst mußte sie wider Willen hieher führen. Gott weiß, was ihnen einmal vom Linné in den Ohren geklungen hat, und was klingt, glauben sie, und erzählen es noch schallender wieder. – – Elise schmollst du?

DIE NICHTE.
Revolutionsmensch –
PIERRE.
Das verstehst du nicht. – Geliebte –
DIE NICHTE.

Und das »Geliebte« verstehst du nicht. – Ha, da die weißen Kirschblüten – sitzen sie nicht am Baume, wie junge Lämmer, die am grünen Berge klettern? – Wie schön!

PIERRE.
In deinem Auge blitzen sie schöner. – Napoleon soll jetzt, wie, man munkelt –
DIE NICHTE.
Folge mir unter den Kirschbaum.
[357]
2. Szene
Zweite Szene
Paris. Unter den Arkaden des Palais Royal.
Vieles Volk, Bürger, Offiziere, Soldaten usw., etwa wie in der ersten Szene des ersten Aufzuges.

VITRY.
Bist satt, Chassecoeur?
CHASSECOEUR.
Ja, von überreifen, übersüßen Kartoffeln.
VITRY.
Sollen wir zur Seelenmesse, welche die Madame über den Gebeinen ihres Vaters halten läßt?
CHASSECOEUR.

Lieber zur Hölle. – Madame ist sehr gnädig. Wenn die Gebeine, für welche sie jetzt betet, nicht eher einem Schreckensmann angehören, als dem längst in Kalk vermoderten Capet, bin ich verflucht.

VITRY.
Gönn ihr die Knochen. Fleisch ist nicht daran.
ADVOKAT DUCHESNE
kommt.
Was Neues!
VITRY.
Das Neue ist heutzutag was Altes.
DIE ALTE PUTZHÄNDLERIN.
An meinen Tisch, Herr!
VITRY.
Immer die Politik am Putztische.
DUCHESNE.
Wieder tolle Streiche! – Die Emigranten werden entschädigt.
VITRY.
Wofür?
DUCHESNE.
Dafür, daß sie zur Zeit der Not wegliefen.
VITRY.
Wovon entschädigt?
DUCHESNE.
Von dem Gelde und Blute der Nation.
VITRY.
Chassecoeur, wir wollen künftig auch weglaufen.
CHASSECOEUR.
O!
VITRY.
Alter Junge, ärgere dich nicht zu arg. Aus dem jetzigen Spaß wird einmal wieder Ernst.
DUCHESNE.
Die Ultras machen die offenbarsten Schritte, die Konstitution umzustürzen.
VITRY.
Ist sie ihnen noch nicht schlecht genug?
DUCHESNE.
Die Angoulême läßt die Jesuiten zurückrufen.
VITRY.
Wir jagen sie wieder fort.
DUCHESNE.
In Nismes ermordet man schon die Protestanten, und niemand wehrt.
VITRY.
Freund, daran zweifle ich: sie genießen des Schutzes unseres legitimen Herrschers.
CHASSECOEUR.
Teufel, was ist denn legitim?
VITRY.
Das, was alt ist.
CHASSECOEUR.
Wie alt?
[358]
VITRY.
Weiß nicht genau.
SAVOYARDENKNABE
mit dem Murmeltier und Dudelsack.
La marmotte, la marmotte etc.
CHASSECOEUR.
Der verdammte Junge mit seiner Bettelei. Man kann nichts vor seinem Singsang hören.
VITRY.

Laß ihn. Murmeltiere sind vermutlich legitim. Wenigstens waren sie schon unter Heinrich dem Vierten in Paris.

LOUISE.
O mein Philipp!
VITRY.
Bitte, Kind, nicht zu nahe, – – mit Vorsicht.
LOUISE.
Wie, du kennst mich nicht mehr? hast du mich nicht geliebt?
VITRY.

Kenn ich jedes Soustück, das mir durch die Hand gegangen ist? Ebensowenig jedes Mädchen, das ich geliebt habe.

LOUISE.
Ach, Philipp, unter den Fahnen der Großen Armee schwurst du mir Treue.
VITRY.
Auf wie lange?
LOUISE.
Auf ewig.
VITRY.
Das bedeutet seit dreißig Jahren so viel als gar nichts. Fahre wohl, Geliebte.
LOUISE.
Ha, du –
VITRY.
Geschwiegen, Mademoiselle, geschwiegen, sag ich, – hier kommen Zeitungen.
DUCHESNE.
Was gibt es, Zeitungsverbreiter?
ZEITUNGSVERBREITER.
Sie sprechen!
DUCHESNE.
Wer?
ZEITUNGSVERBREITER.
Die beiden Felsen im Meere!
VITRY.
Welche Zeit! Die Steine reden!
ZEITUNGSVERBREITER.

Carnot, Fouché – hier ihre Memoiren im Auszuge in den Zeitungen, – sie haben dem Könige die Wahrheit gesagt, ihm die Albernheiten der Restaurationsminister so deutlich vorgerückt, als wir sie uns hier sagen –

VITRY.
Ach, das hilft nicht viel, denn gut sagen ist leichter als recht hören.
DUCHESNE.
Her, her die Zeitungen! Ich muß sie selbst sehen!
VOLK.
Wir wollen sie auch sehen! Her, her damit!
ZEITUNGSVERBREITER.
Da habt ihr sie!

Er wirft die Zeitungen in die Luft.
DUCHESNE
ergreift, wie viele andere, ein Blatt und liest.

Ha – O – Richtig – Juchhe – schändlich – Wie wahr Ja, anders, anders muß es werden, – Blut und Tod! – [359] Gut, gut. – Herrlich! – Auf Elba rührt sichs allmählich – Im Pflanzengarten ist auch Lärm gewesen – Gut, gut, je schlechter, so besser – Das Korn gibt erst Mehl, wenn es zermalmt ist – Adieu, meine Herren, – ich muß zu Freunden.


Ab.
VITRY.
Was ist dir? Was treibst du mit den Armen?
CHASSECOEUR.
»Auf Elba rührt sichs allmählich« – Ich schwinge in Gedanken den Säbel!
VITRY.

Wo ist Louise? Fort? – Nein, sieh: ein junger Engländer entführt mir ihre Reize. Wohl bekomms, Mylord!

3. Szene
Dritte Szene
Paris. Tuilerien. Saal der Herzogin von Angoulême.
Die Herzogin von Angoulême und ihre Dame d'atour, die Gräfin von Choisy.

HERZOGIN VON ANGOULEME.
Liebe Choisy, lies mir etwas vor. Mir schmerzt der Kopf.
GRÄFIN VON CHOISY.
Gern, Königliche Hoheit. – Soll ich etwas neu Erschienenes lesen?
HERZOGIN VON ANGOULEME.

Tu es. Nur keine Zeitungen. – Was das für ein öder, trüber Nachmittag ist, – selbst die heilige Messe erfreute mich nicht.

GRÄFIN VON CHOISY.
Hier ist ein Gedicht vom Herrn C-n, einem der neuen Poeten.
HERZOGIN VON ANGOULEME.
Lies den Seneca oder den C-n. Mir ists eins.
GRÄFIN VON CHOISY.
Ich lese, Hoheit.

Sie liest.

»Es steht der Sultaninnen erste
Am Fenster ihres Marmorschlosses.
O welche wohlgefügte Marmorquadern,
Wie schimmern sie selbst durch die Nacht!
O welche Rosen blühen in dem Zimmer,
O welche Ambradüfte hauchen da!
Doch was sind Marmorquadern, Rosen, Ambra,
Wenn die Gestalt der Sultanin, mit
Den prächtgen Schultern, blendend weiß,
[360] Als wäre frischer Schnee darauf gefallen,
Mit ihren Lippen, dunkelrot,
Als wehten Flammen dir entgegen,
Mit ihrem Liebesflüstern, wundersüß,
Als hauchte Duft aus Edens Pforten,
Darunter steht in ihrer Schöne!
Die Diener und die Dienerinnen
Erwarten knieend ihre Worte,
Der Sultan selbst vergißt das Reichsschwert,
Harrt in dem Hintergrunde liebeseufzend,
Und schwelgt in ihres Nackens Anschaun.
Sie blickt hinaus: vor ihren Augen steigt
Das Heer der Sterne freudetrunken auf,
Der Bosphorus jauchzt auf mit seinen Wogen,
Die große Stambul ahnet ihre Nähe
Und bebt vor wonnigem Gefühle,
Die Küsten Asias und Europas schmeicheln
Zu den Sandalen ihres zarten Fußes, –
Sie blickt zurück, – sie faßt ihr Herz –«
HERZOGIN VON ANGOULEME.
Wie sinkt die Poesie. Auch in ihr Revolution. Was für falsche Verse!
GRÄFIN VON CHOISY.

Wer hat denn den Versen das Gesetz gegeben, daß sie grade sein müssen, wie die des Racine oder eines anderen Klassikers?

HERZOGIN VON ANGOULEME.
Auch du eine Empörerin, Choisy? – Die Welt ist überreif. – Lies das Ende des Gedichtes.
GRÄFIN VON CHOISY.
Es ist kurz:

Sie liest.

»Und Sie seufzt!« –
HERZOGIN VON ANGOULEME.
Und Sie seufzt – – Ja, das mag wahr sein, ungeachtet des zu kurzen Verses.
GRÄFIN VON CHOISY.
Jesus Maria, wenn Er gelandet wäre!
HERZOGIN VON ANGOULEME.
Wie kommst du auf den Gedanken?
GRÄFIN VON CHOISY.
Königliche Hoheit, der Gedanke kommt über mich.
HERZOGIN VON ANGOULEME.

Unsere Staatsmänner werden Ihn vor der Landung zu behüten wissen. – Aber die Brust ist auch mir überschwer. – Ich gehe zu meinem Oheim.


Beide ab.

[361]
4. Szene
Vierte Szene
Paris. Tuilerien. Die Zimmer des Königs.
König Ludwig, der Herzog von Angoulême, der Herzog von Berry.

KÖNIG LUDWIG.

Recht abscheulich – abscheulich. Da liegen die Broschüren von Carnot und Fouché. Beide verteidigen, jeder auf seine eigentümliche, tückische Weise, die sogenannten Rechte der Königsmörder und der Revolution, und beschimpfen meine Maßregeln und die meiner treuen Minister.

HERZOG VON ANGOULEME.
Ich mag die Papiere nicht anfassen.
HERZOG VON BERRY.
Hängt die Kerle!
OBERZEREMONIENMEISTER
tritt ein.
Die Herren Blacas d'Aulps und d'Ambray.
KÖNIG LUDWIG.
Mir willkommen.

Oberzeremonienmeister ab; Blacas d'Aulps und d'Ambray treten ein.

D'AMBRAY. Sire, der gute Marquis von Brandenburg will Sachsen haben.
BLACAS D'AULPS.
Und Rußland greift nach Polen.
KÖNIG LUDWIG.
Gönnet ihnen das.
BLACAS D'AULPS.

Mit Erlaubnis, Sire: mit Polen mag es so werden, aber Sachsen ist ein uraltes Haus. Wir hatten Dauphinen aus ihm.

D'AMBRAY. Und Sire, ein Teil unseres europäischen Einflusses beruht auf der fortdauernden Zerstücktheit Deutschlands – Wir dürfen da keine Macht zu sehr anwachsen lassen. – Auch Talleyrand denkt so, und hat schon protestiert.

KÖNIG LUDWIG.
Talleyrand? Ich gebe nach. – Er trifft stets das Rechte.
BLACAS D'AULPS.
Zugleich warnt er vor Elba.
HERZOG VON BERRY.

Elba, immer und ewig Elba! Laßt doch den Namen verbieten! – Was will denn Elba? – Wir besitzen Frankreich.

D'AMBRAY. Verzeihen Eure Königliche Hoheit: Bonaparte soll mit Murat konspirieren.

HERZOG VON BERRY.
Und das?
D'AMBRAY. Ist lächerlich. Aber einige Vorsicht ist auch nicht [362] ganz unnütz.
HERZOG VON BERRY.

Lieber d'Ambray, Vorsicht! – Bei zwei simplen Glückskindern! – Murat ist ein Narr, Bonaparte nicht viel Besseres, – darum figurierten sie unter dem Pöbel einige Jahre als große Hanswürste – Gottlob, die Zeit ist vorbei.

OBERZEREMONIENMEISTER
tritt auf.
Seine Königliche Hoheit Monsieur.
KÖNIG LUDWIG.
Er komme.

Oberzeremonienmeister ab. Monsieur kommt.

Woher Bruder?
MONSIEUR.
Von der Jagd und der Messe. Manches Wildbret hab ich geschossen.
KÖNIG LUDWIG.
Wenn wir es schmausen, wollen wir der trefflichen Hand denken, die es schoß.
MONSIEUR.

Sire, ich bin müde und kann am Abendessen nicht teilnehmen. Ich bitte, mich entfernen zu dürfen, nachdem ich Ihnen hiermit meine Aufwartung gemacht. Das Wildbret ist schon in den Küchen. – – Apropos, was fällt mir doch ein? – Ja, eben hör ich, Bonaparte ist gelandet bei Toulon.

KÖNIG LUDWIG.
Wie?
MONSIEUR.

Es ist so. Der Mensch scheint durchaus sich verderben zu wollen. – Sire und Bruder, ich küsse Ihnen die Hand. – Schlafen Sie gut, meine Herren.


Ab.
KÖNIG LUDWIG.
Blacas, d'Ambray? Hörten Sie?
BLACAS D'AULPS.
Monsieur sagts. Es wird wahr sein.
D'AMBRAY. Der Präfekt Toulons muß ihn arretieren, kurz verhören, und sofort erschießen lassen.
HERZOG VON BERRY.

Wie dumm sind die Schurken! Wagt der Kronendieb an der Küste eines Volkes zu landen, welches er jahrelang tyrannisierte, – welches gegen ihn nur erbitert, gegen uns nur dankbar ist.

KÖNIG LUDWIG.
Ich dächte doch, Berry, du zögest deine Haustruppen zusammen.
HERZOG VON BERRY.
Wie Sie befehlen, Sire. Sollte den Verwegenen aber nicht schon irgend ein Dorfmaire erwischt haben?
KÖNIG LUDWIG.
Wohl möglich. Doch mache deine Haustruppen immerhin marschfertig.
[363]
HERZOG VON ANGOULEME.
Ach, bekümmern wir uns um den Raufbold nicht.
OBERZEREMONIENMEISTER
tritt ein.
Ihre Königliche Hoheit, die Herzogin von Angoulême.
KÖNIG LUDWIG.
Mir sehr erwünscht.

Oberzeremonienmeister ab. – Die Herzogin von Angoulême tritt ein.
HERZOGIN VON ANGOULEME.
Mein König, ich kann nicht eher schlafen, als bis ich Deine Hand geküßt.
KÖNIG LUDWIG.
Mein Bruder hat heute viel Wildbret geschossen. Ich lade Dich und die Prinzen zum Mahl.
HERZOGIN VON ANGOULEME.
Wo ist Monsieur?
KÖNIG LUDWIG.
Wohl schon zu Bett. Er war ermüdet.
HERZOGIN VON ANGOULEME.
Darf ich mich mit meinem Gemahl über eine Kleinigkeit –
HERZOG VON ANGOULEME.
Den Tauberich, Gemahlin, hat Houdet erwischt!
HERZOGIN VON ANGOULEME.
– unterhalten?
KÖNIG LUDWIG.
Weshalb nicht? – Doch erst noch eins: Bonaparte ist bei Toulon gelandet.
HERZOGIN VON ANGOULEME.

Schütze mich der Heiland! Die Ahnung der Choisy! Gelandet! – Großer Gott, wer litt das? – Und ihr steht hier ruhig, König, Angoulême, Berry, Blacas, d'Ambray? Seid ihr Bildsäulen?

KÖNIG LUDWIG.
Nun, nun!
HERZOG VON ANGOULEME.
Gemahlin, nicht so heftig. Du bekommst wieder die Migräne.
HERZOGIN VON ANGOULEME.
Was Migräne – Er –!
HERZOG VON BERRY.
Was will er denn mit seinen wenigen Leuten?
BLACAS D'AULPS.
Königliche Hoheit, ruhig, – lassen Sie es mit der Personage gut sein.
D'AMBRAY. Überlassen Sie ihn den Jurys.
HERZOGIN VON ANGOULEME.

Ihn den Jurys? – Menschen, wißt ihr, wer seine Jurys sind? – Die Heere Europas, und kein anderer – O Waffen, Waffen, Waffen! – Sturmglocken geläutet – Alles, alles aufgeboten, in der Kirche wie auf dem Schlachtfelde! – Gelandet – – Weh mein Herz – – Nun macht Er seine Tigersprünge, wie einst von Ägypten nach Paris, von Eylau nach Madrid, von Madrid nach Wien, nach Moskau – O, ich fühle schon[364] seine Krallen!

HERZOG VON ANGOULEME.
Diener, Diener, sie wird ohnmächtig – kölnisches Wasser –
BLACAS D'AULPS.
Es wird schon geholt.
HERZOGIN VON ANGOULEME.

Kölnisches Wasser – Französisches Feuer schafft her für euch alle! – Ich bitte, bitte, schickt doch nach dem Telegraphen! – Ach, er wird schon mit Nachricht da sein! –

OBERZEREMONIENMEISTER
tritt ein.
Der Oberdirektor des Telegraphen.
KÖNIG LUDWIG.
Komme.

Oberzeremonienmeister ab – Der Oberdirektor des Telegraphen kommt.
OBERDIREKTOR DES TELEGRAPHEN.
Sire, Bonaparte steht seit etwa anderthalb Stunden mit einigen tausend Mann vor Lyon.
HERZOG VON BERRY.
Je tiefer im Lande er ist, so eher wird er gefangen.

Oberdirektor des Telegraphen auf einen Wink des Königs ab.
HERZOGIN VON ANGOULEME.

Schon vor Lyon! Seit anderthalb Stunden! – So ist er jetzt darin – vielleicht schon diesseits, uns ganz nahe! – Eure Kuriere und telegraphischen Depeschen waren stets langsamer als Er!

KÖNIG LUDWIG.
Was raten Sie, meine Herren?
BLACAS D'AULPS.

Lassen Sie uns, Sire, einige hundert Verdächtige, welche ihn in Lyon oder Paris unterstützen könnten, verbannen, und er erlischt von selbst, wie ein Licht ohne Brennstoff.

D'AMBRAY. Wahrlich, das Beste. Ich will eine Liste solcher Übelgesinnten aufsetzen, und sie zu dem Fuß des Throns legen.

KÖNIG LUDWIG.

Tun Sie es – ich werde sie nachsehen und beurteilen. – Indes jetzt den Ney gerufen, Fürsten von – Ich weiß nicht, wie der Mann sonst heißt.


Blacas d'Aulps geht in den Vorsaal, spricht mit dem Oberzeremonienmeister, und kommt zurück.
HERZOGIN VON ANGOULEME.
Der Ney, der Ney – Der unsere Zuflucht? – Kleiner und häßlicher ist sie nicht zu finden!
KÖNIG LUDWIG.
Er heißt der Brave der Braven, und alle alten Krieger lieben ihn.
[365]
HERZOGIN VON ANGOULEME.

Er ist einer der Frechsten unter den Schlechten, und wenn die alten Krieger ihn lieben, müssen wir ihn hassen.

OBERZEREMONIENMEISTER
tritt ein.
Se. Durchlaucht der Fürst von der Moskwa.
KÖNIG LUDWIG.
Er trete ein.

Oberzeremonienmeister ab.
HERZOGIN VON ANGOULEME.

O hättet ihr selbst Mut, ihr bedürftet des Elsasser Sergeanten nicht. Auch nicht mit einem Blick werd ich ihn ansehn,


An das Fenster tretend.

lieber dort die Straßen.
MARSCHALL NEY
tritt ein.
Sire –
KÖNIG LUDWIG.
Mein Marschall –
NEY
für sich.

Werden sie höflich? – vermutlich, weil sie etwas von mir wollen. Meine Gemahlin hat mir das stets prophezeit.

KÖNIG LUDWIG.
– und mein Vetter –
NEY
für sich.
Vetter, Vetter – Hörte das meine Gemahlin, – sie jubelte!

Wieder laut, aber verlegen.

Monarch?
BLACAS D'AULPS
zu d'Ambray.
Wie wenig kennt das Vieh die Etikettensprache des Hofes.
D'AMBRAY. Wie konnte er in Bonapartes Feldlagern Vernunft lernen?
KÖNIG LUDWIG
zu Ney.
Ja, Fürst, – jeder Marschall Frankreichs ist Vetter, und hoffentlich auch Freund des Königs.
NEY.
Bis in den Tod, Sire!
BLACAS D'AULPS
zu d'Ambray.
Wie groß der König ist – so mit dem einzigen Wort »Vetter« hat er ihn erobert.
HERZOGIN VON ANGOULEME
halb zu Blacas d'Aulps gewendet.

Und wie klein der Sergeant ist, daß ihn so ein Wort besticht! Wie schwach wir, daß wir ihn bestechen!

BLACAS D'AULPS.
Königliche Hoheit, Sie hörten –?
HERZOGIN VON ANGOULEME.
Alles, was Sie und d'Ambray flüsterten. Mein Ohr ist aus Versailles.

Sie tritt wieder an das Fenster.
KÖNIG LUDWIG.
Vetter, der Bonaparte ist bei Toulon gelandet.
NEY
bestürzt.
Wie – was? – Es ist eine Erdichtung!
KÖNIG LUDWIG.
Nichts weniger. Er ist gelandet, und Sie sollen [366] uns von ihm befreien.
NEY.
Ich –? Von ihm? – Im Namen der – im Namen Gottes denn, wenn es sein – wenn es geht.
KÖNIG LUDWIG.

Wie sollt es nicht gehen, wenn der Brave der Braven, dem der Korse seine größten Siege verdankt, einmal gegen ihn ficht? Wir mindestens trauen es Ihnen zu.

NEY.
Wirklich, Sire?
KÖNIG LUDWIG.
Ich gebe Ihnen die Hand darauf.
HERZOGIN VON ANGOULEME
für sich.
Pfui!
NEY.

Das ist zuviel, König, – das verdien ich nicht – Offen gesagt, (denn so großer Güte gegenüber kann ich nichts mehr verbergen): ich war nicht der beste Royalist, hatte zwar über den Kaiser mich hart zu beschweren, aber die Kaiserzeit nicht ganz vergessen – Sire, ich mach es wieder gut – weg aus meiner Brust die letzte Erinnerung an Ihn und seine Heerzüge – himmeltief steht er unter Ihnen – – Ja, geben Sie mir Truppen, ich zieh ihm entgegen, und bring ihn Ihnen gefangen oder tot! – – Wie konnt ich so verblendet sein – – alles, alles an diesem Hofe ist edler, anmutsvoller, erhabener als am buntscheckigen Lager zu St. Cloud!

KÖNIG LUDWIG.

So eilen Sie, Vetter, von Familie und Freunden Abschied zu nehmen, denn Ihre Bestallung und meine Befehle folgen Ihnen auf der Ferse.


Ney entfernt sich.
HERZOGIN VON ANGOULEME.
Da abermals ein Pröbchen von der Treue und der Kraft des neuen Adels!
HERZOG VON BERRY.
Unter dem Ney dien ich in keinem Fall.
HERZOG VON ANGOULEME.
Ich auch nicht.
KÖNIG LUDWIG.
Ihr behaltet die Haustruppen ausschließlich.
OBERZEREMONIENMEISTER
tritt ein.
Ein Kurier, Majestät –
KÖNIG LUDWIG.
Er komme.

Oberzeremonienmeister ab.

Bald werd ich aber für heute der Audienzen müde.

Der Kurier tritt auf.

Woher?
KURIER.
Sire, von Wien.
KÖNIG LUDWIG.
Ihre Botschaft?
KURIER.
Sie ist mündlich und schriftlich.
KÖNIG LUDWIG.
Die mündliche?
KURIER.
Murat greift die Österreicher an –
[367]
HERZOGIN VON ANGOULEME
wendet sich vom Fenster.
Ha, klaffen bereits seine Hunde um Ihn?
KURIER.
Bonaparte ist in die Acht erklärt –
KÖNIG LUDWIG.
Recht von dem Kongresse. – Talleyrand?
KURIER.
Ist heiter.
KÖNIG LUDWIG.
Das ist ein gutes Zeichen. – Der Kongreß selbst?
KURIER.
Ist bei der Nachricht von Bonapartes Landung auseinandergeflogen.
KÖNIG LUDWIG.
Himmel, was?
KURIER.

Ich selbst sah die Tausende der Adjutanten und Stallbedienten reiten, als Kaleschen hinter Kaleschen, der Kaiser von Rußland und der König von Preußen mit den ihrigen unter ihnen, aus dem Tor fuhren.

HERZOG VON BERRY.
Die schwachen Menschen. Fliehen vor einem Abenteurer.
HERZOGIN VON ANGOULEME.
Kanntest du den Abenteurer bei Austerlitz und bei Jena?
HERZOG VON BERRY.
Nein.
HERZOGIN VON ANGOULEME.
Da lernten ihn die beiden Herrscher kennen.
HERZOG VON BERRY.
Ihn nicht, wohl aber sein Glück.
KÖNIG LUDWIG
zu dem Kurier.
Ihre Schriften –

Der Kurier übergibt sie ihm.

Sie selbst sind bis auf weiteres entlassen.

Kurier ab.

Talleyrand schreibt, er sei besorgter, als er in seinen Mienen merken lassen dürfe. Die Landung von Elba würde zum Weltereignis, erdrückten wir es nicht im Keim.

HERZOG VON BERRY.
Bonaparte ist toll, Talleyrand ist toll! Das ist alles!
HERZOGIN VON ANGOULEME.

Talleyrand toll? Ich weiß nicht. – Doch Bonaparte, der das wirklich tut, was Talleyrand oft heucheln soll, der kein Auge aufschlägt, keinen Schritt macht, ohne berechnet zu haben, wohin er blickt, wohin er tritt? – Schlecht ist er, ja oft klein pfiffig, – aber toll? So möcht ich hören, was klug ist.

KÖNIG LUDWIG.
Halt ihn nicht für zu gefährlich.
HERZOGIN VON ANGOULEME.

Er ist gefährlich. Frage nach bei Jakobinern und Royalisten, frage nach an den plötzlich von ihm geraubten Küsten Ägyptens oder der Nordsee, [368] frage nach an den Mauern von Danzig und Saragossa – Wie die stilldunkle Wetternacht ist er – Erst wenn du getroffen bist, merkst du: es hat geblitzt. – Sieh, unterm Busen bricht mir die mit Lilien geschmückte Goldspange jach auseinander – Auch das kommt unerwartet, aus Angst vor Ihm – – Ist selbst diese Kleinigkeit nicht bedeutend?

OBERZEREMONIENMEISTER
tritt ein Sire, das Nef ist aufgesetzt.
KÖNIG LUDWIG.
So laßt uns speisen.

Oberzeremonienmeister ab.
HERZOGIN VON ANGOULEME
für sich.
Jetzt speisen! Welch unverwüstlicher Appetit! –

Laut.

Majestät, darf ich eines bitten?
KÖNIG LUDWIG.
Fodre.
HERZOGIN VON ANGOULEME.

Laß sofort meinen Gemahl nach der Gegend von Lyon eilen, Berry ihn mit einem Teil der Haustruppen begleiten. Vielleicht treibt der Anblick der königlichen Prinzen den Empörern die Schamröte, falls sie davon etwas haben, in das Gesicht. Ich selbst bitte um Urlaub nach meiner treuen Stadt Bourdeaux. Diese Perle an der See soll er mir ohne Kampf nicht nehmen.

KÖNIG LUDWIG.

Du verlangst viel. Doch halb und halb hab ich Gewährung versprochen – – Wenn die Prinzen nichts erinnern?

HERZOG VON ANGOULEME.
Ich bin konform mit meiner Gemahlin, Sire.

Für sich.

Unangenehme Reise. Das Wetter wird seit Mittag auch schlecht.
HERZOG VON BERRY.
Den Spazierritt nach Lyon mach ich zur Abwechslung mit.
KÖNIG LUDWIG.
Aber heute laßt uns erst von dem Wildbret Monsieurs kosten.
HERZOGIN VON ANGOULEME.

Sire, ich komme mir selbst wie ein gehetztes Wild vor und mag dergleichen nicht essen. Verschone mich mit dem Mahl – Laß mich noch diese Nacht nach Bourdeaux.

KÖNIG LUDWIG.

Wünschest du es, so muß ich es bewilligen, so lang auch der kurze Abschied meinem Herzen schmerzen wird.

HERZOGIN VON ANGOULEME.
Ich küsse Deine Hand, Sire –[369] – Ach, wo sehen wir uns wieder?
KÖNIG LUDWIG.
In Paris.
HERZOGIN VON ANGOULEME.
Und wie?
KÖNIG LUDWIG.
Du bist zu furchtsam.
HERZOGIN VON ANGOULEME.
Furchtsam? – Sire, Waffen, Waffen! Waffen!

Ab. Der König, der Herzog von Angoulême, und der Herzog von Berry ebenfalls.
BLACAS D'AULPS
zu d'Ambray, indem er mit ihm folgt.

Die Herzogin behandelt den Vorfall auf die überspannteste Art.

D'AMBRAY. Es ist eine Dame Herr Graf, – da hilft nichts – die Damen lassen sich eher alles andere ausreden, als ihre Schwächen.


Beide auch ab.
5. Szene
Fünfte Szene
Paris. Grèveplatz, in der Gegend der Laterne.
Zwei Bürger kommen.

