[54] Vierter Aufzug
Offener Platz, im Hintergrunde das Meer. Rückwärts, auf der linken Seite, Heros Turm mit einem halb gegen das Meer gerichteten Fenster und einem schmalen Eingange, zu dem einige Stufen emporführen. Daneben am Ufer einige hochgewachsene Sträucher. Nach vorn auf derselben Seite laufen Schwibbögen und Säulen, die Nähe von Wohnungen bezeichnend. Die rechte Seite frei mit Bäumen. Quer in die Bühne hineinstehend eine steinerne Ruhebank.
Nach dem Aufziehen des Vorhanges hört man hinter der Szene.
DIE STIMME DES TEMPELHÜTERS.
Hierher, hierher, ihr Diener dieses Hauses!
Dann tritt Hero ganz vorne rechts auf.
HERO.
Er ist hinüber. Allen Göttern Dank!
Wars doch, als hätte sich das All verschworen
Ihn hier zu halten bis zum lichten Tag.
Ein Gehen war und Kommen ohne Ruh.
Und er stand da, im Winkel still geduckt.
Da endlich kam der günstge Augenblick. –
Nun, er ist fort, und ich bin wieder ruhig.
Auf derselben Seite, mehr nach rückwärts, kommt der Tempelhüter, ein Horn am Bande um den Leib und einen Spieß auf der linken Schulter, ihr bei jeder Bewegung folgend.
TEMPELHÜTER.
Du sahst ihn wohl?
HERO.
Wen doch?
TEMPELHÜTER.
Den fremden Mann.
Er sprang nur jetzt ins Meer.
HERO.
Nur jetzt? so rasch?
TEMPELHÜTER.
Drei Schritte kaum von dir.
HERO.
Und sah ihn nicht?
Sie geht auf den Turm zu.
TEMPELHÜTER.
Wohl sahst du ihn und mußtest wohl ihn sehn!
HERO
weitergehend.
Muß ich? Bin ich denn Wächter so wie du?
TEMPELHÜTER.
Nicht Wächter. – Zwar, wenn Wächter ist, wer wacht:
Du wachtest ziemlich lang bei deiner Lampe.
HERO.
Ei, daß du alles siehst!
TEMPELHÜTER.
Wohl seh ich, wohl!
Der Priester kommt von der linken Seite.
[55]PRIESTER.
Find ich hier Streit?
HERO
auf den Stufen des Turms.
Der Mann da ist nicht klug.
TEMPELHÜTER.
Wollt ich nur reden, ei!
HERO.
Er spricht und spricht!
Ich geh.
PRIESTER.
Wohin?
HERO.
In Turm.
PRIESTER.
Was dort?
HERO.
Zu schlafen.
Ab in den Turm.
TEMPELHÜTER.
Zu schlafen, ja! nachdem sie lang gewacht!
PRIESTER.
Was war denn hier?
TEMPELHÜTER
Heron nachsprechend.
Und nennst du mich nicht klug?
Weil ich ein Diener nur, ihr hohen Stamms?
Meinst du, die Klugheit erbe eben fort
Vom Vater auf den Sohn, wie Geld und Gut?
Ei, klug genug und schlau genug und wachsam!
Er stößt den Spieß in den Boden.
PRIESTER.
Soll ich erfahren denn?
TEMPELHÜTER
noch immer Heron nachsprechend.
Ei ja, ja doch!
PRIESTER
zum Gehen gewendet.
Du leistest, merk ich, selber dir Gesellschaft,
Ich gönne sie und überlaß dich ihr.
TEMPELHÜTER.
Herr! Eben sprang ein Mann vom Ufer in die Flut.
PRIESTER.
Das also wars?
TEMPELHÜTER.
Und Hero stand nicht fern.
PRIESTER.
Er sprang wohl auch, stand ich in seiner Nähe.
TEMPELHÜTER.
Und dort in jenem Turme brannte Licht
Die ganze Nacht.
PRIESTER.
Das sollte freilich nicht.
Doch Hero weiß wohl kaum, daß wir vermeiden,
Durch Licht und Flamme Bösgesinnten, Feinden,
Den Weg zu zeigen selber durch die Klippen,
Mit denen sich die Küste gürtend schützt.
Drum warne sie!
TEMPELHÜTER.
Ei, daß sie meiner spottet!
[56] Sie wußt es wohl, und dennoch brannte Licht,
Das macht: sie wachte, Herr.
PRIESTER.
So?
TEMPELHÜTER.
Bis zum Morgen.
Und oben wars so laut und doch so heimlich,
Ein Flüstern und ein Rauschen hier und dort;
Die ganze Gegend schien erwacht, bewegt.
Im dichtsten Laub ein sonderbares Regen,
Wie Windeswehn, und wehte doch kein Wind.
Die Luft gab Schall, der Boden tönte wider,
Und was getönt und widerklang, war: nichts.
Das Meer stieg rauschend höher an die Ufer,
Die Sterne blinkten, wie mit Augen winkend,
Ein halb enthüllt Geheimnis schien die Nacht.
Und dieser Turm war all des dumpfen Treibens
Und leisen Regens Mittelpunkt und Ziel.
Wohl zwanzigmal eilt ich an seinen Fuß.
Nun meinend, nun das Rätsel zu enthüllen,
Und sah hinan; nichts schaut ich, als das Licht,
Das fort und fort aus Heros Fenster schien.
Ein einzigmal lief wie ein Mannesschatten
Vom Meeresufer nach dem Turme zu;
Ich folg und, angelangt, war wieder nichts,
Nur Rauschen rings und Regen, wie zuvor.
PRIESTER.
