Der kranke Feldherr

Er ist verwundet, tragt ihn aus der Schlacht!
Ein tapfrer Kämpe wars, ein kühner Führer,
Der vorfocht in der Finsterlinge Schar.
Nun aber traf ein Pfeil des Lichtgotts ihn
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Und fuhr mit Macht hindurch, bis dahin, wo,
Tief unter Herz und Brust, sich Leber, Milz
Und Magen, Galle, Nieren, tierscher Greul,
Und doch der Sitz des Lebens solcher Herrn
Mit schicksalsschwangern Windungen begegnen.
Der Pfeil jedoch, der ihn ins Leben traf,
Es war die Botschaft, daß der Legitimen einer,
Der Kopfabschneider Mahmud, Tods verblichen,
Und nun ein anderer der Legitimen,
Der Polenwürger Nikolaus, gewillt,
Kraft seines alt von Gott entsproßnen Rechts,
Zu stehlen, was der Türk vor Jahren stahl.
Das fuhr dem Mann, der, weil vom Wind geschwellt,
Sich für das Segel hielt des Schiffes dieser Welt,
Der seine Kraft, sein Schwert, durch Spitze, Schleifen
Bis zu des Fadens Dünnheit abgenutzt
Und machtlos stand der Macht nun gegenüber,
Das fuhr ihm wie ein Blitzstrahl durchs Gehirn,
Und warf ihn nieder, wo er annoch liegt.
Laßt ihn betrachten uns: Ein feiner Mann!
Die hohe Stirn, sie barg gewiß Verstand,
Doch ist Verstand ein doppeldeutig Ding,
Ein Diener, der nur gut durch seinen Herrn.
Ist der nun, der gebeut, kein reiner Wille,
Kein richtger Sinn, der Pfad und Wege weist,
Dünkt ihm sein Ziel Erklügeln, statt Erkennen,
Mögt ihr ihn Fluch und keine Gabe nennen.
Und auch ein Herz, es spricht aus diesen Zügen.
Der war nicht taub für seines Nächsten Leid!
Wenn anders nicht der Stolz, die Eitelkeit,
Gelagert in den hochgezognen Brauen,
Verschlossen seines Fühlens weiches Ohr,
Ihn bannten in des Hochmuts stumme Nacht.
O, ewger Fluch bevorzugter Naturen,
Bevorzugt als begabt, als hochgestellt,
Statt auf betretnem Völkerweg voran,
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Auf launisch-ausgewählt, einsamer Bahn
Zu suchen, was der Welt gemeinsam frommt.
Beim Anfang tönen noch verwandte Stimmen,
Mahnende Leiter aus der nächsten Nähe,
Doch immer weiter abseits geht der Pfad
Durch Dickicht und Gebüsch. Mit sich allein,
Hat der Gedanke keinen Maßstab mehr
Als den Gedanken, der nur er, er selbst –
Der erste Fehlschluß zeugt den zweiten Irrtum,
Und der trägt schwanger Tausende im Schoß,
Die sich, begattend und erzeugend, leisen Fortschritts
In immer steigend unlösbarer Kette
Um Haupt und Brust, um Sinn und Wollen schlingen.
Es fehlt der Prüfstein des verwandten Strebens,
Die Billigung des ewgen Menschensinns.
Und endlich spät zur lichten Welt gekehrt,
Steht das Erdachte als ein Scheusal da,
Sich selbst ein Greul, wenn gnädig ihm ein Gott
Beim Anfang solcher Bahn das Schauder-Ende
Gewiesen in prophetischem Gesicht.
Und dennoch prangts und trotzt und droht und zwingt,
Bis endlich, der das Heil von allen will,
Den Frevler aufgreift von der frommen Erde
Und hinwirft, flach, Nebukadnezar gleich,
Daß mit dem Tier er fresse grünes Gras.
Das war so einer, dünkt mich. Hebt ihn auf,
Besorgt und pflegt, wenn nicht, begrabt ihn,
Denn, ob nicht tot, er lebt doch auch nicht mehr.

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TextGrid Repository (2012). Grillparzer, Franz. Gedichte. Gedichte. Der kranke Feldherr. Der kranke Feldherr. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-F8FC-1