ERSTER BÜRGER.
Das ist eine Nacht!
ZWEITER BÜRGER.

Hut ins Gesicht, Mantel enger um die Schultern! – Oben regnets, unten marschiert Ney mit Truppen aus den Toren. Gott weiß, was das bedeutet!

ERSTER BÜRGER.

Schade um den Ney. Er war ein anderer Kerl, als er noch unter Napoleon im Feuer stand, und nicht in den bourbonischen Vorhöfen kroch.

ZWEITER BÜRGER.
Still – Patrouillen –
EINE LINIENINFANTERIE-PATROUILLE
kommt.
Wer da?
ERSTER BÜRGER.
Bürger von Paris.
PATROUILLE.
Begeben Sie sich nach Haus, meine Herren, – im Namen des Königs!

Patrouille zieht vorbei.
ERSTER BÜRGER.
Freund, was ist das –? – Ha schon wieder eine Patrouille –
ZWEITER BÜRGER.
Gensd'armes zu Pferde.
EIN GENSD'ARMES.
Wer da? Zu Haus Leute, in eure Betten, zu euren Weibern – auf der Stelle –
ERSTER BÜRGER.
Herr, Ihr sprecht als wären wir Sklaven.
[370]
DER GENSD'ARMES.
In den Betten ist es wärmer und besser als hier.
ZWEITER BÜRGER.
Der Mann hat Recht und Verstand. Komm, Freund. Es wird hier draußen mehr und mehr unheimlich.
ERSTER BÜRGER.
Nun, wär auch eine Empörung im Ausbruch, – die Nationalgarde, wozu auch wir gehören –
ZWEITER BÜRGER.

– und die ihre Offiziere von den Vorstädtern an der Laterne da aufknüpfen läßt, weil sie stets an ihr Vermögen denkt, der Vorstädter an sein Nichts?

ERSTER BÜRGER.
Wahr, wahr! Zu Haus, zu Haus!
DER GENSD'ARMES.
Noch immer geschwatzt? Tod und Hölle, fort!

Patrouille und die beiden Bürger ab.
Fouché und Carnot begegnen sich von verschiedenen Seiten. Beide sind tief in Mäntel gehüllt.
FOUCHÉ.
Ha, du bist es! – Ich schickte zu dir – du warest nicht zu Haus. Hier dacht ich dich zu finden.
CARNOT.

Als ich hörte, daß du geschickt hattest, sucht ich dich auch hier, Otranto – oder, wie ich dich lieber nenne, Fouché.

GENSD'ARMERIE-PATROUILLE ZU FUSSkommt. Wer hier?

FOUCHÉ
zu Carnot.

Die Narren will ich anführen. Ich kenne ihre Losung. Sie sollen uns für zwei Mouchards erster Sorte halten.


Zu den Gensd'armes.

Wo Ihr Offizier?
OFFIZIER.
Da bin ich.

Nachdem ihm Fouché etwas in das Ohr gesagt hat.

Wünsch Ihnen Glück im Geschäft, meine Herren.

Die Patrouille zieht weiter.
CARNOT.
Hm, bediene dich nicht des Betruges.
FOUCHÉ.
Muß man es jetzt, nicht tun, wenn man unter den Schurken das Gute durchsetzen will?
CARNOT.
Ha, da –
FOUCHÉ.
Wie wird dir?
CARNOT.
Ein unwillkürlicher Schauder ist verzeihlich: bedenke, wo wir stehen, hergebannt vom dunklen Triebe.
FOUCHÉ.

Die berüchtigte Laterne des Grèveplatzes faßt mit ihrem Mörderarm über uns in die Nacht, und dort, in der Mitte rasselte die permanente Guillotine, als auch du im Wohlfahrtsausschuß saßest.

[371]
CARNOT.
Da stand sie – das blutige Ungeheuer –
FOUCHÉ.

Du selbst unterzeichnetest die Todesurteile der Tausende und aber Tausende, welche unter ihr fielen, mit.

CARNOT.

Eben deshalb bin ich bewegter als du. – Fouché, welche Eichen verloren hier ihre Kronen! Dieser Platz ist der Opferaltar Frankreichs! – Hier sanken Danton, Hérault de Séchelles, Robespierre – auch der König fiel nicht weit von hier.

FOUCHÉ.
Gereut es dich?
CARNOT.

Nimmer! Es ging nicht anders. – Was mit den Leuten zu machen, wenn ihre Zeit vorüber war, und ihre Anhänger doch trotzen und rückwirken wollten?

FOUCHÉ.
Du hast in deinem Memoire gesprochen.
CARNOT.

Du in dem deinigen. – Wir sind eins, nur unser Ausdruck ist verschieden. Aber sprechen wir auch mit den Zungen aller zweiunddreißig Winde, es hilft nichts. Darum sag an, was ist zu tun?

FOUCHÉ.

Die Bourbons müssen fort mit ihrer alten Zeit, – sie haben bewiesen, daß sie nichts Neues lernen können, und – erschrick nicht, Republikaner – Bonaparte muß zurück.

CARNOT.

Bonaparte? Weißt du, was du sagst? Der vertilgte die Freiheit mehr als alle Tyrannen von Valois und Bourbon. Ja, man schelte den Wohlfahrtsausschuß und sein Blutsystem, wie man wolle: seine Ideen waren größer als der Egoismus des Generals Bonaparte.

FOUCHÉ.

Gewiß. Aber wir bedürfen irgend eines neuen Menschen an der Spitze, und können Napoleon nicht übergehn. Auch ist er nicht mehr der von 1811. Sein Ruhmesglanz war sein Diadem. Im Regen von Leipzig erblich es so ziemlich, und blieb nur soviel Schimmer übrig, als wir gebrauchen mögen, ohne zu fürchten, er blitze uns abermals damit zu Boden. Er werde wieder Kaiser, jedoch kräftig gebändigt mit einer Konstitution.

CARNOT.
Die zerbricht er auf bekannte Manier, sobald er zwei Schlachten gewonnen hat.
FOUCHÉ.
Zwei – oder sicherer drei Schlachten soll er nicht auf der Reihe gewinnen.
CARNOT.
Mensch – ehemaliger Polizeiminister –
FOUCHÉ.
Sprich den »Polizeiminister« nicht bitter aus. Frankreich besteht ohne solchen keine vier Wochen.
[372]
CARNOT.
Bonaparte kann nicht zurückkommen. Ausgestoßen von aller Welt ist er auf Elba.
FOUCHÉ.
War!
CARNOT.
Wie?
FOUCHÉ.
Was schreiben wir heute?
CARNOT.
Den siebenzehnten März.
FOUCHÉ.
Gut, so ist er schon in Auxerre.
CARNOT.
Raserei!
FOUCHÉ.

Nein, – lies mein Tagebuch, hier bei dem roten Schein der furchtbaren Laterne, – am dreizehnten reiste er von Lyon ab.

CARNOT.
Unmöglich!
FOUCHÉ.

Das Wort kennt Er nicht, oder will es nicht kennen, was auch etwas sagt. – – Siehst du, wie der Telegraph mit Feuerlichtern auch bei Nacht geht? Und weißt du, welche Nachricht er eben empfängt und sie nach allen Ecken an Frankreichs Präfekten und Gouverneure weiter verbreitet?

CARNOT.
Nein.
FOUCHÉ.

Wart einen Augenblick – Da hab ich den Schlüssel der Chiffre, – er verbreitet: Bonaparte ist diesseits Lyon gefangen, seine Leute sind zersprengt und er ist vor die Assisen gestellt.

CARNOT.
Das klingt anders als deine Behauptungen.
FOUCHÉ.

O du unschuldiges, kindliches Genie! – Wär ich wie du, und kennte bloß die Wissenschaft und die Tugend, nicht aber die Menschen! – – Wisse: in einer Stunde ist halb Frankreich getäuscht, – denn die Telegraphenlinie von Toulon lügt, und das äußerst grob, wie es für den Verstand von Blacas d'Aulps paßt. Wahrscheinlich hat Napoleon, um die Bourbons desto sicherer zu machen, dabei selbst die Hand im Spiel. Wie wäre er über Lyon herausgekommen, hätt er nicht schon eine Armee um sich, wären nicht Grenoble, nicht alle Truppen zu ihm übergegangen? Noch wenige Tage und er ist in Paris.

CARNOT.

So mag er regieren. Aber jeder Blutstropfen empört sich bei dem Gedanken, daß er den asiatischen Despoten erneut.

FOUCHÉ.

Ich wiederhole, das soll er nicht, und wären auch wir beide nur einig. – Folge mir, – ich kenne eine Wirtschaft in St. Martin, wo wir uns unbeachteter sprechen [373] können als auf diesem Platz oder in unsren Hotels.

CARNOT.
Alleswissender, was machen jetzt die Bourbons?
FOUCHÉ.

Sehen nach dem Telegraphen und glau ben, bis sie fühlen, daß sie irrten. Vielleicht ist auch zu dem letzteren ihr Fell noch zu hart. Möglich, daß sie bald flüchten müssen, und doch wähnen, es sei etwa nichts mehr als eine Promenade. – Teufel, wer schnarcht da auf der Treppe? – Heda! wer seid ihr?

CHASSECOEUR
mit Vitry aufspringend.
Zwei Kaisergardisten, ohne Brot und Obdach!
FOUCHÉ.
Ah, die tun uns nichts! – Habt ihr etwas gehört, so sagt es nicht wieder.

Mit Carnot ab.
VITRY.
Hast du etwas gehört?
CHASSECOEUR.
Nichts Rechtes. Ich schlief schon ganz erträglich.
VITRY.
Ich auch. – Wir wollen uns wieder hinlegen.

Sie tun es.
[374]

3. Akt

1. Szene
Erste Szene
Paris. Grèveplatz in der Nähe der Laterne.
Es ist Nachmittag.
Volk, zum Teil müßig, zum Teil beschäftigt.
Chassecoeur, Vitry und ein Schneidermeister im Vorgrunde.

VITRY.

Es ist nicht richtig, Chassecoeur! Nachts wecken uns verdächtige Gespräche, Ney ist fort mit den Truppen, die Angoulême soll schon auf dem Wege nach Bourdeaux sein, und dort geht ein kleiner Emigrant mit seinem Reisebündel – Adieu, mein Herr!

DER EMIGRANT.

Wir kommen wieder, Herr von Namenlos – Für sich. O Feuer, Schwert, Schafotte – Das ganze abtrünnige Frankreich soll brennen und bluten!


Ab.
CHASSECOEUR.

Wer weiß, wohin der Emigrant betteln geht, und die Angoulême wird in ihrem Bourdeaux beten wollen, daß sie ein Kind bekommt wie die Jungfrau Maria, ohne Hülfe ihres Mannes, weil ihr diese Hülfe doch nicht helfen kann. – Hols der Teufel!

SCHNEIDERMEISTER.

Meine Herren, meine Herren, die Herzoge Angoulême und Berry fahren aus der Stadt, auch die Herren Blacas d'Aulps und d'Ambray haben seit einer Viertelstunde Reisepelze an. – Es wird wieder lustig.

CHASSECOEUR.
Konvulsivischer Wurm, wer bist du?
SCHNEIDERMEISTER.

Herr Mensch, ein Pariser Kleiderfabrikant, der Sie, wenn Sie seine Ehre beleidigen, mit dieser Nadel siebenundsiebenzigmal durchbohrt, ehe Sie ihm eine einzige Wunde mit dem Degen anflicken!

CHASSECOEUR.
Ich zittre schon.
FRAU DES SCHNEIDERMEISTERS
kommt.

Mann, lieber Mann, find [375] ich dich endlich, – o nach Haus! Auch unsre Straße ist voll Lärm und Bewegung! Man sagt der Kaiser käme zurück.

CHASSECOEUR.
Sollt es sein? – O!
SCHNEIDERMEISTER.

Dummes, infames Weib, sprich leiser – Leise. Käm er zurück, so wäre das viel für Frankreichs Ehre und für meine Wohlfahrt. – Geh, Nadeln und Zwirn angeschafft, soviel du kannst! Wir machen bald Monturen! – Ich sondiere hier nur noch ein bißchen die Stimmung von Paris, – es ist der beste Platz dazu. – Drum geh, ich komme gleich nach.

FRAU DES SCHNEIDERMEISTERS.
Gleich? – Ist das gewiß?
SCHNEIDERMEISTER.
Meinst du, ich würde dich und meine Würmchen in der Gefahr allein lassen?

Frau des Schneidermeisters ab.

Jesus! heiliger Geist! Da kommt der König! Und welchen Rock trägt er! De anno 1790 – Geschmack, Geschmack, du sinkst in das Meer! Das verschulden die Engländer!

EINE DAME DER HALLE
tritt auf.

Ach Gott, ich weine – wie erschütternd geht es in der Deputiertenkammer her – Alle Deputierten wollen sich für den König opfern –

VITRY.
Tun sie es auch?
DIE DAME DER HALLE.

Sie hätten es gewiß getan, wenn er nicht zu schnell Abschied genommen hätte. Und wie sprach er! Tränen, sag ich, Tränen im Auge! Mit einem battistenen Schnupftuch voll gestickter Lilien wischte er sie ab – ach, die Lilien werden unter solchen Tropfen nur zu herbe genäßt.

VITRY.
Da hält der Königsmann mit seiner Kutsche im Gedränge.
CHASSECOEUR.

Der wird etwas herschwatzen, was wir in dieser Entfernung gar nicht hören, und von den Nächststehenden kaum drei, ohne daß sie es begreifen.

VITRY.
Desto mehr Respekt haben sie davor.
VIELE AUS DEM VOLK.
Still! still! – Der große Monarch!
SCHNEIDERMEISTER.

Erhöbe sich der König nur nicht, bliebe er nur ruhig sitzen, und verdeckte seine Frackschöße, denn von allen im Universum sind sie die abscheulichsten. Weit auseinanderklaffend! Ist das französisch? Es ist nicht einmal englisch – es ist barbarisch! – An dem Kleide den Mann – wer sich albern kleidet, ist albern – Aus mit unserm schönen Lande! – So gewiß die Revolution nicht entstehen [376] konnte, wenn man Reifrock, Perücke und Puder beibehalten und sich daher wohl gehütet hätte, einander auf den Leib oder in die Haare zu kommen, so sicher kann die königliche Würde nicht bestehen, wenn der König durch seine Frackschöße eine Sache zeigt, die zwar auch groß und gewaltig, aber nichts minder als majestätisch ist.


Man hört den König reden.
EINE DAME DER HALLE.
Ach – das ist zum Herzbrechen –
VOLK.
Lang lebe der König!

Die Kutsche des Königs fährt weiter.
SCHNEIDERMEISTER.
Was sprach er?
DIE DAME DER HALLE.

O, mein Herr, welche Zunge vermag es wiederzusagen? »Die rührendsten Beweise der Liebe hätt er von seinem Volke erhalten! wenige Verräter störten Frankreichs Glück! Er wolle sich an die Spitze der Armee stellen!« O, der wahre Sohn Heinrichs des Vierten!

CHASSECOEUR.
Der alte podagrische Esel will an die Spitze der Armee?
SCHNEIDERMEISTER.

Alles sehr gut, meine Dame, aber weshalb läuft er fort, wenn so rührende Beweise der Liebe und so wenig Verräter da sind? – Volk, Volk, laß dich durch Mitleid und Edelmut nicht um deine Klugheit betrügen! Der König will nach Wien und dort auf dem Kongresse Frankreichs beste Provinzen verschenken! Dafür sollen ihm die Russen helfen, alle Nicht-Emigranten zu unterdrücken! Das ist schon lange im Werk gewesen!

VOLK
wütend.
Der verfluchte bourbonische Heuchler! Ihm nach – fanget, fesselt ihn!
SCHNEIDERMEISTER.
Recht so – und soll er verbluten, so tu er es an unseren treuen Herzen!

Für sich.

Das verdirbt die Kleider, und nützt meinem Geschäft.
MEHRERE STIMMEN.
Er ist schon fort – – über alle Berge!
EIN ÄLTLICHES FRAUENZIMMER.
Schimpft nach Belieben – Er war doch ein guter Mann.
CHASSECOEUR.
Ja, er aß Roastbeef, aber keine Ofenschrauben.
VITRY.
Du schilderst ihn. – Was da?
LEUTE VERSCHIEDENEN STANDES
stürzen herein.
Napoleon ist gelandet –
CHASSECOEUR.
Vitry!
VITRY.
Chassecoeur! das Veilchen blüht!
[377]
SCHNEIDERMEISTER.
Die beiden Gardekerle springen auf, als ging es zum Tanze!
DIE LEUTE.
– und bei Chalons sur Saône ist er gehängt worden!
CHASSECOEUR.
Wer sagt das?
DIE LEUTE.
Der Moniteur und der Telegraph.
VITRY.

Sei ruhig, Chassecoeur. – Wenn die beiden zusammen es sagen, so ist es doppelte Lüge. Warum liefe der König sonst weg?

ANDERES VOLK
stürzt herein.
Der Kaiser ist in Fontainebleau!
SCHNEIDERMEISTER.
Donner und Hagel! – Neys Armee?
VOLK.
Ist zu ihm übergegangen, und hat ihm den Marschall mitgebracht!
SCHNEIDERMEISTER.
Die armen Bourbons!
VITRY
zu Chassecoeur.
Von nun an laß das Räsonieren – nicht mehr nötig – denk an deine Waffen.
CHASSECOEUR.
Sie liegen geputzt und blank im Winkel.
VITRY.
Die meinigen auch!
SCHNEIDERMEISTER
zu einem Nebenstehenden.
Paß auf, jetzt stift ich eine Revolution.
DER NEBENSTEHENDE.
Wodurch?
SCHNEIDERMEISTER.
Narr, durch diesen Pflasterstein – – Ich blicke, blicke und blicke auf ihn hin.
SAVOYARDENKNABE.
»La marmotte« –

Er stockt und deutet auf den Schneidermeister.

Was hat der Mensch?
ANDERE UMSTEHENDE.
Was sieht der?
NOCH ANDERE.
Was geschieht?

Es drängt sich allmählich eine große Volksmasse um den Schneidermeister.
SCHNEIDERMEISTER
halblaut.
Hm – Hum – Oh!
VOLK.
Großer Gott! Was ist?
SCHNEIDERMEISTER
murmelt.
Gefahr – Paris – die Seine – Aristokraten –
EINER AUS DER MASSE.
Was sagt er?
EIN ANDERER.

Verstehst du nicht? Die Aristokraten wollen Paris untergraben, es mit Pulver von Vincennes in die Luft sprengen, wollen die Seine ableiten, und die Zufuhr sperren!

WEIBER.
Wir Unglücklichen! o, unsere Kinder!
MÄNNER.
Waffen! Waffen – Die Arsenale erbrochen! – Waffen! Waffen!
[378]
EIN BÜRGER
kommt.

Meine Herren, es ist wahr – man will die Seine ableiten – Hier hab ich eine Schaufel – sie lag an ihrem Ufer – Zeugnis genug!

VOLK IM VORDERGRUNDE.
Die Schaufel – o, die Schaufeln!
VOLK IM MITTELGRUNDE.
Man miniert unter der Seine – Zehntausend Schaufeln sind entdeckt!
VOLK IM HINTERGRUNDE.
Auf! auf! Wir wollen uns wehren für Leben, Weib und Kind, oder was es sonst sein mag!
SCHNEIDERMEISTER
für sich.

Das letzte klingt lustig – »Was es sein mag!« – Sie wissen nicht was sie wollen, und werden nehmen, was sie bekommen. – Ich aber weiß mein Teil, – neue Regierung neue Kleider!


Halb für sich.

Das Brot – Gott, das Brot –
VOLK.

Die Bäcker, die Müller erwürgt! Sie sind von den Ministern bestochen, uns aushungern zu lassen! Es findet sich kein Brot mehr in der Stadt! Brot, Brot, Brot!

SCHNEIDERMEISTER.

Wie sie auf einmal hungrig werden! – Aber – o wer kommt da? – Weh! die Vorstadt St. Antoine! Die ganze Stadtsippschaft, mit welcher ich mich bis jetzt vergnügte, rettet weder mich noch sich gegen das Belieben dieser Bestien von Habenichts und Herren von Schlagzu! – Ach wir lebten unter dem achtzehnten Ludwig so glücklich.

EIN NEBENSTEHENDER.
Auch du?
SCHNEIDERMEISTER.
Freilich. Wie sonst hätt ich so kühn scherzen können?

Er horcht auf.

Und Himmel! schon das alte, wilde ça ira – Mir fröstelts im Blut! Es wird weiß, wie Schnee!
VORSTÄDTER VON ST.
ANTOINE treten auf, singend.
Ah! ça ira, ça ira,
Suivant les maximes de l'Evangile,
Ah! ça ira, ça ira, ça ira,
Du legislateur tout s'accomplira.
EIN BÜRGER.
Wie paßt das heute?
SCHNEIDERMEISTER.

Ça ira, mein Herr, heißt soviel als »Kopf ab, wo es uns gefällt«. Mit dem Inhalt ist es einerlei, aber die Bedeutung und Wirkung ist dieselbe. – Wir Armen!

VITRY.

Ja, Chassecoeur, so etwas hast du in Rußland nicht gesehen, – das sind die echten Ohnehosen und Schonungslosen[379] – Ihre Piken sind schlimmer als die der feigen Kosaken!

VORSTÄDTER VON ST.
ANTOINE.
Ah! ça ira, ça ira, ça ira,
Celui qui s'élève, on l'abaissera,
Celui qui s'abaisse, on l'élèvera,
Ah! ça ira, ça ira, ça ira.
Le peuple armé toujours se gardera,
Le clergé regrette le bien qu'il a,
Ah! ça ira, ça ira, ça ira,
Par justice la nation l'aura,
Ah! ça ira, ça ira, ça ira.
SCHNEIDERMEISTER.

Welche Orchesterbegleitung! Ein zerlumpter Bärenführer mit der Trommel und ein schmutziger Junge mit einem Triangel! Na, Opern, jetzt ist es aus mit euch!

VORSTÄDTER VON ST.
ANTOINE.
Pierrot et Margot chantent à la guinguette,
Ah! ça ira, ça ira, ça ira,
Réjouissons nous, le bon temps viendra,
Ah! ça ira, ça ira, ça ira.
SCHNEIDERMEISTER.

Wie gern lief' ich weg – die verwünschte Neugierde! Es sieht zu kurios aus – O – da ist Jouve, der Kopfabhacker von Versailles und Avignon, wieder an der Spitze, eine ellenhohe rote Mütze auf dem Kopfe – Seit zwanzig Jahren sah ich ihn nicht – – Und da tragen sie auf den Schultern eine Hure, in ihrer Jugend, als Gott vom Wohlfahrtsausschuß abgesetzt war, Göttin der Vernunft, und jetzt dieselbe noch einmal, aber recht gealtert.

VORSTÄDTER VON ST.
ANTOINE. Hoch die Vernunft!
ANDERE.
Die Hölle mit ihr!
WIEDER ANDERE.
Und der Himmel breche zusammen!
NOCH ANDERE.
Der Teufel soll Gott sein!
ALLE.
Das soll er, er ist ein braver Kerl!
JOUVE.
Das ist er, Brüder, aber eben darum der Verleumdete, der Unterdrückte –

Zu dem Schneidermeister.

Lumpenhund, was blinzelst du mit den Augen?
SCHNEIDERMEISTER.
Vor Freude, mein Herr, daß in Frankreich auch der Teufel zu Recht und Ehre kommt.
VIELE VORSTÄDTER.
Jouve, laß den Mann gehn – er ist so [380] übel nicht –
JOUVE.

Dann ist er schlecht genug – Wer nicht für uns ist, der ist wider uns – Dieser, merk ich, ist ein Schuft, der seine Courage da hat, wo er nichts zu fürchten braucht, – der die Fahne auf der einen Seite weiß, auf der anderen dreifarbig trägt, und sie nach dem Winde schwingt. – Seht, wie er anfängt, sich hin und her zu wenden – er möchte jetzt gern fort, nach Haus, sich dort mit seiner Familie hinter den Ofen verstecken, bisweilen an die Fensterladen schleichen, durch die Ritzen gucken, und ohne Gefahr bemerken, was es auf der Straße für Unheil gibt, um gleich darauf in Sicherheit darüber zu schwatzen – Derlei Memmen sind schändlicher als die öffentlichsten Mordbrenner – – Schneiderfetzen, (denn so etwas wirst du sein) Courage, Schere, Nadeln heraus, – hier mein Schmiedehammer – Wehre dich oder krepiere!

SCHNEIDERMEISTER.
Weh mir!
JOUVE.
Nieder! –

Er schlägt ihn zur Erde.
VORSTÄDTER UND ANDERES VOLK.

Ha! Blut! Blut! Blut! – Schaut, schaut, schaut, da fließt, da flammt es – Gehirn, Gehirn, da spritzt es, da raucht es – Wie herrlich! Wie süß!

JOUVE.

Schneiderblut und Schneidergehirn – Besseres Blut tut uns not – Wer noch keine rote Mütze hat, färbe sich, bis wir edleres haben, mit diesem Blute das Haar.


Viele Vorstädter tun es.

Vorwärts – die Tuilerien angesteckt – Es lebe die Freiheit!
ALLE VORSTÄDTER.
Sie lebe!
EIN VORSTÄDTER.
Da kommt Nationalgarde!
JOUVE.

Geh du hin, und sag ihren Anführern, sie möchten sich mit ihren Leuten auf der Stelle, und zwar mit gekrümmten Buckel nach Hause begeben, sonst würd ich ihnen in der Manier, wie ich sie 1789 in Versailles lernte, ihre Köpfe, falls sie etwas von Kopf haben möchten, dergestalt abhacken, daß dieselben, ehe sie den Mund zum Schrei aufsperren könnten, auf dem Boden lägen. –


Der von Jouve Angeredete ab.

– Wer ein guter Patriot ist, folgt mir nach! Hacket dem verräterischen Schneider die Finger ab, und steckt sie in den Mund als Zigarren der Nation!

[381]
VIELE VORSTÄDTER.
Her die Finger! – Ach, er hat nur zehn!
JOUVE.

Geduld, es gibt Verräter genug, um noch tausende zu erhalten. Bekommen wir den König oder den Kaiser in die Hände, sie gehören beide mit dazu.

CHASSECOEUR.
Der Kaiser?
VITRY.

Kamerad, still – den Kaiser und uns hat die Revolution gemacht, diese aber machten die Revolution und den Kaiser.

JOUVE.
Welcher Bengel wagte mir in die Rede zu fallen und nach dem Kaiser zu fragen?
VITRY.
Da hast du es, Chassecoeur.
CHASSECOEUR.
Ein kaiserlicher Gardegrenadier zu Pferde.
JOUVE.
Leute, der Kerl macht sich Titel – An den Arm der Laterne mit ihm!
VORSTÄDTER.
An den Laternenarm den Verräter!
VITRY.
Bitte, bitte, schont ihn, ihr Helden der Revolution –
VORSTÄDTER.
Ah –
VITRY.

Schöne, allerschönste Göttin der Vernunft, leg ein Wort für den Unvernünftigen ein – Es geziemt der Vernunft, die Tollen zu bemitleiden.

GÖTTIN DER VERNUNFT.

Jouve, laß den Narren närrisch sein. Er ist so geboren und in der Armee so erzogen – er kann es nicht ändern.

JOUVE.

Du sagst es, Göttin. – Aber du, kaiserlicher Gardegrenadier zu Pferde, merke dir mit deinem schwachen Verstande die Kleinigkeit: soll dir nicht hineingeschlagen werden, so reiße gegen französische Bürger das Maul nicht zu weit auf.

CHASSECOEUR.
Hölle –
VITRY.
Sacht! – Der Kaiser ist gewiß bald da.
ADVOKAT DUCHESNE
kommt.
Meine Herren –
VITRY
beiseit zu ihm.

Herr Redner, still – Die da verstehen den Teufel von Ihrem Brei, und wen sie nicht verstehen, den bewundern sie nicht, wie unsre Bekannten im Palais Royal, sondern sie bringen ihn um.


Gensd'armerie zu Pferde kommt.
EIN HAUPTMANN DER GENSD'ARMES.
Auseinander, Pöbel!
JOUVE
zu einem seiner Nebenmänner.

Schleich dich hinter das Pferd des Gensd'armeshauptmanns, reiß ihn rücklings herunter – ich falle ihn und seinen Gaul von vorn an.


Jouves Nebenmann ab.

[382]
Was wollen Sie, mein Herr?
HAUPTMANN DER GENSD'ARMES.
Nur Ruhe.
JOUVE.

Die soll Ihnen werden, in zwei Minuten. – Leute, habt ihr recht starke Stricke? Der Kerl ist fett und schwer.

HAUPTMANN DER GENSD'ARMES.
Empörung! Schießt, haut ein, Gensd'armes!
JOUVE.

Wer ist mehr, ein Gensd'armes oder ein Franzose? Ihr hauet nicht ein, Bürger Gensd'armes, aber euren elenden Hauptmann hängen wir an jene Laterne, so gewiß als ihn mein Freund in diesem Augenblick vom Pferde reißt.

HAUPTMANN DER GENSD'ARMES.
Rettet mich, Kameraden!
JOUVE.
Findest deine Kameraden in der Hölle.

Er schlägt das Pferd des Hauptmanns der Gensd'armes nieder.
VORSTÄDTER.
In die Luft den Kerl! Hopsa!
HAUPTMANN DER GENSD'ARMES.
Schändlich – – Tut alles, nur meinem Halse nicht zu weh –

Er hängt.

Ach!