Scheints doch, des ganzen Wunders voller Inhalt,
Mit Ursach und mit Wirkung, lag in dir.
TEMPELHÜTER.
Ei, Herr, und warum brannte denn das Licht
Die ganze Nacht bis kurz, wie ich berichtet?
Als mich der Spuk zum Rasen halb gebracht,
Trat ich ins Innre des Gebäudes, jenseits,
Wo an den Turm der Diener Wohnung schließt.
Da fällt Janthe mir zuerst ins Auge,
Gekleidet und geschmückt, als wärs am Tag.
PRIESTER.
Des Rätsels Lösung bietet sich von selbst.
Frag du das Mädchen. Ruf sie her! Du kennst sie
Und weißt, wie oft sie Störung schon gebracht.
TEMPELHÜTER.
So dacht ich auch und schalt sie tüchtig aus.
Allein das Licht an jenem, jenem Fenster.
[57] Und dann: als kurz ich vor im Haine ging,
Springt, hup! ein Mann ins brausend schäumge Meer.
Und in demselben Augenblick tritt Hero,
Drei Schritte kaum entfernt, aus dem Gebüsch.
PRIESTER.
Wenn du vermuten willst, such andern Stützpunkt,
Nur was dir ähnlich, treffe dein Verdacht.
TEMPELHÜTER.
Nur was mir ähnlich? Ei, ich seh es kommen!
Dem Diener sei nicht Urteil, noch Verstand.
PRIESTER.
Ruf mir Janthen!
TEMPELHÜTER.
Aber, Herr, das Licht!
PRIESTER.
Janthen, sag ich dir!
TEMPELHÜTER.
Und jener Mann,
Der sprang ins Meer und gen Abydos schwamm?
PRIESTER.
Wie sagst du? Gen Abydos?
TEMPELHÜTER.
Wohl!
PRIESTER.
TEMPELHÜTER.
Wohl!
PRIESTER.
Und Heron sage –
Eine Rolle aus dem Busen ziehend.
Gib ihr dies Schreiben, das von ihren Eltern
Nur eben kam und das – Vielmehr, laß nur! –
Sag ihr, daß ich die Dienerin beschied.
Der Tempelhüter ab in den Turm.
PRIESTER.
Abydos!
Was ists, daß dieser Name mich durchfährt?
War aus Abydos nicht das Fremdenpaar,
Das jüngst im Hain – Wahnsinn, es nur zu denken!
Und doch! Ist nicht das Jünglingsalter kühn
Und bleibt nicht gern auf halbem Wege stehn,
Vor allem, wo Verbotnes lockt. Wenn sie
Versucht, das Abenteuer zu bestehn,
Das mein Dazwischentritt gestört, und Hero,
Unwissend trüge sie des Wissens Schuld,
Nebstdem, daß sie noch jung und neu im Leben,
Noch unbelehrt zu meiden die Gefahr,
Ja, zu erkennen sie. – Genug, genug!
[58]In meinem Innern reget sich ein Gott,
Und warnt mich, zu verhüten, ehs zu spät!
Der Tempelhüter ist zurückgekommen.
PRIESTER.
Nun?
TEMPELHÜTER.
Hero hält Janthen noch bei sich.
Die Priestrin ruht, gelehnt auf weichem Pfühl,
Das Mädchen kniet vor ihr und spricht und tändelt.
Man läßt dich bitten, Herr –
PRIESTER.
Sie zögern, wie?
Heiß du Janthen augenblicks mir nahn.
TEMPELHÜTER
sich nach rückwärts bewegend.
Nur aber –
PRIESTER.
Und wenn still auch sonst und klug!
Der Wahnsinn, der das kluge Weib befällt,
Tobt heftger als der Torheit wildstes Rasen.
Janthe kommt.
TEMPELHÜTER.
Ei, komm nur immer, komm nur, du Geschmückte!
Hier frägt man dich, warum so spät du wachst.
PRIESTER.
Von allem, was sich Schlimmes je begab
In diesem Haus, fand ich dich immer wissend,
Belehrt durch Mitschuld, oder Neugier mindstens.
Nun meldet man, daß sich in dieser Nacht
Verdächtig Treiben hier am Turm geregt.
Auch fand dich dieser Mann, da alles schlief,
Noch wachend und gekleidet in den Gängen.
Drum steh ihm Red und sage, was du weißt.
Er entfernt sich.
JANTHE.
Bei allen Göttern, Herr –
PRIESTER
zurücksprechend.
Laß du die Götter!
Und sorg erst, wie den Menschen du genügst.
JANTHE.
Nichts weiß ich ja; ich hörte nur Bewegung,
Ein Kommen und ein Gehn. Die Nacht war schwül;
Da lauscht ich vor der Tür und ging dann schlafen.
TEMPELHÜTER.
So nennst du: vor der Tür, zwei Treppen hoch?
Ich fand dich in dem Gang vor Heros Kammer.
JANTHE.
Ich war so bang, allein; da wollt ich Hero fragen,
Ob sie gehört und ob ihr bang wie mir?
[59]PRIESTER
sich wieder nähernd.
Ich aber sage dir, du sollst gestehn!
Denn daß du weißt, zeigt mir dein ängstlich Zagen.
Hero kommt.
HERO.
Was ist denn nur? Warum berief man uns?
PRIESTER.
Hier ist Janthe, die du kennst gleich mir.
Sie wird beschuldigt, daß bei nächtgem Dunkel –
HERO.
Man tut ihr wohl zu viel!
PRIESTER.
So weißt du –?
HERO.
Herr!
Ich weiß nur, daß der Mensch gar gern beschuldigt,
Und vollends dieser Mann ist wirren Sinns.
