Der Justizminister

Sie sagen sich, daß ein Minister schied,
Und sagen sichs gleichgiltig leerer Mienen,
Als wärs ein neuer Ton zum alten Lied,
Und die Justiz verkörpert schon in ihnen.
Und wahrlich! erst geknüpft des Rechtes Netz,
Liegt Richter und Gericht schon im Gesetz.
Doch während mich kaum kümmert der Verlauf,
Macht ein Gefühl sich frei und immer freier,
Und plötzlich gehts vor meinen Augen auf,
Sich hebend wie ein ferner Wolkenschleier.
Ist das nicht Frankfurt, die berufne Stadt?
Zum Rat berufen, aber jetzt zur Tat.
Durch alle Straßen wogt des Frevels Wut,
Die Waffen schwingen mordbegierge Hände,
Lichnowsky, Auerswald in ihrem Blut,
Und übrall starre Barrikadenwände.
Die Freiheit, ihres eignen Wesens frei,
Lehrt durch Gewalttat, redet durch Geschrei.
An Deutschlands Wurzel ist das Beil gelegt,
Nur noch ein Streich, so sinkt die Eiche nieder,
Vergebens, was sich später hilfreich regt,
Des Stammes Last erdrückt im Fall die Glieder.
Wer hilft? wer rettet? Wo ein Hort und Haupt?
Wo, der an sich und an die Rettung glaubt?
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Doch halt! ein Mann der Rede und der Schrift,
Bleibt seiner Herr im Gräuel der Verwüstung,
Tritt auf die Bresche, die verwaist er trifft,
Und macht sein Friedenskleid zur Waffenrüstung.
Wie sonst den Rat, so ordnet er den Krieg.
Ein Rechtstreit wars: dem Rechte blieb der Sieg.
Der Mann warst du! – Was frag ich um dein Jetzt.
Das Heute ist ein Erbe doch des Gestern,
Daß etwa leicht man heute dich ersetzt,
Soll dich verkleinern nicht und nicht verlästern.
Doch jedem andern Schmach, der schnell vergißt
Des, was er war, in dem, was er nun ist.

Notizen
Entstanden 1851.
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Grillparzer, Franz. Der Justizminister. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-FC3A-6