Er stirbt.
JOUVE.
Wo sind die anderen Gensd'armes?
EIN VORSTÄDTER.
Schnell auseinander und fortgeritten.
JOUVE.
Das war von ihnen weise gehandelt!

Aufhorchend.

Was für Trompeten?
CHASSECOEUR UND VITRY
horchen auch auf.
Ha!
VOLK.
Dort zahllose Reiterei!
EINIGE.
Kennt ihr die klirrenden Kalpaks von Blech und Stahl? Es sind polnische Lanzenreiter.
JOUVE.

In Ordnung, Brüder – Man will uns im Namen des so längst hingerichteten Kaisers überrumpeln! – Da Trommeln?

EIN ANKOMMENDER.
Die Infanterie von Ney, an den Tschakos das Trikolor!
JOUVE.
Satan, von jener Seite?
DER ANGEKOMMENE.
Artillerie, bedeckt von den Kürassieren Milhauds.
JOUVE.

Wie konnte der kleine Korporal das alles so schnell ordnen? – Er ist doch ein tüchtigerer Kerl als Mirabeau, Robespierre oder ich – Schade, daß er tyrannisiert! – Links? und hinter uns?

DER ANGEKOMMENE.

Links die Garde zu Fuß mit der alten [383] Parademusik, hinter uns die Garde zu Pferde, – so weit man blickt nichts als Bärenmützen!

CHASSECOEUR UND VITRY.
Unsre Kameraden! unsre Kameraden – In Reih und Glied mit ihnen – Jetzt Pöbel, zittre! –

Sie eilen zu der vorbeirückenden Garde.
JOUVE.

Vorstädter, Ruhe! – Wir spielen nicht mehr mit Ludwigs Gensd'armes, sondern mit Ihm. Er ist ein schlechter Kerl, aber sein Handwerk versteht er. Paris liegt in seinen Ketten, eh es ihn nahe ahnte. –

EIN VORSTÄDTER.

Da 'ne Kröte von einer Kutsche – Dragoner um sie her – Was wollen die bei dem erbärmlichen Dinge? Ich möcht es visitieren.

JOUVE.
Der Blick aus dem Kutschschlag war vom Auge des Mannes von Austerlitz.
MEHRERE STIMMEN.
Wieder zwei Kutschen mit kaiserlichen Wappen!
JOUVE.

Voll von Prinzen und Prinzessinnen des kaiserlichen Hauses. – Wo Aas, da die Raben, sonst begreifs der Henker, wo diese Personen auf einmal herkommen. Für sich. Der Imperator zurück, und in der Mode, solang es dauert. Ich mache sie mit und trage morgen wieder einen eleganten Frack. Die Jakobinermützen überdauern am Ende doch alles. Laut. Es beginnt zu dämmern! Hausbewohner, Lichter an die Fenster, zu Ehren des Kaisers und der Nation! – Damen von Paris, muß man euch erinnern? Das Volk erwartet schon lange von euren schönen Händen dreifarbige Kokarden!


Die Fenster werden erhellt, – Damen eilen an dieselben und werfen die Kokarden in Menge unter das Volk.
VOLK.
Heil den Damen von Paris!
EIN KRÄMER
tritt mit seiner Frau aus dem Gewölbe.

Liebe Frau, laß die weißen Kokarden, die sie wegwerfen, morgen mit dem frühesten aufsuchen, und sorgfältig in einen Koffer packen – Vor einem Jahre macht ich es ebenso mit den dreifarbigen, habe drei Koffer davon voll und paß auf, ich setze sie jetzt reißend ab. Ruft. Hier dreifarbige Kokarden, das Stück zu einem Sou!

JOUVE.
Hund, du wagst die Farben der Nation zu verkaufen? – Du kommst meiner Laune gelegen!

Zu seinen Leuten.

[384]
Nehmt ihm die Kokarden!

Wieder zu dem Krämer.

Dir schaff ich dafür das Trikolor umsonst: sieh, diese Faust ballt sich unter deiner Nase, und du wirst weiß, – jetzt erwürgt sie dich und du wirst blau wie der heitere Himmel, – nunmehr zerstampf ich deinen Kopf, und du wirst rot vor Blut.

FRAU DES KRÄMERS.
Gott, o Gott!
JOUVE.
Die Gans fällt in Ohnmacht – notzüchtigt sie, wenn sie soviel wert ist, aber im Namen des Kaisers!
ALLE.
Jouve hoch und abermals hoch!
JOUVE.
Bärenführer pfeif und trommle, Triangler klingle!

Es geschieht.

Nach den Tuilerien!

Alle ab.
2. Szene
Zweite Szene
Vor den Tuilerien. – Abenddämmerung.
Alte Gardegrenadiere zu Fuß, und polnische Lanzenreiter auf Wache. Überall Volk.

ALTER GARDEGRENADIER.
Was hast du da?
EIN ANDERER ALTER GARDEGRENADIER.
Betten aus dem Schloß.
ALTER GARDEGRENADIER.
Wer schlief darin?
DER ANDERE.
Die königlichen Haustruppen.
ALTER GARDEGRENADIER.

Die haben ja einen Geschmack wie die Wickelkinder der – Ich wenigstens kannte außer Stroh und Straßenpflaster seit vierzehn Jahren kein Bett, und schlafe so besser, je härter ich liege.

DER ANDERE.
Volk, nimm dich in Acht! Es stäuben Federn!

Er wirft die Betten unter das Volk, und legt sich zum Schlafe auf das Pflaster, viele seiner Kameraden ebenfalls. – Das Volk streitet sich um die Betten und reißt sie bei der Gelegenheit zu Stücken.
JOUVE
kommt mit seinen Vorstädtern.

Für sich. Wie es hier stehen mag? – Hm, schlimm – Hat der Kaiser hunderttausend Mann, die so wie diese für ihn sich in den Dreck lagern, so macht ganz Europa mit allen diplomatischen [385] Sofas nichts gegen ihn.

EIN BÜRGER.
Auf die Seite, Platz gemacht!
EIN VORSTÄDTER.
Weshalb, Kerl?
DER BÜRGER.
Es sprengen zwanzig, dreißig Estafetten aus dem Tor des Palastes.
EIN ANDERER BÜRGER.
Und da kommen grade dreißig wieder an – Gleich und gleich hebt sich!
ERSTER BÜRGER.
Da fliegen Adjutanten heraus!
ZWEITER BÜRGER.
Und da jagen Kaleschen hinein!
JOUVE
für sich.

Er ist da – und schon reißt er Frankreich in seinen Strudel – – Aber hier ein kaiserlicher Wagen, die Hortense darin – Die Wache liegt zum Teil schlafend auf den Boden – Macht sie nicht die Honneurs oder kommt sie in Unordnung, so faß ich frischen Mut, stürme noch heute nacht die Tuilerien, und pflanze auf seiner Leiche den Freiheitsbaum auf!

SCHILDWACHE
ruft.
Ins Gewehr! – Königin Hortense!

Die ganze Wache kommt in Bewegung, und hält gleich darauf zu Pferde und zu Fuß in Ordnung.
OFFIZIER DER GARDEGRENADIERE ZU FUSS.
Präsentiert das Gewehr! Trommel gerührt!
OFFIZIER DER POLNISCHEN LANZENREITER.
Säbel heraus! Trompete geblasen!

Trommeln und Trompeten.
VOLK.
Es lebe Hortense!
HORTENSE
blickt aus dem Wagenfenster.
Ich danke!
VIELE DES VOLKES.
Die ist doch hübscher als die Angoulême.
JOUVE
für sich.

Hier ist nichts zu machen – Die Leute sind zu einexerziert und zu begeistert – Weg meine Träume – Es lebe der Kaiser!

VOLK.
Hoch der Kaiser!
OFFIZIER DER GARDEGRENADIERE ZU FUSS.
Gewehr ab!

Es geschieht.
OFFIZIER DER POLNISCHEN LANZENREITER.
Säbel ein!

Es geschieht.
DIE OFFIZIERE.
Nun schlaft bis die Schildwachen euch wecken.
[386]
3. Szene
Dritte Szene
Abend. Zimmer in den Tuilerien. Erleuchtet.
Napoleon. Viele diensttuende Offiziere um ihn.
Andere sitzen und schreiben.

NAPOLEON.
Wo Cambronne?
OFFIZIER.
Sire, er visitiert die Wachen.
NAPOLEON.

Diese Zimmer – Ich bin wieder zu Haus, und Frankreich ist mein! – Hier wandelten also vor ein paar Stunden Blacas d'Aulps und d'Ambray? – Ah,


Halblaut.

s'il est un temps pour la folie,
il en est un pour la raison.

Wem gehörten diese Bücher?
OFFIZIER.
Dem König Ludwig.
NAPOLEON.

Ich bin doch neugierig – Er blickt in mehrere. Gebete! – Mit Gebeten und Jesuiten zwingt man nicht mehr die Welt – Die Bücher beiseit, und Landkarten auf den Tisch – Zu einem Offizier. Lassen Sie in die Zeitungen setzen: binnen drei Wochen würden die Kaiserin und der König von Rom hier sein.


Adjutant ab. Napoleon für sich.

O mein Sohn – in den Krallen von Habsburg – Ich kanns, ich mags nicht denken!

Zu einem schreibenden Offizier.

Die Depeschen?
DER OFFIZIER.
Sind fertig, Sire.
NAPOLEON.
Fort mit ihnen in die Provinzen. – – Hier neue! – Welch sonderbares Ding von einem Stuhl?
EIN OFFIZIER.
Des Königs Rollstuhl.
NAPOLEON
setzt sich hinein.

In dem sitzt es sich freilich bequem – in dem konnte man leicht vergessen, daß es in Frankreich und auf Elba anders war, als in diesem Zimmer.


Wieder aufstehend.

Schließt den Stuhl beiseit.
EIN KAMMERHERR
tritt ein.
Sire, hier Depeschen – schriftliche Nachrichten von dem Telegraphen –
NAPOLEON.

Her damit – – Die Depesche ist albern – Er wirft sie weg. – Da Aufruhr in der Vendée – General Travot kennt den Distrikt seit zwanzig Jahren – Er soll [387] hin mit zehntausend Mann – Schnell, schnell das expediert, ihr Schreibenden! Die Truppen nimmt er aus Nantes und Angers. – – – Hier – o, alles, alles seit dem April von 1814 in Frankreich Ruin, Festungen und bürgerliche Ordnungen – bloß mit den Einkünften der Pfaffen stehts gut – wenigstens beschweren sich die Gemeinden über das Unmaß derselben.


Zu den Schreibenden.

Die Missionskreuze auf den Marktplätzen sollen fort, – kein Geistlicher unter Bischofsrang erhält mehr Gehalt als ein Bezirksrichter.

– Nochmals der Telegraph? – Murat marschiert. Konnt er denn nicht warten, bis Ich gerüstet war? Die Übereilung ist schlimm für ihn und etwas Schade für mich. – Zwölf Zimmer sollen in Toulon königlich eingerichtet, und ihm überlassen werden, kommt er auf der Flucht dahin. – Bildet sich der Mensch ein, er könne in Einem Feldzuge mit seinem neapolitanischen Gesindel Italien organisieren – Das ist eine Arbeit für Jahrhunderte – Geistliche und weltliche Politik haben zu fleißig dafür gesorgt.

KAMMERHERR
tritt ein.
Der König flüchtet, wie man erfahren, über Lille.
NAPOLEON.

Alle Behörden und alle Festungskommandanten sollen ihn laufen lassen, soviel er kann. Hab ich ihn, so macht er mir Plage, hab ich ihn nicht, so bin ich mit der Plage verschont und er tut mir keinen Schaden.


Kammerherr ab.
EIN OFFIZIER.
Sire, das Volk ruft Ihnen immer donnernder Vivat –
NAPOLEON.
Schon gut.
DER OFFIZIER.

Und es fleht, Sire, Sich einen Augenblick am Fenster zu zeigen, um sein Sehnen nach Ihrem Antlitz zu stillen.

NAPOLEON.

Die Canaille wird anmaßend – Die Bourbons haben, so hochadlig sie sind, die Zügel doch recht schlaff gehalten – – Nun –


Er geht einen Augenblick an das Fenster, lautes Geschrei: »es lebe der Kaiser« erschallt. Er tritt zurück, und
DER KAMMERHERR
kommt wieder.
Neue Depeschen –
NAPOLEON.

Gut. Übrigens verbitt ich, mir künftig jedesmal [388] die Kuriere und Depeschen förmlich anzumelden. Wer Beruf oder Mut hat, mir etwas zu bringen, mit mir zu sprechen, komme unangemeldet. Europa blickt voll Erwartung hieher, und läßt mir keine Zeit zur Etikette.

KAMMERHERR.
Wie Sie befehlen, Sire.
NAPOLEON.
Apropos – Standen Sie bei Ludwig dem Achtzehnten im Dienst?
KAMMERHERR.
Sire, ja – einige Zeit.
NAPOLEON
für sich.
»Sire, ja – einige Zeit« – Ein stotternder Zweideutler. Laut. Meines Dienstes sind Sie entlassen.

Kammerherr ab. Kuriere, Ordonnanzen treten ein.

Die Botschaften – – Ah, Gilly hat den Angoulême bei Lyon gefangen –

Zu einem Offizier.

Der Telegraph hat nach Lyon zu berichten, daß General Gilly den Herzog von Angoulême im ersten besten Seehafen denen, die ihn zu besitzen wünschen, ausliefre.


Offizier ab.

Wieder der Telegraph – Die Angoulême ist nach tapferer Gegenwehr aus Bourdeaux vertrieben. – Sie ist der einzige bourbonische Sprößling, der Hosen zu tragen verdiente. – – Was bringst du?

EINE ORDONNANZ.
Dieses, Sire.
NAPOLEON.

Auch vom Telegraphen. – Pah, der Kongreß zu Wien ist auseinander. Daß der auseinanderlief, wußt ich, als ich von Elba den Fuß in das Schiff setzte. – – Und du?

EINE ANDERE ORDONNANZ.
Depeschen von Montmédy.
NAPOLEON
während er liest.

In Preußen marschierts – Der sonst so sparsame Staat schickt seine Soldaten sogar auf der Post an unsre Nordgrenze – Die Niederlande machen es ebenso – – Nun, kommt ihr mir zu voreilig entgegen, so rechnets euch selbst zu, wenn ihr mich zu früh findet.


Zu den Schreibenden.

Ist alles fertig?
DIE SCHREIBENDEN.
Ja, Sire.
NAPOLEON.
So schickt es fort.

Mehrere ab.

– – Du hast?
EINE ORDONNANZ.
Telegraphische Nachrichten von Brest und von Toulon –
[389]
NAPOLEON.
Ha, England –

Er liest.

– Die englischen Flotten überall an Frankreichs Küsten mit ausgesteckter, roter, großer Kriegesflagge – Orlogs, kommt meinen Strandbatterien nicht zu nahe! – – Und ganz Frankreich ist von den Herren in St. James in den Blockadezustand erklärt? – Ei, warum verbieten sie uns nicht auch das Atmen?

BERTRAND
kommt.
Sire, hier die Ausfertigungen –
NAPOLEON.
Bist fleißig gewesen; ich glaube, du hast in drei Tagen, weder unterwegs noch hier geschlafen.
BERTRAND.
Konnt ichs vor Freude? – Da wollt ich denn doch bei dem Wachen auch etwas tätig sein.
NAPOLEON.
Was macht deine Frau?
BERTRAND.

Sitzt am Stickrahmen, springt wieder auf, tanzt, küßt ihr Kind, empfängt Bekannte, glüht vor Freude und Gesundheit, und ruft einmal über das andere: es lebe Gott, es lebe der Kaiser, und jetzt mögen wir dazu leben!

NAPOLEON.
Grüße sie von mir – Nun?
BERTRAND.
Sire, noch etwas –
NAPOLEON.

Ich merke, was Schlimmes – Entdeck es, – ich bin kein Bourbon, – wer wie sie das Schlimme nicht erblicken will, vermeidet es nicht.

BERTRAND.

Die Telegraphen melden von allen Seiten, daß nirgends, vom kleinsten deutschen Fürstenhofe bis nach Wien, Berlin und der Newa deine Briefe angenommen sind.

NAPOLEON.

So will Ich Selbst sie den Herren bringen, und dreimalhunderttausend Mann dazu. – Künftig läßt du in jedem offiziellen Schreiben, das »Wir« und das »von Gottes Gnaden« aus. Ich bin Ich, das heißt Napoleon Bonaparte, der sich in zwei Jahren Selbst schuf, während jahrtausendlange erbrechtliche Zeugungen nicht vermochten, aus denen, die sich da scheuen, meine Briefe anzurühren, etwas Tüchtiges zu schaffen. – Jetzt durchzuckt es mich wie ein Blitz, und ich sehe klar in die tiefsten Gefilde der Zukunft: es wäre klüger von mir gewesen, hätt ich die Österreicherin nicht zur Frau genommen, sondern, wie ich konnte, zur Mätresse. Sind einmal alle Vorurteile der alten Zeit umgewälzt, so schadet es den Enkeln meines Sohnes noch in späten Jahrhunderten, daß sie von einer als kaiserliche Prinzessin geborenen Mutter entsprungen und [390] dadurch der Anhänglichkeit an lächerliche Ahnenideen verdächtig sind!

BERTRAND.
Auch haben alle Mitglieder des Kongresses –
NAPOLEON.
Zaudre nicht –
BERTRAND.
– eine Art Acht über dich ausgesprochen.
NAPOLEON.
Es ist spaßhaft. Geächtet? Mich? Warum?
BERTRAND.
Sire –
NAPOLEON.

Ich will es dir sagen: alle die Leute mit all ihren Generalen, den alten, tollen Blücher vielleicht ausgenommen, beben nicht vor Frankreich, wie es jetzt ist, sondern vor meinem Genie. – Geächtet! Ich! Ich kann mir die schönen Phrasen denken, in welchen die Ächtung ausposaunt ist – vom »Störer des Weltfriedens, Eroberer, Tyrannen« wirds darin wimmeln. – Eh, eine treffliche Sprache im Munde der Teiler von Polen – Vermieden sie nur die politische Scheinsucht, – würden sie nur nicht zugleich kleinliche Heuchler, indem sie große Gewalttaten begehen, – aber da wird alles mit erlogenen Beweggründen motiviert, jeder Raub mit glatten Worten ausgeputzt, und beides dient bloß, die Bewältiger und Räuber verhaßter und verächtlicher, und die Unterdrückten und Beraubten erbitterter zu machen! – Geächtet! – Weil ich als Kaiser, als unabhängiger Fürst von Elba, den Bourbons, die mir meine Pension nicht zahlten, Krieg gemacht? Hat Rußland je soviel Ursach zum Krieg mit den Osmanen gehabt? – O Gott sei gelobt, daß ich Waffen genug habe, um meinen Grimm nicht wie ein armer Sultan verbeißen zu müssen! – Bertrand, am dreizehnten Juni, abends sieben Uhr, steh ich mit meiner ganzen Armee bei Avesnes und weder sie soll wissen, wie sie dort zusammengekommen ist, noch der Feind mich eher ahnen, als bis ich mitten in seinen Kantonierungen hause. – Nimm diese Karte, – die Marschrouten hab ich schon darauf bezeichnet, – laß bis morgen früh an die Heerteile und Platzkommandanten die nötigen Befehle ergangen sein.


Bertrand ab. Fouché und Carnot treten auf.
NAPOLEON
für sich.
Die beiden zusammen? – Ich hätte jeden lieber einzeln – Doch der freie Eintritt ist einmal erlaubt.
FOUCHÉ.
Sire, unsre Glückwünsche zur Wiederbesteigung Ihres Thrones.
NAPOLEON.
Otranto, – Sie übernehmen wieder das Portefeuille des Polizeiministers.
[391]
FOUCHÉ.
Sire –
NAPOLEON.
Und Ihnen, Graf Carnot, Dank für die Verteidigung von Antwerpen.
CARNOT.
Leider war sie vergeblich, – ich mußt es auf Befehl des Königs übergeben.
NAPOLEON.

Tut nichts. Belgien entläuft uns doch nicht. – Wissen Sie, meine Herren, daß bereits ganz Europa gegen uns proklamiert und marschiert?

FOUCHÉ.
Wir wissen es.
NAPOLEON.
Was tun wir?
CARNOT.

Sire, geben Sie Frankreich eine liberale Konstitution, mit sichren Garantien, und die Despoten Europas erzittern, während der Bürger von Paris fröhlich sein Vaudeville singt.

NAPOLEON.

So auch sprach neulich ein braver junger Mann, Labédoyère. »Liberalismus«, »Konstitution« lauten gut, aber Carnot, Sie erfuhren selbst, wie wenig die Menge davon versteht. Der gute, wohlmeinende Advokat aus Arras, Robespierre, mußte zum Schreckensmann werden, als er die Republik aufrechterhalten wollte, und Sie selbst waren sein Kollege. Dafür haben die Zeitungsschreiber ihn und Sie so mit Tinte übergossen, daß es lange währen wird, ehe der Strom der Geschichte beide wieder weiß wäscht. – – – Was ich für den Augenblick tun kann, soll indes geschehen – Die Zukunft schaffe weiter. Alles was in der neuen bourbonischen Charte nach Feudalismus und Pfaffentum schmeckt, will ich durch eine Zusatzakte wegschaffen, und diese Akte auf einem Maifelde, ähnlich jenem der fränkischen Kaiser, publizieren lassen. Aber, aber, glauben Sie, meine Herren, Charten und Konstitutionen sind zerreißbarer als das Papier, auf welches man sie druckt.

FOUCHÉ.
Sire, eine Druckerei bedeutet jetzt mehr als eine römische Legion.
CARNOT.

Und bedeutete sie weniger als eine französische Kompanie – besser, das Gute wollen, als das Schlechte tun.

NAPOLEON.
Sie, Carnot, sind mein Minister des Innern.
CARNOT.
Sire, Sie geben mir ein Amt, dessen Geschäfte ich nicht kenne.
NAPOLEON.

Das Kriegsministerium wär Ihnen lieber, aber Davoust ist der dermaligen Armee bekannter als Sie – Er hat es. – Drum nehmen Sie den Minister des Innern [392] an, wärs auch nur als nicht verschmähtes Zeichen meines Zutrauens, und seien Sie ohne Sorge, ob Sie dazu passen, – Sie passen zu jedem großen Staatsdienst, denn Sie sind weise, kühn und brav. – Meine Herren, für heute gute Nacht.

FOUCHÉ
mit Carnot abgehend, flüstert diesem zu.
Die alte Manier, als wäre gar kein Elba gewesen.
NAPOLEON.

Der listig kühne Fouché und der ehrliche Republikaner Carnot sind immer noch zehnmal besser als der klug feige Talleyrand, welcher mit dem Winde schifft, und nachher sagt, er hätte ihn gemacht. Weh ihm, irrt er sich einmal um die Breite eines Haares, der Seiltänzer! Weh ihm, irrt er sich jetzt an mir!


Hortense tritt ein.

Warum kommst du erst jetzt? Du bist seit einer Stunde hier. – Ich hörte deinen Wagen.
HORTENSE.
So genau weiß das mein Kaiser? Ich sollte mir schmeicheln.
NAPOLEON.
Und deine Reisekleider abgelegt – in Goldstoff – Welch ein Gürtel, – eine Sammlung von Diamanten.
HORTENSE.
Ich schmückte mich, um dich in würdiger Tracht zu grüßen.
NAPOLEON.
Frischen Lorbeer im Haar? – Davon muß ich bald ein paar Blätter verdienen.
HORTENSE.

Ach, seit wir uns nicht gesehen, Kaiser, ist manches, manches Schmerzliche über deine Familie ergangen, – du sprühtest Funken, wüßtest du, wie undankbar, wie schlecht die Menschen sind! Allein das Geschick tat doch den härtesten Schlag –

NAPOLEON.

Hortense, ich bitte, laß deine Gewohnheit, mache mich nicht schwermütig – Ich habe andere Geschäfte. –

HORTENSE.

Einen Augenblick hast du übrig für das Angedenken an Die, die jahrelang nur dich dachte – die bescheidene Blume, welche du der prächtigen Rose des stolzen Österreichs opfertest, – sank dahin.

NAPOLEON.

Josephine! – – Hortense, du bist hart – O, ihr Tod hat mir schon genug schmerzvolle Nächte gekostet – Ja, Sie war mein guter Stern! – Mit ihr erlosch mein Glück! – – – Selige Tage, wo ich in Italiens Gefilden den Tod verachtete, und nur siegte, um ihr meine Triumphe zu melden! Das hat mich zum Helden geschaffen! – Sprach [393] sie von mir noch in den letzten Stunden?

HORTENSE.

Als sie nicht mehr sprechen konnte, blickte sie auf das goldne N über ihrem Betthimmel, und ließ sich die Hand auf das Herz legen.

NAPOLEON.

Ha! – – Genug, Hortense. Es ist über haupt alles anders geworden. Ich bin, wie in einer Wüste. Berthier ist fern, Duroc, Bessières sind längst gefallen, Junot hat sich aus dem Fenster zu Tode gestürzt, Louise und meinen Sohn hält man zurück, und noch schlimmer als das alles, viele sind weder gestorben, noch haben sie sich entfernt, aber sie wurden Verräter. Selbst der Ney – Er ist der mutigste meiner Marschälle, doch an Charakter der schwächste. Du hättest das Gesicht sehen müssen, mit dem er vor mich trat, als seine Truppen zu mir abfielen. Er hatte im Ernst gegen mich kämpfen wollen, und konnte nun nicht das Auge aufschlagen. Als ich ihm aber entgegenging und tat als wüßt ich nichts, ward er wie ein geretteter armer Sünder, wäre mir fast zu Füßen gefallen, und ich bin überzeugt, er streitet nächstens verwegener für mich als je.

HORTENSE.
Ich würd ihn nicht wieder anstellen.
NAPOLEON.
Ich muß es tun – Sein Name hat einen guten Klang im Heere.
HORTENSE.

Es gibt Einen unter deinen Ministern, der treuer ist als alle deine Marschälle – Er harrt im Vorsaal, Wonne im Auge –

NAPOLEON.
Das ist Maret.
HORTENSE.
Du errätst ihn.
NAPOLEON.

Keine Kunst, – er ist gewandt wie ein Aal, klammert sich aber auch ebenso fest an. – Er bekommt das Staatssekretariat zurück.

HORTENSE.
Auch deine Brüder: Lucian –
NAPOLEON.

Der Präsident der Fünfhundert naht sich dem Kaiser? O weh, ich muß ihm hülfsbedürftig, seiner Großmut würdig erscheinen.

HORTENSE.
Auch Joseph, Jérôme –
NAPOLEON.
Die beiden unterscheid ich nicht. Jeder fühlt sich in dem Teiche wohl, in den ich ihn setze.
HORTENSE.
Beurteile nicht alle so hart. Bedenke, was würde die Welt, wären wir alle wie du?
NAPOLEON.
Nun, die würde nicht so übel.
[394]
HORTENSE.
Ewiger Krieg und Lärm würde aus ihr –
NAPOLEON.
Hortense –
HORTENSE.

Verzeihe, Kaiser – – Bin ich zu frei, ist deine Güte schuld. – Aber, wie viele Kürassiere, Dragoner, Batterien, Grenadiere, Voltigeurs, ziehen wohl schon auf allen Straßen? – Nicht? – O gesteh es nur – Ich kenne dich. – Dir donnern bereits tausend Kanonen im Haupte – – Schone, schone die Jugend Frankreichs, schone die Mütter, welche mit zerrißnen Herzen ihre Söhne in den Tod senden!

NAPOLEON.

Die Truppen, welche jetzt marschieren, sind Veteranen aus Spanien und Rußland, haben schwerlich noch Mütter, und hätten sie deren, welche Französin wäre so schlecht, ihren Sohn nicht gern dem Vaterlande auf dem Felde der Ehre zu opfern? Wo stirbt er besser?

HORTENSE.
Feld der Ehre – sage oft: Feld der –

Sie stockt.
NAPOLEON.
Sprich.
HORTENSE.
– der Eitelkeit.
NAPOLEON.

Der Albernheit beschuldigen mich die faden Zeitungsschreiber. – Hortense, denke du besser von mir: nie kämpft ich ohne Grund. Zog ich nach Spanien, so war es, um die Heimtücke des Kabinetts von Madrid zu strafen, die letzten Bourbonen des Kontinents, welche mich nie aufrichtig lieben konnten, aus meinem Rücken zu entfernen, den Engländern mit einem gewaltigen Bollwerk das Mittelmeer zu schließen. Zog ich nach Rußland, so war es, endlich mit einem Schlag zu entscheiden, ob südlicher Geist oder nordische Knuten die Welt beherrschen sollten. Jetzt so hätt ich indes gern Frieden – doch Groß und Klein ist gegen mich, und ich muß kämpfen.

HORTENSE.
Du mußt – ja, weil du willst.
NAPOLEON.

Ihr weißer! Wer euch belehren will, beschwört das Feuer. – Hortense tanze, – du verstehst es meisterhaft, – aber nie wieder ein Wort über Politik.

EINE ORDONNANZ
tritt ein.
Paris ist illuminiert.
NAPOLEON.
Mir lieb, – so haben die Lichtzieher vielen Absatz.

Zu Hortense.

Komm mit in den Vorsaal, Maret und die Brüder zu überraschen.

Zu den Schreibenden.

Meine Herren, schnell!