PRIESTER.
Doch ists gewiß: ein Fremder war am Turm.
HERO
nach einer Pause.
Nun Herr, vielleicht der Überirdschen einer!
Du sprachst ja selbst: in altergrauer Zeit
Stieg oft ein Gott zu selgen Menschen nieder.
Zu Leda kam, zum fürstlichen Admet,
Zur strengverwahrten Danae ein Gott.
Warum nicht heut? Zu ihr; zu uns, zu wem du willst.
Sie geht auf die Ruhebank zu.
PRIESTER.
Sprach das der Spott? und dünkt das Heilge dir –?
Zu Janthen.
Nun Törin, oder Schuldige, gesteh!
JANTHE.
Frag doch nur Hero selbst. Sie wohnt im Turm;
War dort Geräusch, vernahm sie es wohl auch.
PRIESTER
sich Hero nähernd.
Hörst du?
HERO
die sich gesetzt, halb singend, den Kopf in die Hand gestützt.
Sie war so schön,
Ein Königskind.
Sprechend.
Nun, lichter Schwan, flogst du zu lichten Sternen?
PRIESTER.
Hero!
HERO
emporfahrend.
Was ist? Wer faßt mich an? Was willst du?
PRIESTER.
Hast du vergessen schon?
HERO.
Nicht doch! ich weiß
Was man beschuldigt jene ohne Grund.
[60] Sei du nicht bang, Janthe, frohen Muts!
Wenn alle dich verließen, alle sie,
In meiner Brust lebt dir ein warmer Anwalt.
Sie küssend.
Wenn sie dich quälen, Gute, komm zu mir!
Nun aber geh, sie spotten dein und meiner.
PRIESTER.
Bleib noch!
Janthe zieht sich zurück.
PRIESTER
zu Hero.
Du liebtest nie das Mädchen sonst.
Woher der Anteil nun?
HERO
die aufgestanden ist.
Was frägst du mich?
Sie ist gekränkt, brauchts da noch andern Grund?
PRIESTER.
Doch wem galt jene nächtig dunkle Störung?
HERO.
Warum denn ihr?
PRIESTER.
Wem sonst?
HERO.
Die Lüfte wissens;
Doch sie verschweigens auch.
PRIESTER.
Nun denn, zu dir. Man sah
In deinem Turme Licht die ganze Nacht.
Tu das nicht mehr.
HERO.
Wir haben Öl genug.
PRIESTER.
Doch siehts das Volk und deutets wie es mag.
HERO.
Mags denn!
PRIESTER.
Auch riet ich dir, den Schein zu meiden,
Den Schein sogar; viel mehr noch wahren Anlaß.
HERO.
Wir meiden ihn, doch meidet er auch uns?
PRIESTER.
Sprichst aus Erfahrung du?
HERO.
Was ist die Zeit?
Wie lang ist noch bis Abend?
PRIESTER.
Und warum?
HERO.
Gesteh ichs, ich bin müd.
PRIESTER.
Weil du gewacht?
HERO.
So ists. Der Wind kommt uns aus Osten, denk ich,
Und ruhig ist die See. Nun, gute Nacht!
PRIESTER.
Am hohen Tage? Hero, Hero, Hero!
HERO.
Was willst du, Ohm?
PRIESTER.
Hab Mitleid mit dir selbst!
HERO.
Ich sehe wohl, um mich geht manches vor,
[61] Das mich betrifft, und nah vielleicht und nächst,
Doch faß ichs nicht und düster ist mein Sinn.
Ich will darüber denken.
PRIESTER.
Halt vorerst!!
– Du kannst noch nicht zurück in deine Wohnung! –
Erst harrt noch – ein und anderes Geschäft.
HERO.
Geschäft?
PRIESTER
streng.
Geschäft! –
Gemildert.
Des neuen Amtes Bürde.
Mit einer Bewegung als wollte er die Rolle aus dem Busen ziehen dann aber wieder ablassend.
Im Tempel ist – vielmehr – Vergaß ichs denn? –
Man meldet mir, ein Bote deiner Eltern,
Von ihnen, scheidend, noch zu uns gesendet,
Sei angelangt am östlich äußern Tor,
Das abschließt unsern heiligen Bezirk.
Allein die Fischer, die am Meere wohnen,
Mißtrauisch jedem Fremden und vielleicht
Der Störungen schon kundig dieser Nacht,
Sie wehren ihm den Eintritt bis zu uns.
Ich gönne dir die Freude, geh du hin,
Und sprich den Mann und höre, was er bringt.
HERO.
So muß ich selbst –?
PRIESTER.
Treibt dich Verlangen nicht?
Botschaft von deinen Eltern, dann –
HERO.
Ich gehe.
PRIESTER.
Du findest wohl den Mann bei jenen Hütten,
Doch wär es nicht, und hätt er sich entfernt,
So wirst du mir schon weiter wandeln müssen,
Bis du –
HERO.
Es soll geschehn.
PRIESTER.
Tritt nur indes
Bei unsers Hauses wackerm Schaffer ein.
Von dort aus sende Diener, die ihn suchen.
Und – einmal da, laß dir den Vorrat zeigen,
Den man dort sammelt für der Göttin Dienst.
Das letzte Fest ließ unsern Tempel nackt.
[62] Es fehlt an Weihrauch, Opfergerste, Linnen;
Kannst du davon mir bringen, dank ich dirs.
HERO.
Dann aber kehr ich heim.
PRIESTER.
Gewiß! wenn du
Der Pilgerruh noch einen Blick gegönnt,
Die dort ganz nah auf schlanken Säulen steht.
