[403] Spruch-Reimen

1.
Jesu / meine Wunder-Allheit! Wunschbeseelig mich mit dir.
Wann ich diesen Haupt-Wunsch kriege / opffer' ich all andre Gier.
2.
Mensch / wilr du / daß dein Thun nicht soll zu nichtes werden /
so ruffe diesen an / der schuff' aus nichts die Erden.
3.
Soll deiner Anschläg Bolz mit in die Scheiben gehn
des Glückes / muß dein Aug' auf Gottes Hülff absehn.
4.
Die Weißheit ist / vor Gold / auch Gelt und Welt / zu ehren.
Sie war / und bleibt auch stehn / wann die sich um wird kehren.
[404] 5.
Die Weißheit ist / wie Sonn / vor welcher nichts verborgen:
vor dieser flieht die Nacht / vor jener alle Sorgen.
6.
Die Tugend / wie der Palm so schwere Früchte träget /
erhebt sich mehr empor: die Last den Muht erreget.
7.
Gleich wie das Wasser offt durch dicke Dämmereist:
also gelingt die Müh deß / der sich steiff befleist.
8.
Auf Hoffnung / wird das Traid / gesäet in die Erden:
auf Hoffnung / Tugendsee / wilt du vollkommen werden.
9.
Beständig bleibt der Stamm / doch nicht die Blüh und Frucht:
der Tugend Ruhm besteht / nimmt Schön' und Zier die Flucht.
[405] 10.
Der Wind / ob wol sehr rauh / der Sonn den Weg bereitt:
Verachtung / fähig macht der theur-erkaufften Freud.
11.
Der Gottes furcht kan nichts / als sie ihr selber / gleichen:
all anders muß vor ihr und ihrer Krafft weit weichen.
12.
Gleichwie der Frülings-Wind die Schwalben uns her führet:
so Widerwärtigkeit / offt Lust und Trost gebiehret!
13.
Kein Süßheit ist / die gleicht der Tugend Krafft-geniessen:
es kan ein ganzes Meer der Wollust aus ihr fliessen.
14.
O Tugend! wann nicht wär dein End mit Freud verguldet /
so fündstu wenig Volck / das deiner Herrschafft huldet.
[406] 15.
Ein kleines dulde dich / O Creutz-belaste Schaar:
biß Sieg und Tugend wird ein wolvergnügtes Paar!
16.
Der Tugend ihr Geschick / ist Schmach und Unrecht leiden:
doch läst sie sich dadurch von ihren Zweck nicht scheiden.
17.
Wer dapffer und beherzt / den schröckt kein drauen nicht:
der Eiffer wird geschärfft / wann man ihm widerspricht.
18.
Das wär ein schlechte Lieb / wann ich dich nur wolt lieben /
O Tugend / wann es Fried! im Krieg / muß Lieb sich üben.
19.
Wird schon gerechte Sach in Mittelpunct der Erden
verworffen: muß sie doch mit Ruhm hervor bracht werden.
[407] 20.
Ob auch Gerechtigkeit nicht allzeit also scheinet:
so wird sie doch durchs Creutz / wie Silber / ausgefeinet.
21.
Wie kein so lange Nacht / es folgt ein heller Morgen:
so bleibt Gerechtigkeit nicht ewiglich verborgen.
22.
Betrüb dich nicht zu viel! dann / was dich heut beschweret /
wird morgen in ein Kron / aus einem Creutz / verkehret.
23.
Der Tugend / und der Perl / ist nichts an Wehrt benommen:
ob in der Thoren und der Kinder Händ sie kommen.
24.
Das wär ein thöricht Ding / in Unglück Tugend lassen.
Im grösten Unglück / muß den grösten Muht man fassen.
[408] 25.
Es wird vom Widerstand / wann Tugend ihn vermerket /
die Gier / wie Oel von Feur / verdoppelt und verstärket.
26.
Es ist kein kleine Stärk / auch unterlegen siegen;
weil man die Gurgel tritt / neu' Helden-Kräffte kriegen.
27.
Die Tugend / ob sie schon vor Haß und Neid gefrieret /