Mit Hortense ab.
[395]

4. Akt

1. Szene
Erste Szene
Paris. Das Marsfeld. Eine große, mit rotem Sammet überzogene Bühne ist im Hintergrunde errichtet. Mitten auf derselben der Thronsitz des Kaisers, – ringsum, amphitheatralisch geordnet, die Sitze der Pairs und der Deputierten.
Kanonen donnern, Truppen und Nationalgarden ziehen auf. Volk überall. Jouve im blauen Frack darunter.

EIN JUNGE.
Eine Zigarre, mein Herr, à la reine Hortense.
JOUVE.
Her damit, Bengel. Was kostet der Stümmel?
DER JUNGE.
Zwei Sous, denn heute –
JOUVE.
Denn heute machen wohlfeile Konstitutionen schlechte Zigarren teuer. Da – drei Sous!
DER JUNGE.
Gnädiger Herr –
EINE DAME.
Wie schrecklich donnern die Kanonen – von allen Seiten, den ganzen Morgen schon.
JOUVE.
Es sind die bestellten Salven vom Invalidenhause, von Montmartre und Vincennes.
DIE DAME.
Heute ist doch ein großer Tag.
JOUVE.

Wenigstens knallt er sehr. – Mademoiselle, oder, wie ich glauben muß, Madame, weil Ihre Schönheit schon irgend jemand zur Heirat bezaubert haben wird, –

DIE DAME
für sich.
Wie galant der Herr ist!
JOUVE.
– lassen Sie uns weiter links gehen – Von hier aus erblicken wir nichts.

Für sich.

Auch eine vor Eitelkeit lächelnde Bestie, – vielleicht gut genug zur Zerstreuung.
DIE DAME.
Mein Herr, wie dringen wir so weit durch? Es ist überall Volk.
JOUVE.
Volk! Weiter nichts? Auseinander der Dreck –

[396] Er ruft.

Ein Adler! ein Adler! Da fliegt er – von der Militärschule herüber – – Welches günstige Zeichen!
VOLK
durcheinander.

Ein Adler! ein Adler! – Siehst du ihn? – Nein – Da ist er! – Das ist ja eine Wolke – – Wolke? Ein Haufen Adler, wollt ihr sagen!

JOUVE.

Nun, meine Dame, lassen Sie die Herren den Himmel betrachten, – wir kommen auf der Erde desto weiter.

DIE DAME.
Sie sind ein Genie, mein Herr, und Ihre Hände sind sehr kräftig. –
JOUVE.
Es geht mir wie einigen Monarchen: zum Amüsement schmiede ich bisweilen.
DIE DAME.
Mein Wagen hält nicht weit von uns. – Fahren Sie mit mir nach Haus zum Souper?
JOUVE.
Ohne andere Begleitung?
DIE DAME.
Nur Ihre Ehre soll mich führen.
JOUVE
für sich.
Wer weiß, wohin wir dann geraten.

Laut.

Ich nehme die Einladung an, und Sie sollen meine Ehre Ihrer Erwartung gemäß finden. – – O, – da stehen schon die allerliebsten Weihnachtspuppen, die Nationalgarden, – dort sprengen Mamelucken oder gut verkleidete Franzosen heran – da brüstet sich die alte, da die neue Garde zu Pferd und zu Fuß mit dem schnöden Trabantenstolze –

DIE DAME.
Wie Sie alles scharf und richtig bezeichnen!
JOUVE.

Der Erzbischof von Paris mit seinen Pfaffen fängt an die Zeremonie einzuräuchern – Wenn die Religion von dem vielen Dampf, den sie machen muß, nur nicht bald selbst verdampft!

DIE DAME.

Sehen, sehen Sie! Pairs, Deputierte, Senatoren setzen sich auf ihre Plätze! – Welche prächtige Mäntel sie tragen!

JOUVE.
Und da steigt Bonaparte auf das Gerüst mit seinen gleichfalls aufgeputzten Ministern.
DONNERNDES GESCHREI DER TRUPPEN UND DES VOLKES.
Hoch lebe der Kaiser!
DIE DAME.
Er ist wahrlich ein großer Mann.
JOUVE.
Er verstand, auf unsren Nacken sich zu erheben.
DIE DAME.
Wie Sie sagen? – – Wie ernst-majestätisch er [397] blickt.
JOUVE.

Solang er weiß, daß ihn die Menge anblickt. Zu Hause ist er nach den Umständen mürrisch, lustig, schwatzhaft, wie jeder andere. Geht er aus, so überlegt er, wenn er in Zweifel ist, erst mit dem Komödianten Talma Mienenspiel und Faltenwurf.


Für sich.

's ist ja doch alles Komödie – Es wird nächstens schwer halten Theaterprinzessinnen von echten zu unterscheiden.

DIE DAME.
Da tritt ein Herr vor, die additionelle Zusatzakte zu lesen.
JOUVE.
Ja, er spuckt schon aus.
DIE DAME.
Diese Akte wird die Revolution beendigen.
JOUVE.
Auf das Ende Madame folgt stets wieder ein Anfang.

Er horcht auf.

Ah, er liest – Wahrhaftig, wie ich vermutete, der alte Brei in neuen Schüsseln – »Die Pairskammer erblich« – Daß grade ein Bonaparte nicht spüren will, wie erbärmlich die aristokratische Erblichkeit ist – »Der Kaiser ernennt die Pairs« – Früher hieß es »der König ernennt sie« – »Kein Mitglied der Repräsentantenkammer kann wegen Schulden verhaftet werden« – Da werden sich die Bankerotteurs in Masse hineinmachen. – »Der Kaiser bezeichnet aus der Pairskammer die Präsidenten der Wahlkollegien auf Lebenslang« – Er wird seine Leute schon finden – »Der Gottesdienst frei« – Das Präsent kostet nichts – Ich wollte, es hieße: »unbedingt freie Presse«. – Gottlob, der Herr Vorleser ist zu Ende.

DIE DAME.
Der Kaiser hebt die Hand in die Höhe und beschwört die Akte!
JOUVE.
Und die Pairs und Deputierten der Wahlkollegien äffen ihm nach.
DIE DAME.
Das Volk erhebt sich – Wir müssen auch schwören –
SAVOYARDENKNABE.
La marmotte, la marmotte –
JOUVE.
Junge, laß das Singen, – man beschwört hier die Zusatzakte der Charte der französischen Nation.
SAVOYARDENKNABE.
Weiter nichts? Ich bin auch ein patentierter Franzose.

Er reckt drei Finger empor.
[398]
JOUVE
für sich.
Heiligkeit des Eides! – Schafotte und Laternen an seine Stelle! Sie wirken besser!
DAS VOLK.
Wir beschwören die Konstitution und die additionelle Charte!
JOUVE.
Madame, Madame, – wir schwören mit!
DIE DAME.
Ists Zeit? – Was die Dienstmagd da prächtige Straußfedern trägt –
JOUVE.

Geschwind, geschwind, lassen Sie sich dadurch nicht aufhalten – Er und die Dame. Wir schwören mit! Er für sich. Fünfmalhunderttausend Meineidige, mich selbst mit eingeschlossen, ohne daß ein Blitz auf sie fällt, sind doch eine interessante Erscheinung! Was haben wir nicht alles beschworen und gebrochen, die erste, die zweite, die dritte Konstitution, die Satzungen Napoleons, die Charte der Bourbons –

DIE DAME.
Der Kaiser entfernt sich. Welch herrliche Musik die Truppen haben!
JOUVE.
Madame, Ihren Arm?
DIE DAME.
Mit Vergnügen, mein Herr.
JOUVE
für sich.

Die ehebrecherische Kokette! – – – Ob nicht im unerforschten Innern der Erde schwarze Höllenlegionen lauern und endlich einmal an das Licht brechen, um all den Schandflitter der Oberfläche zu vernichten? Oder ob nicht einmal Kometen mit feuerroten, zu Berge stehenden Haaren – Doch was sollten unsre Albernheiten, was sollte ein elendes, der Verwesung entgegentaumelndes Gewimmel, wie dieser Haufen, Erdentiefen oder Sternhöhen empören? Laut. Kommen Sie, Madame.

2. Szene
Zweite Szene
Paris. Ein Zimmer in den Tuilerien.
Napoleon und Hortense treten ein.

NAPOLEON.
Nun gehts in das Feld, Hortense. – Ich und meine Armee werden unsre Schuldigkeit zu tun wissen.
HORTENSE.
Ahnt ich nicht, daß es so kommen würde? – Bitte Sire, nimm dieses Etui.
NAPOLEON.

Wahrlich, schön überzogen – Adler, Bienen, [399] Veilchen darauf gestickt. – Und darin? Allerliebste Sachen! Ein ganzes kostbares Schreibzeug en miniature darunter!

HORTENSE.

Länder, womit du zu spielen gewohnt bist, kann ich dir nicht geben. Nimm die Kleinigkeit, und denke dabei der großen Liebe der armen Hortense.

NAPOLEON.
– Wann sticktest du den Überzug?
HORTENSE.
Als – o – als du fern warest.
NAPOLEON.
Auch etwas wie Tränen darauf gefallen?
HORTENSE.
Harter, fragst du? – Es waren trübe Stunden – ja, entsetzliche!
NAPOLEON.
Hätt ich doch nicht gefragt – – Dein Etui vergeß ich nicht unter den Donnern der Schlacht.
HORTENSE.
Und, Kaiser, schone deiner Gesundheit, – du tust es leider nie.
NAPOLEON.
Was ist auch zu schonen in einem Feldzuge?
HORTENSE.
Feldzug, Feldzug! – Ach, laß uns flüchten!
NAPOLEON.
Wohin?
HORTENSE.
Nach Nordamerika.
NAPOLEON.

Gute, dahin flüchte ein Bürger, der sich einmal gegen seinen Monarchen empört hat, Napoleon aber kann nicht flüchten, kann sich nicht verstecken. Ist er nicht vernichtet, oder nicht behütet wie Feuer, so stürzt Europa zürnend oder liebend ihm nach. – Nordamerika wird übrigens binnen vierzig Jahren ein größeres Karthago, der Atlantische Ozean ein größeres Mittelmeer, um welches die Alte und Neue Welt sich lagern – Wie lange, liebe Hortense, währt das aber? Zwei, drei ärmliche Jahrhunderte und dann wandeln auf den Inseln und Küsten der noch grenzenloseren Südsee die Herrscher des Menschengeschlechts.

HORTENSE.
Bei jedem Anlaß in den entferntesten politischen Ideen!

Bertrand kommt.
NAPOLEON.
Alles im Marsch?
BERTRAND.
Ja, Sire.
NAPOLEON.

Die Truppen sollen die Adler mit Flor umhangen bis sie einen Sieg errungen haben. Besonders das Augenmerk auf die Artillerie und schwere Reiterei gerichtet, denn wir müssen dieses Mal rascher als je niederschmettern und zuschlagen – Drouot kommandiert die erstere, Milhaud [400] die andere, – zu den Kavalleristen meistenteils Elsasser oder Normannen genommen, – sie reiten am besten, aber einige Gascogner unter sie gemengt, damit sie durch die verleitet werden, auch toll darauf los zu reiten, – die Kürasse sollen ein Drittel dichter als früher sein, um recht nah dem Feind ins Auge blicken zu können, – Kriegsmanifeste nicht nötig, weil ich Formalien nicht mehr beobachte, – für die Armee ein paar Proklamationen gegen die Preußen und Engländer, denen wir zuerst begegnen, – meine Schnauzbärte lesen sie zwar nicht, wickeln sie um die Patronen, aber mancher meint doch unbesehens, es wäre etwas darin, – von den alten dotierten, zu Herzogen und Fürsten gemachten Marschällen bloß der Ney mit mir nach Norden, – nützt' es mir nicht, daß Europa glaubt, er sei freiwillig zu mir übergegangen, auch ihn behielt' ich vielleicht nicht, – die Mehrzahl jener Herren waren tüchtigere und redlichere Korporale als Generale. – Mehrere sonstige Anordnungen kennst du, und ich bitte, besorg alles so gut wie du meine Marschorders besorgt hast, wofür ich dir auch danke.

BERTRAND.
Den Dank verdien ich nicht, denn für dich zu arbeiten ist mir Ehre und Freude.

Er entfernt sich.
HORTENSE.

Wenn der Mann all das behält und expediert, was du ihm eben und jede Stunde aufträgst, so ist er ein Genie, fast größer als du selbst!

NAPOLEON.

Käm es auf das bloße Talent, und nicht auf die Tatkraft an, durch welche es in Bewegung gesetzt wird, so wäre Berthier statt meiner Kaiser der Franzosen.


Er klingelt. Ein Ordonnanz-Offizier tritt ein.

Sind die Mitglieder des Ministeriums versammelt?
ORDONNANZ-OFFIZIER. Ja, Sire.
NAPOLEON.
So will ich noch einmal bei ihnen präsidieren, und selbst sehen, was und wie sie arbeiten.
HORTENSE.
Und dann –
NAPOLEON.
Mach ich einen Staatsbesuch in der Pairs- und einen in der Deputiertenkammer.
HORTENSE.
Zuletzt aber?
NAPOLEON.
Nehm ich Abschied von dir und besiege die Koalition, oder erblicke dich nie wieder.
[401]
HORTENSE.
Trifft das letztere ein, so sei mir die Blindheit willkommen.

Beide ab.
3. Szene
Dritte Szene
Paris. Platz vor dem kaiserlichen Marstall.
Drei kaiserliche Piqueurs treten auf.

ERSTER PIQUEUR.
Den jungen Araber vor.
DRITTER PIQUEUR.
Das arme Geschöpf!

Geht ab.
ERSTER PIQUEUR.

Was hilft das Bedauern? Der Kaiser zieht vermutlich ins Feld, reitet schnell, aber schlecht, und wir müssen das Tier mit unsrem Unterricht so lange quälen, bis wir sicher sind, daß es ihn nicht abwirft.

DRITTER PIQUEUR
kommt mit dem Pferde zurück.
Da ist der Araber.
ERSTER PIQUEUR.
Ein treffliches Gewächs! – Hussa, über den Block!

Das Pferd setzt über einen Holzblock.

Ha! muckt die Kreatur? – Sie zuckte bei dem Übersetzen mit dem linken Vorderbein.

Er schlägt heftig auf das Pferd.
DRITTER PIQUEUR.
Schone das Tier!
ERSTER PIQUEUR.
Eh, junger Mensch – kennst du den Kaiser genau?
DRITTER PIQUEUR.
Nein. Ich bin ja erst seit drei Tagen in seinem Dienst.
ERSTER PIQUEUR.

So wisse, er haut bisweilen mit seiner Reitpeitsche ärger auf seinen Piqueur als dieser auf sein Pferd, wenn es nicht so sicher springt als dieses da lernen soll.

ZWEITER PIQUEUR.
Es ist wahr, – ich weiß es von Eßlingen her.
ERSTER PIQUEUR.

Die geladnen Pistolen! Er schießt zwei Pistolen vor den Ohren des Pferdes ab. Es bäumt sich – Prügelt es! Es geschieht. Die Kanonen herbei. Ein Kommando der Artillerie fährt mit einigen Kanonen vor. Das Pferd mitten unter die Geschütze – Brennt ab! Es [402] geschieht. Schlagt den Gaul – Er zittert!

DRITTER PIQUEUR.
O Gott, das unselige Pferd!
ERSTER PIQUEUR.

Es muß mit dem Kaiser in die Schlacht, und da gilt keine Furcht vor Geknall. – Bajonette her – Blinzelt ihm damit dicht vor den Augen. Es geschieht. Ah, da erschrickt es nicht mehr.

ZWEITER PIQUEUR.
Bravo, Araber!
ERSTER PIQUEUR.

Pst! Laß das Schmeicheln – Es möchte sich verwöhnen – Der Kaiser schmeichelt ihm auch nicht. – Jetzt setze dich darauf und tumml' es in die Runde bis es über und über Schweiß ist!


Der zweite Piqueur tut es.

So – so – – Und nun mit ihm in die Schwemme, wo das Wasser am kältesten – Auch die Sporen in seine Seiten, daß es lernt, wie sein Blut fließt.


Zweiter Piqueur mit dem Pferde ab.

Bei Gott, des Kaisers Pferd sein, ist ebenso schwer als sein Piqueur oder sein Minister. – Teufel, da kommt der Oberstallmeister – Gewiß wieder Befehl über Befehl, einer eiliger als der andere – Unter dem Kaiser sind die Stunden tausendmal kleiner als die Geschäfte.

OBERSTALLMEISTER
mit Gefolge, zu Pferde.

Erster Piqueur, in einer Stunde mit allen Reitpferden und Feldequipagen im schnellsten Marsch nach Laon. Dort das Weitere.

ERSTER PIQUEUR.
Hab ich Zeit zum Abschied von Frau und Kind?
OBERSTALLMEISTER.
Nein.
ERSTER PIQUEUR.

Auch gut. So spar ich meine paar Tränen für schicklichere Gelegenheit. – – Aber das ist verflucht, Herr Oberstallmeister: mein bester Kollege ritt eben mit dem besten Gaul in die Schwemme, und kehrt kaum in einer Stunde – – Doch wartet – Ich hol ihn ein, oder –


Zum dritten Piqueur.

Den Soliman aus dem Stall, – ist er auch der eigensinnigste, steifste aller Gäule, so ist er doch zugleich der tollste und schnellste, beinah wie –


Dritter Piqueur führt das Pferd Soliman vor.
ERSTER PIQUEUR
sich auf den Soliman setzend.

Herr Oberstallmeister, der Kaiser liefert binnen vierzehn Tagen eine große Bataille, oder ich kenne seine Marstallsgebote sehr schlecht.


Er braust mit dem Pferde davon.

[403]
4. Szene
Vierte Szene
Nachmittag. Preußisches Feldlager bei Ligny. Viele Feuer.
Soldaten aller Waffengattungen um und zwischen denselben. Einige rauchen, andere kochen, andere striegeln ihre Pferde p. p. Marketender und Marketenderinnen an vielen Orten. An einem Feuer im Vordergrunde sitzen auf Holzblöcken ein ostpreußischer Feldwebel und ein Berliner Freiwilliger. Ein schlesischer Infanterist steht bei ihnen. Über den Flammen hängt ein Kessel.

DER BERLINER.

Schlesier, da hast du zwei Münzgroschen. Hole mich von jene Marketenderin einen blauen Zwirn, und vor dir einen halben.


Der Schlesier geht.

Herr Feldwebel –
FELDWEBEL.
Was ist?
BERLINER.
Ihre Pfeife ist leer – Darf ein Berliner Bürgersohn Sie etwas Tabak anbieten?
FELDWEBEL.
Habe noch selbst Tabak. Danke.

Der Schlesier kommt zurück.
BERLINER
trinkt.
Das wärmt! – – Herr Feldwebel, wir bekommen schlechtes Wetter – der Himmel ist gräulich grau.
FELDWEBEL.
Das ist er.
BERLINER.
Wie lange liegen wir wohl noch hier?
FELDWEBEL.
Bis wir aufstehn.
BERLINER
für sich.

Der Kerl ist, wie ein berühmter Autor sagt, göttlich grob. Statt mir mit ihm zu ennuyieren, will ich lesen und mir bilden.


Er zieht ein Buch aus der Tasche. Dann laut.

Schlesier, wenn Huhn und Kreckente gar gekocht sind, verkündest du es mich.
FELDWEBEL.
Woher habt ihr das Geflügel?
BERLINER.
Requiriert, requiriert – Herr Feldwebel, Sie essen mit.
FELDWEBEL.
Gern.
BERLINER.
Herr Feldwebel, was halten Sie von diese Kampagne?
FELDWEBEL.
Wir müssen tüchtig auf die Franzosen losschlagen.
BERLINER.
Versteht sich, so weh es mich tun wird. – Wann sind wir wohl in Paris?
[404]
FELDWEBEL.
Sobald wir einrücken.
BERLINER.
Waren Sie schon einmal da?
FELDWEBEL.
Ja, 1814.
BERLINER.
Ist es so schön wie unsre große Hauptstadt?
FELDWEBEL.
So ziemlich.
SCHLESIER.
Huhn und Ente sind gar.
BERLINER.

Herr Feldwebel, so wollen wir die verfluchten Luder miteinander teilen. – Da, Sie die Ente, ich das Huhn – Kamm, Schnabel und Füße sind dein Teil, Schlesier.

FELDWEBEL.
Behandle den Burschen nicht wie einen Hund.
BERLINER.

Es ist man ein Wasserpole, ohne Bildung, aus die Gegend von Ratibor. Der Kamm schmeckt ihm wie Sirup.

FELDWEBEL.
Kamerad Schlesier, hier hast du von meiner Ente das halbe Bruststück.
BERLINER.
Herr Feldwebel, kennen Sie die Gebrüder Schlegel?
FELDWEBEL.
Nein.
BERLINER.

Die kennen Ihnen auch nicht, aber kennten sie Ihnen, so würden sie sagen, Sie wären äußerst sentimental.

FELDWEBEL.

Alle Donner, ein ostpreußischer im Regiment geborener und aufgewachsener vierzigjähriger Feldwebel sentimental?

BERLINER.

Ja ja, Ihr Herz ist weicher als Sie ihnen. Es geht Sie wie Alexander dem Großen als er seinen Freund zu geschwind totgeschlagen hatte.

FELDWEBEL.
Warum nicht gar wie Napoleon als er aus Rußland flüchtete?
BERLINER.
Napoleon? – O, der ist auch noch lange kein Iffland! – – Kannten Sie Iffland?
FELDWEBEL.
War er nicht Komödiant?
BERLINER.

Komödiant! Sei Gott mich gnädig! – Ein Schauspieler, ein darstellender Künstler, ein Mime war er wie keiner unter die Sonne. Lesen, studieren Sie die Journale – – ach, Sie hätten die großartige Charakteristik sehen sollen, mit welcher er wundersam eindrang in den Geist der Rolle – Na, Lemm, Beschort sind auch sehr schätzbare Talente, aber – Wer kommt da zu Pferde?

FELDWEBEL.
Aufgestanden! Der Feldmarschall und General Gneisenau!
BERLINER.
Der Feldmarschall ist doch ein großer Kopf!
FELDWEBEL.
Woran merkst du das?
BERLINER.
Das sieht man ja, sowie er die Mütze abnimmt.

[405] Blücher und Gneisenau sind bis in den Vorgrund gesprengt. Adjutanten hinter ihnen.
BLÜCHER.
Kamerad, was für ein Buch das?
BERLINER.
Isabella von Mirando oder die Kürassierbeute –
BLÜCHER.
Wirfs in das Feuer. – Feldwebel, Sie kenn ich.
FELDWEBEL.
An der Katzbach präsentiert ich Ewr. Durchlaucht zwei von mir gefangene Franzosen.
BLÜCHER.

Wahr. Und Sie haben kein Eisernes Kreuz? – Hier das meinige. Heften Sie es sogleich an die Brust, und wenn die Kugeln pfeifen, denken Sie bei ihm: es ist doch alles Kreuz, Jammer und Elend, aber das beste Kreuz ist doch immer das des Königs – – Wisset Leute, Bonaparte soll in der Nähe sein, angekommen wie ein Dieb in der Nacht. Ist es so, so haben wir morgen früh Bataille, und wenn das Heer will, morgen abend Sieg.

GNEISENAU.
Der Posten von St. Amand muß verstärkt werden.
BLÜCHER.
Nicht vielmehr der von Sombref? Er liegt dem Feinde näher.
GNEISENAU.
Der französische Kaiser –
BLÜCHER.
Nenne den Schurken nicht Kaiser, der meiner Königin das Herz brach.
GNEISENAU.

Napoleon wird uns gern von den Engländern trennen, auf die Seite werfen wollen, und, du kennst ihn, da wird er ohne sich umzusehen die Stellung zuerst angreifen, die uns zunächst mit ihnen verbindet, und diese ist: St. Amand.

BLÜCHER.
Du hast recht, Freund. – St. Amand mit fünf Infanterie- und drei Dragoner-Regimentern verstärkt.

Mehrere Adjutanten ab.

Kuriere zu Wellington – Gruß ihm, und die Bitte, er möge vorrücken – Andere zu Bülow: der breche sofort mit seinem Korps auf und sei morgen mit Tagesanbruch hier.

GNEISENAU.
Jetzt erfahren wir ein Mehreres. – Da schickt Ziethen drei Husaren von der Vorhut.

Drei Ziethensche Husaren jagen in die Szene.
BLÜCHER.
Es könnten verkleidete französische Spione sein. Dem Bonaparte ist keine List fremd. – Die Parole?
EIN ZIETHENSCHER HUSAR.
Zorndorf!
BLÜCHER.
Richtig. – Was gibt es?
DER ZIETHENSCHE HUSAR.

Französische Truppen zu Fuß und [406] zu Pferde, wie Sand am Meer, in Avesnes, Charleroi, Châtelet, Marchienne. Ihre Voltigeurs drängen sich schon an uns, und schießen aus Strauch und Busch.

GNEISENAU.
Haben die Feinde viele Kanonen?
DER ZIETHENSCHE HUSAR.
Unabsehbare Züge.
BLÜCHER.
Sogenannte Kaisergardisten unter ihnen?
DER ZIETHENSCHE HUSAR.
Regiment an Regiment.
BLÜCHER.

So ist Er mit seiner ganzen Armee da, und hat uns überrascht. Doch, es soll ihm wenig helfen, denn er macht uns nicht bestürzt. – – Zurück zu Ziethen – er ziehe sich fechtend bis Sombref.


Die drei Ziethenschen Husaren wieder ab.
GNEISENAU.
Alarm, Feldherr?
BLÜCHER.

Versteht sich, auf der Stelle! Überall Rappell! Der Generalmarsch durchs Lager – Neue Patronen ausgeteilt, die Güte der alten untersucht!


Viele Adjutanten ab.

Und wir beiden, Freund Gneisenau, einen Ritt nach Charleroi hin – Es sieht sich nicht besser als mit eignen Augen.


Mit Gneisenau ab. Gleich darauf Rappell und Generalmarsch im ganzen preußischen Biwak. Alle zerstreut gewesenen Soldaten eilen zu ihren Kompanien und Schwadronen, rasch sich waffnend und ordnend.
FELDWEBEL.
Adieu, Berliner und Schlesier – Gott mit euch in der Schlacht!

Ab.
BERLINER.
Herr Schlesier, holen Sie für uns beide noch einen großen Kümmel.

Schlesier geht.

Mein Jesus, welch ungeheurer Unterschied, wenn man erwartet, ob es losgeht, oder wann es losgeht. Vorher besah ich die Gefahr halb mit Lust, fast wie einen schön gemalten Bären, – jetzt wird der Bär lebendig, und mich bebt der Hemdschlapp. O hätte meine Mutter mir bei sich behalten, mir nie geboren, ich brauchte doch nicht zu sterben, – oder wär ich doch kein Freiwilliger geworden – Ach, der mußt ich werden, sonst härten sie mir unfreiwillig dazu gemacht!


Schlesier kommt mit dem Schnaps zurück.
BERLINER.
Zittern Sie nicht vor die Bataille?
SCHLESIER.
Nein.
[407]
BERLINER.
Gnädiger Himmel, wie kommt denn das?
SCHLESIER.
Es hülfe ja nichts, – ich muß doch mit vorrücken.
BERLINER
für sich.

Das gesteh ich, der weiß sich in die Umstände zu finden. Diesem könnte die Polizei Rock und Kamisol wegnehmen und er wäre grenzenlos zufrieden! Laut. Wissen Sie auch, warum wir kämpfen?

SCHLESIER.
Das hört man auf allen Wegen – Für König, Freiheit, Vaterland –
BERLINER.
Was halten Sie von die Freiheit?
SCHLESIER.
Man sagt, sie wäre was Gutes.
BERLINER
für sich.

– – Wie ich ahnte, – pure Dummheit – wasserpolackisches Vieh! – Der hat gut sprechen, hat gut krepieren! Ob der dahinsinkt oder nicht, – es ist man ein Ochs weniger oder mehr, – aber ein Kopf wie der meinige – Jammerschade wär es! – Laut. Da, trinken Sie das Glas aus.

SCHLESIER
leert das Glas.
Dann. Leben Sie wohl, – ich muß zu meinem Regiment.

Ab.
BERLINER.

Was? Auch du Brutus, dem ich so viele halbe Schnäpse gegeben? – Gott, o Gott, nun bin ich so ganz allein mit meine Angst!

EIN ZWEITER BERLINER FREIWILLIGER
kommt.

Schul-, Kriegs-Kamerad, was hier gezaudert? Mit mir zu unsrer Kompanie. Man erschießt dich, bist du nicht sogleich da.

ERSTER BERLINER.
Herr Regierungsrat –
DER ANDERE BERLINER.

Zum Geier den Regierungsrat! Wer denkt an Rang und Titel, wenn der Korse mit seinen Horden hereinbricht, um Preußens und Deutschlands Ehre zu zertreten? – Ich bin Freiwilliger und Gemeiner wie du.

ERSTER BERLINER.

Das ist richtig mit Preußens Ehre, denn die Franzosen haben in Berlin erschrecklich geschändet – Unsre Magd Lotte weiß auch davon zu sagen – – Aber vor dem Erschießen, wenn ich zu spät komme, ist mich nun gar nicht bange, – zwischen dem und mir steht noch ein deutsches Standrecht, und das schont das Pulver.

DER ANDERE BERLINER.
Horch, der Zapfenstreich unsres Regiments!
ERSTER BERLINER.
Sehr mißtönig! sehr schlechte Noten!
DER ANDERE BERLINER.
Fort mit mir!
ERSTER BERLINER.
Ich wollte, Sie würden verwundet – Wie [408] schnell trüg ich Ihnen aus die Schlacht!