Vielleicht birgt unser Mann sich da zumeist.
Auch haben Waller sich, so heißts, versammelt,
Die ferneher zu unserm Tempel ziehn.
Tritt unter sie und sprich ein nützlich Wort.
Den Opfern, die sie bringen, wohne bei.
Und hast du so dein heilig Amt vollbracht –
Es wäre denn, der Rückweg gönnte Zeit –
HERO.
Genug, o Herr! Beinah sagt ich: zuviel.
Einschmeichelnd.
Gesteh ich dirs; ich bliebe lieber hier.
PRIESTER
ruhig.
Doch muß es sein.
HERO.
Muß es? Nun so geschehs.
PRIESTER.
Nimm nur die neue Freundin mit, Janthen,
Die dir so sehr gefällt. Das kürzt den Weg.
HERO.
Hast du doch recht, und also will ich tun.
Janthe, komm und leite mich den Pfad.
Dein froh Gespräch laß uns den Weg verkürzen.
Und werd ich müd, so leih mir deinen Arm.
Du aber, stille Wohnung, lebe wohl!
Eh noch der Abend graut, seh ich dich wieder!
Wo bist du? Ah! – Sei heute Hero du
Und denke, sprich für mich. Ein andermal
Bin ich Janthe gern! Und sei nicht grämlich. Hörst du?
Janthens Nacken umschlingend, ab.
PRIESTER.
Zähm ich den Grimm in meiner tiefsten Brust?
Kein, Zweifel mehr, die Zeichen treffen ein! –
Ein Mann dem Tempel nah, und Hero weiß es.
Und einer wars von jenen Jünglingen,
Leander und Naukleros hießen sie,
Die, aus Abydos, ich im Haine traf.
Ob aber schon seit lang mit Heuchlerkunst,
[63] Sie mirs verbirgt; ob nun erst, heute, jetzt erst? –
– Naukleros und Leander! Welcher wars?
Die flachen Hände vor sich hingestreckt.
In gleichen Schalen wäg ich euer Los.
Die Namen beide ähnlichen Gehalts,
Die Zahl der Laute gleich in ein und anderm,
Desselben Anspruchs jeder auf das Glück:
Indes der eine doch ein Lebender, Beseelter,
Sein Freund ein Toter ist, schon jetzo tot.
Denn, weil sie fern, leg ich die Schlingen aus,
Die ihn verderben, kehrt der Kühne wieder.
Unseliger, was strecktest du die Hand
Nach meinem Kind, nach meiner Götter Eigen?
Nach rückwärts gewendet.
Ha, Alter, du noch hier? Laß uns hinauf.
Erforschen jedes Zeichen, das der Tat,
Der noch verhüllten, dunkeln Fußtritt zeigt.
Kommt dann die Nacht und siehst du wieder Licht –
Und doch, wer weiß, ob wir uns nicht getäuscht?
Ist Zutraun blind, sieht Argwohn leicht zuviel:
Zum mindesten befehl ich dir zu zweifeln,
Bis ich dir sage: glaubs! Erschrick nicht, Alter!
Geh nur voran und öffne jene Tür.
Der Alte geht dem Turme zu.
PRIESTER
im Begriff ihm zu folgen.
Fortan sei Ruh! Der Torheit Werk vergeh!
Der Morgen find es nicht. Es sei gewesen.
Mit dem Diener in den Turm ab.
Kurze Gegend. Rechts im Vorgrunde Leanders Hütte. Daneben ein Baum mit einem Votivbilde.
NAUKLEROS
kommt und bleibt vor der Hütte stehen, mit dem Fuß auf den Boden stampfend.
Leander, hör! Machst du nicht auf? – Leander!
Bis jetzt hat meine Sorgfalt ihn bewahrt.
Ich ließ ihn gestern abends in der Hütte
Und heute tat, die Nachbarn sagens,
Sich noch nicht auf die festverschloßne Tür.
Doch gilts zu wachen noch, zu hüten, sorgen.
[64] Was aber zögert er? Es ist schon spät.
Hat allzugroßer Schmerz –? Wie, oder gar?
Vergaß vielleicht den Gram und seine Leiden?
Und träumt nun langgestreckt? Leander! Ho!
Langschläfer, Ohnesorg! Beim Sonnengott!
Machst du nicht auf, so spreng ich dir die Tür!
Mit alledem dünkts mich doch sonderbar.
Er sieht durch die Spalte.
Leander tritt links im Hintergrunde auf.
LEANDER.
Huhup!
Er zieht sich wieder zurück.
NAUKLEROS
rasch umgewendet.
Wer da? – Freund oder Feind?
LEANDER
vortretend.
Er trägt einen Stab in der Hand und unter dem Arm ein Schleiertuch, dessen eines Ende er während des Folgenden in eine Schleife bindet.
NAUKLEROS.
Du selbst? und also spöttisch
Genüber deinem Meister, deinem Herrn?
Und dann? – Was dünkt mir denn? – Wo kommst du her?
Verließ ich dich nicht abends in der Hütte?
Und heute – sieh, ich weiß, die Nachbarn sagens –
Ging noch nicht auf die festverschloßne Tür.
Wo kommst du her? und wie?
Er greift mit der Hand hin, um Leanders Beschäftigung zu unterbrechen.
LEANDER
zurückziehend.
Mein Stab! Mein Wimpel, ei!
NAUKLEROS.
Dein Haar ist feucht, die schweren Kleider kleben.
Du warst im Meer.
LEANDER.
Wie bündig schließt der Mann!
Er geht während des Folgenden nach rückwärts zum Baume und legt Stab und Schleier auf einer Erderhöhung unter dem Götterbilde nieder.