in Gottes Gnaden-May sich frölich neu gebiehret.
28.
Die Tugend / wie die Schwalb / im Unglück' ligt entwallen:
wart / bis des Himmels Hülff den süssen West lässt schallen.
29.
Wie in der Winter-Erd der Blumen glanz verborgen:
so wird der Tugend Zier verheelet durch die Sorgen.
[409] 30.
Die Bluhm bricht endlich aus / durch süsses Zeit-verkehren:
der Tugend Tuckungs-Zeit / wird auch nicht ewig währen.
31.
In allen Fall sich kan der Tugend Krafft ereigen:
im Siege Dapfferkeit / verlierend Großmuht zeigen.
32.
Es ist der Tugend Art / was schweres ihr vorsetzen:
auf daß der Wunder-Sieg sie höher soll ergetzen.
33.
O Tugend! die Gefahr trägt Rosen / dich zu krönen /
die die Unmüglichkeit als Gold pflegt zu verschönen.
34.
Wer herzlich Gott vertraut / kan alle Ding verschaffen /
nimmt Erd-und Herzen ein mit Glaub- und Wortes-Waffen.
[410] 35.
Ein ander liebe das / was Indien herschicket:
mir liebet Glaubens-Krafft / ich werd durch sie erquicket.
36.
Mit freuden sieget ob der Wunder-Glaub zu letzt /
die Widerstehungs-Hand ihm selbst den Kranz aufsetzt.
37.
Unmüglichkeiten- Stein zur Grundfest wird geleget:
nur in Ungläublichkeit der Glaub zu wundern pfleget.
38.
Die Hand / so Feur gekühlt / und Lewen-Rachen bunde /
ist unverkürzt / und kan die Kunst noch auf die stunde.
39.
Die unverwehrlich Zeit / kan alle Ding' erreichen /
es muß ihr Felsen-fest' und Atlas-Stärke weichen.
[411] 40.
Aus kleinen Sämlein offt entspringt ein dicker Stamm:
ein kleines Fünklein Glaub / bringt grosse Würkungs-Flamm.
41.
Durch wagen mit Vernunfft / wird keine Sach vergeben:
die / sichert vor dem Fall; und jene / macht erheben.
42.
Der Brunnen tieffe kan den Wasser-Safft versüssen:
aus tieffer Heimlichkeit / kan süsse Freude fliessen.
43.
Die Tugend hat gar nie sich Ursach zubeklagen:
sie kan den Sieges- Fahn in allem Zustand tragen.
44.
Ich glaub' Ungläublichkeit: jedoch mit dem beding /
daß dem / auf den ich trau / sind alle Sachen ring.
[412] 45.
Wen Gottes Hand regirt / dem kan es nicht mislingen:
er kan / aus finstrem / Liecht / und Glück aus Unglück / bringen.
46.
Mein Wunsch ist / Gott allein / der endlich wird zu allen.
Solt mir / der alles ist / vor allen nicht gefallen?
47.
Gott gibt mir alles hier / aus freyem Liebes-Muht:
das / was er mir versagt / ist nichts / weil es nicht gut.
48.
In Gott / end' ich mein Thun / daß es unendlich wird.
Da / wo mein Leben ist / da hafft auch die Begierd.
49.
In Mittelpunct der Ruh / die ewig sich beweget /
sey mein unmüssigs Werk mit stillem Fried geleget.
[413] 50.
Ich wolt' / ich könte so Beginnen /
daß ich / vergnügt wär aller Sinnen:
doch weil der Höchst es selbst nicht kan /
wie daß ich mich nimm darum an?

Liebes Bvch!
geh /
Mehre /
GOTTES
Preiß vnd Ehre.
[414]

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TextGrid Repository (2012). Greiffenberg, Catharina Regina von. Gedichte. Geistliche Sonnette, Lieder und Gedichte. Kunst-Gesang in Funfzig Liedern: untermischt mit allerhand Kunst-Gedanken. Spruch-Reimen. Spruch-Reimen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E7C6-4