Der andere Berliner reißt ihn mit sich fort.
Blücher und Gneisenau kommen zurück.
BLÜCHER.

Teufel, man muß sich in Acht nehmen – die französischen Tirailleure sind ja schon überall wie das Unkraut – Da tanzmeistert wieder ein Haufen aus der Holzung! – Heda, von jenem brandenburgischen Husarenregiment zwei Schwadronen hieher!


Die zwei Schwadronen sprengen auf seinen Wink heran.

Husaren, in die Trompete gestoßen, und heraus die Preußenschwerter!

Es geschieht.

Ha, wie das blitzt – Es tut einem wohl wie ein war mer Sonnenstrahl am kalten Wintertag. – – Seht ihr jene vorausgelaufenen Franzosenhunde? Wetterleuchtet unter ihnen mit euren Säbeln und jagt sie zurück wie der Habicht die jungen Hühner.

DIE HUSAREN.
Wir jagen sie!

Sie sprengen fort.
BLÜCHER.

Hast du gesehn, Gneisenau, wie der welsche Grünrock seine Raubrotten herausgeputzt hat? Selbst als er nach Rußland zog, prunkten seine Reitergarden nicht mit so prachtvollen, hohen, roten Federn!

GNEISENAU.
Auch die paar Kürassiere, die ich erblickte, waren wie mit Erz übergossen.
BLÜCHER.
Hatten aber auch dabei wieder die schöngeputztesten Lappen Bärenfelles vorn am Helm –
GNEISENAU.
Ohne Flitter gehts bei den Franzosen nicht ab.
BLÜCHER.

Ein Narr verarg es ihnen, daß sie bei Tüchtigem und Großem auch den Glanz lieben, wenn ihnen der Schimmer nur nicht meistens die Hauptsache würde. – Und ihre Reiter verdienen die herrliche Montur wahrhaftig nicht, – ein gutes Pferd schämt sich einen von ihnen zu tragen, – sie reiten wie die Judenjungen, nicht bügel-, nicht sattelfest.

GNEISENAU.
Aber so wilder und verwegener.
BLÜCHER.

Ei was, die Verwegenheit einer schlechten Reiterei ist einer guten gegenüber nichts als blindes Feuer. Fast all unsre Landwehrulanen sind eben vom Pfluge genommene Bauern, aber keiner darunter, der nicht den Zügel besser hält als siebentausend Franzosen, und könnt ich [409] heute nacht die Herren mit einem Kavallerieüberfall regalieren, wie einst bei Hainau und Laon, so wollt ich dir beweisen –

GNEISENAU.
Eine Überrumpelung ist unmöglich – die feindlichen Vorposten sind zu zahlreich.
BLÜCHER.

Leider, – sorge du für die unsrigen. – Ich sehe mich derweile im Heere um und finde hoffentlich überall den alten Kriegsmut.


Er und Gneisenau auf entgegengesetzten Seiten ab.
5. Szene
Fünfte Szene
Andere Gegend des preußischen Feldlagers. Abenddämmerung.
Ein Bataillon freiwilliger Jäger in Reih und Glied.

DER MAJOR.

Es fehlt niemand – – Büchsen ab – Aus dem Glied getreten und an den Wachtfeuern ausgeruht, bis das Flügelhorn ruft.

ERSTER JÄGER.

Herr Major, setzen Sie sich in den Kreis, der sich um dieses Wachtfeuer lagert. Er enthält Ihre besten Bekannten.

MAJOR.

Gern, Brüder, deren Major zu sein, mir die höchste Ehre ist. – Wann auch wohl säh man sich so gern bei dem Schein der geselligen Flamme noch einmal gegenseitig in das befreundete, lebensfrische Antlitz als am Vorabend der Schlacht?


Major und sechs Jäger setzen sich um das Feuer.
VIERTER JÄGER.

Freunde, denken wir unserer Lieben – Wie mancher zärtliche, besorgte Blick von Müttern, Schwestern, Bräuten richtet sich hieher!

MAJOR.
Mit ihnen das Auge des Königs.
DRITTER JÄGER.

So umwölke der Himmel seine Sterne noch dichter als er schon tut, – uns leuchten bessere Sonnen als er besitzt.

ERSTER JÄGER.

Große Augenblicke erwecken große Erinnerungen: es war doch eine wundervolle, alles entflammende Zeit, als wir im Februar 1813 den Aufruf des Königes vernahmen und sofort Breslaus Straßen zu eng wurden für unsere bis zum Tode für das Vaterland begeisterten [410] Scharen, – als wir dann in den furchtbaren Schlachten von Lützen und Bautzen zurückgedrängt, aber nicht besiegt, sondern immer kühner, immer stolzer wurden, als selbst Rußlands Kaiser mit seinen Veteranen von Eylau und Borodino, denen wir die Ehre des Vorkampfes nicht gönnten, uns als staunende Zuschauer ihr bewunderndes Hurra zurufen mußten – Welchen Klang hatten da alle großen Worte!

ZWEITER JÄGER.

Ja, das ganze Heer war wie elektrisch, – Berliner und Schlesier, Pommer und Märker, alle Eine freudige, aber übergewaltige Glut, sowie es hieß »auf den Feind!«. – Jetzt ists ziemlich anders: die Feigheit unserer Diplomaten ließ auf Wiens Kongresse sich die Früchte unserer Tapferkeit rauben. Hielt man den Kongreß im Feldlager der siegenden Nationen, so möchte für die Souveränität Kniphausens und für Aufbewahrung manches anderen Drecks nicht so außerordentlich besser gesorgt sein, als für das Interesse Europas, und insbesondere Preußens. Wir Preußen opferten das meiste, den größten Lohn erhielten die anderen.

MAJOR.

Was bedeutet der Quadratmeilengewinn gegen die Sternenkrone, die das dreimal erneuerte, aber dreimal wieder mit ihr geschmückte Preußenheer der beiden vergangenen Jahre umflicht? Die Lappen von Ländereien, welche Österreich, Rußland, England und Holland sich anflickten, fallen einstens doch ab, aber wahrlich die blutroten Arkture der Schlachten, in denen wir vor allen die Kette des Weltherrschers zerreißen halfen, funkeln noch nach Jahrhunderten vom Himmel, und zeigen, wenn Preußen längst so untergegangen, den spätesten Geschlechtern – die Stellen wo es prangte.

SECHSTER JÄGER.

Das, Herr Major, hilft alles nichts gegen den Spruch »besser ist besser«, und besser war es, wenn Preußen, wenn Deutschland sich mehr konsolidierten.

FÜNFTER JÄGER.

Alter Bruder Studio, ich sags auch: Ruhm ist gut, ein fideler Bursch ist auch gut, aber ein rundes Stück Land hält den Ruhm, ein rundes Stück Geld den Burschen am besten zusammen.

ZWEITER JÄGER.

Denken Sie an sich selbst, Herr Major – Goldnere Träume als die jetzigen, umglänzten uns, als wir mit hochschlagender, in der Hitze der Schlacht entblößter [411] Brust, durch die Gärten von Leipzig dem Feinde in die Flanken drängten – Preußens Hoheit, der Kaiserthron Deutschlands, dem sie als schützender Cherub zur Seite stand, warfen ihre Strahlen mitten durch den Qualm der Geschütze. Der Rhein war wieder frei und deutsch, wie er geboren, in der Mosel und der Maas spiegelten sich nur deutsche Gauen, – das schöne Elsaß, das freundliche Lothringen, das herrliche Burgund mit seinen sonne- und weinglühenden Gebirgen, – wie grüßten wir sie schon als zurückgewonnene Glieder deutscher Genossenschaft! – Und dermalen?

MAJOR.
Unser König ist nicht schuld, ward nicht alles, wie wir wollten. Er wollte wie wir.
FÜNFTER JÄGER.

Er hätte seinen Willen nur durchsetzen und den Augenblick ergreifen sollen, – nichts in der Welt konnte ihn damals hindern, und hätt er auch die vom sonst so bedenklichen Österreich so leichtsinnig aufgegebene römisch-deutsche Krone als ein herrenlos gewordenes Gut in Besitz genommen und sich auf das Haupt gedrückt.

DRITTER JÄGER.
Er konnt es wagen, – wir wären gern für ihn gefallen, und Hunderttausende mit uns.
MAJOR.
Wer fiele nicht gern für einen Herrscher, so ritterlich, gerecht und edel als Er?
SECHSTER JÄGER.

Ja, Napoleon ist auch groß, ist riesengroß, – aber er ist es nur für sich, und ist darum der Feind des übrigen Menschengeschlechtes, – unser König ist es für alle.

MAJOR.
Marketenderin!

Marketenderin kommt.

Führst du einige Flaschen erträglichen Weines? – Guten hast du nicht, und kannst ihn im Felde nicht haben.

MARKETENDERIN.
Herr Major, ich hole Ihnen doch vier bis fünf sehr gute Flaschen.

Sie geht.
MAJOR.

Kinder, noch einmal wechselseitig die Hand – Männerfreundschaft in der Lust wie in dem Kampf – Es gibt nichts Höheres. – Da – da – Ihr verbeißt Tränen – Laßt sie rinnen – sie fließen edlen Abschiedsgefühlen, – wer sich deren schämt, wer die nicht besitzt, hat sie aus der Brust verbannt, weil er sich davor fürchtet.

ZWEITER JÄGER.

So kalt der Regen zu tröpfeln beginnt, so [412] rauh der Wind weht, so nahe der korsische Löwe liegt, und vermutlich schon auf den Hinterfüßen steht, und die Vordertatzen nach uns ausreckt, – wahrhaftig, mir ists hier wohler um das Herz, als wenn ich in der gut geheizten Stube am Teetisch sitze, daselbst Geschwätz vernehme, was die Sekunde darauf vergessen ist, oder gar selbstgefällige belletristische Vorlesungen anhöre, bei denen ich mein Aufgähnen in Bewunderungsausrufungen verstecken muß.

FÜNFTER JÄGER.

Überleb ich diesen Feldzug, so wird mir das Andenken an euch manche flaue Teevisite, in der ich sonst nichts gefühlt hätte, sehr heiß machen.

MAJOR.

Was bloß Teevisiten! Nicht nur bei ihnen, – auch in Sturm und Not, unter Kanonenkugeln und unter Friedenssonnen, vor dem Trauungsaltar und vor dem Grabeshügel, brenne in unseren Brüsten im ersten Glanze stets der Name eines jeden von uns – Seht, die Marketenderin hat den Wein gebracht, und er ist unendlich trefflicher als ich vermutete – das Weib ist eine brave Seele, sie kennt unsere Art, und hat für einen Augenblick wie den gegenwärtigen trefflichen Hochheimer aus dem Mutterfäßchen aufgespart. – Angestoßen!

ZWEITER JÄGER.

Zuerst denn: »die Toten sollen leben«, und über alle hinaus die auf den Schlachtfeldern von 1813 und 1814 hingesunkenen vaterländischen Helden!

MAJOR.

»Die Toten sollen leben«, und mit ihnen der, welcher es schrieb: der erhabene, wetterleuchtende Schiller!

ALLE.
Schiller hoch!
FÜNFTER JÄGER.

Schillers Jünger nicht vergessen, der grade durch seinen Tod bewies, daß er ihm nicht nachklimperte, sondern nachfühlte.

MAJOR.
Theodor Körner, hoch trotz seiner ofenhockerischen Rezensenten!
ERSTER JÄGER.
Wie wär es, wir sängen seine wilde Jagd?
MAJOR.
Ein herrlicher Einfall – Die Hornmusik des Bataillons begleite uns!

Die Hornisten des Bataillons treten herbei.

Angefangen!
MAJOR UND JÄGER
singen, unter Begleitung der Hörner.
»Was glänzt dort vom Walde im Sonnenschein?
[413] Hör's näher und näher erbrausen.
Es zieht sich herunter in düsteren Reihn,
Und gellende Hörner schallen darein,
Und erfüllen die Seele mit Grausen.
Und wenn ihr die schwarzen Gesellen fragt,
Das ist Lützows wilde verwegene Jagd!«
VIERTER JÄGER.
Wer ließe sich nicht gern von Kartätschen zerschmettern bei diesem Liede und seiner Musik?
MAJOR UND JÄGER.
»Was zieht dort rasch durch den finstern Wald,
Und streift von Bergen zu Bergen?
Es legt sich in nächtlichen Hinterhalt,
Das Hurra jauchzt, und die Büchse knallt,
Es fallen die fränkischen Schergen.
Und wenn ihr die schwarzen Jäger fragt,
Das ist Lützows wilde verwegene Jagd.

Wo die Reben dort glühen, dort braust der Rhein,
Der Wütrich geborgen sich meinte,
Da naht es schnell mit Gewitterschein,
Und wirft sich mit rüstgen Armen hinein,
Und springt ans Ufer der Feinde.
Und wenn ihr die schwarzen Schwimmer fragt,
Das ist Lützows wilde verwegene Jagd.

Was braust dort im Tale die laute Schlacht,
Was schlagen die Schwerter zusammen?
Wildherzige Reiter schlagen die Schlacht,
Und der Funke der Freiheit ist glühend erwacht,
Und lodert in blutigen Flammen.
Und wenn ihr die schwarzen Reiter fragt,
Das ist Lützows wilde verwegene Jagd –«
BLÜCHER
kommt, zu Fuß, von einigen Adjutanten begleitet.

Recht, Kinder – ihr haltet mit eurem Singen und Musizieren das Lager wacher als ich mit zwanzig Tags- und Nachtbefehlen.

DER MAJOR UND DIE JÄGER
springen auf.
Der Feldmarschall hoch, und noch einmal und tausendmal hoch!

Tusch der Hörner.
BLÜCHER.
Danke, danke, – ich bitte, hört nur wieder auf, – still die Hörner, – es ist genug.
[414]
DER MAJOR.

Ich muß gestehen, Feldherr, wir haben eben bei unseren Toasten an alle Welt gedacht, und Sie, das uns Nächste, Liebste vergessen.

BLÜCHER.

Major das nehm ich nicht übel. Man sucht zuerst das, was man nicht bei der Hand hat. – Burschen, bleibt morgen so lustig wie heute.


Ein preußischer Unteroffizier und mehrere Gemeine treten auf mit dem General Grafen Bourmont und einem Adjutanten desselben.
DER UNTEROFFIZIER.
Herr Feldmarschall –
BLÜCHER.
Was bringst du?
UNTEROFFIZIER.
Zwei Franzosen.
BLÜCHER.
Weiter nichts?

Er blickt seitwärts über die Achsel nach Bourmont und dessen Adjutanten. – Dann zu den Jägern.

Man wird finster, wird man in eurer heiteren Gesellschaft durch solchen Anblick gestört. Zu Bourmont. Wer sind Sie und Ihr Nebenmann?

BOURMONT.

Er ist mein Adjutant, und ich, Herr Feldmarschall, erscheine hier freiwillig, und bin Graf Bourmont, General im sogenannten kaiserlichen Heere –

BLÜCHER.
Demnach nunmehr ein Überläufer aus demselbigen Heere?
BOURMONT.
Ich werde Ihnen alle Operationspläne Bonapartes entdecken.
BLÜCHER.

Französische Entdeckungen mag ich nicht, – überdem sehen Sie grade nicht darnach aus, als hätt er Ihnen viel von seinen Operationen zum besten gegeben.

BOURMONT.

Solchen Empfang hätten treue Diener König Ludwigs des Achtzehnten, für den auch Sie kämpfen, für den auch wir mit Ihnen und Ihren Truppen streiten wollen, nicht erwartet.

BLÜCHER.
Kennen Sie Deutschland?
BOURMONT.
Ich habe Achtung für die lobenswürdige, loyale Nation, welche es bewohnt.
BLÜCHER.

So wissen Sie denn, Herr Graf, wenn wir kämpfen, so kämpfen wir just für dieses Land mit der von Ihnen geachteten, lobenswürdigen, loyalen Nation, – unser Blut opfern wir, daß nicht abermals ein Tyrann, wie Bonaparte es ist, von seinen Biwaks aus uns und die Welt wie Negersklaven kommandiert, – aber Gott soll uns behüten, daß[415] wir für Ihren Sire Louis dix-huit, den ich, als er emigriert war, in Hamm samt seinen Mätressen, recht gut kennen und schätzen lernte, nur an ein Degengehenk faßten, – unsrethalb mag er auf Frankreichs Thron oder auf seinem Nachtstuhl sitzen, Kirschen oder Roastbeef essen, – abscheulich, wenn das Blut, welches wir verlieren, bloß für Herrn Ludwig den Achtzehnten hingeströmt sein sollte.

BOURMONT.
Ich ersuche, mich sofort in das englische Lager bringen zu lassen, Herr Blücher.
BLÜCHER.

Ich heiße Blücher, Fürst von Wahlstadt, bin königlich preußischer Feldmarschall, duze mich gern mit jedem braven deutschen Füselier, aber mit Ihnen und Ihresgleichen nicht, – verlange daher von Ihnen die geziemende Titulatur oder es –

BOURMONT.
Eure Durchlaucht, es war verzeihliche Unvorsicht, wenn ich –
BLÜCHER.
Schon gut. Machen Sie Ihre Unvorsicht durch einen Schwanz von Entschuldigungen nur nicht länger.

Zu dem Unteroffizier und dessen Soldaten.

Schafft den Herrn mit seinem Begleiter zu den Engländern, und meldet dem Wellington dabei, es wäre mir eins, ob er sie zu König Ludwig schickte oder sie festhielte, – aber weder er noch ich dürften Überläufern trauen.

BOURMONT.
Ha!
BLÜCHER.
Pah! Zu den Jägern. Kinder, singt wieder darauf los!

Bourmont und sein Adjutant werden fortgeführt.
Blücher mit seiner Begleitung ab.
DRITTER JÄGER.

Wetter, der Feldmarschall ist ein Mann von Schrot und Korn. Wie schrumpften die beiden Franzosen zusammen, als er mit dem Fürsten Wahlstadt herausrückte.

SECHSTER JÄGER.

Ja, und er ist darum so tüchtig, weil seine Nase im Feuer der Schlacht nicht weiß wird, – weil er immer gradeaus sieht, wo andere links und rechts die Augen verdrehen, – weil er dem Napoleon ohne Furcht auf den Leib geht, und dabei denkt: »hab ich dich, pack ich dich«, – weil er die Franzosen so offenbar haßt, als er die Deutschen liebt, – und kurz und wahr: Blücher ist ein rascher Mann, der mehr als ein anderer 1813 und 1814 dem Korsen das Genick brach, weil er so ehrlich und kühn in die Welt sah, wie der Korse verschmitzt und verwegen.

[416]
6. Szene
Sechste Szene
Vor Ligny. Das französische Heer.
Kanonen werden aufgefahren, die Kaisergarden stehen in Schlachtordnung, die Infanterie- und Kavallerieregimenter der Linie marschieren an beiden Seiten der Szene auf. Napoleon liegt, bis an die Brust lose von einem grauen Mantel überdeckt, schlummernd auf der Lafette einer Kanone. Eine Menge Adjutanten und Ordonnanzen zu Pferde und zu Fuß, vom General bis zum Gemeinen, Chassecoeur und Vitry darunter, in seiner Nähe. Desgleichen viele Piqueurs mit gesattelten Handpferden. Bertrand und Cambronne stehen, ersterer rechts, der zweite links an seiner Seite, – der Obrist und Adjutant Labédoyère nicht weit von ihnen.

VITRY.

Chassecoeur, nun hast du, was du wolltest – Da schläft er, und die Gewitter der Schlacht umziehen uns als wären es seine Träume. – Wie kann er schlafen? – Vor uns Preußen, vom Himmel Regen, um uns schlachtdurstende, aufmarschierende Franzosen.

CHASSECOEUR.
Der Kaiser kann, was er will. So sah ich ihn schon oft.
VITRY.
Lies bis der Lärm los geht die Proklamation.
CHASSECOEUR.

Was steht darin? Die Proklamation flüchtig überblickend. Die »Preußen« – Ja, die Hunde haß ich. – Und » die Alliierten haben zwölf Millionen Polen, eine Million Sachsen, sechs Millionen Belgier an sich gerissen« – Meinetwegen noch neunundneunzig Millionen von all dem Volke dazu, aber nur kein Haar des Kaisers!

VITRY
übergibt die Proklamation einem Sergeanten der in der Nähe haltenden Garde zu Fuß.
Da – die heutige Proklamation.
SERGEANT.

Proklamation? – Um die Patrone damit und sie den Preußen in den Leib gejagt – Die Kanaillen rücken doch schon von jenen Höhen heran.

EIN KAPITÄN DER VOLTIGEURS
kommt.
Den Kaiser geweckt – Die Schlacht beginnt.
CAMBRONNE.
Mein Herr, was schreien Sie dicht vor dem Ohr des Kaisers? Mit Ruhe und Anstand gesprochen!
DER KAPITÄN.
Die Preußen fahren dort Batterien auf.
CAMBRONNE.
Lassen Sie von den Preußen die ganze Hölle auffahren[417] – Der Kaiser schlummert.
BERTRAND.
Und die Rast ist ihm zu gönnen.
DER KAPITÄN.
Aber, meine Herren, die Armee gerät in Gefahr –
BERTRAND.
Sie irren, Freund. Wäre das, so hätt er diese Stunde nicht zum Schlafen gewählt.

Der Kapitän der Voltigeurs zieht sich zurück. – Mehrere andere Offiziere sind im Gespräch miteinander.
ERSTER OFFIZIER.
Die Preußen schieben uns ihre Batterien unter die Nase – fast riech ich die Lunten.
ZWEITER OFFIZIER.
Man sieht ihren Achtzehnpfündnern bereits tief in die dunklen, hohlen Augen.
ERSTER OFFIZIER.
Die Augen werden bald hell sein und unsere Reihen licht machen.
DRITTER OFFIZIER.

In der Tat, ich wollte der Kaiser wachte auf oder würde geweckt, ehe die feindlichen Batterien sich festwurzeln – Aber man darf ja kaum vom Erwecken etwas sagen, denn der Cambronne und Bertrand stehen neben seiner Lagerstätte wie die zurückdrohenden Cherubim an der Pforte des Paradieses.

EIN IN DER FERNE IN DIE SCHLACHTLINIE RÜCKENDES REGIMENT
singt.
Allons enfants de la patrie,
Le jour de gloire est arrivé.
Contre nous de la tyrannie
L'étendard sanglant est levé –
CAMBRONNE.

Ein Adjutant an jenes Regiment – Der Kaiser liebt die Marseillaise nicht – Man soll mit ihr aufhören.

LABÉDOYÈRE.

Herr General, die Marseillaise ist ein liberales Lied, passend für den Zeitgeist – das Volk siegte mit ihm bei Valmy und Jemappes.

CAMBRONNE.

Herr Obrist – »liberal«? »Zeitgeist«? – Die elende Kanonade von »Valmy« und das jämmerliche Tirailleurgefecht von »Jemappes«? – Wissen Sie, wo wir stehen? Unter den Waffen der Großen Armee. Da gibt es keinen anderen Liberalismus als Ihm zu gehorchen, keinen anderen Geist als den Seinigen, keine anderen Gefechte als die à la Kairo, Austerlitz, Jena und der Moskwa.

LABÉDOYÈRE.

Weh, ich habe mich geirrt, – ich dachte, endlich die freisinnige Zeit, von den Umständen selbst bedungen, leuchten zu sehen, und es blinken schon wieder nichts als [418] Bajonette, Säbel, Kürasse und Kanonen.

CAMBRONNE.

Sehen Sie, Herr Obrist, ein wenig an den Schwadronen und Bataillonen dieser Schnauzbärte hinunter, und zeigen Sie mir unter ihnen Einen, dem der Kaiser nicht lieber ist, als alle die zeitgeistigen Phrasen.

BERTRAND.

Mein junger und tapferer Labédoyère, – verzagen Sie nicht ganz, halten Sie sich an den Kaiser – Er kann die Welt eher umgestalten als die Welt ihn, und ich versichere, er hat in seiner großen Brust auch einen Platz für Ihren Liberalismus, und schützt und fördert ihn da, wo er des Schutzes und der Förderung wert ist.

CAMBRONNE.
Der Kaiser erwacht!
EIN OFFIZIER.
Nun bin ich neugierig, was er zu den preußischen Batterien sagt, deren Auffahren er verschlief.
NAPOLEON
steht auf, – der Mantel, welcher ihn bedeckte, fällt zur Seite.
Alles wie ich befohlen?
BERTRAND.
Jedes Regiment an seinen Posten.
NAPOLEON.
Was ist das dort?
BERTRAND.
Sire, preußische Batterien.
NAPOLEON.

Albernes Zeug, – die sollen die feindliche Armee maskieren und sind zu weit vorgerückt. Sie haben nicht Zeit zum Schuß, fällt man ihnen in die Flanke. Das fünfundfünfzigste Regiment am rechten Flügel tue das, im Geschwindschritt, – zwei Kürassierschwadrone begleiten es.

VITRY.
Chassecoeur, er ist wach!
CHASSECOEUR.

Man merkt es: das Regiment und die Kürassiere marschieren, die Batterien jagen zurück, und da – sehen wir die ganze preußische Armee.

VITRY.
Was wohl die Offiziere, welche hier eben schwatzten, davon halten?
NAPOLEON.
Generalkommandant der Artillerie –
DROUOT
tritt vor.
Sire –?
NAPOLEON.

Die preußischen Kolonnen entwickeln sich – Ligny ist die Mitte und der Schlüssel ihrer Schlachtordnung – merken Sie sich das – – Und nun lassen Sie uns anfangen.

DROUOT.
Sie befehlen – Zu der Artillerie. Abgeprotzt!

Es geschieht.

Jener Zwölfpfündner den Signalschuß!

Der Zwölfpfündner wird abgefeuert. Sofort donnern auch alle französischen Batterien, Heergeschrei, Trommeln, Trompeten, [419] Janitscharenmusik dazwischen. Infanterie und Kavallerie rückt vor, nur die Garde bleibt stehen. Die Preußen bewegen sich gleichermaßen unter gewaltigem Artillerie- und Kleingewehrfeuer den Franzosen entgegen.
NAPOLEON.
Ha! meine Schlachtendonner wieder – – In mir wirds still – – –

Er schlägt die Arme übereinander.
CAMBRONNE.
Wer sollte sich nicht freuen, der ihn jetzt sieht? – Welche Ruhe, welche stillglänzende Blicke!
BERTRAND.

Ja, nun ists mit ihm als stiegen heitere Sommerhimmel in seiner Brust auf, und erfüllten sie mit Wonne und Klarheit. Still und lächelnd wie jetzt, sah ich ihn in jeder Schlacht, selbst bei Leipzig.

NAPOLEON
für sich.
Josephine – Hortense – das Etui – – Und mein Sohn!
ADJUTANTEN
sprengen heran.
Rechts, bei Sombref, drängen uns die Preußen zurück.
NAPOLEON.

Die zurückgedrängten Truppen sollen sich an den rechten Flügel der Garde schließen.Kanonenkugeln schlagen in die Erde.

VITRY
ergreift einige und wirft sie fort.
Kanaillen, ihr könntet rikoschettieren!
NAPOLEON.
Wie heißt du?
VITRY.
Philipp Vitry.
NAPOLEON.
Du bist Hauptmann.
CHASSECOEUR.
Gift und Tod, was hat der Kerl für Glück.
VITRY.
Sire, trauen Sie mir Ehre zu?
NAPOLEON.
Hätt ich dich sonst zum Hauptmann gemacht?
VITRY.

So versichr ich auf meine Ehre, hier dieser Chassecoeur verdient eher Hauptmann zu sein als ich. Er dient schon seit Quiberon und rettete bei Leipzig einen Adler – Bitte, Sire, lassen Sie mich Gemeiner bleiben, und ernennen Sie ihn statt meiner zum Hauptmann.

NAPOLEON.
Ihr seid beide Hauptleute.
CHASSECOEUR.
Mein Kaiser, wobei?
NAPOLEON.
In meiner Suite.
EIN FLÜGELADJUTANT
sprengt heran.

Graf Vandamme muß das eben von ihm genommene St.- Amand wieder räumen. Die Preußen sind zahllos und wütig wie die Teufel.

NAPOLEON.

Ob die Preußen St.-Amand oder Otaheiti haben, ist in diesem Augenblick gleichgültig. – Aber melden Sie [420] Vandamme: es wäre mir lieb, wenn er durch wiederholte hartnäckige Angriffe den Feind glauben machte, ich hielte etwas auf die Stellung. Blüchers Generalstab wär im Stande die Position bei Ligny wegen St.-Amands noch mehr zu schwächen, als er schon getan hat.


Der Flügeladjutant ab.

Ordonnanzen zu Gérard: daß er bei Ligny allmählich auch die Truppen der schweren Waffengattungen in das Gefecht führt.


Mehrere Ordonnanzen ab.
EIN FUSSGARDIST
wird von einer Kugel getroffen.
Jesus Maria!
NEBENSTEHENDE KAMERADEN.
Karl wird fromm!
WIEDER EIN GARDIST
dem eine Kanonenkugel den Leib aufreißt.
Es lebe der Kaiser!
GARDE UND HEER.
Er lebe!
NAPOLEON.

Diese Kugeln kommen von Sombref. Vier Reservebatterien vor, unsre von dorther weichenden Truppen besser zu bedecken.

EIN ADJUTANT
heransprengend.

Der Fürst von der Moskwa bittet um Hülfe. Die englische Armee enfiliert mit ihm bei Quatrebras eine Schlacht.

NAPOLEON.