NAUKLEROS
seinen Bewegungen folgend.
Im Meer! – Weshalb? – Du warst doch nicht? – Leander!
Weißt du? Sie senden Späher aus von Sestos,
An unserm Ufer hat man ihrer schon gesehn.
Wenn nun so weit, bis über Meeresgrenze
Ihr Argwohn reicht, um wieviel strenger denkst du
Das Jenseits dir bewacht, uns feind von je?
[65] Der wär ein Tor, der irgend es versuchte,
Zu stürzen sich ins aufgespannte Netz.
Dann aber: wie?
LEANDER
der wieder zurückgekommen ist, nach rückwärts sprechend.
Bewahre mirs, du Gott!
NAUKLEROS.
Noch einmal: wie? Du weißt, ich brach das Steuer
Von deinem Kahn, und alle Nachbarn hielten
Auf mein Gesuch die Nachen unterm Schloß.
Wenn nun zu Schiffe nicht, wie sonst? Denn schwimmend,
Leander, schwimmend – Kennst du auch den Raum,
Der trennt Abydos Strand von Sestos Küste?
Kein Lebender kommt lebend drüben an,
Denn hielte auch die Kraft, so starren Klippen,
Die reichen rings, soweit das Ufer reicht,
Kein Ruheplatz, noch Anfurt, keine Stelle,
Die sichre Landung beut.
LEANDER.
Sieh nur! so schroff?
NAUKLEROS.
Nun ja, ein Ort ist zwischen scharfen Klippen,
Dort mag ein Glückskind, das ihn nicht verfehlt
In finstrer Nacht, dort mag dem Land er nahn.
Ein Turm steht da, voreinst zum Schutz gebaut;
Jetzt wohnt die Priesterjungfrau drin, die einst wir
Im Haine sahn. Du wohl seitdem – Leander!
Birg nicht dein Aug! Zu spät! Denn es gestand.
Nun, du warst dort heut nacht, statt hier zu ruhn,
Fandst glücklich aus den einzgen Platz der Landung,
Und standst am Turm, den feuchten Blick empor,
Liebäugelnd mit dem Licht in ihrer Kammer.
Sahst ihre Schatten an den Wänden fliehn,
Beglückt, um höhern Preis nicht, als den Tod,
Im Übermaß von so viel Glück zu schwelgen.
LEANDER.
Armseliger!
NAUKLEROS.
Auch das! Die Schildrung war zu schwach.
Du sahst sie, sprachst mit ihr, fandst Haus und Pforte
Geöffnet, unbewacht, tratst ein –
LEANDER
sich in seine Arme werfend.
Naukleros!
Fühlst du den Kuß? Und weißt du, wer ihn gab?
[66]NAUKLEROS.
Laß ab! dein Kuß ist Tod.
LEANDER.
So furchtsam?
Naukleros feig?
NAUKLEROS.
Nun ja, ich seh es wohl, wir haben,
Die Plätze haben wir getauscht. Ich furchtsam,
Du kühn; Leander frohen Muts, Naukleros –
Ich werde doch nicht gar noch weinen sollen?
Wohlan, geh in den Tod! Nur eines,
Ein einziges versprich mir: Dieses Mal,
Diesmal such mir ihn nicht. Bleib fern von Sestos.
Damit, wenn du nun daliegst bleich und kalt,
Ich mir nicht sagen müsse: Du warsts, du,
Der treulos seine Freundespflicht versäumt,
Ihm selber wies die todgeschwellten Früchte,
Selbst wob das Netz, das klammernd ihn umfing,
Ein Knie zur Erde gebeugt.
Leander!
LEANDER.
Bist du krank? Was kommt dir an?
NAUKLEROS.
Hast du doch recht, und fürder auch kein Wort!
Wer spräch auch wohl zum brandend tauben Meer,
Zum lauten Sturm, dem wilden Tier der Wüste,
Das achtlos folgt der angebornen Gier.
Darum kein Wort! Nur, denkst du irgend noch
Der Freundschaft, die uns einst –
LEANDER.
Naukleros, einst?
NAUKLEROS.
Laß das! Es spricht die Tat. Schein ich dir irgend
Noch eines kleinen, armen Dienstes wert:
Tu mir die Lieb und öffne jene Tür.
LEANDER.
Wozu?
NAUKLEROS.
Ich bitte dich!
LEANDER.
Der Schlüssel, weißt du,
Liegt unterm Stein.
NAUKLEROS.
Tus selbst!
LEANDER
der die Türe der Hütte geöffnet hat.
Es ist geschehn.
NAUKLEROS.
Wohlan! Und daß ich dankbar mich erweise:
Geh dort hinein!
LEANDER.
Ich nicht!
[67]NAUKLEROS.
Du sollst! Du mußt!
Der Stärkre war ich stets, der Ältre bin ich,
Und jetzt stählt Sorge dreifach meinen Arm.
Leander anfassend.
So faß ich dich, so halt ich dich, so drück ich
Dich an den Grund. Gehorchst du wohl?
LEANDER
mit gebrochenen Knieen.
Halt ein!
NAUKLEROS
ihn loslassend.
Armseliger! von Lieb und Wellen matt!
Und nun hinein!
LEANDER
zurückweichend.
Fürwahr! ich werde nicht!
NAUKLEROS
ihn anfassend und zurückdrängend.
Du wirst, du sollst, du mußt!
LEANDER.
Laß ab!
NAUKLEROS.
Vergebens!
Er hat ihn in die Türe gedrängt, die er jetzt rasch an sich zieht.
Nun zu die Tür!
