Epistel
Ihr wollt denn wirklich deutsche Poesie,
Die es auch sei, nicht bloß nur so sich nenne?
Gerechtre Wünsche hörte man wohl nie,
Doch deutsche Art! Macht erst, daß ich sie kenne.
Ich weiß euch ruhig, fest, von schlichtem Sinn,
Zum Handeln minder rührig als zum Denken,
Doch seh ich auf das Tags Gestalten hin,
Muß ich zum Widerspiel die Meinung lenken.
Da lärmts und prahlt und tobt und schreit und droht,
Vernichtet jede Stunde zehn Tyrannen,
Will Freiheit, gält es hundertfachen Tod,
Und führt doch Krieg nur mit den vollen Kannen.
Ihr rühmt der Väter Biedersinn und Art.
Historisch, nur historisch, rufts hysterisch,
Im Glauben ruht das Heil der Gegenwart!
Und Strauß macht euch mit seinen Mythen närrisch.
Freund Hegel gibt euch einen neuen Gott,
Und Schelling stutzt euch zu auf neu den alten.
Die Welt aus nichts, war schon ein hart Gebot,
Doch Nichts – das eine Welt – will gar nicht halten.
Gefühl, rühmt man, daß euer Vorzug sei –
Drum kostet wohl Verstand euch Überwindung –
Doch als ihr totschlugt die Empfindelei,
Traf mancher harte Schlag auch die Empfindung.
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Und statt Gefühl, womit ihr euch begabt,
Find ich euch kalt in holperichten Reimen,
Wo nur Gedanken, die man längst gehabt,
Zum Harlekin sich aneinanderleimen.
Ein Volk von Denkern? Und sprecht plappernd nach,
Was ihr gehört von nichtgen Unterweisern,
Gervinus, Menzel stehen wie zur Wach,
Bald abgelöst, in engen Schilderhäusern.
Was heute gut, weicht morgen schon vom Platz,
So Billigung als Urteil ohne Stärke,
Ihr lebt von gestern, nie häuft sich ein Schatz,
Ihr habt nur Bücher, aber keine Werke.
Wo ist dann deutsche Art? Auf, zeigt mir sie,
Statt Launen, immer bunter und vertrackter;
Und fordert ihr ihn von der Poesie,
So habt vor allem selber erst Charakter.
Allein ihr möchtet sein, was ihr nicht seid;
Geht in die Schule denn und lernt zu leben,
Und seid ihr zum Empfangen erst bereit,
Wird euch die Dichtkunst das Gemäße geben.