Der Fürst von der Moskwa ist ein – Sie, mein Herr, melden ihm: ich wüßte, Wellington tanze noch in Brüssel, und er, der Marschall Ney, hätt es nur mit dem englischen Vortrab zu tun. Nicht erschrecken soll er sich von ihm lassen, – kühn zurückwerfen, oder doch aufhalten, bis ich hier gesiegt habe, soll er ihn. Dann läuft er von selbst.


Der Adjutant ab.

Daß doch die meisten Menschen Aug und gesunde Vernunft verlieren, sobald sie das Glück haben, mit zwanzig- oder dreißigtausend Mann selbstständig auf dem Schlachtfelde zu stehen.


Zu mehreren Adjutanten.

Schnell zum General Erlon. Er trenne und bedrohe mit seinem Korps zwischen Quatrebras und St.- Amand die Engländer und Preußen, – er schont aber seine Truppen, oder Bülow möchte bei St.- Amand ankommen; wäre das, so stürzt er ihm entgegen.


Adjutanten ab. Zwei andere sprengen nah hintereinander heran.
ERSTER ADJUTANT.
General Gérard nimmt Ligny mit dem Bajonett –
[421]
ZWEITER ADJUTANT.
Die Preußen treiben ihn Schritt vor Schritt wieder hinaus –
NAPOLEON.

Drei Voltigeurregimenter sollen sich debandieren, und dort die Preußen überall, von jedem Vorsprung, jedem Fenster her, beängstigen helfen.


Adjutanten ab.
EIN ADJUTANT
jagt herbei.

Zwischen St.-Amand und Ligny wird es schwarz wie die Nacht von sich anhäufender feindlicher Kavallerie.

NAPOLEON.
Die reitende Artillerie mit Kartätschen wider sie vor.

Reitende Artillerie jagt vor und schießt, kommt aber gleich darauf in Eile und Unordnung zurück.

Was? Der wilde Blücher bricht doch los? – Milhauds Kürassiermassen auf ihn ein.

Milhauds Kürassiere stürmen los.
EIN OFFIZIER.
Ah, wie leuchtet und klirrt auf einmal die Luft von gezückten Schwertern.
EIN ANDERER OFFIZIER.

Und horch, jetzt treffen sie Blüchers Horden – Wie ingrimmig und gräßlich wiehern die gegeneinander kämpfenden Pferde!

NAPOLEON.
Bertrand, was sagst du zu der Schlacht?
BERTRAND.
Die Preußen fechten besser wie bei Jena.
NAPOLEON.
Geschlagen werden sie doch, nur ein paar Stunden später.

Adjutanten kommen.
ERSTER ADJUTANT.
Milhauds Kürassiere treiben die feindliche Reiterei zurück –
ZWEITER ADJUTANT
später.
Blücher erholt sich und Milhaud weicht –
NAPOLEON.
Pajols Reiter dem Milhaud verhängten Zügels zu Hülfe.

Adjutanten ab.

Ha, da einer von Gérard mit siegtrunkenem Antlitz – Wie bei Ligny?
DER HERANSPRENGENDE ADJUTANT.
Die westliche Seite ist unter unsren Kolben, und ganz Europa entreißt sie uns nicht wieder!
NAPOLEON.
Ein Pferd!

Es wird ihm ein Pferd gebracht, und er setzt sich auf.
VITRY.
Chassecoeur, nun muß die Garde daran, – der Feind [422] ist mürbe.
CHASSECOEUR.
Mürb oder hart, die Garde macht ihn zu Brei.
NAPOLEON.
Lieber Drouot, ein Kreuzfeuer des schwersten Geschützes auf Lignys Ostseite.
DROUOT.
Wehe dem Mutterkinde, das noch darin ist! – Schwere Artillerie marsch!

Mit der schweren Artillerie ab.
NAPOLEON.
Cambronne, alle Garden zum Sturm auf Ligny!
CAMBRONNE.
Alte und junge Garden, zu Pferde und zu Fuß: den Kaiser salutiert!
DIE OFFIZIERE DER GARDE
den Befehl Cambronnes weiter rufend.
Den Kaiser salutiert!
DIE GARDE
salutierend.
Der Kaiser hoch!
CAMBRONNE.
Und nun Bajonett gefällt, Säbel geschwungen, – unser der letzte Trümmer von Ligny, oder der Tod!

Ab mit der Garde.
NAPOLEON.

Estafetten nach Paris: ich hätte gesiegt, – während Blücher mir mit seiner Reiterei meinen linken Flügel habe zerbrechen wollen, hätt ich sein Zentrum durchbrochen, und so weiter, wie jedes Auge es hier sieht. Zugleich der Munizipalität durch den Moniteur angedeutet, sie möchte mit Abnahme der Vormundschaftsrechnungen nicht so nachlässig sein, wie im vorigen Jahre, oder mein Zorn träfe sie ärger als die Preußen.


Adjutanten und Ordonnanzen ab. – Sombref, Ligny, St.-Amand lodern vor der französischen Schlachtlinie in lichten Flammen, – hinter ihr Quatrebras, Pierrepont, Frasnes, Geminoncourt und andere Ortschaften ebenso.
NAPOLEON
sieht sich nach den Feuersbrünsten um.

Ists nun meine Schuld, daß ich mit einem unermeßlichen, weit und weiter sich ausdehnenden Flammendiadem wie dieses, meine Stirn schmücken muß? Oder ist es das trübselige Fünkchen, die elende Ächtungsakte von Wien, welche diesen Weltbrand veranlaßt?

ADJUTANTEN
heransprengend.

Sire, Drouots Batterien haben auch die Ostseite von Ligny zu Staub gemacht – sie schweigen, weil die Garden schon über die Trümmer vorrücken, – nur einzelne preußische Jäger stecken noch hier und da hinter Hecken und Gräben.

NAPOLEON.
Ligny ganz mein! – Das Tor Europas ist erbrochen und ich stürme hindurch bis –
[423]
BERTRAND
für sich.
Da spiegeln die goldglänzenden Kuppeln von Moskau sich schon wieder in sei nem Auge.
NAPOLEON.

Den schwarzen Krepp von den Legionsadlern, daß sie die wieder aufsteigende Sonne des Sieges sehen! Zu Adjutanten und Ordonnanzen. Grouchy verfolgt mit seinem Korps die Preußen, – unter ihm noch Vandamme und Pajol mit ihren Heerteilen, – er kann nicht rasch und kühn genug sein, darf sich durch keine Demonstration, keine Position aufhalten lassen.


Viele Adjutanten und Ordonnanzen ab.

Wir, Bertrand, besehen einige Augenblicke das Schlachtfeld, und dann mit der Großen Armee links, um mit Ney den Vortrab der Engländer auf ihre Hauptmacht zu werfen, diese zu vertilgen, und übermorgen in Brüssel zu schlafen.


Napoleon, Bertrand und die kaiserliche Suite ab.
[424]

5. Akt

1. Szene
Erste Szene
Abend. Ein Hotel in Brüssel. Viele große Säle, prächtig erleuchtet.
Herzog von Wellington mit Gefolge, Damen und Offiziere höchsten Ranges darunter, tritt ein. Der Herzog von Braunschweig kommt etwas später, den sogenannten »schwarzen Becker«, seinen Kammerdiener, zur Seite. Er setzt sich in eine Nische des vordersten Saales. Der schwarze Becker bleibt neben ihm stehen.

HERZOG VON BRAUNSCHWEIG.
Becker, hast du alle meine Papiere in Ordnung?
SCHWARZER BECKER.
Ja, Eure Durchlaucht.
HERZOG VON BRAUNSCHWEIG.

Du bist ein braver Kerl, sorgst wohl zuerst für dich, dann aber zunächst für mich – Mehr kann man von einem Menschenkinde nicht verlangen –

SCHWARZER BECKER.
Herr Herzog –
HERZOG VON BRAUNSCHWEIG.

Laß das gut sein – So braun dein Gesicht, und so schwarz dein Haar ist – du bist mir lieber als viele der Herrn, welche mich in Braunschweig bei meiner Rückkehr mit ihren nichtssagenden Fratzen und wohlfrisierten Perücken devotest empfingen, und dennoch mit – und mit den – unter einer Decke spielen möchten. Schwarzer Becker, vernichte jedes Papier, von dem es dir nicht gut scheint, daß es an das Licht komme – die alten Korrespondenzen mit – – – –, und Gott weiß, mit wem sonst noch – fort damit! 's ist alles Lumpenzeug.

SCHWARZER BECKER.
Sie befehlen, Durchlaucht.
HERZOG VON BRAUNSCHWEIG.

Becker, ich falle bald – mir so sagts die Ahnung so deutlich, daß ich nicht zweiflen mag. Es tut mir leid um meinen unmündigen ältesten Jungen,[425] – man wird ihn vielleicht so – – und sich in solche Schaffelle zu kleiden wissen, daß, wenn er in die welfischen Brausejahre kommt, und mündig wird, und dann den ganzen Spuk der ausheimischen, einländischen und persönlichen Interessen erblickt, er glaubt, noch toller werden zu dürfen, als die, welche – – Wenn ich nicht mehr bin, Becker, so laß dich nicht im Braunschweigischen nieder, – gib dann das wildbewegte Leben auf, heirate irgendwo anderwärts eine tüchtige Person, und denke bisweilen an mich, wenn du recht glücklich bist.

SCHWARZER BECKER.
Herzog –
HERZOG VON BRAUNSCHWEIG.
Laß das Weinen. Nichts verlachenswerter. – – Ich sage dir, in diesen Tagen fall ich –
SCHWARZER BECKER.
Durchlaucht, gewiß Phantasien –
HERZOG VON BRAUNSCHWEIG.

Mag sein, aber immer noch besser als Wellingtons Tanzlust – Er meint, er hätt es mit einem Jourdan zu tun – Bonaparte wird ihm den Unterschied zeigen.

SCHWARZER BECKER.
Bonaparte ist noch in Paris.
HERZOG VON BRAUNSCHWEIG.
Leicht möglich und ebenso leicht nicht. Er ist in der Regel da, wo man ihn nicht vermutet.
SCHWARZER BECKER.
Durchlaucht, zerstreuen Sie sich – Hören Sie die Musik! Da das: God save the King!
HERZOG VON BRAUNSCHWEIG.
Solang es dauert. – Sind die Braunschweiger bereit?
SCHWARZER BECKER.
Immer unter Waffen.
HERZOG VON BRAUNSCHWEIG.
Gut.
SCHWARZER BECKER.

Durchlaucht, welch ein Schimmer von Uniformen – Da selbst der ehrliche Brite Picton in größtem Staat – Und gar der Herzog von Wellington, der Prinz von Oranien –

HERZOG VON BRAUNSCHWEIG.

Der Herr Herzog halten immer den Mund auf, und hören doch oft recht schwer. – Nehmen die englischen Krebse sich nicht besser in Acht, so müssen sie bald nach gewohnter Manier zurück in die See, wie bei Corunna und Vlissingen.

SCHWARZER BECKER.

Da naht eine Damendeputation – Sie hat uns an den Totenköpfen der Tschakos erkannt, und will Ew. Durchlaucht mit Lorbeeren bekränzen.

HERZOG VON BRAUNSCHWEIG.
Gehe zu den Damen, mache [426] deine höflichsten Verbeugungen, und sag ihnen: ich dankte für die Ehre.
SCHWARZER BECKER.
Wie Ew. Durchlaucht gebieten.

Er richtet den Befehl des Herzoges mit größter Höflichkeit aus, die Damen ziehen sich zurück, und er geht wieder zum Herzog.
HERZOG VON BRAUNSCHWEIG.
Schaffe mir einen Whisky.

Der »schwarze Becker« geht und bringt den Whisky.
EIN ENGLISCHER ARTILLERIEOBRIST
eine junge Dame hereinführend.

Adeline – Was ich so lange in Londons ersten Zirkeln gesucht, – hier, auf dem Feldzug, find ich es auf einmal in Dir – entzückenden Schönheitsglanz und unversiegbare Liebe.

ADELINE.

Wer weiß, wie viele herrlichere Blumen du vorbeigingst, ohne sie zu sehen, und wie zufällig dein Blick grade auf mich fiel.

ARTILLERIEOBRIST.
Nein, nein, – kein Zufall – Mein guter Genius selbst führte mich in deine bräutlichen Arme.
ADELINE.

Siehe dort die Fürstin Ligne, die Herzogin von Chimay, die Gräfinnen von Barlaymont, und so manche andere – Welche Gestalten! welche Grazien! Welch überreicher Schmuck strahlt von ihrem Haar und Gewand, und wie armselig ist er gegen sie selbst! – Edward, es ist unmöglich, daß du mich liebst, wenn du solche Göttinnen siehst.

ARTILLERIEOBRIST.

Deine Bescheidenheit ist göttlicher als all jener Prunk. – Oft schrien die ehernen Stimmen der Geschütze um mich, flogen Pulverwagen, Reiter und Pferde, Ingenieure und Bombenkessel in meiner Nähe auf, – an keine Dame Europas hätt ich gedacht in dem Getümmel, – aber an dein Auge gewiß, ja an die Spitze deines kleinen Fingers.

ADELINE.
Edward, nimm den Abschied – mache den Feldzug nicht mit.
ARTILLERIEOBRIST.

Es kommt zu keinem Feldzug, Geliebte – Der Korse scheint keine Armee zusammenbringen zu können – Wir marschieren wohl ohne Aufenthalt nach Paris –

ADELINE.
Ach, wären wir auf deiner Stammburg in den grünenden Auen von Sheffield!
ARTILLERIEOBRIST.

Der Prinz von Oranien faßt die Hand der Fürstin Ligne, Wellington die der Herzogin von Chimay – [427] Alles arrangiert sich – – der Ball beginnt – Horch! die Musik braust los, ein Ätna feuersprühender Töne, – Treten wir in die Reihen.

ADELINE.
Musik! Musik! – Was rufen all die Töne? – mir nichts als deinen Namen!

Der Artillerieobrist tritt mit Adeline in die Tanzreihen.
HERZOG VON BRAUNSCHWEIG.
Noch einen Whisky, Becker.

Der schwarze Becker holt den Whisky.
SCHWARZER BECKER.
Da beginnen sie eine Galoppade.
HERZOG VON BRAUNSCHWEIG.
Wer weiß, ob nicht schon die Kürassiere des Milhaud hieher galoppieren.
HERZOG VON WELLINGTON.
Lauter die Musik! – Herzogin, Sie glühen – Der Tanz greift Sie an.
HERZOGIN VON CHIMAY.
In den Armen des Siegers von Salamanca immer.

Dumpfe, aber sehr entfernte Töne.
HERZOG VON BRAUNSCHWEIG
springt auf.
Becker, was ist das?
SCHWARZER BECKER
aus einem Fenster sehend.
Ein Gewitter zieht auf.

Wieder entfernte, immer lautere Töne.
HERZOG VON BRAUNSCHWEIG.

Gewitter? Gewitter? – Ob aber am Himmel oder auf der Erde? – Melde Wellington, ich glaubte Kanonen schüsse zu hören.

SCHWARZER BECKER
geht zu dem Herzog von Wellington.
Der Herzog von Braunschweig vernimmt Kanonenschüsse –
HERZOG VON WELLINGTON.

Ei, woher denn? – Hält er etwa diese Pauken oder die Donner des Unwetters dafür? – Vorwärts der Tanz! – Napoleon ist noch in Paris, oder daraus wieder nach Süden vertrieben. – Seine paar Bataillone bei Charleroi haben keine Kanonen, und unsere überstarken Avantgarden sind Blücher bei Ligny und meine Truppenteile bei Quatrebras – Vorwärts der Tanz!

SCHWARZER BECKER
zu dem Herzog von Braunschweig zurückkehrend.
Wellington hält die Töne nicht für Kanonenschüsse.

Lautere und stets lautere Klänge.
HERZOG VON BRAUNSCHWEIG.

So kenn ich sie besser als der Herr von Ciudad Rodrigo – Es sind die Klänge unter denen mein Vater fiel! Ein schlechter Sohn, der sie hört und verbeißt, statt rachedurstend ihnen entgegenzustürzen – Folge mir!


Mit dem schwarzen Becker ab.
[428] Gleich darauf die Alarmmusik der Braunschweiger.
HERZOGIN VON CHIMAY.
Hören Sie –?
HERZOG VON WELLINGTON.

Ruhig, Beste, so schön Ihnen auch die Unruhe steht. – Der Braunschweig hat seine kriegerische Laune, läßt Alarm schlagen, und übt seine Truppen in der Wachsamkeit.


Immer nähere Kanonenschüsse.
ADELINE.
Wehe, was donnert da? – Das sind doch nicht – Da schreckt auch der Herzog auf!
ARTILLERIEOBRIST.

Adeline, – vor deinem forschenden Blick kann ich nicht lügen – Du hörst – o Gott – feindliche Kanonen!

ADELINE.
Jesus Christus! – Wie hast du dich geirrt – Napoleon marschiert doch heran!
ARTILLERIEOBRIST.

Wer könnte in ihm sich nicht irren? Er ist wie ein neuer plötzlich aufgetauchter, unerforschter Erdteil –

ADELINE.
O, wer stürzt da herein? – Das sind nicht Menschen – Das sind Teufel.

Adjutanten Blüchers stürzen in die Szene.
ARTILLERIEOBRIST.
So nenne sie nicht – preußische Kameraden sinds, noch schwarz vom Pulverdampfe der Bataille.
ERSTER PREUSSISCHER ADJUTANT.
Wo der Herzog Wellington?
EIN ENGLISCHER OFFIZIER.
Dort steht er.
PREUSSISCHER ADJUTANT.
Durchlaucht –
HERZOG VON WELLINGTON.
Sie kommen?
PREUSSISCHER ADJUTANT.
Aus der Schlacht.
HERZOGIN VON CHIMAY.
Also dennoch –?
HERZOG VON WELLINGTON.
Ruhig, ruhig, Herzogin!
HERZOGIN VON CHIMAY.

Unmöglich, Herzog – Selbst Ihr Befehl bezwingt meinen Schrecken nicht – Wie stäubt der Ball auseinander –

VOLK
auf der Straße.
Der Feind! der Feind! er kommt! er kommt!
HERZOGIN VON CHIMAY.
Gott! ganz Brüssel in Bewegung!
VOLK.
Der Feind! der Feind! Brüssel brennt schon! Feuer! Feuer! Feuer!
HERZOG VON WELLINGTON.

Madame, trauen Sie diesem tollen Straßengeschrei nicht – Aber fahren Sie zu Haus, – eine zahlreiche Sauvegarde begleitet Sie.


[429]
Herzogin von Chimay ab.
PREUSSISCHER ADJUTANT.
Herzog, Napoleon erschien mit seiner Armee urplötzlich vor Ligny, Ney vor Quatrebras –
HERZOG VON WELLINGTON.
Feldmarschall Blücher und mein Vortrab?
PREUSSISCHER ADJUTANT.
Sind beide geschlagen, und ziehen sich hieher zurück.
HERZOG VON WELLINGTON.
Was meint der Feldmarschall?
PREUSSISCHER ADJUTANT.

Er hofft, Ihr Heer vor Brüssel schlagfertig aufgestellt zu finden, sonst schlägt er die zweite Schlacht auch ohne es.

HERZOG VON WELLINGTON.
Bülows Korps?
PREUSSISCHER ADJUTANT.
Hat an der Schlacht nicht teilgenommen, und stößt bald zu uns.
HERZOG VON WELLINGTON.
Und Blücher kommt, wenn ich Stand halte?
PREUSSISCHER ADJUTANT.
Er sagte es.
HERZOG VON WELLINGTON.

So glaub ich es. – Sagen Sie ihm, Sie hätten mich leider in erbärmlichen Tanzschuhen getroffen, die ich leichtsinnig genug angezogen, – aber ich wollte selbst dieser Schuhe nicht wert sein, träf er mein Heer nicht in Schlachtordnung vor dem Walde von Soignies.


Die preußischen Adjutanten ab.

Alarm! Alarm! Alle Truppen vorgeschoben nach Waterloo!
ARTILLERIEOBRIST.
Geliebte –
ADELINE.
Bleibe!
ARTILLERIEOBRIST.
Darf ich? – Schon rasseln meine Batterien über das Pflaster!
ADELINE.
O, diese Räder – Sie gehen durch mein Herz!
ARTILLERIEOBRIST.

Adeline, auch durch das meinige – Doch ich muß, ich muß – Wehe mir, die Rosenhimmel der Liebe auf deinen Wangen erbleichen – Welch ein schmerzliches Bild nehm ich mit in den Kampf – – Lebe wohl! Vielleicht sehn wir uns wieder! – Diener, meine Braut zu ihrer Mutter geführt!


Ab, – Adeline, in Ohnmacht, wird fortgeführt. – Draußen marschiert Kavallerie, Artillerie, Infanterie, unter letzterer.
DIE HOCHLÄNDISCHEN REGIMENTER
singend unter Begleitung der Sackpfeife.
Clan Douglas, Clan Douglas,
Die Mutter, sie weint –
[430] Was »weint«!
Dort trotzet der Feind!

Clan Douglas, Clan Douglas,
Fluß Avon blinkt schön –
Was »schön«!
Die Sachsen dran stehn!

Clan Douglas, Clan Douglas,
Wie stürzt er Berg ab –
Was »ab«!
Wir kühn in das Grab!

Clan Douglas, Clan Douglas,
Was jammert die Braut –
Was »Braut«!
Der Feind ist schon laut!

Clan Douglas, Clan Douglas,
Wie steil unser Stieg –
Was »Stieg«!
Zu Rache und Sieg,
Clan Douglas, Clan Douglas,
Clan Douglas!
HERZOG VON WELLINGTON.

Wetter, die Bergschotten sind eine brave, treue Nation, – Lieder auf die sächsischen Eroberer de anno 500 nach Christi Geburt begeistern sie noch heute gegen die Franzosen. – – Meine Herren vom Generalstabe: Bonaparte hat uns getäuscht und überrascht, aber das alles läßt sich gutmachen durch Festigkeit. Wir waren eben im Tanz begriffen, und sehr heiter, – seien wir in der Schlacht auch so, und die Franzosen sollen bestürzt aussehen, wenn sie ihre Erbfeinde nicht im Tanz, sondern gewaffnet und ruhig sich gegenüber erblicken. Verteilen Sie sich in den Kantonnements, sorgen Sie, daß jeder Befehlshaber seine Schuldigkeit tut. Ja keine Unordnung unter den Truppen, – die strengste Disziplin geübt, – aber den Leuten Lebensmittel gegeben, soviel aufzutreiben. Adieu!


Ab, – die Offiziere gleichfalls.
ERSTER AUFWÄRTER.
Abgeräumt – Das Volk ist fort.
ZWEITER AUFWÄRTER.
Alle Reste in die Tasche – Da Kuchen [431] über Kuchen –
ERSTER AUFWÄRTER.
Halbvolle Weinflaschen stehen dabei. Nehmt und trinkt sie aus mit den Hausmamsellen.

Für sich.

Ah, da find ich eine Brillantnadel –
ZWEITER AUFWÄRTER.
Himmel, wie das marschiert und trottiert!
ERSTER AUFWÄRTER.

Ich hoffe, die Franzosen gewinnen doch. Ich sage lieber »Monsieur« als »Myn Her« oder »Ihro Hochedelmögenden«. – – Daß die Küchenmädchen die Teller besser putzen, keinen gelben Rand darum lassen, sonst soll die Kanaillen – – Hurtig, mit mir hinunter – Eine Menge Offiziere sprengt vor die Haustür, und fodert noch einen Schluck, die Courage zu begießen.


Die Aufwärter ab.
2. Szene
Zweite Szene
Heerstraße in der Gegend von Wavre.
Die preußische Armee auf dem Rückzug. Blücher, eine lange irdene Pfeife rauchend, Gneisenau neben ihm, im Hintergrunde zu Pferde auf einem Hügel. Linie und Landwehr, hin und wieder in Schwadrone oder Kompanien geordnet, meistens aber aufgelöst, reiten und marschieren durcheinander. Artilleriezüge und Fuhrwerke jeder Art darunter. Auf den Kanonen und Wagen liegen und sitzen Verwundete und Gesunde. Jeden Augenblick stürzen Marode. Aus der Ferne ununterbrochener Kanonendonner. Alles eilt vorwärts.
Es regnet.

DER TRAINKNECHT EINER KANONE
zu seinen Pferden.

Hot – ha! – Fritz, hot – links liegt ein Verwundeter – Hans, ha – – rechts ein freiwilliger Jäger mit einem Hemde, so fein, daß einem das Herz weh tut, darüber zu fahren.

DER BERLINER FREIWILLIGE.
Dieses ist schrecklich erhaben – Ob mein Wasserpolacke tot ist?
DER OSTPREUSSISCHE FELDWEBEL.
He, Berliner – wie gehts?
BERLINER.
Sieh, der Herr Feldwebel – leben Sie noch? – Es schmerzt mir vor Freude.
[432]
FELDWEBEL.
Auch immer frische Courage?
BERLINER.

Courage! Weiter nichts? An die hab ich mir bald gewöhnt. Es sind mich gestern tausend Kugeln um den Kopf geflogen, und keine traf mir. Geht das so fort, so bin ich bald gar nicht mehr vor mich bange.

FELDWEBEL.
Das ist mir lieb – Adieu –
BERLINER.
Herr Feldwebel –
FELDWEBEL.
Nun?
BERLINER.

Sie steht die große Nase, die Sie haben, sehr gut – – Wahrhaftig, ich möcht Ihnen damit auf dem Brandenburger Tore sehen, statt die Siegsgöttin, so lange sie noch in Paris ist – Aber, Herr Feldwebel, ich muß Sie doch an etwas erinnern – Die deutsche Sprache, wie ich sie bei Herrn Professor Heinsius gelernt, verstehn Sie nicht im mindesten. Es heißt nicht wie Sie sagen: »es ist mir lieb« sondern »es ist mich lieb.«

FELDWEBEL.
Weshalb?
BERLINER.
Deshalb, Herr Feldwebel – – – Nämlich: sagen Sie nicht: »mich wurde die Kuh gestohlen?« – He?
FELDWEBEL.
Ich sage so ohngefähr.
BERLINER.
Also? Verstehn Sie? – »Mich wurde die Kuh gestohlen« und »mich ist es lieb« – Das ist tout égal.
FELDWEBEL.
Möglich –

Geht weiter.
BERLINER.

Daß diese arme Würmer aus die Provinz durchaus nicht das Deutsche richtig sprechen lernen, oft gar zweifeln, daß in diese Hinsicht nichts über die Residenzer geht!


Feindliche Granaten und Haubitzen fallen, einige dicht neben dem Berliner. Er springt zurück.

Daß dir der Donner! – Ganz gesund ists hier nicht! – – Was hilfts aber! Ich bin im Tumult, und kann nicht hinaus – Und am Ende sind die Franzosen hinter die Königsmauer schlimmer als die hinter uns – Ephrim! Ephrim! Was läufst du?

EPHRAIM.
Ferdinand, su meine Kumpanie –
BERLINER.
Die ist weit voraus.
EPHRAIM.
Weit voraus? – O wär ich dann doch so eher bei sie!
BERLINER.
Ephrim! Hast einen Schuh im Dreck stecken lassen.
EPHRAIM.

Laß ihn stecken, obgleich er kostet anderthalb Taler – Ach, halte mir nicht auf, laß mir vorwärts, mein Jugendfreund!

[433]
BERLINER.

Wir gehen ja vorwärts! – Wie kommt es, Ephrim, daß du deinen Namen wieder kennst? Vor zwei Jahre in Berlin sahst du dir bei dem »Ephrim« nicht um, – »Ibrahim, Ibrahim« hieß es bei alle deine Bekannte, Mutter, Schwester und Bruder.

EPHRAIM.

Steckte der liebe Gott hier, er würde viel fragen, wie er hieße, sondern er nähme die Flügel des Sturmwindes und flöge vor die Geschosse davon wie ein Lämmergeier.

BERLINER.

Spielt der kleine Moses auch noch immer »auf die Fleit?«, und hören eure »Leit« noch immer »su« mit offnem Maul und harten Ohren?

EPHRAIM.
Wie kann ich hier wissen, was meiner Schwester Kind tut in die Hauptstadt?

Kartätschenschüsse schmettern in das flüchtige Heer.

Au wai, was ist alles Gold gegen einen Kartätschenschuß?
BERLINER.
Ephrim lauf doch nicht so – – Bist hungrig, Ephrim?
EPHRAIM.
Ich bin es, ich bin es!
BERLINER.

Ephrim, als wir noch auf die Schule gingen, betrogst du mir im Spiel um fünf Münzgroschen – Als ich sie nicht bezahlen wollte, sagtest du es meinem Vater, und ich bekam Prügel ärger als ein junger Gott.

EPHRAIM.

Das ist nicht wahr, ist nicht wahr – irrst dir – eure Magd, eure Magd, die Lotte, hat es gesagt an deinen Vater – Sie hatte belauscht unser Spiel – Nie gestand ich, daß ich deinem Vater gesagt hätte von die Sache.

BERLINER.
Daß du dieses nicht gestanden hast, Ephrim, glaub ich dich aufs Wort – Willst essen, Ephrim?
EPHRAIM.
Ja, ja, ja –
BERLINER.
So siehe zu, wie du etwas bekommst, denn dieses Stück Rindfleisch –
EPHRAIM.
Ist gut, ist gut – Her damit!
BERLINER.

Ich will es lieber selbst essen, denn es ist nicht kauscher, Ephrim – es könnte dir um Vater Abrahams alten Schoß bringen und den gönn ich dich allzusehr –

EPHRAIM.
Schweinehund, ich bin wohl ein Jude –
BERLINER.