Er dreht den Schlüssel.
Und schwimm du künftig wieder!
Ich will als Schließer selbst dir Nahrung bringen.
Doch daß du nicht entkommst, bin ich dir gut.
LEANDER
von innen.
Naukleros!
NAUKLEROS.
Nein!
LEANDER.
Ein Wörtchen nur!
NAUKLEROS.
Nicht eins!
LEANDER.
Doch wenn mein Heil, mein Leben dran geknüpft,
Daß du mich hörst?
NAUKLEROS.
Was also wär es denn?
LEANDER.
Nur eine Spanne weit mach auf die Tür!
Mein Dasein ist bedroht, wenn dus verweigerst.
NAUKLEROS.
Nun, handbreit öffn ich denn.
Zurückprallend.
Ha, was ist das?
Leander stürzt aus der Hütte, das Haupt mit einem Helme bedeckt, den Schild am Arme, ein bloßes Schwert in der Hand.
LEANDER.
Komm an! komm an! Warum nicht hältst du mich?
[68] Noch ist mir meines Vaters Helm und Schwert,
Und Tod dräut jedem, der sich widersetzt.
Tor, der du bist! und denkst du den zu halten,
Den alle Götter schützen, leitet ihre Macht?
Was mir bestimmt, ich wills, ich werds erfüllen:
Kein Sterblicher hält Götterwalten auf.
Ihr aber, die ihr rettend mich beschirmt
Durch Wellennacht:
Er kniet.
Poseidon, mächtger Gott!
Der du die Wasser legtest an die Zügel,
Den Tod mir scheuchtest von dem feuchten Mund.
Zeus, mächtig über allen, hehr und groß!
Und Liebesgöttin, du, die mich berief,
Den kundlos Neuen, lernend zu belehren
Die Unberichteten, was dein Gebot.
Steht ihr mir bei und leitet wie bisher!
Aufstehend und Schild und Schwert von sich werfend, den Helm noch immer auf dem Haupte.
Drum keine Waffen! Euer Schutz genügt.
Mit ihm geharnischt, wie mit ehrner Wehr,
Stürz ich mich kühn in Mitte der Gefahren.
Schnell den Stab mit dem Schleiertuche aufnehmend und die darein geknüpfte Schleife an die Spitze des Stabes befestigend, indes er das andere Ende mit der Hand daran festhält.
Und dieses Tuch, geraubt von heilger Stelle,
Schwing ich als Wimpel in vermeßner Hand.
Es weist den Weg mir durch die Wasserwüste,
Und läßt ein Gott erreichen mich die Küste,
Pflanz ich, ein Sieger, es auf den erstiegnen Strand.
Erlieg ich, seis durch euch! und also fort!
Das Tuch flaggenartig schwingend.
Amor und Hymen, ziehet ihr voran,
Ich komm, ich folg, und wäre Tod der dritte.
Er eilt fort.
NAUKLEROS.
Er ist von Sinnen! Hörst du nicht? Leander!
Die Waffen aufnehmend.
Noch geb ich ihn nicht auf. Die Freunde samml ich.
[69] Wir halten ihn, und wär es mit Gewalt.
Dort schleicht ein Mann, gehüllt in dunkeln Mantel,
Ein Späher jenes Tempels schon vielleicht.
Ich meid ihn, folge jenem. O mein Freund!
Er zieht ausweichend nach der entgegengesetzten Seite zurück.
Platz vor Heros Turm wie zu Anfang dieses Aufzuges. Hero kommt, die Hand auf Janthens Schulter gelegt, Diener mit Gefäßen folgen.
HERO.
Tragt die Gefäße nur hinauf zu meinem Ohm!
Sagt ihm! – Ihr wißt ja selbst. – Ich bleibe hier.
Sie setzt sich.
War dieser Mann doch, meiner Eltern Bote,
Wie Hoffnung, wie das Glück. Man suchts, es flieht
Und läßt uns so zurück.
JANTHE.
Du gingst so rasch.
HERO.
Nun, ich bin wieder da.
JANTHE.
Willst du nicht lieber
Hinauf in dein Gemach?
HERO.
Nein, nein, nur hier.
Ists noch nicht Abend?
JANTHE.
Kaum.
HERO
den Kopf in die Hand gestützt.
Nu, nu! Ei nu!
Der Tempelhüter kommt von der linken Seite.
TEMPELHÜTER.
So bist du hier? Wir harrten deiner längst.
HERO.
Längst also, längst? Ich glaub, ihr spottet mein!
Ging ich nicht unverweilt, den Boten suchend,
Der ewig mir entschwand, jetzt hier, nun dort.
Mit Absicht tatet ihrs. Weiß ich warum?
TEMPELHÜTER.
Der Bote kam auf andern Wegen her,
Du warst kaum fort. Er ist bei deinem Ohm.
HERO.
Und ihr ließt unberichtet mich? Doch immer!
Ein andermal will ich wohl klüger sein.
TEMPELHÜTER.
Dein Oheim harrt im Tempel.
HERO.
So?
Er wird noch harren, denn ich bleibe hier.
TEMPELHÜTER.
Doch er befahl –
HERO.
Befahl er dir, so tus!
Ich denke, künftig selbst mir zu gebieten.
Geh nur!
[70] Zu Janthen.
Du immer auch.
JANTHE.
Befiehlst du irgend sonst?
HERO.
Ich nicht. Und doch! wenns selber dir gefällt.
Geh nur hinauf, bereite mir die Lampe,
Gieß Öl noch zu, genug für viele Zeit.
Und kommt die Nacht – Allein das tu ich selbst.
Die beiden gehen.
HERO.