Nicht ganz, nicht ganz – Dein blondes Haar verrät einen Christen, der zwischen deinem Vater und deine Mutter – na, Ephrim, du kennst ja die musikalischen Intermezzos aus die Visiten bei Mauschels kleinen Konzerten –

[434]
EPHRAIM.

Du Hund, wenn ich auch bin ein Jude, bin ich doch auch ein Bürger und ein Berliner Freiwilliger wie du – da!


Er gibt dem Berliner eine gewaltige Ohrfeige. Der Berliner will sie ihm grade wiedergeben, als eine Kanonenkugel dem Ephraim den Kopf abreißt.
BERLINER
stürzt zur Seite.

Ah, wie furchtbar rächt mir das Geschick! Sich wieder aufrichtend. Ephrim, warst doch ein guter Kerl – Bist ja tot! –


Die verfolgenden Franzosen beschießen die preußische Armee heftiger und die Flüchtigen suchen sich rascher vorwärts zu drängen. Blücher und Gneisenau sprengen vor.
GNEISENAU.
Halt!

Viele Soldaten eilen ohngeachtet dieses Kommandos weiter.

Steht, sag ich, steht – Wer den Fuß rührt, eine Waffe wegwirft, wird auf der Stelle erschossen!

Die Armee steht.
BLÜCHER.

Kerle, seid ihr furchtsamer als mein Gaul? Er bäumt sich vor Lust, da er Kanonen hört, und ihr lauft krummen Buckels davon?


Französische Kugeln fallen dichter und dichter.
GNEISENAU.
Feldherr, das Gehölz da – es nistet sich feindliche Artillerie hinein –
BLÜCHER.

So soll die unsrige sich nach ihr umgucken – Sie hat ohnehin mit ihren zerbrochenen Rädern Zeit genug.

BERLINER.
Der Blücher ist göttlich!
BLÜCHER.

Nun, Kanoniere, losgebrannt! – – Ich will mittlerweile sehen, ob ich dem Volk im Holze nicht einen Haufen Jäger unserer Arrièregarde in den Rücken werfe. – Du, Berliner –

BERLINER.
Wie, Herr Feldmarschall, Sie kennen mir?
BLÜCHER.
Ich sah dich vorgestern im Biwak – Halt einige Augenblicke meine Pfeife in Brand.
BERLINER.
Nur einige Augenblicke? Viele Jahrtausende, wenn Sie befehlen.
BLÜCHER.
Gneisenau, ich bin gleich zurück.

Jagt fort.
GNEISENAU.

Meine Herren Offiziere – Eifriger, eifriger! – Schneller, besser die Truppen geordnet – Unsre Leute sind tüchtig, stets so brav als ihre Anführer. Vernichtete dieser Rückzug irgendeine Kompanie, die Schande fiele lediglich [435] auf ihren Hauptmann.

BLÜCHER
wieder heransprengend.
Höre zu, Gneisenau – Die Jäger machen sich schon mit »Piff« und »Paff« in das Gebüsch –
GNEISENAU.
Die Kanoniere hier waren auch nicht faul –
BLÜCHER.

Wahrhaftig nicht, sie haben den »Qui vive's« so geantwortet, daß dieselben umkehren und die Schnauze halten, – unser Rückzug bleibt eine Stunde lang ungestört. – Meine Pfeife!

BERLINER.
Hier, Herr Feldmarschall! – – Und darf ich bitten?
BLÜCHER.
Ja.
BERLINER.

Lassen Sie mir zu die freiwilligen Jäger, die da dicht mit dem Feinde scharmutzieren. Seit die Zeit, daß ich aus Ihre Pfeife rauchte, ists mich, als hätt ich mir an einem Vulkan vollgesogen, wie ein unmündiges Kind, und ich krepiere vor Schlachtwut, – denn außerdem daß mir dieses Rauchen begeistert hat, ists zweitens klarer als ein reines Bierglas bei Wisotzky, daß mir hier die Franzosen unvermuteter und eher treffen, als wenn ich die Halunken in das Gesicht sehe, ihre mörderische Bewegungen observiere, mir hinter einen Baum stelle, und, selbst ziemlich gesichert, sie zuerst totzuschießen versuche.

BLÜCHER.
Du bist ein klug-braver Kerl. Mache dich sogleich zu den freiwilligen Jägern.
BERLINER.
Dann, Herr Feldmarschall, brechen Sie ein Endchen von Ihre Pfeife, und verehren Sie es mich!
BLÜCHER.
Wozu?
BERLINER.

Zum Andenken, und dann auch, um mir bei die Jäger, da ich eine andere Uniform trage als sie, damit zu legitimieren.

BLÜCHER.
Da hast du es, toller Patron.
BERLINER.

Sehr gut gesagt, sehr schön, wenn ich auch am Inhalt des Ausdruckes zu zweifeln wage – Herr Feldmarschall, Sie sollen von mir sehr viel hören, oder schlimmstens doch gar nichts.


Ab.
GNEISENAU.

Feldmarschall, rechts Musik – jetzt der alte Dessauer – da »Uso voran« – und nun wieder ein neuer Walzer!

BLÜCHER.

Gott sei gelobt, also endlich Bülow mit den Pommern! [436] Reit ihm entgegen, und lies ihm wegen seines ordnungswidrigen Ausbleibens die Leviten.

GNEISENAU.

Was helfen die bei ihm? – Er wiegt sich in den Steigbügeln, sieht sich in der Gegend um, und läßt die Vorwürfe zum einen Ohr herein, zum andren hinaus.

BLÜCHER.

Freilich, so tut er – Aber, bei Gott, der leichte Sinn, welcher bei jedem Subalternen der Todesstrafe wert wäre, ist nicht strafbar bei dem Helden von Dennewitz. Vielleicht rettete er jüngst mit ihm Deutschland. Als wir 1813 noch immer zweifelten, den Korsen, sobald er uns persönlich gegenüberstand, anzugreifen, rief er nichts als: »hole der Kuckuck das Zaudern! drauf los! den Versuch gewagt! ihr sollt sehen, er ist einer Mutter Sohn wie wir!«


Gneisenau reitet zu Bülow, welcher, zu Pferde, mit seinem Armeekorps unter Feldmusik in größter Ordnung in die preußischen Linien rückt.
BÜLOW.
Guten Tag, lieber Gneisenau.
GNEISENAU.
Bülow, des guten Tages bedürfen wir.
BÜLOW.
Ihr seid abscheulich mitgenommen. – Was macht Blücher?
GNEISENAU.
Dort hält er, gesund und frisch.
BÜLOW.

Das freut mich. Er ist ein Degen, den weder Alter, Blut, noch Wetter blind oder rostig machen. – – Sapperment, wie ist eure Artillerie, Infanterie, Kavallerie in Wirrwarr! 'Ne wahre Höllenwirtschaft! – Und was von dort? Flintenschüsse? So nah habt ihr den Feind auf den Hacken?

GNEISENAU.
Tirailleurgefechte –
BÜLOW.

Meine Pommern machen bald aus den Gefechten wieder eine Schlacht. – Sieh einmal die Teufelskerle an: beschmutzt bis über das Ohr, aber Gesichter frisch und kernig, wie eben ausgeschältes Obst, und auf den Beinen munter, als ging es auf der Jakobsleiter zum Himmel – Ein Gichtbrüchiger wird bei dem Anblick gesund. – Will die alte Garde des Imperators Pommern fressen, bekommt sie harte Nüsse zu knacken.

GNEISENAU.

Du hast gut reden – Unsere Korps sind seit zwei Tagen im Feuer – Deines sah noch keine französische Lunte.

BÜLOW.

Im Feuer, Feuer – Feuer hätt euch bei diesem Unwetter erwärmen und erfreuen sollen. – Meine Leute prügeln sich noch, wer von ihnen zuerst Napoleons Mörser [437] erstürmt, sie zu Kochkesseln zu gebrauchen.

GNEISENAU.

Wir wollen das abwarten. – Der Feldmarschall hat aber, wie ich dir im Ernst sage, im Sinn, dich vor eine Militärkommission zu stellen. Du mußtest gestern, der Order gemäß, bei Ligny sein, und konntest da sein, wenn auch später als dir befohlen. Die Schlacht hätte eine andere Wendung bekommen.

BÜLOW.

Wahrhaftig, eine schöne andere Wendung! Abends, als ihr schon geschlagen wart, und uns in der ersten Fluchtwut angesteckt und mitgerissen hättet, wären wir eingetroffen, vom übermäßigen Marsch marode, und leeren Magens dazu. – Eh, ich hab erst Mann und Pferd sich sättigen, alles Tritt vor Tritt marschieren lassen, und da ist nun mein Korps, tüchtiger als je. – Der Feldmarschall achtet die Vernunft mehr als seine Orders, und somit bin ich entschuldigt.

GNEISENAU.

Bilde den Vortrab des Heeres – Ziethen stößt mit der Masse der Reiterei gleich zu dir. Der Marsch geht über Wavre nach den Waldhöhen von Soignies.

BÜLOW.
Gut, mein Freund.

Gneisenau ab.

Tambours, den Armeemarsch! – So! – – Und nun einen Kirchmeßwalzer, Hoboisten! – – Brave pommersche Jungen, ists nicht als wären wir auf einer Bauerhochzeit bei Pasewalk? Gibts etwas Lustigeres als einen Feldzug?


Er und die Pommern ziehen weiter.
GNEISENAU
wieder neben Blücher.
Feldmarschall, der Bülow spricht und denkt über sein spätes Eintreffen so wie ich vermutete –
BLÜCHER.
Aber sein Korps?
GNEISENAU.
Ist in einem herrlichen Zustande.
BLÜCHER.
Das ist die Hauptsache, und ich nehm ihm sein gestriges Ausbleiben nicht übel.

Zu dem Heere.

Kameraden, gestern sind wir mordmäßig geschlagen – Tröstet euch, und schlagt die Franzosen morgen mordmäßiger wieder. – Die Engländer warten auf uns vor dem Walde von Soignies. Kommen wir bei ihnen nicht zeitig an, so sind sie verloren, kommen wir zeitig, so helfen wir ihnen mitgewinnen. – Also, dreist in diesen Dreck getreten, wir treten so früher auf die gebohnten Dielen [438] des Louvre – – – Hölle, was für Physiognomien sitzen ganz behaglich in ihren großen Halstüchern auf jenen Feldwägen?

GNEISENAU.
Feldchirurgen.
BLÜCHER.

Herunter mit den Balbiergesellen, in den Kugelregen mit dem Volk, daß es dort die Verwundeten verbindet, und hier ihnen Platz macht – – Ein paar gute Schuster mit tüchtigen Gesellen, wären dem Heere nötiger als dieses ganze in Eil aufgeraffte Feldscherergesindel.

EIN HERANSPRENGENDER ADJUTANT.
Die Franzosen drängen sich näher und näher in unsren Rücken –
BLÜCHER.

Nur nicht allzu bestürzt, – sie können uns ja desto eher in – – Melden Sie so etwas der Arrièregarde. Der Sieg liegt vor uns – Dorthin!


Alle rücken weiter.
3. Szene
Dritte Szene
Hohlweg vor dem Walde von Soignies. Mitten durch ihn die Straße nach Brüssel. Gebüsche auf beiden Seiten.
Diese, sowie die Ufer des Hohlwegs sind von Detachements englischer Linientruppen, englischer Jäger, und hannoverischer Scharfschützen besetzt. Hinter der Schlucht auf den Höhen von Mont Saint Jean, steht das Gros des Wellingtonschen Heeres, – rechts von ihr das Vorwerk Houguemont, – in einiger Entfernung vor ihr das Gehöft la Haye Sainte, etwas weiter hin das Haus la Belle Alliance, und noch entfernter die Meierei Caillou, – links die Dörfer Planchenoit, Papelotte, Frichemont p. p.

EIN ENGLISCHER JÄGER.
Wie heißt diese Gegend?
EIN SERGEANT DER ENGLISCHEN JÄGER.
Weiß nicht, James, – wir taufen sie bald mit Schlachtenblut.
JAMES.
Ja, Sergeant. Schlacht gibts. Die Vorposten sind darnach gestellt.
SERGEANT.

Gott verdamme, jedesmal, wenn man mit den Franzosen zu tun hat, regnets wie aus zerschlagenen Fässern. War's nicht auch in Spanien immer so?

JAMES.
Immer. 's ist ja Suppenschlucker-Volk.
[439]
SERGEANT.

Siehe, wie da einige von ihnen über den Dreck hüpfen, jämmerlich leicht wie die Kibitze über den Sand.

JAMES.
Warte, jenen naseweisen Leichtfuß, will ich mit einem schönen Stückchen Blei schwer machen.
SERGEANT.
Prosit die Mahlzeit, James – er riecht Lunte und versteckt sich hinter einer Erdhöhe.
DER AM HOHLWEG KOMMANDIERENDE ENGLISCHE GENERAL
sprengt vor.

Was ist das da linker Hand? Nebel, Dampf oder Feind? – Der verhenkerte Gußregen wäscht mir vor Aug und Fernrohr alle Gegenstände durcheinander.

JAMES.

Herr General, 's ist der gewöhnliche große Leichenqualm, der drei Tage lang vor der Schlacht auf den Feldern umherzieht.

SERGEANT.
James, sei kein Narr – Es ist Nebel, General, aber sehr entfernt.
GENERAL.
Hum – Der Nebel hält mir zu lange auf einem Fleck.
EIN HAUPTMANN DER HANNOVERISCHEN SCHARFSCHÜTZEN.
Mein General –
GENERAL.
Nun?
DER HAUPTMANN.

Ich habe unter meiner Kompanie einen sechzehnjährigen Burschen von den Harzjägern – Er sieht und schießt unglaublich weit –

GENERAL.
Rufen Sie ihn.
DER HAUPTMANN.
Fritz! Fritz!

Fritz kommt.

Was dort links für Nebel?
FRITZ.
Nebel? Nebel? – Herr Hauptmann, ich sehe keinen.

Er wischt sich die Augen.
SERGEANT.
James, der ist scharfsichtig!
JAMES.
Wie eine Nachteule.
DER HAUPTMANN.
Was siehst du denn eigentlich?
FRITZ.

Das ist ja ganz deutlich. – Dort hält, tief in graue Mäntel gehüllt, ein Regiment französischer Dragoner, und guckt mit lauernden Katzenaugen hieher.

GENERAL.
Dacht ich's doch!
SERGEANT.
Wenn der Junge nicht lügt, so ist –
JAMES.
Er ist –
GENERAL.

Das feindliche Gesindel will sich an uns nisten, um uns recht sicher, zur ungelegensten Zeit, mit den Krallen zu fassen.

[440]
FRITZ.
Soll ich ihm zeigen, daß wir es sehen? Schieß ich einen heraus?
SERGEANT.
Der Bengel ist toll. Auf diese Entfernung treffen –
JAMES.

Wie gesagt, der Junge ist ein Kobold aus Norddeutschland, und ein christlicher northumberländischer Jäger hütet sich ihn anzublicken.

GENERAL.
Schieß, Junge.
FRITZ.

Wie gern! Er zielt kurze Zeit und schießt. Hahaha! Da liegt des Königs Wildbret, sagt mein Vater, und erquickt treuer Untertanen Beutel und Magen, wenn wir am Blocksberge einen Sechzehnender wilddieben.

GENERAL.
Wer fiel?
FRITZ.

Der Obrist, und die übrigen galoppieren davon, wie ein Rudel Hirschkühe, wenn der Bock aus ihrer Mitte geschossen wird.

GENERAL.
Gott verdamme, der vermeinte Nebel zerstiebt auch im Hui.
EIN ALTER HANNOVERISCHER SCHARFSCHUTZ
tritt vor.

Verfluchter Dachshund, infamer Köter, was belügst du mich, deinen Vater? Das Hirn schlag ich dir ein!


Zum General.

Gnädiger Herr, wenn ich je mein Gewehr auf ein königliches Wild abgedrückt habe, will ich nie den Hahn auf eins gespannt – – Ach, kurz und gut, der Bengel lügt!

DER SCHÜTZENHAUPTMANN.
Alter Borstenkopf, »wer sich entschuldigt eh man klagt« –
GENERAL.

Beruhige dich, – triff du die Franzosen so brav wie dein Junge, und ihr seid dem Könige die liebsten Schützen in Schlacht und Wald.

FRITZ.
Hussa, hinter uns vom Berge kommt wieder eine Menge Leute – Schieß ich darein?
GENERAL.
Bist du toll, Junge? – Das sind Linienbataillone von Mont Saint Jean, uns zur Hülfe geschickt.
FRITZ.
O dürft ich nur immer schießen – Der Pulvergeruch ist mir nun einmal in der Nase.
GENERAL.
Was saust?
SERGEANT.
Eine bonapartische Paßkugel – Da schlägt sie in den Baum.
GENERAL.

Fritz, nun schieß, schieß in die Franzosen, solang Atem und Pulver nicht ausgehn – Laut. Alles an die Ufer des Hohlwegs – Büchsen und Flinten frisch geladen, – [441] den Flinten die Bajonette aufgeschraubt! – Donner, da drängen sie sich schon herein – Feuer!

EIN FRANZÖSISCHER HAUPTMANN
an der Spitze der sich in den Hohlweg stürzenden Kolonne.

Laßt sie schießen, Kameraden! Hört ihr die Paßkugeln über uns, und seht ihr wie sie dem Feinde Pferd und Mann hinschmettern? Sie kommen aus französischen Geschützen und sind die gewaltigen, helfenden Begleiter, aus der Ferne uns nachgesandt von dem Kaiser!

EIN ANDERER FRANZÖSISCHER HAUPT MANN.
Schurke der, welcher einen Schuß tut, bevor wir diesen Chausseerand erklettert haben.
EIN ENGLISCHER LINIENSOLDAT.

Wächst das Volk aus dem Boden wie die Ameisen? – Einen der am Chausseerande emporgekletterten Franzosen mit dem Bajonett durchbohrend und wegschleudernd. Zurück, du Hungerleider!

EIN FRANZÖSISCHER SOLDAT
vor Wut schäumend, schwingt sich auf die Höhe des Chausseerandes und wirft den Engländer auf die Bajonette der ihm nachdringenden Franzosen.
Und an den Spieß, du Sattfresser! – – Mir nach – mir nach –
FRANZÖSISCHE ADJUTANTEN
sprengen heran.

Im Namen des Kaisers: zurück! Er sieht eine Überzahl englischer Linie und Artillerie sich gegen euch vom Berge stürzen – Zurück auf einige Augenblicke –

DIE FRANZOSEN.
Beefsteaks, wir kommen wieder!

Sie ziehen sich unter stark erwiderten Gewehrsalven zurück.
EIN ENGLISCHER OBRIST
zu seinem Adjutanten.
Was für Flammen glänzen rechts hoch aus diesem Rauch?
DER ADJUTANT.
Der Lage nach das brennende Houguemont.
DER OBRIST.
Auch das schon? – Die Schlacht wird allgemein.
ADJUTANT.
Sie ist es. Schauen Sie, la Haye Sainte lodert auch schon. – Ha, was da?
OBRIST.

Das ohrzerschneidende Geschrei unserer Verwundeten – – Himmel, warum steht das rechte Altengland da oben noch stets ruhig unter den Waffen?

ADJUTANT.
Der Herzog pflegt, wie er es nennt, seinen Augenblick zu erwarten.
OBRIST.

Bonaparte ist erfinderischer und kühner: er schafft sich nötigenfalls den Augenblick. – Ah, wieder Kugeln über Kugeln hieher! Der Feind vergißt uns nicht.

[442]
ADJUTANT.

Herr Obrist, jetzt aber geht Altengland auf Mont Saint Jean auch los – Da – alle Batterien – Hören Sie!

OBRIST.

Es ist als rasselten alle Heerscharen der Hölle in eisernen Harnischen über unsre Häupter – Ha, und jetzt wettert ihnen die Artillerie der Franzosen entgegen – Ohne feige zu sein, bückt man sich unwillkürlich. – – Wahrlich, ich habe noch keine Schlacht gekannt – Vitoria, wo man sich besinnen und atmen konnte, war Kinderspiel – – Hier jedoch: meilenweit die Luft nichts als zermalmender Donnerschlag und erstickender Rauch, – darin Blitze der Kanonen, flammende Dörfer wie Irrlichter, immer verschwunden, immer wieder da – der Boden bebend unter den Sturmschritten der Heere, wie ein blutiges, ein zertretenes Herz, – Geschrei laut ausgestoßen, kaum vernommen – – Adjutant, das alles, weil dort bei Caillou der kleine Mann steht? – Keine Antwort? – Gott, er ist gefallen! – Und dort naht wieder der feindliche Vortrab – Mir lieb – So flut ich mit unter die tobenden Wasser, denn einsam ruhig kann ich in diesem sturmempörten Ozean mich doch nicht halten.

FRITZ.
Vater, hier geht es ja gar nicht so her wie auf dem Exerzierplatz.
DER ALTE HANNOVERSCHE SCHARFSCHÜTZ.
Dummer Junge, auf dem Exerzierplatz schießt man blind, aber hier hat alles geladen.
4. Szene
Vierte Szene
Die Höhen von Mont Saint Jean.
Auf ihnen Wellingtons Heer. Im Vor- und Mittelgrunde die Infanterie in Karrees, – zwischen diesen die Artillerie, ununterbrochen feuernd, – im Hintergrunde, welcher von dem Walde von Soignies umgrenzt wird, die Reiterei und die Reserven. Französische Kanonenkugeln schmettern überall in die Heerhaufen. Wellington mit seinem Generalstabe, neben ihm General Lord Somerset.

LORD SOMERSET.

Ich beschwöre dich, Herzog, laß uns nicht weiter hier müßig stehen, und die braven Leute, ohne daß [443] sie einen Finger an den Hahn der Flinte legen dürfen, hinschmettern von den Geschützen des Korsen.

HERZOG VON WELLINGTON.
Unsere Kanoniere sind nicht müßig.
LORD SOMERSET.

Aber alle anderen Truppen sinds, – laß sie endlich die Bajonette fällen, die Säbel ziehen, und den gallischen Hähnen entgegenstürmen.

HERZOG VON WELLINGTON.

Unmöglich – Europas, ja, des Erdkreises Schicksal schwebt in dieser Stunde auf dem Spiel – wir dürfen nicht eher wagen bis wir des Erfolges gewiß sind, und ich fürchte, wenn Blücher nicht bald kommt, haben wir mit Ihm bei Caillou schon sehr viel gewagt.

LORD SOMERSET.

O träf ihn doch eine, eine von hunderttausend Kugeln, die dahin fliegen – – Herzog, sollen denn diese Höhen die riesenhafte Schlachtbank werden, auf welcher Altengland sich opfert für die undankbare Welt?

HERZOG VON WELLINGTON.
Wenn es zum Äußersten kommt – ja.
LORD SOMERSET.

O schau dort – wieder eine ganze Reihe der braven Bergschotten hinsinkend wie Ähren vor der Sichel – – Und hier – das erste Glied des Leibregiments ebenso – Das zweite marschiert lächelnd ein, Milch und Blut auf den Wangen, die frischeste Jugend, die jemals im heiteren England schimmerte – ha, und da winseln sie auch schon im Staube – – Mutterherzen, Mutterherzen, wie wirds euch zerreißen, – mein Herz ist schon zu Trümmer!

HERZOG VON WELLINGTON.
Und zertrümmert das Gehirn dazu – wir müssen ausharren bis die Hülfe naht.
ADJUTANTEN
heransprengend.
Die Franzosen nehmen Belle Alliance und drängen auf der Chaussee hieher vor.
HERZOG VON WELLINGTON.
Kartätschen über die Chaussee!

Englisches Kartätschenfeuer, – auf einmal ein französischer Kanonendonner, der allen früheren Schlachtlärm, so arg er gewesen ist, übertönt. Die Engländer stürzen dichter als zuvor.
LORD SOMERSET.

Teufel – meine Locken – reißt mich nicht mit – Sechs-, Zwölf-, Vierundzwanzig- Pfündner fliegen darüber hin. – – Wie? wird das Höllengetöse, welches uns eben erschütterte, noch ärger?

HERZOG VON WELLINGTON.

Es wirds. – Auch ich finde Ihn [444] und seine Mittel und die Art, wie er sie gebraucht, gewaltiger als ich gedacht. Ich meinte einen etwas besseren General als Masséna oder Soult, die wahrlich auch tüchtige Feldherrn sind, in Ihm zu treffen – – Aber da ist gar keine Ähnlichkeit, – wo die aufhören, fängt Er erst an – Doch darum nur so mehr Ruhe und Ausdauer – das Ungeheure überstürzt am leichtesten – Er läßt uns hier nur die Wahl zwischen Sieg und Tod, – eben darum erringen wir vielleicht den ersteren.

VERSPRENGTE ENGLISCHE DRAGONER
denen während des folgenden Gesprächs, bis Milhaud erscheint, in stets dichteren Haufen andere folgen.
Hinter unsere Batterien! hinter unsere Batterien!
HERZOG VON WELLINGTON.
Flüchtlinge, schämt euch, – haltet – Was gibts?
DIE DRAGONER.
Bonapartes Kürassiere in unserem Rücken – Nichts hält ihnen Stand!
HERZOG VON WELLINGTON.

Hm, – da schweigen auch seine Kanonen, weil sie sonst in seine eigne jetzt herankommende Kavallerie schießen würden, – recht klar – erst wollt er unsre Reihen mit Kugeln lüften, dann mit den Haudegen der Kürassiere vertilgen – So leicht geht es nicht, mein Herr! – Die Lücken der Karrees gefüllt – in die Karrees Batterien – die Reserven näher gerückt – Die vorderste Reihe des Fußvolks auf die Kniee – die zweite schießt – Bajonette vorgestreckt – die Reiterei fürerst beiseit!

LORD SOMERSET.
Laß mich an die Spitze meiner Gardekavallerie!
HERZOG VON WELLINGTON.

Nein, – dazu ists noch nicht Zeit, und die Kürassiere Milhauds, ungeschwächt, wie sie noch sind, hieltest du doch nicht auf.

LORD SOMERSET.
Wie? Mit Pferden und Reitern wie die meinigen –
HERZOG VON WELLINGTON.
Folge mir in jenes Karree –

Mit ihm zu dem Karree gehend.

Ja, ihr seid brav – Aber Milhauds Kürassiere, so schlecht die Menge der französischen Kavallerie sein mag, sind die Elite der ältesten, fast unter jeden Himmelsstrich, gegen jede Nation geprüften Schlachtenreiter – Sich einen Augenblick umwendend. Da kommen sie – Betrachte sie – Sind [445] ihre Gesichter nicht gelb und hart wie der Messing ihrer Helme und Sturmketten? Sehen sie nicht aus als hätten sie unter Spaniens Sonne oder Rußlands Schneegestöber sich Tag für Tag mit Blut abgewaschen?

MILHAUD
zu seinen Kürassierdivisionen.

Kameraden, eingehauen! – Ha, welche Wollust, diesen Narren, die Ihn nicht einmal kennen wollen, dicht vor ihrer Fronte in die Zähne zu rufen: hoch lebe der Kaiser!

DIE KÜRASSIERE.
Hoch lebe der Kaiser!
MILHAUD.
Und hoch unsre Schwerter, um so tiefer auf die Lumpen niederzuflammen!

Die Kürassiere versuchen einzubauen, Gewehrsalven empfangen sie. Manche stürzen, aber an den Panzern der meisten rollen die Flintenkugeln ab.

Was? Hat uns der Kaiser nicht feste Westen gegeben? – – Und schade, oder wir finden Schlüssel, die Tore dieser Vierecke zu sprengen!


Mit der linken Hand ein Pistol hervorreißend und es auf einen englischen in Reih und Glied stehenden Hauptmann anschlagend.

Hauptmann da – wahre deine Epaulette, daß sie nicht schmutzig wird – Er schießt ihn zu Boden, und sprengt über den Leichnam in das Karree. Hohussa!

EINER DER KÜRASSIERE
mit den übrigen nachsprengend.
Fahne her!
ENGLISCHER FAHNENTRÄGER.
Eher mein Leben!
KÜRASSIER.
So nimm den Tod!

Haut ihn nieder und nimmt die Fahne. – Die Artillerie des Karrees schießt mit Kartätschen.
MILHAUD.
Diese Kanonen übergeritten!

Er stürmt mit den Kürassieren auf sie ein. Die Kanoniere brennen noch einmal die Geschütze ab und flüchten.

Ha, unser die Kanonen! – Vernagelt sie!
MEHRERE KÜRASSIERE
springen von den Pferden.
Das verstehen wir! Der Teufel selbst soll sie nicht weiter gebrauchen können!
MILHAUD.

Vorwärts, vorwärts in und über die anderen Karrees! Das feindliche Heer aufgerollt vom Aufgang bis zum Niedergang! Der Gott der Siege umatmet unsre Helme!

HERZOG VON WELLINGTON.
Lord Somerset, jetzt an die Spitze der Gardekavallerie, und warte meines Wortes.
[446]
LORD SOMERSET.
Endlich – Gott sei gelobt!
EIN ENGLISCHER OFFIZIER.
Da haut der Milhaud das vierte Karree zusammen!
HERZOG VON WELLINGTON.
Diesesmal scheitert er hier an dem fünften! – Sechzig Reservekanonen herein!
MILHAUD.
Vier Karrees zu Stücken – In das fünfte!
HERZOG VON WELLINGTON.
Herr General, es öffnet sich von selbst –

Das Karree öffnet sich und sechzig schwere Geschütze desselben geben Feuer.
MILHAUD.

Heiliger Name Gottes – – Vorwärts in diese Höllenküche, und werden wir auch selbst darin gebraten – – Kamerad, wo dein rechter Fuß?

EIN KÜRASSIER.
Mein Fuß? – Sakrament, da fliegt er hin, der Deserteur!
MILHAUD.

Halte dich am Sattelknopf, wirst du ohnmächtig – – Nur drauf und dran! – – Nein, es geht nicht – Wir behalten sonst kein ganzes Pferd zum Zurückkommen! – Adieu, meine Herren – wir sprechen uns heute noch einmal, gleich nach dem zweiten Kugelsegen des Kaisers.


Mit den Kürassieren ab.
HERZOG VON WELLINGTON.
Jetzt, Somerset, gib ihnen das Geleit!
LORD SOMERSET.
Den Schurken nach, Kavallerie König Georgs des Dritten!

Ab mit der englischen Gardekavallerie.
HERZOG VON WELLINGTON.

Zwei Adjutanten nach dem linken Flügel – Cooke und Clinton sollen Houguemont wieder zu nehmen versuchen – der Feind wird vielleicht durch die Diversion verwirrt.


Zwei Adjutanten eilen fort, – Lord Somerset kommt mit der Gardekavallerie zurück.
HERZOG VON WELLINGTON.
Schon zurück?
LORD SOMERSET.

Wir haben sie bis unter die Bajonette ihrer Infanterie getrieben – Mancher Küraß von Nancy liegt im Kot. – – General Picton ist eben gefallen.

HERZOG VON WELLINGTON.

Auch der? – So sehr er mein Freund war, ich kann ihn jetzt nicht betrauren – Es ist keine Zeit dazu, und der Tod würgt heute so allgemein, daß er etwas ganz Gewöhnliches scheint.


Der französische Kanonendonner hebt wieder so furchtbar an, [447] wie kurz vor der Ankunft der
Milhaud'schen Kürassiere.

Ha, von Caillou her zum zweiten Angriff geschossen und gebrüllt! – Seid gefaßt! Milhaud sprengt bald neugestärkt hieher!

EIN OFFIZIER DES GENERALSTABES.

Noch ein paar solcher Angriffe, und unsere Armee ist nicht mehr. Wäre kein Rückzug möglich durch den Wald von Soignies?

HERZOG VON WELLINGTON.

Mein Herr, ein Rückzug ist doppelt unmöglich. Erstlich erlaubt ihn unsre Ehre nicht, und dann ist die Heerstraße durch den Wald so voll von flüchtigem Gesindel und Fuhrwerk, daß nicht eine Kompanie, geschweige siebenzigtausend Mann darauf zehn Schritt in Ordnung machen können. – O wäre der alte Blücher erst da! – – Was ist die Glocke, Somerset?

LORD SOMERSET.
Die Glocke von Waterloo schlug eben halb vier.
HERZOG VON WELLINGTON.

Dorftürmchen von Waterloo, du schlugst den Beginn der schwersten, unvergeßlichsten halben Stunde meines Lebens! – Um vier Uhr wollte Blücher im Forst von Frichemont sein. – – Himmel, wenn er nun nicht – Ordonnanzen nach dem Forst, ob sie nicht endlich eine preußische Landwehrkappe erblicken!

LORD SOMERSET.
Der zweite feindliche Reiterschwall naht!
HERZOG VON WELLINGTON.

Altengland treibe ihn zurück wie den ersten. – Ich setze mich auf diesen Feldstuhl, und weiche nicht davon, bis wir gesiegt haben oder eine Kugel mich davon wirft.

5. Szene
Fünfte Szene
Kleine Anhöhe vor Caillou.
Napoleon hält auf ihr zu Pferde. Bertrand, Cambronne und seine Suite um ihn. Die Garden hinter ihm. Neben ihm der Pächter Lacoste. Milhaud und seine Kürassiere kommen eben von ihrem zweiten abgeschlagenen Angriff zurück.

NAPOLEON.
General, wie ists da oben?
MILHAUD.
Sire, die Engländer wehren sich matter als bei unserer ersten Attacke.
[448]
NAPOLEON.

Bereiten Sie sich zu der dritten – Alle irgend überflüssigen Regimentsgeschütze dort zu Drouot – Die Zeit drängt, und was ihr an Länge fehlt, müssen wir durch Schnelle und Stärke ersetzen.


Adjutanten ab, – die französische Kanonade wird immer gewaltiger.
PÄCHTER LACOSTE.
Jesus Maria!
NAPOLEON
blickt ihn finster an.
Was gibts?
PÄCHTER LACOSTE.
Sire, Verzeihung – ich fürchte mich – mir ist das nicht gewohnt!
NAPOLEON.
Wann kamen die Engländer hier an?
PÄCHTER LACOSTE.
Gestern, Sire – Morgens neun oder zehn Uhr.
NAPOLEON.
Waren sie marode?
PÄCHTER LACOSTE.

Die, welche auf meinem Pachthof sich einquartierten, waren es, und wie es mir schien, auch alle übrigen. – Aber es währte nicht lange, so restaurierten sie sich bei zahllosen Marketenderfeuern.

NAPOLEON.
Das Haus Belle Alliance vor uns – – Hat es Gehöfte, Hecken um sich?
PÄCHTER LACOSTE.
Nein, es liegt offen an der Chaussee.
NAPOLEON.
– Ist Milhaud bereit?
CAMBRONNE.
Ja, Sire.
NAPOLEON.

Kellermann stößt mit seinen Reitern zu ihm und er versucht, während Drouots Batterien so lange einhalten, den dritten Angriff.


Adjutanten ab.
PÄCHTER LACOSTE.
Weh, meine Frau und meine Kinder!
CAMBRONNE.
Bauer, halte das Maul.
PÄCHTER LACOSTE.
Hier fallen engelländische Kugeln!
CAMBRONNE.
Laß dich das nicht kümmern. Verlierst du dein bißchen Leben, was verlierst du Großes?
NAPOLEON.

Wellingtons Heer wehrt sich mit den Krämpfen der Verzweiflung. Sechs reitende Batterien dem Milhaud nachgesandt. Man soll auf Mont Saint Jean Posto fassen, es koste was es will. Ney ebenfalls dahin über la Haye Sainte, und mache seine Überweisheit bei Quatrebras gut durch strenge Befolgung meines Befehls. Kann er Haye Sainte nicht nehmen, so läßt er es samt dessen feindlicher Besatzung am Wege liegen. – In einer halben Stunde muß Mont Saint Jean mein sein, oder ich erneue die Tage von [449] Lodi und stelle mich selbst an die Spitze der Kolonnen!


Viele Adjutanten ab.

Auf unsrem rechten Flügel ists zu still – Dahin, zum Graf Erlon – ihm gesagt: auf den Bergen jenseits Papelotte, in den Vierecken des linken englischen Flügels, wachse ein Marschallsstab von Frankreich.


Adjutanten ab, – andere kommen.
EIN ADJUTANT.

Der Fürst von der Moskwa ist über la Haye Sainte hinaus, – da aber wehren sich die Engländer hinter Verhacken wie Rasende, und das Blut fließt in Strömen.

NAPOLEON.

Und wogt es wie Meeresflut, wenn wir nur siegen! Der Sieg soll des Blutes wert sein. Der Stern des illegitimen, geächteten Napoleon von 1815 soll den Völkern freundlicher leuchten als der Komet des Erderoberers von 1811.


Viele Verwundete, auf Ambulanzen, werden vorbeigefahren.

Ihr Armen wißt auch nicht, weshalb ihr seufzet und stöhnt – Nach vierzig Jahren kommentierten es euch Gassenlieder!

ADJUTANT
heransprengend.
Die letzten englischen Reserven rücken in das Feuer –
NAPOLEON.

Milhaud, Drouot und Ney sollen desto heftiger sie angreifen. Was da links? In der Gegend von Houguemont?

BERTRAND.
Kanonendonner naht von dort – Prinz Jérôme wird bedrängt.
NAPOLEON.

Was bedrängt! – Der Feind ist dort schwach, und neckt ihn eben darum mit Manoeuvres! – Zwei Schwadronen Gardelanciers mir nach!


Er galoppiert in Begleitung zweier Schwadronen Gardelanciers nach Houguemont, – der Kanonendonner, welcher von dort sich näherte, verliert sich bald darauf in der Ferne.
EIN OFFIZIER DER GARDEGRENADIERE ZU PFERDE.

Der Milhaud macht heute beneidenswerte Chocs – wir bekommen zu tun, müssen wir mit seinen Kürassieren wetteifern.

EIN ANDERER OFFIZIER DER GARDEGRENA DIERE ZU PFERDE.
Er ist im spanischen Kriege nicht umsonst braun geworden.
DER ERSTE OFFIZIER.
Er erinnert an Murat.
DER ANDERE OFFIZIER.

So ziemlich – aber mehr an seinen Mut als an seine Gewandtheit. Eine brillante Attacke, wie die des Murat bei Wagram, erleben wir wohl nicht wieder.

DER ERSTE OFFIZIER.

Murat tat auch besser, ließ er, statt um [450] Neapels Lumpenthron sich zu raufen, seinen Federbusch hier wehen!

DER ANDERE OFFIZIER.

Kronen müssen einen eignen verlockenden Glanz haben, sonst begreif ich nie, wie ein Franzose nicht lieber Gemeiner im ersten besten Linienregiment seines Vaterlandes sein will, als König von Neapel, oder Kaiser von Rußland.


Napoleon und Gefolge kommen zurück.
BERTRAND.

Sire, es ist doch wahr: vorgestern ist der Herzog von Braunschweig gefallen – Gefangene Offiziere seines Korps versicherten es mir eben in Houguemont.

NAPOLEON.
Ein Husarengeneral weniger. – – Lacoste, der Geschützdonner rechts? Von Wavre?
PÄCHTER LACOSTE.
Sire, ja.
NAPOLEON.
Grouchy treibt also die Preußen in die Dyle.
BERTRAND.
Die Kanonade ist lebhaft, Sire – die Preußen leisten starken Widerstand.
NAPOLEON.

Schwerlich, oder Grouchy wär ein äußerst erbärmlicher Verfolger gewesen, – sie waren zu sehr geschlagen, – selbst Bülows Korps muß von der flüchtigen Masse mit in den allgemeinen Strudel gerissen sein. – Graf Lobau schiebe jedoch zur Vorsicht seine Têten bis in das Gehölz zwischen hier und Wavre.


Großes Krachen von Mont Saint Jean her, – ungeheure Flammenmassen fliegen dort in die Luft.
CAMBRONNE.
Brav, Drouot, das war ein Meisterschuß – zwanzig englische Pulverwagen gingen gewiß darauf!
NAPOLEON.
Bertrand – Cambronne –
CAMBRONNE.
Sire, ist es Zeit?
NAPOLEON.
Ja.
CAMBRONNE UND BERTRAND.
Garden, sturmfertig!
NAPOLEON.
Es geht gradeaus, über La Haye Sainte, wo Milhaud und Ney sich an euch schließen. – Was pfeift da?
LACOSTE.
Wehe, Meuchelmörder in unsren Reihen – ganz nahe Büchsenkugeln!
EIN OFFIZIER DER SUITE.
Sire – Flügelhörner – Preußische Jäger keine zweihundert Schritt von uns.
NAPOLEON.
Einige Chevaulegers hin, die an der Dyle versprengten jungen Tollköpfe zu ergreifen.
EIN ADJUTANT
heransprengend.
Vom Graf Lobau: das ganze Gehölz von Frichemont ist voll von Preußen.
[451]
ZWEITER ADJUTANT
später.

Von Lobau: schon leichtes preußisches Geschütz im Walde von Frichemont – Der General eilt ihrem Angriff entgegenzukommen.

DRITTER ADJUTANT.

Vom Graf Erlon: am linken Flügel der Engländer, auf der Höhe des Waldes von Frichemont erscheinen Blücher und Bülow mit zahllosen Heerhaufen, und Raketen über Raketen verkünden Wellington ihre Ankunft.

NAPOLEON.
Blücher? Bülow? – Ihre Korps müssen Trümmer sein.
ADJUTANT.

Sire, nein. Zug auf Zug, endlos, rücken sie aus dem Walde – immer breiter wird ihre Fronte – ein Geschützfeuer entwickeln sie auf den Anhöhen über dem anderen – ein durch die Wolken brechender Strahl der Abendsonne zeigte sie der halben Armee in voller Kampfordnung.

NAPOLEON
für sich.
Der Strahl war nicht von der Sonne von Austerlitz.
BERTRAND.

Brechen Himmel und Erde ein? – Der Kaiser zuckte mit der Lippe! – – Sire, Sire, die Schlacht geht doch nicht verloren?

NAPOLEON.
Grouchy hat viel daran verdorben –

Für sich.

– Daß das Schicksal des großen Frankreichs von der Dummheit, Nachlässigkeit oder Schlechtheit eines einzigen Elenden abhängen kann! –

EIN HERANSPRENGENDER ADJUTANT.
Graf Lobau bittet Verstärkung – Ziethen kommt ihm und der Armee in den Rücken.
NAPOLEON.

Mouton soll sich in Planchenoit so verzweifelt wehren, wie einstens auf der Insel, von welcher er den Namen Lobau trägt.

ANDERE ADJUTANTEN.
Von Erlon: Bülow hat Papelotte erstürmt.
NAPOLEON.

Meine schlechtesten Truppen gewesen, die Papelotte so schnell sich nehmen ließen. – Erlon läßt nur seine Arrièregarde den Preußen gegenüber, und marschiert links ab zu Ney.


Adjutanten ab.
ANDERE ADJUTANTEN.
Vom Marschall Ney und General Milhaud: die ganze englische Linie setzt sich gegen uns in Bewegung.
[452]
NAPOLEON.

Zurück zum Marschall und zu Milhaud: gleich käm ich selbst – sie sollten sich halten bei la Haye Sainte, bei Gefahr ihrer Köpfe!


Zu den Adjutanten und Ordonnanzen seiner Suite.

Meine Herren, im Fluge zu allen Korps, welche nicht bei la Haye Sainte fechten, – sie sollen alle dahin, ob auch die Feinde, mit denen sie grade fechten, sie verfolgen oder nicht.


Viele Adjutanten und Ordonnanzen ab nach allen Seiten.
EIN ANKOMMENDER ADJUTANT.
Drouot bittet um Munition –
NAPOLEON.
Alle Artilleriemunition zu ihm.
EIN ANDERER ADJUTANT.
General Drouots Kanonen drohen vor Hitze zu springen, und er wünscht –
NAPOLEON.
Er schießt bis die Kanonen springen.
VIELE ADJUTANTEN.
Ziethen pflanzt in unsrem Rücken Geschütze auf.
NAPOLEON.
Das merk ich – Dort stürzt Friant mit zerschmetterter Stirn.
ANDERE ADJUTANTEN.

Von Milhaud und Ney: Blücher treibt starke Kolonnen auf Belle Alliance, und versucht beide Generale von hier abzuschneiden.

NAPOLEON.
Die Engländer?
EIN ADJUTANT.
Rücken mehr und mehr vor. – Ney kämpft in wilder Verzweiflung.
NAPOLEON.
Seine schwache, schädliche Manier. – Milhauds Kürassiere?
DER ADJUTANT.
Die Mehrzahl schon gefallen.
NAPOLEON
wendet sich zu den Garden, mit gewaltiger Stimme.

Garden, kann es eine irdische Kraft, so könnt ihr die Schlacht retten und Frankreich! Noch nie ließt ihr mich in euch irren, – auch heute zähl ich auf euch –

CAMBRONNE.
Kaiser, zähle, und du findest lauter Treffer!
NAPOLEON.

Den Kaiser werf ich weg von mir –Vom Pferde springend. ich bin wieder der General von Lodi, und mit dem Degen in der Hand führ ich selbst euch auf Mont Saint Jean!

DIE GARDE.
Über die Sterne der Kaiser!
BERTRAND.

Kaiser, Kaiser – Entsetzlich – Da steht er, der Hut vom Kopf gefallen, den Degen in der Faust, wie der gewöhnlichste seiner Souslieutenante – Sire, die Pflicht gebietet dir, dein Leben nicht so auszusetzen, wie du im [453] Begriff bist!

NAPOLEON.

Wie ich im Begriff bin? Schmettern hier nicht die Kugeln schon so dicht, wie irgendwo auf dem Schlachtfelde?

BERTRAND.
Gewiß, Sire, doch daß du grade so wie jetzt –
NAPOLEON.

Wie »grade so?« Was heißt das? – Zeige den Platz ehrenvoller als dieser meinige, an der Spitze meiner Garden, unter den Todesdonnern der Schlacht?

CAMBRONNE.
Hört ihr, was der Kaiser sagt? – Die Musik dazu.
GARDEMUSIK SPIELT.
»Où peut on être mieux,
Q'au sein de sa famille!«
BERTRAND.

Verdammt das Pferd, welches mich trägt, wenn der Kaiser zu Fuß ist! Ich werde Gemeiner, und kämpf als solcher!

ALLE OFFIZIERE DER SUITE.
Wir auch!

Sie springen von den Pferden und ziehen die Degen.
NAPOLEON.
Wo die Granitkolonne von Marengo?
CAMBRONNE.
Sie tritt schon vor, und wünscht dich zunächst zu begleiten.
NAPOLEON.

Das soll sie auch. Ihre Soldaten waren die Genossen meines schönsten Tages, – so sollen sie auch Genossen und Helfer an meinem bösesten sein! – – Garden aller Waffenarten mir nach!

CAMBRONNE.

Herr Pächter Lacoste, leben Sie nun recht wohl und laufen Sie von hier was Sie können – Grüßen Sie die Frau und die lieben Kinder, und wenn Sie nach zehn Jahren mit denselben wieder zum tausendsten Male einen Kuchen essen, oder Ihren Töchtern neue Kleider schenken, so freuen Sie sich ja von neuem über Ihre Existenz und Ihr Glück – Wir gehen jenen Kanonenmündungen entgegen und bedürfen Ihrer Elendigkeit nicht mehr! – – Donner, welch ein Kugelregen – Die Melodie!

GARDEMUSIK SPIELT.
»Freuet euch des Lebens,
Weil noch das Lämpchen glüht!«
EINER DER GARDEHOBOISTEN
stürzt.
O, wie süß ist der Tod!

Alle ab gegen Mont Saint Jean.

[454]
6. Szene
Sechste Szene
Heerstraße vor dem Hause Belle Alliance.

NAPOLEON
mit den Garden im Vorüberziehen.

Graf Lobau ist bereits von den Preußen aus Planchenoit geworfen – Er soll sich auf uns zurückziehen, und einige Kompanien seiner Arrièregarde in dieses Haus werfen, um den verfolgenden Feind aufzuhalten und zu necken.


Adjutanten ab. Napoleon und die Garden marschieren weiter. – Das Korps des Grafen Lobau, im Gefecht mit den Pommern unter Bülow, rückt allmählich über die Szene, dem Kaiser nach. Graf Lobau erscheint selbst.
LOBAU.
Verwünschte Übermacht – kann denn weder Geist noch Verzweiflung gegen sie retten?
BÜLOW
mit den Pommern.
Jungen, das Pulver nicht geschont – – Das ist heut ein herrlicher Tag!
LOBAU.
Immer wieder vor, alle Regimenter!
BÜLOW.
Immer ihnen entgegen, alle Pommern! – –
LOBAU.
Feuer!
BÜLOW.
Gleichfalls!
LOBAU.

Unmöglich sich gegen diese Unzahl zu halten – – Drei Kompanien in jenes Haus – – Alle Übrigen mit nach Mont Saint Jean!

BÜLOW.
Vier Bataillone stürmen jenes Haus, – alle Übrigen hinterdrein nach Mont Saint Jean!

Das Bülowsche Korps folgt dem des Grafen Lobau, – nur vier Bataillone bleiben zurück, und erstürmen, ungeachtet der heftigen Gegenwehr der Franzosen, welche aus Türen und Fenstern schießen, während des Folgenden Belle Alliance.
ZIETHEN
mit zahllosen Reiterscharen.

Bülow, gegrüßt! Es geht gut – wir sind Ihm von hier bis Mont Saint Jean im Rücken und in der Seite, und die Engländer klopfen Ihm auch schon vor die Brust!

BÜLOW.

Ja, Victoria, Ziethen! Höre, wie er auf dem Berge mit all seinen Kanonen noch einmal aufschreit von wegen des Rücken-, Seiten- und Brustwehs!

ZIETHEN.
He, welch Geschrei: »die Garde flieht! Rette sich, wer sich retten kann!«
BÜLOW.
Der ganze Mont Saint Jean wankt unter flüchtig werdenden Franzosen!
[455]
ZIETHEN.

Wie sich das Volk durcheinanderwälzt – Kavallerie, Infanterie, Artillerie – ein verwirrter, unauflösbarer Knäuel!

BÜLOW.

Na, englische und preußische Geschütze lösen tüchtig am Knäuel, – ich will auch von dort ein paar passable Batterien hineinspielen lassen –

ZIETHEN.

Tu es, und ob auch einige von deinen Kugeln in meine Reihen schlagen werden, – ich stürze mich doch mit der Kavallerie unter den Feind, ihn so eher zu vertilgen.

BÜLOW.

Pommern, die Gewehre verkehrt genommen – zur Abwechslung! – Warum grade immer das Bajonett obenan? – Die Franzosen zu Brei!

EINE MASSE FRANZÖSISCHER REITER
im Vorbeisausen.
Alles verloren – der Kaiser tot! die Garden tot! – zurück nach Genappes, nach Genappes!
EINE MASSE FRANZÖSISCHER INFANTERIE
noch etwas geordnet.
Zurück nach Genappes! nach Genappes!
EINE MASSE FRANZÖSISCHER REITTENDER ARTILLERIE.
Fußvolk Platz da, Platz!
EIN FRANZÖSISCHER INFANTERIEOFFIZIER.
Es geht nicht – Bajonette vor gegen die Unsinnigen!
ARTILLERISTEN.
Was Bajonette! Pferde und Kanonen darüber weg!

Sie fahren über einen Teil der Infanterie.
BÜLOW.

Pommern, können wir die Kanonen nicht nehmen? Sind denn unter euch nicht einige ehemalige Ackerknechte, die besser als jene feindlichen Infanteristen ein paar Pferde aufzuhalten und ein paar Räder zu zerbrechen wissen?


Viele Soldaten seines Korps springen vor, und nehmen die Kanonen.

Recht so! – Dreißig treffliche Zwölfpfündner! – Laßt sie ihren alten Herren mit ihren Kugeln Valet sagen! – Und, Burschen, läuft, springt, reitet und stürzt da nicht das bonapartische Heer soweit man in der Dämmerung sehen kann – Dahin, wo es am dicksten ist!


Ab mit seinem Korps.

[456]
7. Szene
Siebente Szene
Blachfeld auf der anderen Seite des Hauses Belle Alliance.
Napoleon, mit Bertrand und Offizieren, zu Fuß, – zwei Schwadrone der Gardegrenadiere in geschlossener Ordnung zur Bedeckung um sie, und Cambronne mit dem Überbleibsel der Granitkolonne von Marengo hinter ihnen.

NAPOLEON.

Wir müssen hier mitten durch das Feld zurück, – die Chaussee ist zerfahren und überdem von den Preußen erstürmt – – Der Abend wird kalt – Meinen Mantel und mein Pferd.


Bertrand hängt ihm den Mantel um, – ein Pferd wird vorgeführt.

Solch eine Flucht kennt die Geschichte nicht – Verräterei, Zufall und Mißgeschick machen das tapferste Heer furchtsamer als ein Kind – Es ist aus – Wir haben seit Elba etwa hundert Tage groß geträumt. – – Bertrand, was ist? Du schweigst?

BERTRAND.

Sire – sprechen – jetzt – – – o Gott! – Sieh diese Gardegrenadiere – Congreven lodern in ihren Reihen, und sie schweigen doch! – – Nur eines, du in dessen Ruhmesglanz ich einzig lebte, sei billig, laß mich auch auf ewig dein künftiges Unglück teilen.


Er fällt dem Kaiser zu Füßen.
NAPOLEON.
Steh auf – du brichst mit mir das Brot des Elendes. – Aber deine Frau?
BERTRAND.
Sire, sie wird dir in Tränen danken wie ich!
NAPOLEON
zurückblickend.

Da stürzen die feindlichen Truppen siegjubelnd heran, wähnen die Tyrannei vertrieben, den ewigen Frieden erobert, die goldne Zeit rückgeführt zu haben – Die Armen! Statt eines großen Tyrannen, wie sie mich zu nennen belieben, werden sie bald tausend kleine besitzen, – statt ihnen ewigen Frieden zu geben, wird man sie in einen ewigen Geistesschlaf einzulullen versuchen, – statt der goldnen Zeit, wird eine sehr irdene, zerbröckliche kommen, voll Halbheit, albernen Lugs und Tandes, – von gewaltigen Schlachttaten und Heroen wird man freilich nichts hören, desto mehr aber von diplomatischen Assembléen, Konvenienzbesuchen hoher Häupter, von Komödianten, Geigenspielern und Opernhuren – – bis der [457] Weltgeist ersteht, an die Schleusen rührt, hinter denen die Wogen der Revolution und meines Kaisertumes lauern, und sie von ihnen aufbrechen läßt, daß die Lücke gefüllt werde, welche nach meinem Austritt zurückbleibt.

CAMBRONNE.

Mein Kaiser, gegenüber nahen die Engländer, seitwärts die Preußen – Es ist Zeit, daß du fliehest, oder daß –

NAPOLEON.
Oder?
CAMBRONNE.
Imperator, falle!
NAPOLEON.
General, mein Glück fällt – Ich falle nicht.
CAMBRONNE.
Verzeihung, Kaiser! Du hast recht!
NAPOLEON.

Den Mantel mir fester zugemacht. – Es regnet immer stärker. – – Bertrand, besteig ein Pferd, – tun Sie ebenso meine Herren Offiziere. – Reitende Gardegrenadiere, bahnt uns den Weg! – Granitkolonne, lebe wohl!


Er, Bertrand, die ihn begleitenden Offiziere sind zu Pferd gestiegen und reiten mit den Gardegrenadieren fort.
CAMBRONNE.

Er ist fort – Was will der andere Dreck, den man Erde, Stern oder Sonne nennt, noch bedeuten? – Er hat uns »lebe wohl« gesagt, und leicht das Auge gewischt – Das heißt: sterbt meiner würdig, es geht nicht anders. – Also, Kameraden, die Schnurrbärte hübsch zurechtgedreht – bald sind wir im Himmel oder in der Hölle, und ein braver Franzose erscheint im Himmel wie in der Hölle geputzt!


Englische und preußische Reiterei von allen Seiten.

Seht ihr, wie unsere Spediteure uns umdrängen! – Also, Tambour, tüchtig auf dein Kalbsfell geschlagen – Bedenke, von all den hunderttausend Trommeln, die in den glorreichen Feldzügen des Kaisers erklangen, ist die deinige die letzte! – Und schlage lustig, – auch dazu hast du Grund, – du quälst dich mit Trommelschlag fortan nicht wieder!


Der Tambour trommelt ununterbrochen laut und kräftig darauf los.

Schießt!
EIN ENGLISCHER DRAGONEROFFIZIER.
Unsinnige, laßt das Schießen –
CAMBRONNE.
Schießt!
DER DRAGONEROFFIZIER.
– ihr entkommt doch nicht –
CAMBRONNE.
Schießt!
[458]
DER DRAGONEROFFIZIER.
Wahnsinniges Volk – Ergebt euch!
CAMBRONNE.
Laffe, die Garde stirbt, aber sie ergibt sich nicht! – Schießt solang ihr atmet!
ENGLISCHE UND PREUSSISCHE REITEREI
einhauend.
Nieder die grauen Trabanten des Tyrannen!
CAMBRONNE.
Nieder –? Granitkolonne, hoch und stolz wie die Sonne, und gefallen herrlich wie sie!
DIE GRANITKOLONNE.
Schon gut – sieh nur –

Die Granitkolonne samt Cambronne wird nach verzweifeltem Kampfe zusammengehauen. Die alliierte Reiterei rückt weiter, andere englische und preußische Truppen gleichfalls.
BLÜCHER
mit Gneisenau und Gefolge heransprengend.
Wo mein großer Waffenbruder von Saint Jean?
GNEISENAU.
Da kommt er!
HERZOG VON WELLINGTON
heransprengend.
Guten Abend, Feldmarschall!
BLÜCHER.
Herzog, der Abend ist des Tages wert!
HERZOG VON WELLINGTON.
Die Hand her, Helfer in der Not!
BLÜCHER.

Zum »schönen Bunde«, wie der Ort hier heißt! – – Engländer, Preußen, Gemeine, Generale, Unteroffiziere – ich kann nicht weiterrücken bis ich mir die Brust gelüftet, meine Feldmütze abgezogen, und euch gesagt habe: ihr alle, alle seid meine hochachtbaren Waffengefährten, gleich brav in Glück und Not – Wird die Zukunft eurer würdig – Heil dann! – Wird sie es nicht, dann tröstet euch damit, daß eure Aufopferung eine bessere verdiente! – – Wellington, laß deine Leute etwas rasten, – sie hatten heute die drückendste Arbeit – Dafür übernehmen wir so eifriger die Verfolgung, und verlaß dich darauf, sie soll unseren Sieg vollenden, wie noch keinen anderen! – Vorwärts, Preußen!

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TextGrid Repository (2012). Grabbe, Christian Dietrich. Dramen. Napoleon oder Die hundert Tage. Napoleon oder Die hundert Tage. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E63A-2