Und kommt die Nacht – Sie bricht ja wirklich ein.
Da ist mein Turm, dort flüstern leise Wellen;
Und gestern war er da, und heut versprach er.
Wars gestern auch? Mich deucht, es wär so lang.
Mein Haupt ist schwer, die wirren Bilder schwimmen.
Des Tages Glut, die Sorge jener Nacht,
Die keine Nacht, ein Tag in Angst und Wachen –
Das liegt wie Blei auf meinem trüben Sinn.
Und doch, ein lichter Punkt in all dem Dunkel:
Er kommt. Gewiß? Nur noch dies eine Mal! –
Dann bleibt er fern. – Wer weiß? Auf lange Zeit.
Und spät erst, spät – Ich muß nur wachsam sein!
Den Kopf in die Hand lehnend.
Der Priester kommt mit dem Tempelhüter.
PRIESTER.
So kommt sie nicht?
Der Tempelhüter zeigt schweigend auf die Ruhende.
PRIESTER
zu ihr tretend.
Hero!
HERO
aufschreckend.
Bist dus, mein Freund?
PRIESTER.
Ich bins und bin dein Freund.
HERO
aufstehend.
Sei mir gegrüßt!
PRIESTER.
Der Bote deiner Eltern, weißt du wohl –
HERO.
Ich weiß.
PRIESTER.
Er brachte Briefe mir, sie liegen
In deinem Turmgemach. Holst du sie nicht?
HERO.
Auf morgen les ich sie.
PRIESTER.
Nicht heut?
HERO.
Nicht jetzt.
PRIESTER.
Zu wissen, wie sie leben, reizt dich nicht?
HERO.
Nur kurz ists, daß sie schieden, sie sind wohl.
PRIESTER.
Bist du so sicher des?
[71]HERO.
Ich bin es, Herr!
Aufs Zeugnis einer seligen Empfindung,
Die mich durchströmt, mein Wesen still verklärt,
Daß alle, die mir teuer, froh und wohl.
PRIESTER.
Wie oft täuscht ein Gefühl!
HERO.
Was täuschte nie?
Bleibt mir die Wahl, wähl ich die süßre Täuschung.
PRIESTER.
Wo ist Janthe?
HERO.
Eben ging sie hin.
PRIESTER.
Nach den Ereignissen der letzten Zeit
Kann sie nicht weilen mehr in unserm Hause.
HERO.
Ich sagte dir, du tust dem Mädchen unrecht.
PRIESTER.
Doch wie erweisest dus?
HERO.
Ich glaub es so.
PRIESTER.
Auf ein Gefühl auch?
HERO.
Auch auf ein Gefühl.
PRIESTER.
Doch ich will Klarheit, und Janthe scheide.
HERO.
Verzeih! Du weißt, das kann nicht ohne mich,
Die Mädchen sind der Priesterin befohlen,
Und meine Rechte kenn ich so wie meine –
Ich kenne, Herr, mein Recht.
PRIESTER.
Wie meine Pflichten;
Du wolltest sagen so.
HERO.
Ich wollte, Herr;
Und sag es jetzt: auch meine Pflichten kenn ich,
Wenn Pflicht das alles, was ein ruhig Herz,
Im Einklang mit sich selbst und mit der Welt,
Dem Recht genüber stellt der andern Menschen.
PRIESTER.
Dem Recht der Götter nicht?
HERO.
Laß uns nicht klügeln!
Gib deinem Bruder und dir selbst sein Teil:
Die Götter sind zu hoch für unsre Rechte.
PRIESTER.
Du bist gereift.
HERO.
Nun, Herr, die Sonne scheint,
Und auch der Mond läßt wachsen Gras und Kraut.
PRIESTER.
Da du so streng ob deinen Rechten hältst,
So muß ich bitten dich, mir zu verzeihn,
Daß ich erbrochen deiner Mutter Schreiben.
[72]HERO.
Was mein ist, ist auch dein.
PRIESTER.
Ich wollte wohl,
Du läsest diesen Brief, ob einer Warnung,
Die er enthält.
HERO.
Gewiß, ich werde: Morgen.
PRIESTER.
Nein, heut. Wärs nicht zu viel, ich bäte dich,
Ihn jetzt zu holen, gleich.
HERO.
Du quälst mich, Ohm.
Allein damit du siehst – Ists noch nicht Abend?
PRIESTER.
Beinah.
HERO.
Ich hole denn das Schreiben.
Mit verbindlichem Ausdruck.
Damit du siehst, wie sehr ich dir zu Dienst.
Ab in den Turm.
PRIESTER.
Mein Innerstes bewegt sich, schau ich sie.
So still, so klug, so Ebenmaß in jedem;
Und immer däucht es mir, ich müßt ihr sagen:
Blick auf! Das Unheil gähnt, ein Abgrund neben dir!
Und doch ist sie zu sicher und zu fest.
Gönn ich ihr Zeit, und taucht ihr heller Sinn
Auf aus den Fluten, die ihn jetzt umnachten.
Denkt sie auf Mittel nur, ihn zu erretten,
Entzieht den Strafbarn unsrer Schlingen Haft
Und ist so mehr und sichrer denn verloren.
Zwar, muß sie schuldig sein? Wenn ein Verwegner
Das Unerlaubte tollkühn unternahm –
Seis auch, daß sie berührt nach Jugendart –
Muß im Verständnis sie ihm selbst die Zeichen,
Die Mittel selbst ihm bieten seiner Tat?
Am Fenster des Turmes erscheint die Lampe.
Was dort? Die Lampe strahlt. Unselig Mädchen!
Sie leuchtet deiner Strafe, deiner Schuld.
Der Tempelhüter kommt.
TEMPELHÜTER.
Siehst du das Licht?
PRIESTER.
Ich sehs. Sprachst du die Fischer?
TEMPELHÜTER.
Ja, Herr. Sie rudern nicht, wie du befahlst,
Heut nacht ins Meer, das hoch geht ohnehin.
PRIESTER.
So besser denn! Du folge nun! Sie kommt.
[73] Sie entfernen sich nach der linken Seite.
Hero kommt zurück mit einer Rolle.
HERO.
Hier ist dein Brief. Nimmst du ihn nicht? – Ei ja! –
Wo ging er mir nur hin? – Er kommt wohl wieder.
Sie steckt den Brief in den Gürtel.
Wie schön du brennst, o Lampe, meine Freundin!
Noch ists nicht Nacht, und doch geht alles Licht,
Das rings umher die laute Welt erleuchtet,
Von dir aus, dir, du Sonne meiner Nacht.
Wie an der Mutter Brust hängt alles Wesen
An deinem Umkreis, saugend deinen Strahl.
Hier will ich sitzen, will dein Licht bewahren,
Daß es der Wind nicht neidisch mir verlöscht.
Hier ist es kühl, im Turme schwül und schläfrig,
Die dumpfe Luft drückt dort die Augen zu.
Das aber soll nicht sein, es gilt zu wachen.
Sie sitzt.
Sie haben mich geplagt den langen Tag
Mit Kommen und mit Gehn. Nicht absichtslos!
Allein weshalb? warum? Ich weiß es nicht.
Den Kopf in die Hand gesenkt.
Doch immerhin! Drückt erst nicht mehr die Stirn,
Erkenn ichs wohl. Und dann – soll auch – wenn nur –
Emporfahrend.
Was ist? Wer kommt? – Ich bin allein. Der Wind nur
Weht schärfer von der See. – So besser denn,
Treibst du den Holden früher ans Gestade.
Die Lampe brennt noch hell. Pfui, wer wird träumen?
Hellauf und frisch! Der Liebe süße Wacht.
Den Kopf wieder in die Hand gestützt.
Genau besehn, wollt ich, er käme nicht.
Ihr Argwohn ist geweckt, sie lauern, spähn.
Wenn sie ihn träfen – Mitleidsvolle Götter!
Drum wär es besser wohl, er käme nicht.
Allein er wünschts, er flehte, bat. Er wills.
Komm immer denn, du guter Jüngling, komm!
Ich will dich hüten, wie der Jungen Schar
Die Glucke schützt, und niemand soll dir nahn,
[74] Niemand, als ich allein; und nicht zu schädgen;
Bewahr! Bewahr! – Ich bin doch müd.
Es schmerzt der Fuß. Löst niemand mir die Schuh?
Sie zieht einen Fuß auf die Ruhebank.
Hier drückt es, hier. Hat mich ein Stein verletzt?
Auch den zweiten Fuß an sich ziehend, in halb liegender Stellung.
Wie süß, wie wohl! – Komm, Wind der Nacht,
Und kühle mir das Aug, die heißen Wangen!
Kommst du doch übers Meer, von ihm.
Und, o, dein Rauschen und der Blätter Lispeln,
Wie Worte klingt es mir: von ihm mir, ihm, von ihm.
Breit aus die Schwingen, hülle sie um mich,
Um Stirn und Haupt, den Hals, die müden Arme,
Umfaß, umfang! Ich öffne dir die Brust. –
Und kommt er, sag es an! – Leander – du? –
Pause.
Der Tempelhüter kommt lauschend auf den Zehen, hinter ihm der Priester, der am Eingange des Turmes stehenbleibt.
TEMPELHÜTER
sich der Ruhebank nähernd, mit gedämpfter Stimme.
Hero! – Sie schläft.
PRIESTER.
Vom Turme strahlt das Licht.
Der Götter Sturm verlösche deine Flamme!
Er geht in den Turm.
TEMPELHÜTER.
Was sinnt er nur? Mir wird so bang und schwer.
Wenn ich nicht sprach; und doch, wie konnt ich anders?
Dort gehen Männer mit des Fischzugs Netzen.
Sich der rechten Seite nähernd.
Was schafft ihr dort? Ward euch denn nicht geboten,
Zu bleiben heute nacht dem Meere fern
In eurer Hütten festverschloßnen Räumen?
Zurückkommend.
Sie meinen, es gibt Sturm. Nun, Götter, waltet!
Zum Turm emporblickend.
Die Lampe wird bewegt. Er selbst! – Unselig Mädchen!
Erwacht sie? Nein. So warnet dich kein Traum?
Die Lampe verlöscht.
Hero macht aufatmend eine Bewegung und sinkt dann tiefer in Schlaf. Das Haupt gleitet aus der unterstützenden Hand und ruht auf dem Oberarm, indes der untere Teil schlaff herabhängt. Es ist dunkel geworden.
[75]TEMPELHÜTER.
Mich schaudert. Weh! Hätt ich mein Oberkleid!
Der Priester kommt zurück.
PRIESTER.
Wer spricht? Bist dus? – Komm mit, es sinkt die Nacht
Und brütet über ungeschehnen Dingen.
Zu Hero hintretend.
Nun, Himmlische, nun waltet eures Amts!
Die Schuldigen hält Meer und Schlaf gebunden,
Und so ist eures Priesters Werk vollbracht:
Das Holz geschichtet und das Beil gezückt,
Wend ich mich ab. Trefft, Götter, selbst das Opfer!
Indem er sich zum Fortgehen wendet, fällt der Vorhang.